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Produktdetails
  • Nexus Bd.70
  • Verlag: Nexus, Fr. / Stroemfeld
  • Seitenzahl: 532
  • Deutsch
  • Abmessung: 225mm
  • Gewicht: 816g
  • ISBN-13: 9783861091707
  • ISBN-10: 3861091704
  • Artikelnr.: 13564968
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.02.2007

Der Ingenieur hat auch Gefühle
Annette Brauerhoch über die Verbindungen deutscher „Fräuleins” und amerikanischer Soldaten und ihre Darstellung im Film
Die Ängste waren auf beiden Seiten groß. Als die amerikanische Armee im Herbst 1944 zum ersten Mal deutschen Boden betrat, waren die Soldaten durch Filme und Schriften sorgfältig auf ihre Aufgabe eingestimmt worden. Ein „Pocket Guide to Germany”, der an alle GIs verteilt wurde, mahnte eindringlich davor, den bösartigen, verschlagenen „German warmakers” das geringste Vertrauen entgegenzubringen. Auf dem Umschlag stand in Großbuchstaben die Warnung: „DO NOT FRATERNIZE”. Der deutschen Bevölkerung wiederum hatte die NS-Propaganda Schreckensbilder brutaler überseeischer Horden, die auf Zivilisten nicht die mindeste Rücksicht nähmen, einzuhämmern versucht.
Der erste Kontakt genügte in den meisten Fällen, die verordneten Vorurteile verschwinden zu lassen. Trotz des offiziellen Fraternisierungsverbotes zwischen Mai und Oktober 1945 kam es schnell zu einem freundschaftlichen Umgang zwischen Siegern und Besiegten. Deutschland entwickelte sich, besonders bei afroamerikanischen Soldaten, zum beliebtesten Stationierungsort – nicht zuletzt wegen des „Fräuleinwunders”, das dem Wirtschaftswunder vorausging. Die Frauenzeitschrift Für Sie meldete 1948, dass bereits 2262 deutsche Frauen Angehörige der amerikanischen Armee geheiratet hätten. Wäre es möglich, alle deutsch-amerikanischen Liebesbeziehungen, die sich in den folgenden Jahrzehnten ergeben würden, zu addieren, dürfte am Ende eine Zahl in Millionenhöhe stehen.
Dass die sozialgeschichtliche Forschung, auch aus feministischer Perspektive, sich für die „Fräuleins” bislang nur wenig interessiert hat, ist angesichts der Breite und soziokulturellen Relevanz des Phänomens erstaunlich. Annette Brauerhoch versucht, diese Lücke mit einer umfangreichen Studie zu schließen. Zugleich will sie die jungen Frauen aller Schichten, die sich vor allem in der unmittelbaren Nachkriegszeit mit GIs verbanden, von dem pauschalen Vorwurf der Promiskuität und Prostitution befreien und als „autonom handelnde Subjekte” rehabilitieren. Brauerhoch untersucht die zahlreichen medialen Spuren, die von den „Fräuleins” hinterlassen wurden: in Zeitzeugenberichten, der Sensationspresse, der Unterhaltungsliteratur. Ihr besonderes Augenmerk gilt der Handvoll deutscher und amerikanischer Filme, die sich des Stoffes angenommen haben.
Als deren nahezu durchgängiges Merkmal hebt die Autorin die prüde „Kultivierung” der Hauptfigur hervor, der alles Sexuelle und Rebellische konsequent ausgetrieben wird. Exemplarisch verfolgen lässt sich dies in „Hallo Fräulein!” von Rudolf Jugert (1949). Eine Jazz-Sängerin muss sich entscheiden zwischen einem amerikanischen Offizier und einem deutschen Ingenieur, zwischen attraktivem, aber leicht suspektem „Draufgängertum” und der „Tiefe aufrichtig zärtlicher Gefühle”. Am Ende siegt selbstverständlich der Ingenieur, verkörpert vom bodenständigen Hans Söhnker, und das Show-Girl erweist sich als „das ,Fräulein‘, das Deutschland sich wünscht” – in Wahrheit ist es ein „Nicht-Fräulein”. Die amerikanischen Filme verfolgen eine ähnliche Strategie: Sie machen aus aktiven Frauen entweder „unrealistische Marionetten”, die „Propagandaanstrengungen” zu dienen haben („The Big Lift” von George Seaton, 1950), oder stilisieren sie zu einem Musterbild der verfolgten, hilfsbedürftigen Unschuld („Fraulein” von Henry Koster, 1958).
Marlene und die Glamour-Hülle
Die krasse Ausnahme von dieser Regel bildet „A Foreign Affair” von Billy Wilder (1948). Der Film zeichnet sich nicht nur durch seinen mitunter neorealistisch anmutenden Blick auf die Berliner Trümmerlandschaft aus, sondern auch durch die Hemmungslosigkeit, mit der er Marlene Dietrich als frivoles, hedonistisches „Fräulein” agieren lässt. Möglich ist dies, wie Brauerhoch ausführt, weil der spezifische Glamour des Stars wie eine schützende Hülle wirkt. Nur so kann „die gesellschaftlich denunzierte Figur” sich in „eine Traumfigur des Kinos” verwandeln. Ein Erfolg war „A Foreign Affair” dennoch nicht beschieden. In den USA stieß man sich an der bissig-ironischen Darstellung amerikanischer Besatzungspolitik, und die deutsche Uraufführung fand erst mit 29-jähriger Verspätung im Fernsehen statt.
Die wenigen Momente in „Hallo Fräulein!”, die sich als „Wiederkehr des Verdrängten, als Rache des Lebens an der Ideologie” begreifen lassen, nutzen expressionistische Effekte, um das Gezeigte als faszinierend und dämonisch zugleich vorzuführen. In „Verboten!” von Samuel Fuller (1959) – ebenfalls ein Film mit einem nicht stereotypen „Fräulein” – registriert die Autorin eine Verknüpfung von Bild und Ton, die über den Pseudo-Realismus des klassischen Hollywood hinausweist: „Der Lehrbuchcharakter der Sätze wird eingebettet in die Länge der Einstellung, die den ,Personen‘ der Schauspieler so viel Raum gibt, dass deutlich wird, dass die Sprache und ihr programmatischer Inhalt nur eine Facette der Interaktion und nur einen Teil des Lebens darstellen.”
„,Fräuleins‘ und GIs” ist eine Habilitationsschrift. Daraus erklärt sich der sehr große Fleiß, den Brauerhoch an den Tag legt. Keiner der vielfältigen Aspekte des Themas soll unberührt bleiben; das führt in der ersten Hälfte zu einer gewissen Unübersichtlichkeit. Außerdem gerät der Versuch, der früher üblichen Verachtung der „Fräuleins” entgegenzuarbeiten, mitunter ein wenig in die Nähe der Glorifizierung; die Zwänge und Schattenseiten dieser Existenz kommen zu kurz. Dennoch ist hier eines jener nicht allzu häufigen Bücher entstanden, die den gespannten Leser zu dem Ausruf anregen: Warum ist darüber nicht schon früher etwas geschrieben worden! CHRISTOPH HAAS
ANNETTE BRAUERHOCH: „Fräuleins”und GIs. Geschichte und Filmgeschichte. Stroemfeld Verlag, Frankfurt am Main/ Basel 2006. 533 Seiten, 28 Euro.
Fraternisierungsverbot? Szene aus dem Film „Hallo Fräulein” (BRD, 1949) mit Margot Hielscher und Peter van Eyck. Foto: defd/Kinoarchiv
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Begeistert ist Rezensentin Ursula März von Annette Brauerhochs wissenschaftlicher Studie über die literarische und filmische Darstellung von Affären zwischen Soldaten der Alliierten und deutschen 'Fräuleins' in Nachkriegsdeutschland. Sie lobt die beeindruckende Fülle von Dokumenten, die die Autorin ausgewertet hat, um die Geschichte und Filmgeschichte des 'Fräuleins' nachzuzeichnen und hervorzuheben, wie instabil weibliche Rollenkonzepte in diesen Jahren waren und wie sie von Filmproduzenten, Regisseuren und Verlagen willkürlich mitgestaltet wurden. Brauerhochs Studie ist für die Rezensentin ein "Standardwerk" zur Kulturgeschichte des frühen Nachkriegsdeutschland, auch wenn sie den akademischen Jargon der Autorin moniert und sich eine lesefreundlichere Überarbeitung gewünscht hätte.

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