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Ein Roman über das deutsche Leiden an der Nazi-Vergangenheit, ganz und gar kein historischer Roman also, sondern einer über das Heute. Woher dieses Leiden rührt, ist bestens bekannt, seine Äußerungsformen jedoch sind vielfältig. Darum ist dies zugleich ein Roman über die mittleren Jahre des Lebens, über die Zeit, wenn die Gewissheit abhanden gekommen ist, dass man auf dem richtigen Weg durch die Welt geht, und es ist ein Roman über die Einsamkeit ebenso wie über die Freundschaft.
Das Eigentliche ist für jeden etwas anderes. Für Hans Frambach sind es die Verbrechen der Nazizeit, an denen er
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Produktbeschreibung
Ein Roman über das deutsche Leiden an der Nazi-Vergangenheit, ganz und gar kein historischer Roman also, sondern einer über das Heute. Woher dieses Leiden rührt, ist bestens bekannt, seine Äußerungsformen jedoch sind vielfältig. Darum ist dies zugleich ein Roman über die mittleren Jahre des Lebens, über die Zeit, wenn die Gewissheit abhanden gekommen ist, dass man auf dem richtigen Weg durch die Welt geht, und es ist ein Roman über die Einsamkeit ebenso wie über die Freundschaft.

Das Eigentliche ist für jeden etwas anderes. Für Hans Frambach sind es die Verbrechen der Nazizeit, an denen er leidet, seit er denken kann. Darum ist er Archivar im Institut für Vergangenheitsbewirtschaftung geworden; nur fragt er sich, ob es nicht an der Zeit für eine andere Arbeit wäre.
Auch für seine beste Freundin Graziela stand die Fassungslosigkeit über diese Vergangenheit im Mittelpunkt bis sie einen Mann kennenlernte, der sie begehrte, und fortan die Begegnung der Geschlechter im Fleische für das Eigentliche hielt; ein Konzept, an dem sie nun zweifelt.
Aber kann man denn den Nationalsozialismus für alles verantwortlich machen? Eigentlich ist es doch ihre Unfähigkeit zum Glück, die Hans und Graziela zu so wunderlichen Gestalten macht. Nur sie selbst halten ihr Unglück nicht für gott-, sondern für nazigegeben.
Zugleich hat auch der Staat, in dem sie leben, sein Eigentliches. Es ist das unausgesetzte Bemühen um Harmlosigkeit seiner Repräsentanten, das allen voran die Bundeskanzlerin vorführt, wenn sie jede Woche übers Internet zu uns spricht.
Iris Hanika zeigt, wie die Verbrechen der Nazizeit uns bis heute in ihren Klauen halten, und übersieht dabei nicht, zu welchen Absurditäten die Professionalisierung des Gedenkens führt. Eigentlich ist unsere Hilflosigkeit angesichts dieser Verbrechen das Eigentliche.
Autorenporträt
Iris Hanika, geboren 1962 in Würzburg, lebt seit 1979 in Berlin. Sie war feste Mitarbeiterin der Berliner Seiten der "FAZ" und führte eine Chronik im "Merkur". 2006 erhielt Iris Hanika den Hans Fallada Preis und 2011 den Preis der LiteraTour Nord.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.01.2010

In Richtung Ausgang

Vom Leben, Lieben und Schreiben nach Auschwitz erzählt Iris Hanika in ihrem neuen Roman "Das Eigentliche". Die Autorin wagt viel - bis hin zu drei Seiten mit "Raum für Notizen".

Von Andreas Platthaus

Die Bewertung dieses Buchs hängt entscheidend an sechs Seiten. Sechs Seiten, auf denen insgesamt nur neun Worte stehen. Drei Seiten sind sogar ganz leer, auf den übrigen steht jeweils oben am Rand "Raum für Notizen", sonst nichts. Das könnte man in einem Roman für einen billigen Gag erklären, doch das ist es nicht. Zumal nicht, wenn die Autorin Iris Hanika heißt, die in allen ihren Texten und vor allem mit dem Debütroman "Treffen sich zwei", der es 2008 bis auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises schaffte, bewiesen hat, dass ihr typographische und satztechnische Gestaltung von Erzähltem kaum weniger wichtig ist als der Inhalt selbst - konkrete Prosa, wenn man so will.

Die drei Vakatseiten folgen der scheinbar provozierendsten Stelle von "Das Eigentliche", dem zweiten Roman der siebenundvierzigjährigen Autorin. Er erzählt von Hans Frambach, der in Berlin als Archivar in einem "Institut für Vergangenheitsbewirtschaftung" arbeitet. Dort wird "die Dunkelheit, aus der dieser Staat vor langer Zeit hervorgekrochen war, in das hellste Licht gestellt und zu seinem Eigentlichen erklärt". Deshalb der Titel des Romans - und weil das Leiden an der deutschen Vergangenheit für den 1962 geborenen Frambach das selbstverständliche Unglück begründet, dem er sich verpflichtet fühlt. Denn "es war nicht sein Unglück, sondern Das Unglück. Wenn er es von sich abzog, blieb nichts von ihm übrig." Dieses Unglück ist sein Eigentliches.

Eines Tages besucht er nach einer Tagung mit Überlebenden der Schoa die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. In dem ehemaligen Konzentrationslager merkt Frambach, dass er sich den Wegen der Häftlinge nicht entziehen kann, dass er genau auf den Spuren der Todgeweihten in die Gaskammern unterwegs ist: "Er konnte nicht umdrehen, jene hatten das auch nicht gekonnt." Aber dort, wo früher der Weg nach links ins Verderben ging, biegt der Nachgeborene plötzlich nach rechts ab, "vielmehr seine Füße hatten das getan, die hatten sich unter seinen Beinen von selbst nach rechts gedreht und waren in die Richtung gegangen, in die sie zeigten, nämlich die Lagerstraße hinunter zum Ausgang". Als er durch das Tor getreten ist, das Lagergelände verlassen und die Landstraße erreicht hat, folgt im Text eine Leerzeile, nach der ein knapper Satz steht: "Und war frei."

Jeder Leser, der Iris Hanika für ihr Buch vor Augen gestanden haben mag, kennt das bösartige Motto, das die Nationalsozialisten über die Lagertore von Auschwitz setzten: "Arbeit macht frei". Die Freiheit von Hans Frambach ist eine Zumutung, weil sie so leicht vonstattenging, weil sie genau durch das ermöglicht wurde, was er selbst kurz zuvor noch für unmöglich erklärt hatte: aus den Spuren der Opfer zu treten. Unvermeidlich ist dem Leser der Vergleich dieser Befreiung, die Hans Frambach empfindet, mit der, die sechs Jahrzehnte früher jene verspürten, die den Konzentrationslagern entkommen konnten. Wie steht es darum?

Gleich auf der zweiten Seite ihres Romans lässt Iris Hanika ihren Protagonisten darüber sinnieren, ob der Vergleich eigener Lebenssituationen mit den Erlebnissen der in Auschwitz Ermordeten eher als "anmaßend", "vermessen", "obszön" oder "frivol" zu bezeichnen wäre. Damit ist das Auge des Lesers von Beginn an geschärft, und auf Seite 133, als Hans Frambach das Lager verlässt, glaubt es für einen Moment nicht, was es liest. Doch dann folgen die drei erwähnten leeren Seiten - eine Generalpause im Schreiben, unausgewiesener Platz für Gedanken, und man sagt sich, dass zuvor doch nur geschildert wurde, was Frambach gedacht hat, dessen ganze Romanexistenz sich um die Frage dreht, ob man mit der deutschen Vergangenheit jemals fertig werden kann. Der an sich selbst beobachtet hat, wie der Schatten der NS-Verbrechen unfreiwillig vom eigenen Gemüt wich. Und der somit bei seinem Auschwitz-Besuch bereit war für ein Gefühl, das Frambach selbst als frivol einschätzen müsste, sobald er es explizit machte. Dieses Spiel der Figuren mit der Nazi-Terminologie und ihren Topoi durchzieht als Thema den ganzen Roman.

Doch es gilt ja die bewährte Trennung zwischen dem Autor und seinen Figuren. Iris Hanika spricht nicht, wenn Frambach denkt, ja, nicht einmal er selbst spricht, wenn er bloß denkt oder empfindet. Zwanzig Seiten später im Roman aber verlässt Frambach sein Institut durch ein Treppenhaus, in dem rauchende Mitarbeiter ihre letzte Zuflucht im sonst nikotinfreien Gebäude finden, weshalb ein Kollege den Trakt als "Gaskammer" bezeichnet hatte und dafür sofort entlassen wurde. Niemand belangt Frambach für seine frivolen Vergleiche; als er aus dem Institut nach draußen tritt, fühlt er sich in der dortigen Normalität gerettet. Und dann folgen wieder drei leere Seiten.

Fast leere, wie gesagt. Denn oben steht eben jeweils "Raum für Notizen". Das ist nun eindeutig nicht mehr Hans Frambachs Idee, sondern die von Iris Hanika. Zweimal derselbe Kunstgriff, einmal nach der Schilderung von Auschwitz, einmal nach der des Berliner "Instituts für Vergangenheitsbewirtschaftung" - das ist ihr wohl selbst frivol vorgekommen, und deshalb mildert sie den zweiten Fall ab durch einen Witz, um die Unvergleichbarkeit der Orte und von Frambachs Handlungen zu bewahren. Aber gerade dieser Witz bringt in ihr Buch, das zuvor und danach nie frivol ist, sondern durchdacht bis in die letzte Verwirrung dessen, was wir für moralisch geboten halten, einen Ton, der tatsächlich obszön genannt werden kann. Hier treibt Iris Hanika einmal mit Entsetzen Scherz. Oder aber sie scherzt nicht gut genug, um sie vor dem Verdacht in Schutz zu nehmen.

Und dennoch ist es gut, dass es diese missglückte Passage aus drei fast leeren Seiten gibt. Denn unter ihrem Eindruck wird alles noch einmal geprüft, was vorher so souverän gelöst schien. Zum Beispiel der an Loriot gemahnende Dialog in einem Seminar des Instituts, das den - durchaus frivolen - Neologismus der "Hakenkreuzung" zum Diskussionsgegenstand gemacht hat. Die Schilderung der Liebesaffäre von Graziela Schönbluhm, die ihr platonischer Freund Frambach in den Begrifflichkeiten jenes "nackten Lebens" beschreibt, das der Philosoph Giorgio Agamben mit Blick auf die NS-Opfer zum Zentrum seines Denkens gemacht hat. Die Tatsache, dass der am Vergessen verzweifelnde Archivar Frambach den Namen des Lagerkommandanten Hoess als Computerkennwort gewählt hat. Oder die zweiseitige Liste, die als Einschub im Roman steht und Beispiele dafür enthält, wie instinktlos die Gegenwart geworden ist, wenn im Bioladen ein Schild mit dem Hinweis hängt, dort würden keine Lebensmittel aus Israel verkauft, oder eine um Wiedergutmachung bemühte Frau von den Teilnehmern eines Opfertreffens schwärmt, es handele sich dabei um die "Crème de la crème" der Überlebenden.

All das hält auch der zweiten Lektüre stand, weil es auf nahezu sämtliche Weisen, die der Literatur zu Gebote stehen, den Zwiespalt dessen aufzeigt, was Erinnerung ist. Sie lastet auf dem Leben von Hans Frambach und Graziela Schönbluhm, die nicht mehr gemein haben als ihr Leiden an den NS-Verbrechen. Sie sind unfreiwillige heutige Stellvertreter der eigentlichen Opfer, doch abschütteln wollen sie diese Rolle auch nicht. So lösen sie sich langsam aus dem Bann des Schreckens und kommen vom Eigentlichen der Menschheitsgeschichte zum Eigentlichen ihrer selbst: Man kann mit dieser Schuld nicht leben. Das nach fünfundsechzig Jahren intensiver Debatte darüber mittels einer Fiktion noch einmal derart eindringlich klargemacht zu haben, ist das große Verdienst dieses - man muss es so sagen - nach und trotz Auschwitz geschriebenen Romans.

Iris Hanika: "Das Eigentliche". Roman. Literaturverlag Droschl, Wien 2010. 176 S., geb., 19,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Alles in allem sehr beeindruckt ist Rezensent Andreas Platthaus von diesem zweiten Roman der Berliner Autorin Iris Hanika. Sie wagt nämlich sehr viel. Um nicht weniger als die Frage nach dem Umgang mit der Schuld des Holocaust geht es. Ihren Helden Hans Frambach, Mitarbeiter eines "Instituts für Vergangenheitsbewirtschaftung", schickt sie nach Auschwitz, wo er dann sehr buchstäblich auf den Spuren ermordeter Juden unterwegs ist. Die eigentliche erzählerische Pointe sieht Platthaus in zweimal drei Seiten. Drei sind ganz leer, über den anderen steht jeweils nur: "Raum für Notizen". Ein Kunstgriff, der den Rezensenten als Witz beim zweiten Mal nicht recht überzeugt. Was für den ganzen Roman aber ganz und gar nicht gilt. Der nämlich verhandle auf höchstem Niveau "den Zwiespalt dessen, was Erinnerung ist".

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.06.2010

Shoahspaziergänger
Kalauer und Katharsis: Iris Hanikas Roman „Das Eigentliche“
„Treffen sich zwei“ hieß der lakonische Titel des mit kunstvoll ironisiertem Pathos erzählten Liebesromans, der Iris Hanika vor zwei Jahren auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises katapultierte. Es war ein Sprung beinahe aus dem Stand. Denn Iris Hanika hatte zwar schon einige Bücher u.a. in der edition suhrkamp veröffentlicht, galt aber noch als Journalistin, die sich vor allem durch ihre Mitarbeit bei den Berliner Seiten der FAZ einen Namen gemacht hat. Seit dem Erfolg ihres ersten Romans, der vom unverhofften Liebesglück zweier Fortysomethings erzählt, kann sie sich mit Fug und Recht als Schriftstellerin bezeichnen (wenn es ihr überhaupt darauf ankommt).
Nun hat sie einen zweiten Roman geschrieben. Wieder begleitet sie einen Mann und eine Frau durch eine kurze Phase ihres Berliner Alltags, allerdings wird aus den beiden kein Liebespaar. Sie sind Freunde von Anfang an und bleiben es bis zum Schluss. Von der flirrenden Leichtigkeit ihrer Sommernachts-Sexkomödie aus dem Kreuzberger Kiez ist in ihrem neuen Roman nichts zu spüren. Vielleicht hat sie gefürchtet, man sortiere sie allzu schnell ins leichte Fach. Schon der Titel klingt gravitätisch: „Das Eigentliche“. Was aber ist dies?
Hans Frambach, wie die Autorin im Oktober 1962 geboren, arbeitet am „Institut für Vergangenheitsbewirtschaftung“ in Berlin Mitte. Riesengroß soll es sein, mit „unermesslich vielen Mitarbeitern“ und Zweigstellen im ganzen Land. Es wurde eigens dafür eingerichtet, die deutsche Geschichte und das Gedenken an die Opfer der Shoah zu pflegen. Hans Frambach arbeitet im Archiv, der wichtigsten Abteilung des Instituts. Dorthin dürfen wir ihn mehrmals begleiten und dabei zusehen, wie er sorgsam sein Mäntelchen an die Garderobe hängt und anschließend versucht, die Sekretärin seines Chefs in Schach zu halten. Früher hat ihm seine Arbeit Freude gemacht, weil er sie für etwas hielt, das „getan werden muß“. Doch inzwischen ist sie zum „Shoah-Business“ verkommen. „Und darin fühle ich mich fremd“, gesteht er seiner Freundin Graziela Schönbluhm, auf deren Anrufe er jeden Tag sehnsüchtig wartet. Als Geliebte eines verheirateten Mannes hat sie eine Menge zu erzählen.
Hans Frambach, der alleine lebt und sich außer Graziela keinem Menschen nahe fühlt, ist vom rechten Glauben abgefallen. Lange glaubte er, sein eigenes Unglück rühre von Auschwitz her, das Schuldgefühl halte ihn in den Fängen und dämpfe seine Lebensfreude. Doch dann hatte er ein Erweckungserlebnis, ausgerechnet während eines Besuchs in Auschwitz. Achtlos war er auf dem Gelände umhergestreift und unversehens auf den Weg geraten, der zu den Gaskammern und Krematorien führt. Wie unter Zwang ging er weiter, gefangen in einem Zwiespalt. Beides schien ihm gleichermaßen unerträglich: dass er auf einem Weg spazieren ging, der für die Häftlinge den Tod bedeutete, aber auch, diesen Weg einfach zu verlassen. Doch plötzlich brachen seine Füße wie von selbst aus der vorgezeichnete Spur aus. Er trat auf die Landstraße hinaus. „Und war frei.“
Diese Szene muss die Autorin als so ungehörig empfunden haben, dass sie drei leere Seiten folgen ließ. Allerdings ist das Problem damit nicht gelöst. Zwar ist es in der Tat ein Wagnis, eine Szene, die in einem KZ spielt, über dessen Tor „Arbeit macht frei“ steht, mit einem solchen Satz zu beenden. Aber es hätte ohne weiteres genügt, wenn sie einfach geschrieben hätte: „Und (er) fühlte sich frei.“ Dann ginge es um ein Gefühl Hans Frambachs und nicht um eine Aussage des Erzählers.
Iris Hanika erzählt zwei Geschichten, die sich ständig in die Quere kommen. Die eine beklagt die zunehmende Institutionalisierung und Merkantilisierung des Gedenkens, die andere erzählt eine individuelle Befreiungsgeschichte, die allerdings nicht wirklich glückt. Sobald Hans Frambach nicht mehr unter seiner Schuld leidet, leidet er sofort daran, dass er nicht mehr leidet. Die Shoah ist in diesem Roman nur das Mittel zum Zweck, um die innere Leere des Helden zu demonstrieren. Er wird von einem Leeregefühl beherrscht, wie man es nach dem Verlust eines Liebesobjekts empfindet und wie es Menschen zustößt, denen der Glaube an Gott abhanden kam.
Iris Hanika bemüht dafür den mittelalterlichen Begriff der Acedia und zitiert ausführlich Michael Theunissen. Wie unangemessen es ist, den Massenmord an den Juden für die psychische Ausstattung ihres Helden zu gebrauchen, muss sie bemerkt haben. Wie sonst wäre das Schwanken zwischen Verharmlosung und Dramatisierung zu erklären? Da wird im Märchenton geplaudert oder ein munteres Auschwitz-Liedchen gezwitschert, das mit „fiderallala“ endet, und dann wieder Paul Celan herbeizitiert. Nicht einmal das pathetische Stilmittel der leeren Seiten bleibt unveralbert. Es taucht ein zweites Mal auf, dann mit dem Zusatz „Raum für Notizen“. So ist aus diesem Buch, das eine ernste, aber einfache Geschichte zu erzählen hätte, nämlich die eines einsamen und melancholischen Mannes, dessen einzige Freundin jeden Schmerz mit Frohsinnssprüchen überspielt, ein Roman geworden, der mehr Gewicht in die Waagschale wirft, als er austarieren kann. Oft bleibt als letzte Rettung nur der Kalauer. Und was ist am Ende „das Eigentliche“? Von der Shoah bis zum Sex kann es alles sein.
MEIKE FESSMANN
IRIS HANIKA: Das Eigentliche. Roman. Droschl Verlag, Graz und Wien 2010. 175 Seiten, 19 Euro.
Im „Institut für Vergangenheits-
bewirtschaftung“ gibt es
unermesslich viele Mitarbeiter
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"Das Aufregendste, was man in dieser Saison lesen kann." Denis Scheck, ARD druckfrisch
"Manche Lesebegeisterung verführt dazu, gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. Daher: Dies ist einer der klügsten, witzigsten und zugleich sprachlich virtuosesten Romane, die ich in letzter Zeit gelesen habe!"