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Ende der zwanziger Jahre war Europa ein Ort der Hoffnung. Jedenfalls für die siebzehnjährige Flavia, die sich einen Sommer lang an der Cote d'Azur einrichtet, um für ihren Studienplatz in Oxford zu büffeln. Noch ahnt sie nicht, welche Ablenkungen auf sie warten. Elegant und scharfzüngig nimmt Sybille Bedford in dieser Fortsetzung zum Liebling der Götter die mondäne Gesellschaft der Zeit aufs Korn, und zeigt ganz nebenbei, wie tief die Abgründe der Verführbarkeit sein können.

Produktbeschreibung
Ende der zwanziger Jahre war Europa ein Ort der Hoffnung. Jedenfalls für die siebzehnjährige Flavia, die sich einen Sommer lang an der Cote d'Azur einrichtet, um für ihren Studienplatz in Oxford zu büffeln. Noch ahnt sie nicht, welche Ablenkungen auf sie warten. Elegant und scharfzüngig nimmt Sybille Bedford in dieser Fortsetzung zum Liebling der Götter die mondäne Gesellschaft der Zeit aufs Korn, und zeigt ganz nebenbei, wie tief die Abgründe der Verführbarkeit sein können.
Autorenporträt
Sybille Bedford, geb. 1911 in Berlin als Tochter des Barons von Schoenebeck und seiner englischen Gattin, wuchs in Deutschland, England, Italien und Frankreich auf. Als junges Mädchen lebte sie mit ihrer Mutter und derem zweiten, italienischen Ehemann an der Cote d'Azur, dem Zufluchtsort für viele europäische Künstler und Intellektuelle der Zeit. Alle ihre Romane und Reiseerzählungen schöpfen aus dem reichen biographischen Hintergrund. Sybille Bedford hat außerdem viele Jahre als Gerichtsreporterin berühmten Prozessen beigewohnt und darüber für 'Esquire' und 'Life' berichtet. Die Autorin ist am 17. Februar 2006 in London gestorben. Ihre Autobiographie, mit dem Titel 'Quicksands' 2005 in den USA und in England erschienen, wurde von der angelsächsischen Presse enthusiastisch gefeiert.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.07.2006

Liebe mit Hummersalat statt mit Eifersucht
Spiel der Verführungen: In ihrem Desillusionsroman "Ein trügerischer Sommer" erweist sich Sybille Bedford als neusachliche Porträtistin der Boheme

Die große Erzählerin Sybille Bedford, die im Februar dieses Jahres im Alter von 95 Jahren in London starb, durfte noch kurz vor ihrem Tode erleben, daß sich ihr Werk auch in Deutschland eine Leserschaft zu erobern begann: in dem Land, in dem sie 1911 geboren wurde, nicht freilich, wie ihr deutscher Verlag auf die Schutzumschläge ihrer Bücher setzen läßt, in Berlin, sondern, wie es historisch korrekt im Klappentext ihres hinreißenden Erinnerungsbuchs "Quicksands" heißt, "in Charlottenburg, Germany".

Sybille Bedford, die lange als Gerichtsreporterin gearbeitet hat, ist eben eine historisch präzise Erzählerin, und ihre wahre poetische Einbildungskraft ist die Erinnerung. Sie hat deshalb auch den hohen autobiographischen Anteil an ihrem erzählerischen Werk nie verheimlicht. Wer "Quicksands", dessen deutsche Ausgabe im Herbst erscheinen wird, gelesen hat, dem werden nicht wenige Gestalten und Szenen in ihrem Roman "Ein trügerischer Sommer" vertraut vorkommen, nur gibt die Autorin ihren Figuren dort andere Namen und läßt sie auch ganz andere Schicksale erleben. Die Atmosphäre freilich ist hier wie dort dieselbe: das kultivierte Ambiente der kosmopolitisch-liberalen Intellektuellen und Künstler der Zwischenkriegszeit, einer gehobenen Boheme in vorzugsweise mediterraner Umgebung.

Der erstmals 1968 erschienene Roman "Ein trügerischer Sommer" wurde nicht, wie von der Autorin ursprünglich geplant, eine Fortsetzung des Romans "Ein Liebling der Götter" (dessen 2005 erschienene deutsche Neuausgabe außerordentlich erfolgreich war), sondern dessen "Ableger". Zeitlich schließt "Ein trügerischer Sommer" genau dort an, wo sein Vorgänger endet, aber er wechselt das Personal, und er wechselt die Perspektive. Er läßt die so berückende wie anrührend leichtfertige Constanza, den "Liebling der Götter", und deren mit herkulischer Schwäche dominierende Mutter Anna in der Handlung selbst nicht mehr auftreten; Anna ist vor kurzem gestorben, und Constanza hat sich mit ihrem neuen Liebhaber Michel auf Reisen begeben: Sie will, sich allen Nachstellungen entziehend, mit Michel den Zeitpunkt abwarten, an dem die gesetzliche Frist für die Scheidung Michels von dessen offenbar hochkomplizierter Frau, von der er seit langem getrennt lebt und die er wegen böswilligen Verlassens verklagt hat, abgelaufen ist, um danach mit ihm die Ehe eingehen und endlich zur Ruhe kommen zu können. Das alles kann freilich nur gelingen, wenn dem elitären Moralisten Michel nicht nachgewiesen werden kann, daß er mittlerweile mit Constanza zusammenlebt.

Derweil hütet Constanzas siebzehnjährige Tochter Flavia das von ihrer Mutter gemietete Haus in dem bei einer mondänen künstlerischen Elite in Mode geratenen provenzalischen Fischerort Saint-Jean, um sich dort in Ruhe mit einem spartanisch eingehaltenen Arbeitsprogramm auf ihre Aufnahmeprüfung in Oxford vorbereiten zu können. Denn die mit altkluger Weltweisheit ausgestattete hübsche Flavia, die den "New Statesman" wie ein Gebetbuch studiert und Aldous Huxley (dessen Biographie Sybille Bedford verfaßt hat) verehrt, hat große Pläne für die Zukunft: Politische Publizistin will sie werden, mehr noch, eine berühmte Schriftstellerin. Das nun sind glänzende Voraussetzungen für einen Desillusionsroman.

Der Roman erzählt die Geschichte Flavias in einem Sommer in den späten zwanziger Jahren als den Prozeß einer Desillusionierung, und weil Sybille Bedford erzählerisch dabei ohne große Schonung für ihre junge Heldin vorgeht, gewinnt der Leser um so größere Sympathie für sie. Flavia, die ihr Leben rigoros durchgeplant zu haben glaubt, verliert in diesem Sommer nicht nur ihre physische, sondern auch ihre moralische Unschuld, und während das erste für sie offenbar keine große Angelegenheit ist, bildet das andere die eigentliche Katastrophe, weil Flavia dabei, ohne dies zu wollen, zerstörerisch in das Leben des Menschen eingreift, den sie am meisten liebt: dasjenige ihrer Mutter Constanza. Im Spiel der Verführungen, in das sie sich mit dem snobistischen Hochmut ihrer Jugend treiben läßt, verliert sie sehr rasch die Kontrolle über ihr Leben und wird dabei zur Verräterin. Am Ende muß sie den Plan, in Oxford zu studieren, aufgeben, und die ethische Integrität, mit der sie als Schriftstellerin die Welt in die Schranken zu fordern gedachte, hat sie ebenfalls gründlich eingebüßt. Wofür die großen Desillusionsromane Flauberts und Balzacs viele Jahre benötigen, die Darstellung der Lehrzeit des Gefühls, an deren Ende die verlorenen Illusionen stehen, dafür benötigt Sybille Bedford nur wenige sonnendurchglühte Sommerwochen.

Flavias Vision vom sinnlichen Leben - kultivierte Liebschaften ohne den überflüssigen Luxus von Eifersucht und "sinnlosem Leiden", dafür aber mit gutem Wein und Hummersalat - erfüllt sich auf überraschende Weise, als die bisexuelle Thérèse, die Frau des berühmten Malers Loulou und ganz und gar das "Wunderwesen" der emanzipierten neuen Frau der Zwischenkriegsjahre, sie zu sich ins Bett holt.

Weil Sybille Bedford ihren Figuren den Vorzug, elegant zu sein, unter allen Umständen bewahren will, behandelt sie alles, was dort geschieht, mit hoher Diskretion, läßt den Leser aber doch ahnen, daß es für Flavia recht angenehm gewesen sein muß. Denn sie verliebt sich im Hochgefühl ihrer Unwiderstehlichkeit bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit sofort wieder in eine ältere Frau mit übermächtiger Ausstrahlung. Das freilich bekommt ihr äußerst schlecht. Denn die plötzlich in Saint-Jean auftauchende geheimnisvolle Andrée entfaltet nun in einem virtuosen Spiel von Anziehung und Abstoßung eine lustfeine Strategie der seelischen Verführung, die Flavia sehr rasch ihren analytischen Blick und weitgehend auch ihren Willen verlieren läßt. Deshalb läßt sie auch - ob in bewußter oder unbewußter Selbsttäuschung, dies läßt der Roman offen - die Einsicht nicht an sich heran, die der Leser der von Andrée mit eisiger Infamie gesteuerten Dialoge schon bald gewinnen muß: daß Andrée die Frau Michels ist, die dies alles nur inszeniert, um den Aufenthaltsort Michels und Constanzas herausfinden und so die Scheidung von Michel verhindern zu können. Und am Ende steht Flavia ziemlich kläglich da.

Es ist schwer, von Sybille Bedfords stilistischer Eleganz und ihrer Kunst der Desillusionierung nicht bezaubert zu sein. Sie kennt sich aus im Spiel der Verführungen zwischen Frauen und vermag es in Dialogen von irisierender Brillanz sich genußvoll und grausam entfalten zu lassen. Sie weiß, wie leicht es ist, aus der Bahn geworfen zu werden, und kann davon ohne die geringste Neigung zur Sentimentalität und mit einer Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit erzählen, die aus dem Abscheu vor jeder seelischen Exhibition erwächst. Sybille Bedfords Welt ist stilvoll und formvollendet, ob sie nun von einem Bad an der provenzalischen Küste oder von einer erlesenen seelischen Grausamkeit berichtet. Dieser Wille zur stilsicheren Haltung birgt freilich auch seine Gefahren. Bedford bringt durchaus die Kraft zur brutalen Kälte der neusachlichen Porträtkunst Christian Schads auf: "Die Nase war ein wohlgeformter Schnabel, die Lider über den großen, kühn mit schwarzem und blauem Kajal umrandeten, vorstehenden hellen Augen waren schwer, mitten in die breite Stirn fiel ein dreieckiger Pony." Aber nicht selten neigt sie aus Gründen der Eleganz dazu, die konfektionierte Art-deco-Glätte der Tamara de Lempicka vorzuziehen: "Es war ein klassisches Profil, mit dem glatten Teint, den klaren Linien eines Kunstwerks, makellos, perfekt, streng."

Seine eigentliche Spannung bezieht dieser von Sigrid Ruschmeier stilsicher übersetzte Roman aus der kühlen erzählerischen Analyse der Selbsttäuschungen mondäner Intellektueller, die irgendwie gegen den Krieg und gegen Diktatoren sind und deshalb gern mit hohem moralischem Anspruch Ordnung in das politische Leben bringen würden, denen es aber bereits außerordentlich schwer fällt, ein wenig Ordnung in ihr eigenes Leben zu bringen und dabei ihren moralischen Anspruch aufrechtzuerhalten. Auch deshalb muß das Buch, das stilistisch einer ganz anderen Zeit anzugehören scheint, in seinem Erscheinungsjahr 1968 eine unvermutete Aktualität besessen haben. Es hat seitdem an Aktualität nicht verloren. Über dieser Prosa liegt die Kühle, die von einer leichten Sommerbrise ausgeht, mit der sich kommende Stürme ankündigen.

Sybille Bedford: "Ein trügerischer Sommer". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Sigrid Ruschmeier. SchirmerGraf Verlag, München 2006. 282 S., geb., 19,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Beinahe unmöglich ist es, von Sibylle Bedfords Stilsicherheit und Eleganz nicht beeindruckt zu sein - so ließe sich die eine Hälfte des Urteils des Rezensenten Ernst Osterkamp resümieren. Überreichlich lege die in diesem Jahr mit 95 Jahren verstorbene Autorin auch in diesem Roman, der eine Art Ableger des Vorgängers "Quicksands" darstellt, Zeugnis ab von ihrer Kunst der atmosphärischen Beschreibung, der genauesten psychologischen Beobachtung von Verführungen. In diesem Fall, in dem es um Flavia, die Tochter der Hauptfigur Constanza aus "Quicksands", geht, vor allem die Verführung der Frau durch die Frau. Eingewoben ist diese Verführungsgeschichte in das größere Design einer bitteren Desillusionierungserzählung, deren Protagonistin eben die hochfahrende Flavia ist. Am Ende des Sommers muss sie ihre Absicht, in Oxford zu studieren, aufgeben. Auch ihre ethische Integrität, mit der sie als Schriftstellerin die Welt verbessern wollte, ist gründlich angekratzt. Das alles findet Osterkamp fast atemberaubend genau und virtuos geschildert. Allerdings will er die problematische Seite von Bedfords Kunst nicht verschweigen: Manchmal gerate die Kühle des Blicks doch in die Nähe der "konfektionierten Art-deco-Glätte" etwa der Kunst der Tamara de Lempicka. Keine Frage dennoch, dass hier die Begeisterung überwiegt. Ein dickes Lob geht an Sigrid Ruschmeier für ihre "stilsichere" Übersetzung.

© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.07.2006

Ewige Morgenkühle
Mondän: Sybille Bedfords Roman „Ein trügerischer Sommer”
So könnte das Glück aussehen: Ein weißgekalktes, rundes Zimmer in einem Turm auf einem Hügel an der Côte d'Azur. Ein Tisch voller Bücher, störungsfreie Stille. Durch die Fenster blickt man auf Olivenhaine und eine blauschimmernde Bucht, die Luft riecht nach heißem Fels und Thymian. Zur Mittagspause ein Bad im Meer, danach das von einem dienstbaren Geist vorbereitete, einfache Mahl mit einem Schluck Rotwein. Ein Espresso, dann zurück an die spannende, erfüllende Bücher-Arbeit. Hinter den dicken Mauern des Turms hat sich die Morgenkühle gehalten, während draußen die Hitze flimmert. Wenn der Abend naht, hat ein anderer dienstbarer Geist frisch gebügelte Kleider bereitgelegt. Man macht Toilette und schlendert hinunter zum malerischen Hafen, um auf einer Caféterrasse den Apéritif zu genießen - und die Vorfreude auf das Abendmenü in dem kleinen Lokal, wo man als Stammgast abonniert ist, oder in dem Luxusrestaurant, das man sich einmal pro Woche gönnt. Schließlich eine Wanderung durch die sternklare Nacht, und vor dem Einschlafen der erhebende Gedanke: „Morgen wieder so!”
Eine kosmopolitische Familie
In Sybille Bedfords Roman „Ein trügerischer Sommer” ist es die siebzehnjährige Flavia, die sich um 1928 in einem fiktiven Mittelmeerort namens Saint-Jean-le-Sauveur dieser privilegierten Tagesroutine hingibt, während sie sich auf ihr Studium in Oxford vorbereitet. Die Autorin, die vor einigen Monaten fast 95-jährig in London starb, konnte bei solchen Schilderungen mit leichter Hand auf eigene Erfahrungen zurückgreifen. Zwar hat sie für die Neuausgabe des 1968 erstmals publizierten Werks ein Nachwort geschrieben, in dem sie betont, dass sie nicht Flavia sei, sondern nur „ein paar Jugendabenteuer” und die Liebe zu guten Weinen mit ihr gemeinsam habe. Aber da Sybille Bedford, Tochter eines deutschen Barons und einer Engländerin, als junges Mädchen mit der Mutter und deren italienischem Zweitgatten zeitweilig in Südfrankreich lebte, auch in der deutschen Emigrantenkolonie Sanary-sur-Mer, die sich hinter „Saint-Jean” verbirgt, dürfen wir uns die mediterrane Idylle einer Nachwuchs-Intellektuellen und Schriftstellerin in spe als Teil ihrer bewegten Biographie vorstellen.
Flavia ist den Lesern des Vorläufers „Ein Liebling der Götter”, 2005 in neuer Übersetzung erschienen, bereits bekannt als Enkelin der Amerikanerin Anna, die von einem römischen Fürsten schwer enttäuscht wurde, und Tochter der schönen, freiheitsdurstigen Constanza. Was schon die Begeisterung über jenes kosmopolitische Familienstück ein wenig dämpfte, wird beim Folgeband - Ableger, nicht Fortsetzung, wie es im Nachwort heißt - nun vollends evident: Sybille Bedford war keine Meisterin der Fiktion. Sie hat als Gerichtsreporterin und als Huxley-Biographin solide bis brillante Arbeit geleistet; sie hat mit dem Porträt ihrer „wirklichen” Familie, vor drei Jahren unter dem Titel „Ein Vermächtnis” endlich auch auf Deutsch angemessen gewürdigt, ein kluges, kurzweiliges Zeitzeugnis hinterlassen. Sie war eine genuine Femme de lettres, eine geistreiche Beobachterin des mondänen Milieus, doch das Verfassen von Romanen war nicht eigentlich ihr Metier.
Wenn sie aus der Zeitgeschichte schöpft, analysiert und ironisch kommentiert, glänzt ihre Prosa nach Journalistenart. Dort aber, wo sie sich auf ihre Imagination verlässt, Lebensläufe ersinnt, private Situationen und Dialoge ausspinnt, wird das Champagnerprickeln spürbar schwächer, und die von manchen Rezensenten gerühmte „Eleganz” der Erzählung lässt sich allenfalls am Stoff festmachen - eine Frage des Dekors. Zweifellos wäre es hübsch gewesen, bei einer europäischen Ausnahmeerscheinung wie Bedford eine Romancière von Rang mitgeliefert zu bekommen. Aber man kann die Götter nicht zwingen, ihren Lieblingen neben einer interessanten Lebensgeschichte und funkelndem Esprit auch noch die hohe Kunst des literarischen Schreibens in die Wiege zu legen.
Und so ist es vor allem der dokumentarische Aspekt, der uns an diesen Romanversuchen fesselt - die Schilderung einer untergegangenen Welt, deren Protagonisten, immer am Rand des Risikos, aber nicht existentiell gefährdet und materiell wundersam abgesichert, ihre Heimatlosigkeit zum Lebensstil ummünzen und aus dem Verfall der bürgerlichen Werte die Freiheit zum Experiment gewinnen konnten. Die Geschichten und Affären freilich, die sich in jener Kolonie der Konventionslosen ereigneten, während Europa auf die Katastrophe zusteuerte, sind längst nicht so leicht zum Leben zu erwecken wie die Kulissen, vor denen sie spielten.
So prägt sich Flavias Tageslauf im ersten Kapitel, ein Stück Erinnerung, viel nachhaltiger ein als ihre fiktive Liaison mit der Malersgattin Thérèse und ihre Leidenschaft für die schöne, undurchsichtige Andrée, die das Mädchen nur benutzt, um ihm ein Geheimnis entlocken: Trotz kriminalistischer Elemente bleibt die Handlung blass. Es liegt unfreiwillige Komik darin, dass Thérèse einschläft, während Flavia ihr in aller Ausführlichkeit aus dem Leben von Mama und Großmama berichtet, hat man doch auch als Leser Mühe, diesem fast vierzigseitigen Monolog ohne diskretes Gähnen zu folgen. Bei Sybille Bedfords Autobiographie, die Ende September unter dem Titel „Treibsand” auf deutsch erscheint, braucht man Derartiges wohl kaum zu befürchten. Die weltläufige Baronesse, soviel ist sicher, wird in ihren Memoiren weiterleben, nicht in ihren Erfindungen. KRISTINA MAIDT-ZINKE
SYBILLE BEDFORD: Ein trügerischer Sommer. Roman. Aus dem Englischen von Sigrid Ruschmeier. Verlag SchirmerGraf, München 2006. 282 S., 19,80 Euro.
Wo die Luft nach heißem Felsen und Thymian duftet: Strandszene „Bibi et Suzy Vernon, Royan, September 1926”.
Foto: Jacques-Henri Lartigue
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