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Produktdetails
  • Verlag: Pendo
  • Seitenzahl: 494
  • Abmessung: 210mm x 140mm x 43mm
  • Gewicht: 680g
  • ISBN-13: 9783858423825
  • ISBN-10: 3858423823
  • Artikelnr.: 24357122
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Für einen "gelungenen Überblick" zum Thema hält Rezensent Jakob Hessing dieses Buch. Den Untertitel "Literaturgeschichte" möchte er ihm allerdings nicht zugestehen, denn eine Literaturgeschichte gehe von primären Quellen aus. Hier jedoch werde lediglich Material aus sekundären Quellen zusammengetragen. Der Untertitel, vermutet der Rezensent deshalb, sei wohl vom Verlag gewählt worden. Schütz selbst nämlich formuliere seine Zielsetzung bescheidener. Der Leser nun könne das Werk als "gut zusammengestelltes Nachschlagewerk" verwenden, dessen Kommentare "durch viele hilfreiche Hinweise zur Sekundärliteratur" erweitert würden. Nicht immer ist Hessing mit Schütz einer Meinung. Im Fall Karl Emil Fanzos bemängelt er beispielsweise, dass nur "das jüdische Leseverhalten" anhand seines Hauptwerks untersucht würde, nicht aber das von Franzos' nichtjüdischen Lesern. Auch verzerrt sich seiner Ansicht nach das Bild von Else Lasker-Schüler, da Schütz teilweise von falschen Voraussetzungen ausgehe. Doch im Ganzen sieht Hessing den Wert des "Kompendiums" dadurch nicht geschmälert, das er als "einen der notwendigen Bausteine" für eine noch ausstehende Darstellung der deutsch-jüdischen Literatur hält.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.06.2001

Vom Gettojuden zum Schauspieler
Januskopf: Hans J. Schütz untersucht die deutsch-jüdische Literatur

Mit der Neufassung seines 1992 erstmals erschienenen Kompendiums zur deutsch-jüdischen Literatur legt Hans J. Schütz einen gelungenen Überblick zu seinem Thema vor. Der Leser kann es als ein gut zusammengestelltes Nachschlagewerk verwenden, dessen Kommentare durch viele hilfreiche Hinweise zur Forschungsliteratur erweitert werden. Der vermutlich vom Verlag gewählte Untertitel des Buches - "Eine deutsch-jüdische Literaturgeschichte" - geht freilich über die Absicht des Autors hinaus. "Der Versuch", so heißt es mit gebotener Vorsicht, "die deutschsprachige Literatur jüdischer Autoren von der Aufklärung bis zur Gegenwart linear zu beschreiben oder in einem systematischen Zusammenhang darzustellen, ist problematisch und vielleicht deshalb bislang noch nicht unternommen worden. Auch dieses Buch verfolgt diese Absicht nicht, sondern möchte einem größeren Kreis Interessierter als Einstieg in die Thematik dienen."

Bei einer so bescheidenen Zielsetzung bietet die Ausführung in vielen Fällen eine angenehme Überraschung. In zehn Kapiteln wird ein chronologischer Abriß geboten, der von der Aufklärung bis in die Gegenwart reicht, von Lessings "Nathan der Weise" bis zu dem schon in der ehemaligen DDR geborenen Lyriker Matthias Hermann. Schütz hält sich einerseits an die Daten der politischen Geschichte - "Vom Wiener Kongreß zur Reichsgründung" oder "Die Weimarer Republik" -, andererseits an die Geographie der deutsch-jüdischen Diaspora: "Das jüdische Wien" und "Das jüdische Prag".

Die Chronologie endet im Holocaust und im Exil. Das letzte Kapitel über die Nachkriegszeit gibt dann einer neuen, aus der Katastrophe erwachsenen Zerstreuung Raum: Neben Autoren wie Paul Celan und Peter Weiss, die nicht aus dem Exil zurückgekehrt sind, stehen andere wie Edgar Hilsenrath und Hilde Domin; neben den jüngeren, nach 1945 in Deutschland geborenen Autoren geht Schütz auch auf die in Israel entstandene deutschsprachige Literatur ein.

Eine solche Fülle kann im Rahmen eines einzigen Bandes nur gedrängt dargestellt werden. Schütz verläßt sich dabei weitgehend auf die Forschungsliteratur und Selbstaussagen der Autoren oder ihrer - oft jüdischen - Zeitgenossen, und sein durch langjährigen Umgang mit der Materie geschärfter Spürsinn läßt mitunter gut umrissene Facetten entstehen.

Ein Beispiel ist Karl Emil Franzos, der 1848 in Galizien zur Welt kam und "zum bedeutendsten deutsch-jüdischen Schriftsteller der zweiten Jahrhunderthälfte" wurde. Er wolle, so faßt Schütz Franzos' Erzählstrategie zusammen, den Ostjuden seinen eigenen Weg anempfehlen und sie "davon überzeugen, ihre Hoffnung nicht auf die Ankunft des Messias, sondern auf die deutsche Kultur und Bildung zu setzen".

Den Bildungsroman "Der Pojaz", in dem ein galizischer Gettojude zum Schauspieler werden will und an den Widerständen seiner Umwelt scheitert, wertet Schütz als das Hauptwerk des Autors. Der Roman entsteht 1893, Franzos hält ihn aus nicht geklärten Gründen zurück, so daß das Werk erst postum im Jahre 1905 erscheinen kann. Da aber ist es bereits zu spät. "Als der Roman auf den Markt kam", schreibt Schütz, "hatte sich die literarische, politische und innerjüdische Situation verändert. Die nationalgesinnten deutschen Juden identifizierten sich mit dem Wilhelminismus, andere wandten sich dem Zionismus zu. Für die ersteren war das Buch zu jüdisch, für die letzteren war es zu deutsch. Nur die liberalen deutschen Juden, die an Integration glaubten, kamen als Leser in Frage. So blieb dieser Roman, der zur falschen Zeit erschien, relativ unbeachtet."

Solche präzisen Aussagen gelingen Schütz nicht immer. Sein Bild der Dichterin Else Lasker-Schüler etwa verzerrt sich, weil es von einer falschen Voraussetzung ausgeht. Sie wurde, so schreibt er, 1876 geboren, aber das Datum stimmt nicht. So wurde es zwar in der frühen Forschung kolportiert, heute aber ist längst bekannt, daß sie schon 1869 zur Welt kam und daß sie deshalb nicht so eindeutig dem Expressionismus zugerechnet werden sollte, wie Schütz das tut. Um 1910, bei Anbruch des expressionistischen Jahrzehnts, hatte sich ihr zweiter Ehemann Herwarth Walden bereits von ihr getrennt, und ihre Texte aus dieser Zeit dokumentieren keine Zugehörigkeit, sondern einen Abschied.

Das Beispiel begründet noch einmal die auch von Schütz betonte Vorsicht, mit der man sich der noch nicht geschriebenen deutsch-jüdischen Literaturgeschichte nähern sollte. Es besteht ein grundsätzlicher Unterschied zwischen einem Kompendium, wie es hier vorliegt, und einer solchen Geschichte. Schütz trägt sein Material aus sekundären Quellen zusammen und versucht sich dabei an den Ergebnissen der politischen und sozialen Historiographie zu orientieren. Eine Literaturgeschichte indessen muß von den primären Quellen ausgehen - von den Texten der Literatur selbst. Sie enthalten eine Logik, die sich nicht von anderen Disziplinen herschreibt, sondern, ganz im Gegenteil, die Thesen der Historiker und Sozialwissenschaftler hinterfragt. Literarische Texte stellen immer einen individuellen Standpunkt dar, der sich den Normen einer kollektiven Sicht nur sehr bedingt unterordnen läßt.

Die Geschichte der Literatur, die aus der Begegnung von Juden und Deutschen entstanden ist, nimmt dabei ihre eigenen Formen an, und am Beispiel des "Pojaz" von Karl Emil Franzos läßt sich das verdeutlichen: Schütz geht auf die Rezeption des Romans ein, er untersucht aber nur das jüdische Leseverhalten; ergänzend wäre zu fragen, wie der Roman von deutscher Seite aufgenommen wurde, denn erst in dieser Polarität gewinnt der Begriff der deutsch-jüdischen Literaturgeschichte ihren Sinn.

Ähnliches ließe sich auf der inhaltlichen Ebene hinzufügen. Der Wunsch des Gettojuden, ein Schauspieler zu werden, steht in einer langen Tradition, und in gewisser Weise ist das Scheitern dieses Wunsches bereits bei Goethe angelegt, schon in der theatralischen Sendung des Wilhelm Meister. Zur Utopie verkommt das Theater dann vollends in Kafkas Amerika-Roman, und auf dieser Linie - zwischen Aufstieg und Fall des Bildungsromans, wie sie in den Werken eines Deutschen und eines Juden aufscheinen und für beide Völker bedeutsam sind - wäre der Erzähler Karl Emil Franzos anzusiedeln.

Diese grundsätzlichen Anmerkungen zur deutsch-jüdischen Literatur sollen den Wert des Buches von Hans J. Schütz keineswegs schmälern. Ihre historische Darstellung steht noch aus und bedarf zahlreicher Vorarbeiten. Auch das vorliegende Kompendium liefert dazu einen der notwendigen Bausteine.

JAKOB HESSING.

Hans J. Schütz: "Eure Sprache ist auch meine". Eine deutsch-jüdische Literaturgeschichte. Pendo Verlag, Zürich 2000. 495 S., geb., 58 DM.

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