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Viele glaubten, dass die Deutschen auch nach Ljubljana kommen würden. In Unterkrain trugen die Bauern eine Tafel mit 'Da Deutsches Reich' von Dorf zu Dorf. fast bis Kroatien. Alle wollten unter dem Großen Reich leben. keiner unter den Polentafressern. Mit Lastwagen fuhren die Italiener Fahnen aus, von Straße zu Straße. Frau Hamann, die deutsche Fahnen ausgeteilt und befohlen hatte, sie aus jedem Fenster zu hängen, war deprimiert und übel gelaunt. Auch die beiden Herren waren düster gestimmt. Ihr Haus war eines der wenigen in einer ganzen Reihe von Häusern, das sich nicht in den Konditorfarben…mehr

Produktbeschreibung
Viele glaubten, dass die Deutschen auch nach Ljubljana kommen würden. In Unterkrain trugen die Bauern eine Tafel mit 'Da Deutsches Reich' von Dorf zu Dorf. fast bis Kroatien. Alle wollten unter dem Großen Reich leben. keiner unter den Polentafressern. Mit Lastwagen fuhren die Italiener Fahnen aus, von Straße zu Straße. Frau Hamann, die deutsche Fahnen ausgeteilt und befohlen hatte, sie aus jedem Fenster zu hängen, war deprimiert und übel gelaunt. Auch die beiden Herren waren düster gestimmt. Ihr Haus war eines der wenigen in einer ganzen Reihe von Häusern, das sich nicht in den Konditorfarben der italienischen Fahnen badete, sondern die todernste rote Fahne mit dem schwarzen Doppelgalgen im weißen Kreis trug. das Banner des Sturmangriffs, der Disziplin, des Krieges, des Todes. ein Kreuz mit vier Beinen, das wie eine Luftschraube alles vor sich zermalmt, was ihm in den Weg kommt. Ich fühlte vage, dass es einen leisen Unterschied gab in der Kameradschaft von Italienern und Deutschen. ich begriff den Unterschied gut, und die Deutschen taten mir Leid, weil sie vermutlich ausgespielt worden waren. Die italienische Musik zog über den Stadtplatz und vom Napoleondenkmal zurück zum Kasino. Sie spielten die Giovinezza. Der Tambourmajor warf seinen Stab mit dem Silberknauf hoch bis zum ersten Stock. Die Menschen standen Spalier, lachten, klatschten fröhlich überrascht. 'Buon giorno, coccolo!' rief ein Bursche. Elegante italienische Offiziere und ihre Frauen kauften in den Geschäften ein. Zivilisten in geckenhaften Kleidern, mit Stecktüchern in der Brusttasche gingen zu zweit und zu dritt. Es waren Detektive, questurini. Soldaten in schwarzen Hemden und Kappen mit Pompons aus Mussolinis Division der arditi. Ungewöhnlich waren die Uniformen der Honved-Offiziere: statt der Knöpfe hatten sie Holzhäkchen, auf der Brust Ösen und auf dem Kopf runde Kappen mit Federn. Die Carabinieri trugen Napoleonhüte. Die Deutschen in ihren wie angegossen knappen Uniformen waren die Einzigen, die richtigen Kämpfern ähnlich sahen. Die italienischen Soldaten waren inmitten der ernsten Stadt voller Bücher und gebildeter Menschen wie Clowns. Sie weckten das Interesse der Frauen. Sie verteilten Geschenke, und in der Nähe von Lokalen zogen sie die Kappen. 'Che bella biondina!'. 'Che bella signorina!'. Sie schickten Küsschen aus den Lastwagen, so dass sie manchmal sogar herunterfielen. Sie hielten Mädchenschwärme an und umtanzten sie in ihren schlaffen Kniebundhosen, die einen Stan Laurel ähnlich, die anderen Ollie Hardy. Den Mädchen gefiel das. sie lachten den Italienern zu. solche Soldaten hatten sie ihr Lebtag noch nicht gesehen. sie kehrten ihnen den Rücken zu und lachten, dass ihnen die Tränen kamen. In der Stadt. in den Haustoren, Winkeln, Geschäften waren die unterschiedlichsten Fremdsprachen zu hören. ein richtiges Babylon, wie in Basel. Die ganze Welt war auf Ljubljana eingestürzt. Das machte mich froh, und ich konnte aufatmen. Die Leute, Altwarenhändler, Dienstmänner, die Frauen, Prinoeioes Mama, die Mutter von Andrej, der Schuhputzer Asipi. sie staunten, bewunderten, steckten an den Ecken die Köpfe zusammen und schrien sich zu über die Straße voller Ausländer in den unterschiedlichsten Uniformen. Die Stadt verwandelte sich in einen Treffpunkt, eine Hauptstadt ganz anderer Art. Auf den Schaufensterscheiben tauchten Bilder auf von König Emanuele und dem Duce mit Helm. Neues Geld war im Umlauf, Lire. Aber das Brot, das wir in der Bäckerei Pod tranco kauften, taugte nichts. Wie zerkochtes Mehl, verbrannter Mais. Die Semmel brach an der Furche. Und wenn du sie nach Hause gebracht hattest, waren im Zecker nur klebrige Polentakrümel.
Autorenporträt
Lojze Kovacic, geboren 1928 in Basel als Sohn eines slowenischen Auswanderers und einer Deutschen, verbrachte seine ersten Lebensjahre in der Schweiz. 1938 wurde die Familie ausgewiesen und versuchte fortan, in Slowenien Fuß zu fassen. Kovacics gesamtes literarisches Werk - zahlreiche mosaikartig gefügte Romane und Novellen - reflektiert das Schicksal seiner Familie. Ab 1997 war er außerordentliches Mitglied der Slowenischen Akademie der Wissenschaft und Kunst. Lojze Kovacic starb am 1. Mai 2004 in Ljubljana.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.09.2004

In Bruchstücken
Lojze Kovacic‘ dunkle Chronik „Die Zugereisten”
Ganz unverfänglich, beinahe in heiterer Reiselaune, fängt dieses Buch an: „So verließen wir also Basel.” Doch schon drei Zeilen weiter ist von Polizisten die Rede, und dann hört die Reise gar nicht mehr auf und wird zum Albtraum. Die Familie, die in Begleitung von zwei Beamten den Zug bestiegen hat, kommt nirgendwo an. Ihre Aufbrüche ähneln mehr und mehr Fluchten ohne Ziel, getrieben nur von dem Wunsch, Hass und Hunger, Grausamkeit und Heimatlosigkeit zu entrinnen. Der erste Band der Trilogie „Die Zugereisten” des Slowenen Lojze Kovacic erzählt von einer Vertreibung vor dem Zweiten Weltkrieg auf so eindringliche Weise, dass er, obwohl mühelos lesbar, doch eine Strapaze sondergleichen für den Leser ist.
Die nicht endende Verstoßung beginnt 1938, als sich die Schweiz der Familie eines aus Slowenien stammenden Baseler Kürschners entledigt, der sich nicht einbürgern lassen wollte. Für den zehnjährigen Sohn und Erzähler, von seinen Eltern und der kleinen Schwester nur „Bubi” gerufen, ist die „Ausschaffung” nach Jugoslawien ein Abenteuer. Er wird in einem „endlosen Prunksaal” Pferde reiten und Kähne rudern, Doppeldecker besteigen und sich ordentlich „satt fliegen”! „Vatis Land” ist ein Zigeuner-, Indianer- und Märchenland zugleich. Doch es kommt anders. Ihm steht nicht nur der Verlust der Heimat und der Sprache bevor, er wird auch alle seine Träume verlieren. Was ihm bleibt, ist wenig mehr als ein Paar schreckhaft geweiteter Augen.
Giftpilze aus dem Schwarzwald
In einer grandiosen Szene schildert Kovacic die Ankunft in Slowenien. Der Dorfbahnhof liegt verlassen am schwarzen Wald, der eigens benachrichtigte Onkel ist nicht zu sehen. Der Vater erinnert sich an eine Abkürzung über den Berggipfel, und die Familie steigt in pechschwarzer Nacht hinauf, über einen Steilhang wieder hinab, in Hohlwege und einen Sumpf hinein, an reißendem Wasser entlang. „Ich konnte nicht einmal die Hand vor Augen sehen. Für einen Augenblick bemerkte ich, im schwachen Schein des Streichholzes, in einem Kreis entrindeter Bäume einige Ruten ... nein, ein Bündel aufrecht stehender Schlangen! ... und auf dem Maulwurfhaufen um sie herum irgendwelche Seemuscheln, zerdrückte Schnecken und breite, weiche, weiße Pilze, Fliegenpilze - Giftpilze aus dem Schwarzwald ... Mich überkam die Angst, vor allem im Rücken.”
Starrend vor Schmutz, stinkend und durchnässt bis auf die Haut gelangen sie wie im Märchen in das Land hinter dem Berg. Dort geht allerdings kein einziger Wunsch in Erfüllung. Vielmehr hält eine feindselige Fremde eine Unzahl harter Prüfungen bereit, Hunger, Sklaverei und schließlich fast den Tod. Von Anfang an irritiert diese Welt den Jungen durch fehlende Stimmigkeit: Der Onkel ist schön anzusehen, lebt jedoch auf einem ärmlichen Hof, und er lächelt, aber seine Augen blicken starr. Fortan ist dem Erzähler die Welt gefährlich janusköpfig.
Es ist dieser Riss, der die meisten Szenen spaltet, sie metaphorisch auflädt und die scheinbar naive, der Chronologie folgende Aneinanderreihung plastischer Wahrnehmungen in ein kunstvolles Gewebe verwandelt. Darin leuchten und schrecken zahlreiche archaische Bilder: die seltsame Närrin am Dorfrand, der als Warnung in das Zimmer geworfene Spatz mit den ausgestochenen Augen, der „wie aus Seide” beschaffene tuberkulosekranke Vater, die Ejakulation des wütenden Jünglings, den ein Familienzwist von seiner Geliebten trennt, in einen Maulwurfshügel.
Lojze Kovacic, der am 1. Mai dieses Jahres gestorben ist, hat sich in diesem Buch, das er auch eine „Chronik” nannte, traumatische Erfahrungen vom Leib geschrieben. Wie sein Erzähler wurde er 1928 geboren und 1938 mit den Eltern aus der Schweiz ausgewiesen, wie „Bubi” verstummte er die ersten Jahre, eine „akustische Verarmung” erleidend, nachdem er sich in Basel mit Deutschen, Franzosen und Italienern unterhalten hatte. 1944 starb der Vater, 1945 wurden Mutter, Schwester und Cousin erneut ausgewiesen, nun von der neu gegründeten Republik Jugoslawien nach Österreich. Kovacic hatte man die Wahl gelassen, und er blieb, verlor aber 1947 wegen miserabler Schulleistungen und fragwürdigen Verhaltens die staatliche Unterstützung.
Kovacic begann zu schreiben. Zehn Romane und fünf Kurzgeschichten entstanden, vornehmlich autobiographisch und in einer seltsamen Mischung aus direkten Wahrnehmungen und Empfindungen bei gleichzeitiger Distanz zur Außenwelt, die auch „Die Zugereisten” prägt.
Der Roman gehört zu jener großen europäischen Literatur, die nach und nach aus den Zeiten der Blockkonfrontation auftaucht - man denke nur an Imre Kertész‘ ebenfalls autobiographisch grundierten „Roman eines Schicksallosen”. Mit ihm teilt Kovacic‘ opus magnum nicht zufällig die Erzählperspektive des Heranwachsenden. Nichts zeigt die Erosion des Sozialismus und seiner ästhetischen wie moralischen Normen deutlicher als ihr Immoralismus.
Der nun auf Deutsch vorliegende erste Band der „Zugereisten”, vor 20 Jahren zusammen mit dem zweiten in Ljubljana erschienen, endet 1941 eben dort mit dem Einzug von Mussolinis Operettenarmee. In die slowenische Hauptstadt hat sich die Auswandererfamilie vor dem Onkel gerettet, der sie wie Leibeigene behandelte und beinahe verhungern ließ. Doch Hunger und Not begleiten sie weiterhin, ebenso Hass und Niedertracht. Die seltenen Momente des Glücks vertiefen die Tragik dieses Epos der Verzweiflung noch. So betrachtet der Junge mit stiller Freude die Ware eines Trödlers: „Das war meine Welt ... in Bruchstücken.”
Kovacic setzt diese in die Brüche gegangene Welt mit ungeheurer und niemals nachlassender Anspannung wieder zusammen. Nichts darf verloren gehen, denn es ist ja schon alles verloren. „Die Zugereisten” ist ein Jahrhundertbuch, wovon sich nun auch die deutschen Leser überzeugen können.
JÖRG PLATH
LOJZE KOVACIC: Die Zugereisten. Eine Chronik. Erstes Buch. Aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof. Drava Verlag, Klagenfurt 2004. 320 Seiten, 23 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.06.2007

Ihr wart Hitlerianer
Endlich auf Deutsch: Die Romantrilogie von Lojze Kovacic

Was hatte es mit den gewaltigen osteuropäischen Wanderströmen des vergangenen Jahrhunderts auf sich? In Lojze Kovacics großer Romantrilogie, die jetzt endlich auf Deutsch vorliegt, ist es nachzulesen.

Die Trilogie "Die Zugereisten" von Lojze Kovacic (1928 bis 2004), wohl das bedeutendste Romanwerk, das die slowenische Literatur im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert vorzuweisen hat, liegt nun vollständig in deutscher Übersetzung vor. Man kann Klaus Detlef Olof für seine übersetzerische Tat nicht genug danken, gelang es ihm doch, den schwierigen Prozess überzeugend einzufangen, den der deutsch-slowenische Romanheld zu durchkämpfen hat, ehe er, der Heimatlose, in der komplizierten slowenischen Sprache, indem er sie sich zu eigen macht, endlich seine Heimat findet.

Kovacics Roman handelt von jenem Grundphänomen des vergangenen Jahrhunderts, das in letzter Zeit mit der antiseptischen Vokabel "Migration" umschrieben wird: Vertreibung und Flucht, Zwangsumsiedlung, Zuwanderung, Asyl. Gewiss, der Roman zeichnet die Entwicklung des kleinen Bubi Kovacic nach, eine Entwicklung, die ihren Ausgang aus armseligsten Verhältnissen der zugewanderten Familie nimmt und damit endet, dass der autobiographische Held seinen Weg in die slowenische Literatur nimmt. Doch sind alle Etappen durch die Spannung zwischen der aus der Schweiz zugereisten Familie und der slowenischen Umwelt, in die sie hineingeriet, bestimmt.

Dass und wie sich diese Spannungen von der Ankunft der Familie 1938 bis zu ihrer Zwangsausweisung aus Slowenien 1945 als Sprachfremdheit, als simples Nicht-verstehen- und Nicht-reden-Können, erweisen, ist wohl noch nie und schon gar nicht mit solch luzidem Zugriff literarisch gestaltet worden. Als einzigem aus der Familie gelingt es dem Knaben Kovacic, sich in die fremde Sprache hineinzuretten. Er ist fasziniert von dem lexikalischen Reichtum, wie er im Wörterbuch von Pletersnik, der "Vorratskammer des gesamten slowenischen Sprachguts", niedergelegt ist, der grammatikalischen Archaik und den dialektalen Nuancen des Slowenischen - und wird zum slowenischen Schriftsteller.

Der Roman ist auch ein Familienroman. "Vati" Kovacic war nach 1900 aus Krain in die Schweiz ausgewandert, hatte eine Deutsche geheiratet, prosperierte zuerst als Kürschner in Basel, ehe er bankrottierte und, zahlungsunfähig, aus der Schweiz ausgewiesen wurde. Die Familie lebte dann an verschiedenen Orten in Slowenien, von Verwandten aufgenommen, dann wieder verstoßen. Vater und Schwester Clairie mit ihrem unehelichen Kind fanden keine rechte Arbeit. Die Mutter blieb fremd in dieser Welt. Man verzog von einer Notunterkunft in die andere, die Lebens- und Wohnverhältnisse waren unbeschreiblich - und dennoch beschreibt sie Kovacic mit genauen, nachdenklichen Worten. Seine Sätze enden oft mit offenen drei Punkten. Der Tod des Vaters erschütterte den Knaben so, dass er niederzuschreiben begann, was er erlebt hatte.

Schließlich fängt der Roman die Zeitgeschichte ein, die Umbrüche zwischen 1938 und 1948, den Zweiten Weltkrieg, der Jugoslawien mit Verspätung erreichte, die italienische Besetzung Ljubljanas, der im Sommer 1943 die deutsche folgte, die "Befreiung" des Landes durch die Partisanen im Mai 1945, die Gewaltaktionen zur sozialistischen Umgestaltung Jugoslawiens bis zur Informbüro-Krise. Kovacic schildert all dies aus der Perspektive des unentschiedenen, hin- und hergerissenen, nirgends voll zugehörigen Betrachters. Wie der glücklose "Vati" seine Hoffnungen zuerst auf Hitler und die Nationalsozialisten setzt, für Deutschland optiert und dann die Option wieder rückgängig macht; wie die Jungen das deutsche Militär bewundern und das italienische verachten; wie sie schwanken zwischen der slowenischen Heimwehr, die die Deutschen unterstützt, und den Partisanen, die aus dem Wald vordringen - das alles ist atmosphärisch dicht eingefangen. Als die Partisanen siegreich in die Stadt einmarschieren, beginnt für die Zugereisten die größte Not. Sie sind nun Freiwild, das zwangsweise mit einem Transport nach Österreich abgeschoben wird. Nur der Held bleibt in Ljubljana zurück und versucht, sich als Journalist und Schriftsteller durchzuschlagen.

Kovacic beschreibt in einer großartigen Passage die unbändige Begeisterung, mit der die Partisanen in Ljubljana von den Massen empfangen werden. Die Familie flieht in die Menge, wo sie sich sicher fühlt, solange sie niemand erkennt und kein Wort Deutsch über ihre Lippen kommt. Solche erschütternde Szenen begegnen immer wieder.

Bubis früh erwachte erotische Empfänglichkeit findet in jeder Situation Betätigung und Bestätigung. Liebesgeschichten, die ihn bald langweilen oder denen er nicht gewachsen ist, wechseln im Fluge. Sie bilden den Kontrapunkt zu seinem literarischen Vorantasten. Noch vor Kriegsende wird er dem greisen Dichter Oton Zupancic vorgestellt. Nach dem Krieg zeigt sich, dass sein dichtender Freund Vid der Sohn des neuen Staatspräsidenten ist (gemeint ist offensichtlich Josip Vidmar). Zwischen seiner Obdachlosenunterkunft und der Prunkvilla des neuen Machthabers pendelt Cicavok, wie man ihn inzwischen hänselt, hin und her. Er nimmt an den großen sozialistischen Bauvorhaben in Slawonien, Bosnien und Makedonien teil, berichtet aus den sozialisierten Betrieben. Nur wenn er auf Dienstreise ist, findet er ein warmes Bett und ein trockenes Dach. Fast sieht es schon so aus, als wäre er als Schriftsteller arriviert, da holt ihn die Vergangenheit wieder ein: "Ihr wart Hitlerianer . . ."

Kovacic, der Autor, schildert Kovacic, seinen Helden, wie er seiner Neugier, seinen Impulsen nachgeht, wie er gegen Vereinnahmungen und Schablonen kämpft. Am Schluss entschuldigt er sich beim Leser: "Weil das kein Roman ist, kann ich an meinem Helden leider nichts verändern. Meine einzige Rechtfertigung dafür, dass ich über mich selbst erzählt habe, ist, dass ich mich quasi verdoppelt und so über jemand anders gesprochen habe. Das setze ich als Entschuldigung hierher. Ich weiß allerdings nicht, ob das nicht nur vorgeschützt ist. Auf der anderen Seite ist es aber auch wahr, dass jeder Einzelfall, auch meiner, interessant ist. Das Universum eines jeglichen Wesens, einer Ameise zum Beispiel, ist aufregend. Das Universum eines jeden ist universell ..."

Kovacics "Zugereiste" sind ein solches Universum, privat und historisch, konkret und allgemein: ein Stück subjektiv erfahrenen Lebens.

REINHARD LAUER

Lojze Kovacic: "Die Zugereisten I-III". Roman. Aus dem Slowenischen übersetzt von Klaus Detlef Olof. Drava-Verlag, Klagenfurt, 2004-2006. 3 Bde., 319 S., 344 S., 596 S., geb., zus. in Kass. 59,- [Euro]. Die Bände sind auch einzeln erhältlich.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

"'Die Zugereisten' ist ein Jahrhundertbuch, wovon sich nun auch die deutschen Leser überzeugen können", jubelt Jörg Plath. Im ersten Band der Trilogie, in dem sich der Autor selber traumatische Erfahrungen vom Leib schreibt, wird der zehnjährige Erzähler mit seiner Familie 1938 aus der Schweiz ausgewiesen und emigriert in die Heimat des Vaters nach Slowenien. Was zuerst nach einem Abenteuer im "Indianer- und Märchenland" aussieht, wird schnell zum schmerzvollen "Verlust der Heimat und der Sprache". Diese Vertreibung, so Platz, werde auf so eindringliche Weise geschildert, dass das Buch, obwohl mühelos lesbar, doch eine Strapaze sondergleichen für den Leser darstellt, denn diese in Bruch gegangene Welt werde mit ungeheurer und niemals nachlassender Anspannung beschrieben. Dabei gefallen dem Rezensenten besonders die "janusköpfigen" Beschreibungen des Erzählers, die die Szenen metaphorisch aufladen und chronologischen, plastischen Wahrnehmungen in ein kunstvolles Gewebe verwandeln. Das Buch, so der Rezensent abschließend, gehöre auf jeden Fall zu der großen europäischen Literatur.

© Perlentaucher Medien GmbH