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Die ehemals berühmte Schauspielerin Karin Hoffmann sieht sich einer unbestimmten Bedrohung ausgesetzt. Seit einiger Zeit erhält sie, in immer kürzeren Abständen, Briefe von jemandem, der ihre Tagesabläufe bis ins letzte Detail beschreibt und der sich wie ein Schatten über ihr Leben legt. Zunächst mutmaßt sie, ihr Mann Wolfgang, mit dem sie zahlreiche bedeutende Filme gedreht hat, könnte dahinter stecken. Gleichzeitig geht die Karriere ihrer Tochter Karla einem neuen Höhepunkt entgegen, ausgerechnet in einem Film mit dem Titel 'Melodram'. In weiteren Rollen treten auf: die Produzentin Fiona und…mehr

Produktbeschreibung
Die ehemals berühmte Schauspielerin Karin Hoffmann sieht sich einer unbestimmten Bedrohung ausgesetzt. Seit einiger Zeit erhält sie, in immer kürzeren Abständen, Briefe von jemandem, der ihre Tagesabläufe bis ins letzte Detail beschreibt und der sich wie ein Schatten über ihr Leben legt. Zunächst mutmaßt sie, ihr Mann Wolfgang, mit dem sie zahlreiche bedeutende Filme gedreht hat, könnte dahinter stecken. Gleichzeitig geht die Karriere ihrer Tochter Karla einem neuen Höhepunkt entgegen, ausgerechnet in einem Film mit dem Titel 'Melodram'. In weiteren Rollen treten auf: die Produzentin Fiona und der magere, schüchterne und in Zitaten sprechende Hans, der eigentlich bereit wäre für die wahre Liebe.Thomas Jonigks dritter Roman ist ein Vexierspiel. Was als Krimi beginnt, verwandelt sich mit jedem neuen Kapitel in ein anderes Genre: vom Drama des abtretenden Stars, der Verzweiflung abseits des Scheinwerferlichts, dem Geschlechterdiskurs bis hin zum Traumspiel. Was alles verbindet, ist die Liebesgeschichte zwischen einer älteren Frau und einem jungen Mann, über die Jonigk uns mit Witz und Intelligenz in sämtliche Teilbereiche dessen einführt, was ein zeitgenössisches Melodram auf der Höhe seiner analytischen Schärfe auszeichnet.Wenn Hitchcock auf Almodóvar trifft, sind Wunden und Verletzungen zu erwarten: Verletzt werden nicht nur Körper und die Grenze zwischen Illusion und Realität, sondern auch die Regeln der 'schönen Literatur' - woran allerdings wir Leser und Leserinnen uns erfreuen dürfen.
Autorenporträt
Thomas Jonigk, 1966 in Eckernförde geboren, studierte Mediävistik, Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Theaterwissenschaft. Gemeinsam mit dem Regisseur Stefan Bachmann gründete er die freie Berliner Theatergruppe Theater Affekt, war als Dramaturg in Theatern und Opernhäusern u.a. in Berlin, Bonn, Zürich, Wien und Lyon tätig und arbeitete als Regisseur an der Volksbühne Berlin und am Schauspielhaus Wien. Seit 1994 werden seine Theaterstücke mit Erfolg aufgeführt (u.a."Du sollst mir Enkel schenken", 1994,"Rottweiler", 1994,"Täter", 1999,"Triumph der Schauspielkunst", Dramolett zu Cechovs Kirschgarten, 2000,"Die Elixiere des Teufels", nach Motiven von E.T.A. Hoffmann, 2003,"Heliogabal", Libretto zu Peter Vermeersch, 2003,"Ach!, Monolog", 2004. Sein erster Roman"Jupiter"erschien 1999.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.03.2013

Welche Art von Traurigkeit wird vom Regisseur jetzt erwartet?
Das Glück heißt Hans: Der Autor und Dramaturg Thomas Jonigk erzählt in seinem Roman "Melodram" von radikalen Romantikern und Einsamkeitskünstlern

Was ein "Melodram" mit seelischer Gewalt zu tun hat, wie viel schräger Humor und verrückte Glücks-Empfindsamkeit in ihm stecken können, davon erzählt Thomas Jonigks neuer Roman. Ein Melodram kann eine Tragödie sein, die einen Schuss Hysterie zu viel abbekommen hat. Oder ein wilder Hoffnungsschrei in einer dumpf-biederen Szenerie.

Hinter dem lapidaren Titel verbirgt sich die abgründige Geschichte einer alternden Schauspielerin, die an dem Gefühl verzweifelt, ausgemustert zu werden. Darüber hinaus wird sie von ihrem Mann, einem Regisseur, durch dessen Filme sie berühmt wurde, auch noch betrogen - natürlich mit seiner viel jüngeren Produzentin. Dumm und banal, behauptet die berühmte Schauspielerin Karin Hoffmann, keine Tragik in Sicht - womit wir schon mitten in der Geschichte sind.

Das Markenzeichen von Thomas Jonigk, der auch als Regisseur, Theaterautor und Dramaturg arbeitet, ist seine sezierende Sprache. Sie löst beim Leser eine eigenartige Unruhe aus, weil untergründig all das mitschwingt, was seine Figuren leugnen oder rigoros verdrängen. Schon sein Debüt, der gewagte und schockierende Roman "Jupiter" aus dem Jahr 1999, erzählte von einem jungen, homosexuellen Mann, der seinen Körper hasst und, weil er sich zwanghaft vor anderen erniedrigt, immer wieder zum Gewaltopfer wird. Als Jonigk beim Klagenfurter Bachmann-Wettbewerb eine quälend detaillierte, in einer kunstvoll kalten Sprache geschilderte Vergewaltigungsszene daraus vorlas, stritt die Jury erbittert darüber, ob es sich um reine Provokation oder eine fruchtbare Reflexion handele.

Dabei geht es Thomas Jonigk um beides nur am Rande. Im Zentrum seiner Romane steht immer die tiefe Zuneigung zu einer Figur, so wie in "Melodram" zu seiner Hauptfigur Karin Hoffmann, die er in ein raffiniertes Traumspiel verwickelt. Denn vor allem ist dieser Autor ein glänzender Stilist, dessen konzentrierter Text präzise gearbeitet ist und voller zarter, poetischer Momentaufnahmen steckt.

Sein Roman spielt in Wien, das eine überzeugende Kulisse abgibt für die Mischung aus Verstörung und Überschwang, Sentimentalität und selbstzerstörerischer Härte, die das Leben der alternden Diva bestimmen. Jahrzehntelang hat ihr Mann sie gedemütigt und ihr Selbstbewusstsein zerstört, jetzt beklagt er sich darüber, dass sie keine Substanz habe und kein Bewusstsein von ihrer Anmut. Was bleibt wohl von dir übrig, wenn niemand dich mehr mit seinen Projektionen und Wünschen anfüllt, fragt er seine kleine, autistisch wirkende Frau höhnisch, die er für seinen neuen Film "Melodram" zu alt findet und stattdessen ihre Tochter besetzt hat - woraufhin sie auf der Straße die Passanten fragt, ob sie sie noch schön fänden. Während ihr Mann angeblich zu Recherchearbeiten reist, erhält sie täglich Briefe, die ihren Tagesablauf im Minutentakt schildern und ist überzeugt, dass er sie schreibt, nur: woher kann er wissen, was sie gedacht hat?

Karins bittere Behauptung: "Es gibt keine Gegenwart" verbindet wie ein Scharnier das Drehbuch des entstehenden Films mit ihrem Alltag, in dem sie immer wieder in die Filmrolle rutscht, die ihr auf den Leib geschrieben ist. E.T.A. Hoffmann scheint die Regie an sich gerissen zu haben und sie in einen Schwebezustand zwischen Angsttraum und hysterischer Sehnsucht versetzt zu haben. Beide Ebenen sind subtil verzahnt, und während Karin sich in ihrer Film-Doppelgängerin spiegelt, enthüllt sie einen überraschenden und grotesken Humor: Boshaft und sprunghaft wie ein Kobold fällt die sonst Ätherische aus der Rolle und wehrt sich gegen ihren Mann, der sich so prompt das Leben nimmt, als hätte sie ihn einfach ausgeknipst. Nur sein Kieferknochen bleibt übrig, und als der zu sprechen beginnt und die alten Gemeinheiten wiederholt, wirft sie ihn wütend zu Boden und trampelt drauf herum - ein "Hauch von Walt Disney umweht die Szenerie", kommentiert der namenlose Erzähler.

In diesem klugen Spiel um die Angst als emotionalem Durchlauferhitzer wechseln Tragödie und Komödie ständig die Seiten. Die anarchischen Kräfte, die beide Formen antreiben, lassen sich nicht mehr beherrschen und zermalmen jedes Glück. Im grandiosen dritten Kapitel des Romans geht es um Liebe und Sex, und das muss, angesichts der panischen Hoffnungen, die hier kochen, geradewegs in die Katastrophe führen. Hans ist ein Träumer und Außenseiter, der vor Frauen immer geflohen, aber jetzt bereit für die große Liebe ist, doch Karin mutet ihm eine raffinierte Selbsterniedrigung zu, die von jahrelanger Übung vor der Kamera zeugt: Wie sie ihren mageren Körper in trister Baumwollunterwäsche als Herausforderung und als Schlachtfeld zugleich präsentiert, liest sich mitreißend und verstörend. Als sie auch noch, empört über ihre Liebesgefühle, den Selbstmord-Schluss des Drehbuchs nachspielt, ergreift Hans, die kindliche Lichtgestalt des Romans, die Flucht.

Übrig bleiben, neben einer sarkastischen Analyse der Gattung Melodram durch eine genervte Kulturjournalistin, die keine weibliche Opferfigur mehr ertragen kann, Karins traurige und lang nachhallende Bühnensätze: "Welche Art von Traurigkeit wird erwartet? Ich weiß es nicht mehr."

NICOLE HENNEBERG.

Thomas Jonigk: "Melodram".

Roman.

Literaturverlag Droschl, Graz/Wien 2013. 196 S., geb., 19,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Rezensent Christoph Schröder liest ein Buch und ist doch ganz und gar im Kino: Kein Wunder, Autor Thomas Jonigk zieht in seinem - und, wie Schröder anmerkt, auf Grund zahlreicher motivischer Ineinander-Spiegelungen kaum nacherzählbaren - Roman alle Register der filmischen Trickkiste zur Unterwanderung des Bildstatus. So etwa das Bluebox-Verfahren, in dem der Zuschauer den Darsteller in einem Bild sieht, das wiederum nicht der Realität des Darstellers entspricht. Entsprechend blenden hier Realität der Figuren - natürlich geht es um Filmschauspieler - und die Realität ihrer filmischen Werke bis zur Ununterscheidbarkeit übereinander, bis das Buch am Ende nur noch aus lauter montierten Literaturzitaten besteht: Zwar kennt man solche Verfahren auch aus anderen Büchern, merkt Schröder an, doch einen virtuosen "Roman der Möglichkeitsform" nennt er Jonigks "Melodram" dann doch, nicht ohne am Ende noch auf dessen subtilen Humor hinzuweisen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.04.2013

Die Kamera blinzelt nicht
Thomas Jonigks Roman „Melodram“ lotet die Machtspiele zwischen einem Regisseur und seiner Diva aus
Es beginnt mit einem Machtspiel. Die in jüngeren Jahren berühmte Wiener Schauspielerin Karin Hoffmann erhält anonyme Briefe, in denen der Absender akribisch ihre Tagesabläufe protokolliert. Nichts, was die 65-Jährige aus der Fassung brächte, denn die Rolle der Betrachteten ist zwar begehrtes und verhasstes, vor allem aber vertrautes Terrain. Bald wird ihr klar, dass nur ihr Mann als Verfasser der Briefe infrage kommt: der berühmte Filmregisseur Wolfgang Hoffmann, der ein „pathologisches Arbeitsverfahren“ bevorzugt, „die Ausbeutung des Intimen“.
  So sieht es jedenfalls die gemeinsame Tochter Karla, ebenfalls Schauspielerin, der Hoffmann in seinem gerade abgedrehten Film „Melodram“ auf den letzten sadistischen Drücker die auf Karin zugeschnittene Hauptrolle übertragen hat. Jetzt ist er angeblich nach Cannes gereist, gemeinsam mit seiner Produzentin Fiona, mit der er, wie Karin nun herausfindet, seit drei Jahren ein Verhältnis hat.
  Thomas Jonigk, Jahrgang 1966, hat an verschiedenen Theatern als Hausautor, Dramaturg und Regisseur gearbeitet und kennt zweifellos das Milieu, das er schildert, aus eigener Anschauung. Es ist die Welt der Machogroßkünstler und ihrer Musen, der abtretenden Diven und ihrer verräterischen Verehrer, die Film und Theater zwar längst nicht mehr ausschließlich prägen, deren Geist aber in hierarchischen Strukturen und ästhetischen Moden überwintert. In seinem dritten Roman ruft Jonigk diese klassische Paarkonstellation des Melodrams auf, allerdings nicht, um seinen Lesern das schlichte Vergnügen vertrauter Erzählmuster zu gönnen. Die Genüsse, auf die er zielt, sind komplexerer Art. Sein Roman höhlt die Machtverhältnisse der Gattung „Melodram“, aber auch des Verhältnisses Regisseur/Schauspielerin subtil aus. Und das Machtspiel, das anfangs nur zwischen Karin und (anscheinend) Wolfgang abläuft, greift rasch auch auf Autor und Leser über: Obwohl der Erzähler oft Karins Perspektive einnimmt, lässt er doch bewusst im Ungefähren, ob Karin gerade träumt oder wacht, ob sie Botschaften empfängt oder verfasst, ob sie sich erinnert oder Zukünftiges ausmalt.
  „Karin ist gleichzeitig Wolfgangs Thema, seine Inspiration und sein Objekt“, heißt es schon früh im Buch. „Sie ist Hauptdarstellerin und Urheberin.“ Man könnte auch sagen: In der Welt der Hoffmanns – deren Name womöglich auf den romantischen Namensvetter E.T.A. verweist – sind Kunst und Leben, Traum und Wirklichkeit bis zur Unkenntlichkeit miteinander verschmolzen. Hat Wolfgang wirklich die Briefe geschrieben, als Teil eines neuen Kunstprojekts? Konfrontiert Karin ihn showdownmäßig mit seiner Untreue, oder wünscht sie sich das nur? Begeht Wolfgang in Südfrankreich Selbstmord, oder stirbt er bei einem Autounfall? Verliebt sich Karin wirklich in den 27 Jahre jüngeren reichen Erben Hans Weber, oder lebt sie nur quasi ferngesteuert nach, was das Skript von „Melodram“ vorschreibt? Oder dreht sie längst ihre eigene Version jenes Films, von dem sie ausgeschlossen wurde?
  Vor allem dank seines präzisen Stils gelingt Thomas Jonigk das Kunststück, seine Leser mit solchen Ungereimtheiten zu versöhnen. Ob Menschenbeobachtung oder Seelenschau – er differenziert und verfeinert bis zum fetischistischen Gebrauch von Parenthesen, knüpft sogar in gewisser Weise an das Auge von Wolfgangs Kamera an, das er einmal als „erbarmungslos sezierendes, gleichzeitig vorführendes, nach Defizit und Scheitern gierendes Organ“ beschreibt, „das jeden liebevollen Blick verweigert“.
  Letzteres trifft auch auf Jonigk nur bedingt zu, dazu schaut er zu genau hin. Irritierend und aufwühlend zugleich ist etwa seine Beschreibung von Karins nacktem Körper, der ihren angstvollen, den Ekel des Betrachters vorwegnehmendem Blick in dem Mittelpunkt stellt: „Sie überlegt, ob (die sprichwörtlich blind machende) Liebe Hans dazu befähigt, etwas anderes in ihr zu sehen als die Realität ihres Äußeren, etwas wesenhaft Anmutiges (vielleicht), irgendeine verborgene Finesse oder seelische Qualität, die es ihm ermöglicht, ihren Körper in Kauf zu nehmen und anzufassen.“ Ob ältere Liebhaber sich darüber den Kopf zerbrechen?
  Je deutlicher wird, dass Jonigk in der Gestalt Karins eine Umkehrung der Verhältnisse durchprobiert, desto mehr nimmt „Melodram“ an Fahrt und Spannung auf. Wie bei einer Höhenwanderung wechselt mit jeder Seite das Panorama, eröffnet sich hinter jeder Biegung ein neuer schwindelerregender Abgrund. Zumal Karins Selbstermächtigung nie banal gerät, sondern kompliziert und neurotisch bleibt, durchsetzt von Ängsten, Projektionen und destruktiven Déjà-vus, so sehr, dass Jonigks literarisches Experiment immer wieder in den Hintergrund rückt. Am Schluss geraten Wolfgangs von einer Kulturjournalistin als misogyn und von gestern entlarvter Film und der Roman sogar gefährlich in Deckung: Die betrogene Ehefrau ist an der Liebe zu einem Jüngeren gescheitert und begeht Selbstmord. Im Buch immerhin überlebt Karin. Aber ist die Ausbeutung des Intimen nicht auch die Quelle, die Thomas Jonigk genährt hat? Verzwickte Sache. Selbst wenn: Sein Roman sträubt sich mit aller nur denkbaren Raffinesse dagegen.
EVA BEHRENDT
Thomas Jonigk: Melodram. Roman. Literaturverlag Droschl, Graz 2013. 196 Seiten, 19 Euro.
Die Ausbeutung des Intimen
ist Thema des Buches, aber
zugleich auch seine Gefährdung
Als „erbarmungslos sezierendes Organ“ beschreibt Jonigk die Filmkamera. Unser Bild zeigt Greta Garbo 1929 bei Dreharbeiten in Hollywood.
FOTO: SCHERL
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