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Produktdetails
  • Weltlese 18
  • Verlag: Edition Büchergilde
  • Seitenzahl: 448
  • Erscheinungstermin: 16. März 2017
  • Deutsch
  • Abmessung: 188mm x 132mm x 31mm
  • Gewicht: 470g
  • ISBN-13: 9783864060809
  • ISBN-10: 386406080X
  • Artikelnr.: 47111838
Autorenporträt
Mendes, Pedro Rosa
Pedro Rosa Mendes, geboren 1968, arbeitet als Journalist und Schriftsteller. Er wurde bekannt für seine Reportagen über Angola, Ruanda, Zaire, Afghanistan und Jugoslawien, wo er als Kriegsberichterstatter für die Tageszeitung Público tätig war. Für seine Arbeit wurde er in Portugal unter anderem mit dem Prémio PEN 2011 ausgezeichnet.

Trojanow, Ilija
Ilija Trojanow, 1965 in Sofia geboren und in Kenia aufgewachsen, ist einer der renommiertesten deutschen Autoren, zuletzt erschien "Meine Olympiade. Ein Amateur, vier Jahre, 80 Disziplinen". Seit 2008 gibt Trojanow die Reihe "Weltlese - Lesereisen ins Unbekannte" heraus.

Scharf, Kurt
Kurt Scharf, geboren 1940, studierte Rechtswissenschaften in Berlin und war im Goethe-Institut tätig, unter anderem in Teheran, Porto Alegre und Lissabon. Er ist Übersetzer und Herausgeber von Lyrik und Prosa aus dem Portugiesischen, Spanischen und Persischen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.07.2017

Der Torero trägt Stigmata
Pedro Rosa Mendes geht in Osttimor auf Pilgerfahrt

Gewalt, Mord und Ströme von Blut. Pedro Rosa Mendes' Roman "Die Pilgerfahrt des Enmanuel Jhesus" beginnt mit einer Schachtel, die einem der Protagonisten am Flughafen überreicht wird: Sie enthält einen abgeschlagenen Kopf, aus dem Maden kriechen. Kurz darauf wird ein treuer Hund zeremoniell erschlagen, werden Stiere in animistischen Blutorgien hingemetzelt, und vor allem die timoresischen Menschen leiden und sterben. Sie werden bombardiert, erschossen, erstochen oder sind auf der Flucht vor Kampfhandlungen so verzweifelt und erschöpft, dass sie ihre Kinder in Erdhöhlen zurücklassen. Die zentrale Figur des Romans, der junge Architekt Alor, wohnt in einer Pension, deren Zimmer nach einzelnen Massakern benannt sind.

Die "Pilgerfahrt" spielt im Osttimor um das Unabhängigkeitsreferendum Ende der neunziger Jahre herum, in dem sich eine überwältigende Mehrheit der Timoresen für die Selbständigkeit des Kleinststaates aussprach. Osttimor war 1975, kurz nach der Unabhängigkeit von der alten Kolonialmacht Portugal, vom großen Nachbarn Indonesien besetzt worden. Der Autor des Romans, Pedro Rosa Mendes, ist Journalist, er wurde in der portugiesischsprachigen Welt bekannt als Reporter aus Kriegs- und Krisengebieten. Auch in Osttimor verbrachte er zwei Jahre im Auftrag einer Nachrichtenagentur, allerdings deutlich nach der Zeit der Romanhandlung.

Trotz seines journalistischen Hintergrunds ist Mendes' literarischer Anspruch in der "Pilgerfahrt" unverkennbar. Der Klappentext des deutschen Verlages verspricht zwar eine Art Detektivgeschichte, bei der ein norwegischer Bischof auf Osttimor einem Verschollenen der Unabhängigkeitskämpfe nachspürt. Diese Beschreibung hat mit dem Roman wenig gemein. Überhaupt verzichtet die "Pilgerfahrt" auf eine übergreifende Handlung. Stattdessen baut der Autor in einzelnen, kurzen Kapiteln kunstvoll eine vielstimmige Komposition aus Personen und Perspektiven auf, von timoresischen Widerstandskämpfern und Kollaborateuren, Indonesiern und Europäern, es gibt sogar einen jüdischen Brasilianer. Der Text springt zwischen diesen Charakteren sowie unterschiedlichen Orten und Zeiten. Es handelt sich um einen voraussetzungsreichen Roman, insbesondere für Leser, die von Osttimor und seiner blutigen Geschichte nicht viel wissen, vermutlich also die meisten. Denn von den historischen Fakten wird in Mendes' "Pilgerfahrt" wenig explizit benannt, auch wenn gleichzeitig die ungeheuer gewalttätige jüngere Geschichte Osttimors, in der nach Schätzungen einiger Experten bis zu einem Drittel der Bevölkerung an Kampfhandlungen, Massakern und ihren Folgen wie Hungersnöten und Seuchen starb, das zentrale Anliegen des Romans ist.

Mendes verzichtet auf Entschuldigungen für die Verbrechen, aber auch auf Schwarzweißdenken. Dass insbesondere die Zeit der indonesischen Besatzung alles andere als ein Fest der Menschenrechte war, ist bekannt. Aber auch die timoresische Kultur an sich erscheint in Mendes' Schilderung als ausgesprochen gewalttätig. Nur notdürftig bedeckt eine katholische Fassade einen dahinter weiterlebendigen Animismus, der in Tieropfern, und nicht nur dort, unablässig Blut vergießt.

Im Mittelpunkt des Romans steht ein junger Architekt namens Alor, der ein Haus im "rein" timoresischen Stil für den Anführer der Unabhängigkeitsbewegung bauen soll. Freilich stellt er schnell fest, dass es "den" timoresischen Stil nicht gibt, zu unterschiedlich sind selbst im kleinen Osttimor die verschiedenen Landesteile und Bevölkerungsgruppen, zu sehr ist ihre Architektur von anderen Kulturen beeinflusst. Scheinbar ist der attraktive, kampfsporterfahrene Alor Indonesier. Tatsächlich ist er Timorese und wurde als Kind von einem hochrangigen indonesischen Offiziellen adoptiert. Alor hat eine Affäre mit einer lokalen Aristokratin und wird zu einem "Auserwählten" der Unabhängigkeitsbewegung, einer Art Messias, der denn auch - ohne sein Wissen - von seinem eigenen (Adoptiv-)Vater mit einer Mission beauftragt und geopfert wird. Dieser Vater ist als hochrangiger Vertreter Indonesiens nur offiziell gegen die Unabhängigkeit Osttimors. Tatsächlich hofft der Westjavaner, das Selbständigwerden des kleinen Landes könne zum Startpunkt des Auseinanderbrechens Indonesiens insgesamt werden und darüber schließlich zur Wiedergeburt des vor Jahrhunderten untergegangenen westjavanischen Königreichs Pajajaran führen. Dieser rudimentäre Plot scheint arg weit hergeholt. Überhaupt wirkt manches im Roman überkonstruiert und anderes auf eine Weise symbolbeladen, die - man hat den Eindruck: unfreiwillig - komische Effekte hat; etwa, wenn ein Geistlicher gegen Ende des Romans in einem Torerokostüm und mit den Wundmalen Christi am Körper stirbt. Aber mag die "Pilgerfahrt" auch kein perfekter Roman sein, so ist er doch ein sehr lesenswerter. Das liegt nicht zuletzt an der poetischen Schönheit seiner Sprache, die von Kurt Scharf ins Deutsche übertragen wurde.

MARCO STAHLHUT

Pedro Rosa Mendes: "Die Pilgerfahrt des Enmanuel Jhesus".

Aus dem Portugiesischen von Kurt Scharf. Edition Büchergilde, Frankfurt 2017. 448 S., geb., 25,- [Euro].

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