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Der Esstisch der vielköpfigen sephardischen Familie im kolumbianischen Medellín ist sozusagen der Nabel der Welt. Hier wird erlebt und verhandelt, was wichtig ist im Leben. Und wie schon in Das meschuggene Jahr berichtet der 13-jährige Junge die Dinge so, wie er sie sieht. Von der Liebe wissen die Kinder wenig. Die Eltern gehören halt einfach zusammen, man kennt das - nie hätte man dafür ein so seltsames Wort wie Liebe verwendet. Nur die vorwitzige und superschlaue Victoria, die schon alle Bücher in ihrer Reichweite gelesen hat, weiß, was Liebe ist, weil sie schon mal einen Verehrer gehabt…mehr

Produktbeschreibung
Der Esstisch der vielköpfigen sephardischen Familie im kolumbianischen Medellín ist sozusagen der Nabel der Welt. Hier wird erlebt und verhandelt, was wichtig ist im Leben. Und wie schon in Das meschuggene Jahr berichtet der 13-jährige Junge die Dinge so, wie er sie sieht. Von der Liebe wissen die Kinder wenig. Die Eltern gehören halt einfach zusammen, man kennt das - nie hätte man dafür ein so seltsames Wort wie Liebe verwendet. Nur die vorwitzige und superschlaue Victoria, die schon alle Bücher in ihrer Reichweite gelesen hat, weiß, was Liebe ist, weil sie schon mal einen Verehrer gehabt hat: Liebe sei, erklärt sie ihren Geschwistern, einen Schwachkopf mit Pickeln im Gesicht vor sich zu haben.Doch dann bricht wirklich die Liebe aus - eine Liebe, die nicht sein darf. Sie verändert Personen, die man zu kennen geglaubt hatte, bringt die ohnehin chaotische Welt der kleinen jüdischen Gemeinde im Stadtteil Prado durcheinander und stellt die Familie vor eine Zerreißprobe.Mit eindringlicher und von feinem Humor geprägten Erzählweise entführt uns Memo Anjel - seinem Vorbild Isaac B. Singer sehr nah kommend - in den Mikrokosmos einer faszinierenden jüdischen Lebenswelt, deren liebevoll gezeichnete Figuren dem Leser unvergesslich bleiben.
Autorenporträt
Memo Anjel, 1954 in Medellín/Kolumbien geboren, stammt aus einer sephardischen Familie. Neben der Arbeit an seinem literarischen Werk ist Anjel seit 17 Jahren als Hochschulprofessor in Medellín tätig und schreibt unter anderem eine Kolumne für eine Tageszeitung. Anjel geht in vielen seiner Werke der Frage nach, was es bedeutet, in der heutigen Assimilationskultur ein sephardischer Jude zu sein. Zuletzt erschien in deutscher Sprache der Familienroman Das meschuggene Jahr. Der vorliegende Band entstand während seines einjährigen Aufenthalts in Berlin.

Hanna Grzimek, geboren 1973 in Heidelberg, aufgewachsen in Venezuela, studierte Germanistik und Hispanistik in Madrid und Berlin, wo sie seit 2004 als freie Übersetzerin, Lektorin und Herausgeberin tätig ist.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.11.2009

Rippenstöße für den Ehemann
Verklär mir, Liebe: Das rührige Familienpoesiealbum des kolumbianischen Schriftstellers Memo Anjel

Kinder dürfen noch staunend in die Welt blicken und unverblümt Fragen an die oft so rätselhafte Wirklichkeit richten. Deshalb verlässt der kolumbianische Schriftsteller Memo Anjel, Jahrgang 1954, in seinen Büchern gern die Erwachsenenperspektive. In seinem 2005 in Deutschland erschienenen Roman "Das meschuggene Jahr" ließ er einen dreizehnjährigen Jungen vom Leben seiner jüdisch-sephardischen Familie im Medellín der fünfziger Jahre erzählen. In "Mindeles Liebe", der Fortsetzung der Familiengeschichte, beobachtet der junge Erzähler jetzt mit Neugier und Befremden, wie die Liebe in den geordneten Alltag einbricht und ihn kräftig durcheinanderwirbelt. Denn "so etwas wie tiefe Liebe, Leidenschaft, war bisher an unserem Haus vorübergegangen wie der Würgeengel von Ägypten: ohne es anzutasten".

Doch nachdem Mindele, eine junge Verwandte, den Möchtergern-Frauenhelden Reuvén Toledo geheiratet hat, entbrennt sie plötzlich für Chaim, den Mann ihrer Schwester Rivka. Zum Äußersten kommt es nicht: Nur zwei Sekunden lang gibt sich Mindele Chaim hin - während sie für ihn tanzt. Hauchzart und auf altmodische Weise keusch ist der Zauber, der die beiden umfangen hält und den sie vorsichtig hüten. Mindele ist hübsch, aber ein bisschen zu dick, Chaim bekommt von seiner Frau Rivka Rippenstöße, wenn er etwas Dummes sagt. Doch wenn Chaim und Mindele einander betrachten, sehen sie etwas ganz anderes: eine Liebe, die himmlisch, aber auch schutzbedürftig ist. Denn "eine Liebesgeschichte ist eine Karawane, die durch die Wüste wandert", sie kann "im Sand verweht werden oder sich in Gesang verwandeln, in ein Gedicht oder in eine Horrorgeschichte".

Nicht um die Ökonomie von Paarbeziehungen geht es also, sondern um die Liebe als eine Kunst, die viele Spielarten kennt. Für die Mutter des Ich-Erzählers bedeutet Liebe: "eine Frau, die einen Mann ansah und ihn bewunderte, über ihn staunte, sich ihn nicht nur vorstellte, sondern vor ihm stand, um sich segnen zu lassen". Für den Vater: "Augen, die nach der Hochzeit noch schöner wurden". Die Liebe haucht dem Alltag Poesie ein, und unter ihrem Bann verwandelt sich das Familienleben in eine vom Wunderbaren durchwirkte Erzählung, in der hinter dem Geschehen immer die Handschrift jener Macht sichtbar wird, die alles lenkt.

In dem leichten, beinahe arglosen Erzählton des Romans und seiner bilderreichen Sprache verschmilzt die große jüdische Erzähltradition eines Isaac B. Singer mit dem magischen Realismus Lateinamerikas, der das Geheimnisvolle in der Wirklichkeit aufleuchten lässt. Memo Anjels Roman soll ein poetischer Gegenentwurf zu einer Welt sein, die die Fähigkeit, zu staunen, verloren hat. Während die jüngere kolumbianische Literatur meist von Gewalt und Terror der mächtigen Drogenkartelle erzählt, die das Land in ihren Fängen halten, lässt Memo Anjel selbst in die Nachtseiten des von ihm so liebevoll gezeichneten Familienlebens ein Licht fallen, das die Herzen erwärmt. Doch gerade dadurch verliert der Roman an Reiz, ermüdet, wo er vergnügt stimmen möchte.

Wenn das Wunderbare wirken soll, braucht es eine Kontrastfolie - Schmerz, Verlassenheit, Grauen oder zumindest die kleinen Bosheiten des Alltags. Memo Anjel sichert jedoch jeden Abgrund, der sich am Wegesrand öffnet, durch Netz und doppelten Boden ab. Verbirgt sich hinter der Herzensgüte der Figuren nicht sogar Bequemlichkeit? Die sanfte Mindele, die selbst für die Geliebte ihres Mannes Reuvén Toledo ein Lächeln übrighat, verzichtet großmütig auf Chaim, Rivka wird schwanger, und Chaim ist glücklich, weil er endlich Vater wird. Etwas mehr Lebendigkeit, und der Roman hätte mit seiner heiteren Leichtigkeit bezaubert. So springt der Funke nicht über, entfaltet die Geschichte nur den nostalgischen Charme eines Poesiealbums: rührend, aber ein bisschen fad.

ANDREA NEUHAUS

Memo Anjel: "Mindeles Liebe". Ein jüdischer Roman aus Medellín. Aus dem Spanischen von Hanna Grzimek. Rotpunktverlag, Zürich 2009. 200 S., geb., 19,50 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Knut Henkel hat den kolumbianisch-jüdischen Autor Memo Anjel getroffen und sich mit ihm auch über dessen jüngsten Roman "Mindeles Liebe" unterhalten. Indem er mit viel Humor jüdisches Leben in der zweitgrößten Stadt Kolumbiens, Medellin, schildert, hat sich der Autor eine literarische Nische geschaffen, die weitab vom üblichen Kolumbienbild in der Literatur die Welt seiner Kindheit und Jugend schildert, erklärt der Rezensent. Denn wenn sonst Gewalt die kolumbianische Literatur wie die Wirklichkeit beherrscht, dominieren in Anjels Welt die seltsamen Käuze und eigenwillige Figuren, betont Henkel. Im Roman heiratet Mindele, zu Deutsch "Püppchen" mit großem Pomp, liebt aber in Wirklichkeit Chaim, fasst der Rezensent diese "nicht ganz glückliche Liebesgeschichte" zusammen. Es geht dem Autor darum, jüdisches Leben abseits der verbreiteten Klischees zu beschreiben und die sephardischen Juden der kolumbianischen Gesellschaft ein bisschen sichtbarer zu machen, weil sie ansonsten in der Öffentlichkeit ebenso wenig wahrgenommen werden wie die überhaupt die Mittelschicht, wie der Rezensent erklärt. Das ist die Botschaft des auch durch eine wöchentliche Kolumne in Medellins Zeitung "El Columbiano" bekannten Autors, wie Henkel eingenommen mitteilt.

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