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Zum 225. Todestag von Anna Göldi erscheint erstmals ein Sachbuch zum letzten Hexenprozess in Europa. 1782 wurde die Magd wegen des Vorwurfs, das Kind ihres früheren Dienstherrn Dr.Tschudi verzaubert zu haben, in Glarus gefoltert und hingerichtet. Walter Hauser stiess bei seinen umfangreichen Recherchen auf bisher unbekannte Originaldokumente, die den rätselhaften Fall in neuem Licht erscheinen lassen und aufzeigen, dass der Justizmord an Anna Göldi bereits damals europaweit Empörung auslöste. Hauser lässt erstmals Zeitzeugen zu Wort kommen, die den damaligen Prozess verfolgten und unter…mehr

Produktbeschreibung
Zum 225. Todestag von Anna Göldi erscheint erstmals ein Sachbuch zum letzten Hexenprozess in Europa. 1782 wurde die Magd wegen des Vorwurfs, das Kind ihres früheren Dienstherrn Dr.Tschudi verzaubert zu haben, in Glarus gefoltert und hingerichtet. Walter Hauser stiess bei seinen umfangreichen Recherchen auf bisher unbekannte Originaldokumente, die den rätselhaften Fall in neuem Licht erscheinen lassen und aufzeigen, dass der Justizmord an Anna Göldi bereits damals europaweit Empörung auslöste. Hauser lässt erstmals Zeitzeugen zu Wort kommen, die den damaligen Prozess verfolgten und unter Lebensgefahr öffentlich zu kritisieren wagten. Hausers brisantes Fazit: Das Todesurteil kam mit einem Zufallsmehr zustande und wurde von einem Gericht gefällt, das dafür nicht zuständig war.
Autorenporträt
Walter Hauser, geboren 1957, ist im Kanton Glarus aufgewachsen. Er studierte Rechtswissenschaft in Zürich. Seit 1985 arbeitet er als Journalist und Redakteur.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2007

Zum Frühstück ein giftiges Leckerli
Das Schicksal der Anna Göldi: Walter Hauser rollt den letzten Hexenprozess in Europa neu auf / Von Jürg Altwegg

Man schrieb das Jahr 1782. In der Rubrik "Avertissements" der "Neuen Zürcher Zeitung" erschien eine Fahndungsanzeige. Aufgegeben hatte sie die Regierung des schweizerischen Kantons Glarus. Gesucht wurde nach Anna Göldi für eine Belohnung von "hundert Kronenthalern". Eine "ungeheure That" wird der Magd im Dienste der Familie Tschudi vorgeworfen: Mit "Gufen" (Stecknadeln) und einem vergifteten "Leckerli" habe sie versucht, deren "unschuldiges acht Jahr altes Kind" Annamiggeli umzubringen. Anna Göldi wurde aufgegriffen und 1782 zum Tode verurteilt: vom Evangelischen Rat. Der Scharfrichter enthauptete sie mit einem Schwert. Es war - weniger als ein Jahrzehnt vor der Französischen Revolution - der letzte Hexenprozess in Europa.

Der Journalist und Jurist Walter Hauser rollt ihn zum 225. Jahrestag neu auf und fällt sein Urteil schon im Titel: "Der Justizmord an Anna Göldi". Einen 400-Seiten-Wälzer mit neuen Fakten und bislang verschollenen Originaldokumenten, die "dank dem Zerfall der DDR" zugänglich geworden seien, hatte er vor Jahresfrist angekündigt. Und darüber hinaus auch noch die Publikation der "Folterprotokolle". Das unbekannte Material als Resultat drei Jahre langer Recherchen würde eine "Neuschreibung der Göldi-Geschichte rechtfertigen". Sie war in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach mit den Mitteln der Fiktion erzählt worden. Hauser versprach Fakten. Herausgekommen ist ein schmaler Band von 200 luftig bedruckten Seiten, aufgelockert mit vielen Abbildungen. Die überflüssigen Folterprotokolle füllen dreißig Seiten, das Schlusskapitel ist ein engagiertes Plädoyer für die Rehabilitierung der "Hexe". Sie war nie wirklich aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden und ist heute die weltweit bekannteste Frau des Bergkantons.

Anna Göldi wurde 1734 geboren. Sie stammte aus armen Verhältnissen und arbeitete als Hausangestellte. 1765 brachte sie ihr erstes uneheliches Kind zur Welt, das kurz nach der Geburt starb. Die Mutter wurde des Kindsmordes angeklagt, an die "Schandsäule" gestellt und mit sechs Jahren Hausarrest bestraft. Sie flüchtete in den Kanton Glarus, wo sie ebenfalls als Hausangestellte ihr Auskommen fand. Mit Melchior Zwicky, dem Sohn ihres Dienstherrn, zeugte sie ein Kind. Eine Heirat war wegen des sozialen Unterschieds undenkbar. Im weniger sittenstrengen Elsass konnte Anna Göldi den Sohn gebären und taufen lassen. Der Vater verhielt sich später während des Prozesses relativ loyal.

Ihre letzte Stelle trat Anna Göldi im Alter von 46 Jahren in der Familie von Dr. Tschudi an. Der Hausherr war Arzt und Richter. Walter Hauser beschreibt Anna Göldi als "stolze, attraktive und intelligente Frau, die auf ihren 13 Jahre jüngeren Dienstherrn eine starke Anziehungskraft ausübte". Die Tschudis gehörten zu den mächtigsten Geschlechtern in Glarus. Der Autor glaubt, dass der Arzt ein Verhältnis mit Anna Göldi hatte, sie vielleicht sogar vergewaltigte. Als die Hausangestellte - möglicherweise auf Druck der Gattin, die bei Walter Hauser als treibende Kraft des Hexenprozesses geschildert wird - entlassen wurde, ging sie zum Richter, um für ihre Rechte zu streiten. Für Tschudi wurde die Lage gefährlich, weil er seine Ehre zu verlieren drohte. Als Ehebrecher hätte er all seine Ämter abgeben müssen.

Mehrmals hatte "Annamiggeli", die kleine Tochter der Tschudis, Stecknadeln gespuckt. Anna Göldi soll ihr diese am Morgen in die Milchtasse gelegt habe. Auch ein vergiftetes "Leckerli" habe zur Erkrankung geführt. Unter der Folter legte Anna Göldi ein Geständnis ab und erklärte, nie mit Herrn Tschudi sexuell verkehrt zu haben. Weil sie dabei nicht weinte, schloss man auf ihre ganz besonders üble Bösartigkeit. Als Hexe wurde sie überführt, weil es ihr gelang, bei nächtlichen Inszenierungen, zu denen man sie zwang, das Kind zu heilen.

Dieser ganze Zirkus erschien schon vielen Zeitgenossen der späten Aufklärung als unglaublicher Humbug. Wie bewusst Dr. Tschudi auf einen Hexenprozess gegen seine Magd hingewirkt hatte, bleibt dahingestellt - er wurde geführt und der Begriff Hexe tunlichst vermieden. Es war der letzte in Europa. Der Autor unterstreicht gleichzeitig, dass politisch motivierte Todesurteile damals häufig waren. Die von den sich abzeichnenden Umwälzungen bedrohte herrschende Klasse benutzte die Justiz als Mittel zur Machterhaltung.

Inzwischen erinnert ein Weg an Anna Göldi. Soeben wurde ihr ein Museum gewidmet. Schriftsteller (Kaspar Freuler, Eveline Hasler) haben ihr Leben in erfolgreichen Biographien nachgezeichnet. Daraus wurden Hörspiele und ein Film. Anna Göldi ist inzwischen so berühmt wie die Helvetia. Niemand zweifelt an ihrer Unschuld. Walter Hauser fordert eine offizielle Rehabilitation durch den Kanton Glarus und die evangelische Kirche. Gelegentlich übertreibt er die Rolle des Anklägers zumindest in seiner Funktion als Autor. Er arbeitet mit Indizien, Vermutungen, Konstruktionen - doch der Fakten sind genug. Auch wenn Hausers eindrückliches, vorbildlich knappes Buch letzten Endes wenig neue Dokumente enthält.

Die Einschätzung als "Justizmord" ist nicht von ihm. Als Justizmord wurden von Deutschland aus die Vorfälle im Glarnerland bezeichnet. Es scheint, dass in diesem Zusammenhang der Begriff überhaupt erst entstand. Zwei ausländische Publizisten hatten über den Prozess berichtet, Ludwig Wekhrlin und Heinrich Ludewig Lehmann. Sie leiteten die spannende Rezeptionsgeschichte des Falles ein - und wurden in Glarus des Landesverrats bezichtigt. Bei einem Nachfahren Lehmanns ist Hauser auf Material gestoßen. Daraus geht hervor, wer die Journalisten informierte. Diese Information ist die eigentliche Entdeckung des Buchs. Denn ohne das Leck in Glarus - die Prozessakten sind verschwunden - hätte man Anna Göldi ziemlich sicher vergessen. Es war der Landschreiber Johann Melchior Kubli. Nach dem Untergang der alten Eidgenossenschaft wurde er in Napoleons "Helvetischer Republik" Senator eines neuen "Kantons Linth". Er kämpfte für die Abschaffung der Folter und der Todesstrafe, gegen die er sich auch im Falle von Anna Göldi ausgesprochen hatte.

Walter Hauser: "Der Justizmord an Anna Göldi". Neue Recherchen zum letzten Hexenprozess in Europa. Limmat Verlag, Zürich 2007. 196 S., 14 Abb., geb., 20,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Alles nicht falsch, meint Rezensent Jürg Altwegg, was der Publizist Walter Hauser hier zu einem weiß Gott nicht vergessenen Fall zusammengetragen hat, nämlich dem letzten bekannten Hexenprozess gegen die Schweizerin Anna Göldi im Jahr 1782. Sie, eine sehr attraktive Frau, hatte offenbar eine Affäre mit ihrem verheirateten Dienstherrn. Der strengte, um das zu vertuschen, einen Prozess an, unter Folter gestand Göldi, die Tochter des Dienstherrn vergiftet zu haben. Als Hexe erwies sie sich allerdings erst, als es ihr unter Zwang gelang, das Kind wieder zu heilen. Mit einiger Emphase beklagt Hauser den "Justizmord" an Göldi und stellt die zum größten Teil bekannten Tatsachen in "eindrücklicher" Weise dar. Neu sei allerdings die Erkenntnis, wer ausländische Beobachter des Prozesse informiert hatte, die das ganze erst aufdeckten.

© Perlentaucher Medien GmbH