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Produktdetails
  • Verlag: Berlin Story Verlag
  • Seitenzahl: 334
  • Erscheinungstermin: 25. Juni 2012
  • Deutsch
  • Abmessung: 205mm
  • Gewicht: 515g
  • ISBN-13: 9783863680565
  • ISBN-10: 3863680561
  • Artikelnr.: 34722595
Autorenporträt
Armin Fuhrer wurde 1963 in Düsseldorf geboren. Nach einem Studium (Geschichte, Politikwissenschaft, Öffentliches Recht) und einem Besuch auf der Axel-Springer-Journalistenschule arbeitete er von 1994 bis 2000 bei der Tageszeit Die Welt als Politikredakteur und Parlamentskorrespondent. Seitdem ist er als politischer Hauptstadt-Korrespondent für den Focus in Berlin tätig.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.09.2012

Enormer Wind die Segel bläh' . . .
Die Piratenpartei in Binnensicht und Außenperspektive: Bewunderung und Begeisterung

Der publizistische Wettbewerb um die Erklärung des Erfolgs der Piratenpartei ist zuletzt in eine Art Sommerpause eingetreten. Noch im Frühjahr waren alle möglichen Ansätze versucht worden, von denen am Ende einige einfache Thesen übrig blieben: Die Piraten kommen mit neuem Thema und vor allem in neuem Gewand daher; mit ihrer Inszenierung als jung und unprofessionell nutzen sie außerdem geschickt den allgemeinen Politikfrust. Mit etwas mehr Abstand könnte es nun an der Zeit sein, die gesellschaftlichen Voraussetzungen für das Phänomen genauer zu beleuchten. Ebendas haben sich die Politikwissenschaftler Christoph Bieber und Claus Leggewie mit dem Band "Unter Piraten" vorgenommen, der Autoren aus verschiedenen wissenschaftlichen und praktischen Sphären versammelt. So schreibt beispielsweise ein Mitarbeiter einer Werbeagentur über die Wirkung der Farbe Orange, die sich die Piraten zum Markenzeichen erkoren haben; es ist eines der schwächeren Kapitel.

Einen ganz anderen Ansatz wählen die Autoren Stefan Appelius und Armin Fuhrer für ihr Buch "Das Betriebssystem erneuern", dessen Untertitel Bemerkenswertes verspricht, nämlich "Alles über die Piratenpartei". Die Autoren beschreiben ausführlich und umfassend, was es über die Partei zu wissen gibt. Leider deuten sie diese Fülle an Informationen kaum. Ihrem Buch ist außerdem anzumerken, und das gilt - in geringerem Maß - auch für "Unter Piraten", dass es unter erheblichem Zeitdruck entstanden ist.

Die Beiträge in "Unter Piraten" unterscheiden sich stark in ihrem Niveau. Einiges ist schon bekannt, manches originell. Etwa der Ansatz von Lawrence Lessig, Professor der Rechtswissenschaften in Harvard. Er vergleicht die Piraten mit zwei anderen sozialen Bewegungen: der Tea Party und der Occupy-Bewegung. Sie sind für ihn Ausdruck dessen, dass der "Amateur", dem Internet sei Dank, "zurück im Spiel" sei. Das Netz habe die Politik wieder zu einer Mitmachkultur gemacht, den Willen zur Partizipation wieder geweckt, der im 20. Jahrhundert abgetötet worden sei. Wie in der Kultur, in der wir nun auch wieder Lieder und Filme "remixten" oder auf Twitter eigene Kreationen versendeten - uns also aktiv kulturell beteiligten -, werde auch die Politik wieder zu einer "Lese/Schreibe-Kultur". Als verbindendes Element der drei Phänomene sieht er das "Open-Source-Prinzip", das für freien Austausch von Informationen steht, und das gemeinsame Erarbeiten der besten Lösung - die vielbeschworene Schwarmintelligenz. Open Source ist für Lessig nicht weniger als die "Macht von heute". Doch aus dem interessanten Vergleich folgt für den Autor nur eine über alle Zweifel erhabene Begeisterung. Sie mündet in Sätze wie den, das Internet habe das Konzept des Kommunikationskanals "ersetzt durch einen endlosen Strom von Schöpfungen, manche von Profis, andere von Amateuren, alle mit der Absicht, Menschen zu motivieren, ihre Ansichten und ihr Verhalten zu ändern".

Ähnlich euphorisch beschreibt der bekannte Blogger "mspro" - im echten Leben Michael Seemann - seine Vision einer Gesellschaft, in der "Plattformneutralität" herrscht. Tatsächlich ist das Konzept das einzige, das als Grundgedanke aller bisherigen Piratenforderungen gelten kann. Seemann fasst es in der Formel "Gleichheit des Zugangs und Gleichheit der Distribution der Informationen" zusammen. Darunter könne man die Forderung nach einem Grundeinkommen ebenso wie die nach einem fahrscheinlosen Nahverkehr fassen. In dieser Welt, in der "Diskriminierungsmöglichkeiten in allen wesentlichen Aspekten des Lebens eliminiert wurden", könne man auch souveräner mit öffentlichen Informationen umgehen, folgert Seemann und nennt als Beispiel den Umgang mit sexuellen Vorlieben. Spätestens hier verliert der Autor jeden Realitätsbezug: Wer will schon Diskriminierungsfreiheit zum Preis eines zwanghaften Daten-Exhibitionismus?

Lohnend ist die Lektüre des Artikels der Jenaer Soziologen Jörn Lamla und Hartmut Rosa. Sie betrachten die Piraten als eine Reaktion auf das "Beschleunigungsdefizit der Demokratie". Da deren Entscheidungsprozesse immer länger dauerten und die Politik auf die immer schnelleren und komplexeren Prozesse nur noch reagiere, statt progressiv vorzugehen, folge eine "Desynchronisation" zwischen politischem Prozess und soziokultureller Entwicklung. Die Piraten seien die Antwort auf diese Entfremdung. Die Autoren geben aber auch zu bedenken, dass Methoden wie Online-Abstimmungen sogar zu einer weiteren Verlangsamung der Prozesse beitragen können.

Während "Unter Piraten" für Leser interessant ist, die das Phänomen der Piratenpartei von außen betrachtet sehen möchten, richtet sich "Das Betriebssystem erneuern" an jene, die eine Binnensicht interessiert. Vielleicht hat das damit zu tun, dass der Verleger, Enno Lenze, selbst aktives Mitglied der Berliner Piratenpartei ist. Die Autoren schreiben im Schlusswort, sie seien in ihrer Arbeit in keiner Weise beeinflusst worden. Kritik nimmt dennoch deutlich weniger Raum der gut 300 Seiten ein als die respektvolle, bisweilen bewundernde Beschreibung. So heißt es über die Redegewandtheit der Parteimitglieder auf Parteitagen: "Viele der Debattenbeiträge sind jedoch von einer Eloquenz und Kürze, von denen die Parteitagsleitungen anderer Parteien nur träumen können." Dies hätten die Piraten auf Twitter gelernt. Vom Inhalt der eloquenten Beiträge erfährt man nichts.

Zugutehalten muss man den Autoren die Ausführlichkeit ihrer Recherche: Jeder einzelne Landesverband und selbst kommunale Mandatsträger werden vorgestellt, wobei der Erkenntnisgewinn dieses Teils eher gering ist. Fundiert ist dagegen die Diskussion der wichtigsten Programmpunkte der Partei. Hier finden sich aufschlussreiche Gedanken - etwa: Die Piraten billigten in ihren netzpolitischen Forderungen "dem Staat fast ausschließlich Pflichten, dem Individuum praktisch aber das allumfassende Recht auf Schutz durch ebendiesen Staat" zu: "Der Einzelne, seine Interessen und sein Schutz dominieren klar die Interessen des Staates." Hätte sich dieser Gedanke als Grundthese durch das Buch gezogen, wären vermutlich interessantere Einsichten gefolgt. Doch ebendas, eine These, fehlt diesem Buch, das sich dem Wettbewerb um die Erklärung der neuen Partei in weiten Teilen verweigert.

MARIE KATHARINA WAGNER

Christoph Bieber/Claus Leggewie (Herausgeber): Unter Piraten. Erkundungen in einer neuen politischen Arena. Transcript Verlag, Bielefeld 2012. 248 S., 19,80 [Euro].

Stefan Appelius/Armin Fuhrer: Das Betriebssystem erneuern. Alles über die Piratenpartei. Berlin Story Verlag, Berlin 2012. 336 S., 19,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die schnelle Verfertigung merkt Marie Katharina Wagner diesem Band von Stefan Appelius und Armin Fuhrer an, die das Phänomen Piraten aus Binnensicht untersuchen. Der hier ausgebreiteten Fülle der Information über die Partei (bis in die Landesverbände, wie die Rezensentin anerkennend schreibt) steht laut Wagner leider das Fehlen jedweder Deutung wie auch Kritik gegenüber. Obgleich der Verleger Enno Lenze aktives Mitglied der Partei ist, wie Wagner informiert, möchte sie der Unabhängigkeitsbeteuerung der Autoren allerdings Glauben schenken. Aufschlussreiche, fundierte Gedanken zum Parteiprogramm findet sie in diesem Band, aber leider keine bahnbrechende These.

© Perlentaucher Medien GmbH