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Henri Michaux: neben Kafka und Beckett ein Jahrhundertschriftsteller. Anthropologe des eigenen Ich, der äußeren und inneren Räume, der gegen die Literatur und die Poesie anschreibt, um sie zu unterlaufen mit seiner so unverwechselbaren seismographischen Schreibweise, seiner Wut, seiner Selbstironie und seiner trockenen Komik. Über 'Die Nacht rührt sich' (1935) schrieb Michaux selbst: 'Dieses Buch hat keine äußere Einheit. Es entspricht keiner bekannten Gattung. Es enthält Erzählungen, Gedichte, Prosagedichte, Bekenntnisse, erfundene Wörter, Beschreibungen imaginärer Tiere, Notizen usw., die…mehr

Produktbeschreibung
Henri Michaux: neben Kafka und Beckett ein Jahrhundertschriftsteller. Anthropologe des eigenen Ich, der äußeren und inneren Räume, der gegen die Literatur und die Poesie anschreibt, um sie zu unterlaufen mit seiner so unverwechselbaren seismographischen Schreibweise, seiner Wut, seiner Selbstironie und seiner trockenen Komik. Über 'Die Nacht rührt sich' (1935) schrieb Michaux selbst: 'Dieses Buch hat keine äußere Einheit. Es entspricht keiner bekannten Gattung. Es enthält Erzählungen, Gedichte, Prosagedichte, Bekenntnisse, erfundene Wörter, Beschreibungen imaginärer Tiere, Notizen usw., die alle zusammen keinen Band ergeben, sondern eher ein Tagebuch. Ein bestimmter Tag hat sich gebieterisch in extravaganten Phantasien ausgedrückt, ein anderer Tag oder ein anderer Monat trocken in einem kurzen Prosagedicht, einer Ich-Analyse. Und das drei Jahre hindurch.' 'Meine Besitztümer und andere Texte' präsentiert die frühe Schaffensphase von Michaux zum erstenmal auf deutsch - ausgenommen die beiden bereits vorliegenden Reisebücher 'Ecuador' und 'Ein Barbar in Asien' -, übernimmt die bereits existierenden Auswahlübersetzungen von Paul Celan und Kurt Leonhard, vervollständigt sie und ergänzt sie mit einem Nachwort des Übersetzers Dieter Hornig.
Autorenporträt
Paul Celan wurde am 23. November 1920 als Paul Antschel als einziger Sohn deutschsprachiger, jüdischer Eltern im damals rumänischen Czernowitz geboren. Nach dem Abitur 1938 begann er ein Medizinstudium in Tours/Frankreich, kehrte jedoch ein Jahr später nach Rumänien, zurück, um dort Romanistik zu studieren. 1942 wurden Celans Eltern deportiert. Im Herbst desselben Jahres starb sein Vater in einem Lager an Typhus, seine Mutter wurde erschossen. Von 1942 bis 1944 musste Celan in verschiedenen rumänischen Arbeitslagern Zwangsarbeit leisten. Von 1945 bis 1947 arbeitete er als Lektor und Übersetzer in Bukarest, erste Gedichte wurden publiziert. Im Juli 1948 zog er nach Paris, wo er bis zum seinem Tod lebte. Im selben Jahr begegnete Celan Ingeborg Bachmann. Dass Ingeborg Bachmann und Paul Celan Ende der vierziger Jahre und Anfang der fünfziger Jahre ein Liebesverhältnis verband, das im Oktober 1957 bis Mai 1958 wieder aufgenommen wurde, wird den posthum veröffentlichten Briefwechsel Herzzeit zwischen den beiden bestätigt. November 1951 lernte Celan in Paris die Künstlerin Gisèle de Lestrange kennen, die er ein Jahr später heiratete. 1955 kam ihr gemeinsamer Sohn Eric zur Welt. Im Frühjahr 1970 nahm sich Celan in der Seine das Leben
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.12.2003

Kopfgeburten für den Kochtopf
Exorzierendes Denken: Die "Besitztümer" von Henri Michaux

"Ich möchte, daß Sie diesen Texten alle Aufmerksamkeit widmen, die sie verdienen: eine Aufmerksamkeit nicht nur der Intelligenz, sondern auch jene musikalische Aufmerksamkeit, die die Richtigkeit einer Intonation zu erkennen weiß; eine Aufmerksamkeit, die Ihnen erlaubt, die Perfektion, den Takt, die feine Dosierung der Ironie und des Gefühls zu schätzen und jenes je ne sais quoi, das uns an einem geheimen Ort des Herzens berührt ..." Mit solch eindringlichen Worten warb der mehr als siebzigjährige André Gide 1941 für den um drei Jahrzehnte jüngeren Henri Michaux. Die meisten Passagen, die Michaux' höchsten Rang dokumentieren sollten, wählte er dabei aus der 1935 bei Gallimard erschienenen Sammlung "La nuit remue". Unter diesem Titel hatte Michaux Texte zusammengestellt, die seit 1928 entstanden und zum Teil bereits zuvor unter dem Titel "Mes Propriétés" im kleinen Verlag eines Freundes erschienen waren.

Die deutsche Neuausgabe präsentiert im wesentlichen diese Sammlung in den Übersetzungen, die Kurt Leonhard und Paul Celan für die zweisprachige Ausgabe der "Dichtungen, Schriften" anfertigten. Für diese seit langem vergriffene Edition hatte Michaux Anfang der sechziger Jahre selbst die Auswahl getroffen. Die von ihm damals weggelassenen Texte sind nun hinzugefügt und werden ergänzt durch einige Stücke aus dem Umkreis sowie einige später entstandene Texte. Dieter Hornig hat die neu hinzugekommenen Texte mit sicherem Gefühl für Michaux' kunstvoll kunstlose Sprachformen ins Deutsche gebracht.

Um mit Michaux bekannt zu werden, eignen sich diese Stücke vorzüglich. Leichter vielleicht noch als die im selben Zeitraum auf den großen Reisen entstandenen Bücher und der "Plume" von 1930 lassen sie die verschiedenen Tonlagen des Autors hören und stehen auch für die endgültige Verabschiedung der Vorstellung, die gediegene große Form eines Romans erfüllen zu wollen, einer Idee, der Michaux bis in die Mitte der dreißiger Jahre nachhing. Nun hatte er sich entschieden, endgültig der "unordentliche" Autor zu sein, den die Abgrenzungen von Gattungen und Genres nicht kümmern. Dazu gehörte auch eine Wendung gegen die Sprache selbst, wie einige Stücke sie zeigen, in denen die Worte zerstückelt und neu geprägt werden. Daß die deutsche Ausgabe diese Gedichte wegläßt, ist ein wenig schade, da der Impuls, sich von der Sprache abzustoßen, nicht beiläufig war. Die Idee der neu erfundenen "Alphabete" und "Ideogramme" ließ ihn über Jahre nicht los, und die frühen "essais d'écriture" zeigen ebenso wie viele spätere Tuschzeichnungen Formen der "Schrift" abseits aller konventionellen Lesbarkeit.

Solches Abstandnehmen von den Worten, denen die Bilder entgegen- und zur Seite gestellt werden, ist bei Michaux freilich nur das Komplement einer unheimlich anmutenden Souveränität im Feld der Sprache selbst. Unheimlich deshalb, weil sie sich kaum auf Vorbilder beziehen läßt, weder direkt noch als Gegenrede. Was Michaux verweigert, ist schlicht Literatur in konventionellem Sinn: als Schreiben mit Blick auf den Leser, als professionelles Schreiben, das auf Wirkung zielt. Was er dagegen aufzubieten hat, ist Dichtung "als eine Form des exorzierenden Denkens", Befreiung vom Druck einer Realität, mit der nicht zu Rande zu kommen ist.

Die Bewunderung Lautréamonts verbindet ihn dabei mit den Surrealisten, genauso wie die Überzeugung, daß das Poetische überall zu finden und durch den Versuch der willentlichen Hervorbringung nur abzutöten ist. Aber die Differenzen zum Bretonschen Programm sind klar. Nie ließ sich Michaux von der Illusion täuschen, das Poetische sei einfach durch die Ausschaltung der bewußten Verfügungen zu erreichen: Entweder resultiere daraus bloßes Material, oder das durchaus bewußte Nacharbeiten an der Form werde verleugnet.

Für Michaux braucht es beides, den "anderen Zustand" und das Geschick, ihn zur Darstellung zu bringen: ein Akt der Balance zwischen Gewährenlassen und listiger Gegenwehr. Nur so ist der innere Bereich des Poetischen zur Darstellung zu bringen, "der früher vielleicht der Bereich der Sagen war und ein Teil des religiösen Gebiets (ein Teil nur)". Weshalb es auch die Heiligen und Mystiker sind, die bei Michaux neben Lautréamont zu stehen kommen. Sie sind die Zeugen der inneren Auslieferung und gewagten Selbsterprobung, die Michaux vom Dichter erwartet - um jene Zustände "von Innen zu berühren", die die wissenschaftlichen Vorstöße in den psychisch-somatischen Untergrund des Subjekts für Michaux' Blick immer zahlreicher zutage förderten.

Die "unmöglichen" Bilder und rätselhaften Geschichten, die er den inneren Berührungen abgewinnt, sind von jener fraglosen Natürlichkeit, die den Vergleich mit Kafka nahelegt. Wenige Zeilen genügen, um die Konvention der Realität zu verlassen: "Als ich in meinem verfluchten Körper umherirrte, kam ich in ein Gebiet, wo die Teile meiner selbst sehr selten waren; um dort zu leben, müßte man ein Heiliger sein. Aber ich, der ich früher so sehr nach Heiligkeit gestrebt hatte, jetzt, wo die Krankheit mich dazu zwingen wollte, sträubte ich mich und sträube mich noch immer, und es ist ganz klar: so werde ich nicht leben."

Die inneren Landschaften sind nicht zu trennen von den phantastischen Territorien, auf denen sich nie gesehenes Leben regt - Pflanzen, Tiere oder auch nur alle Arten von Augen: ",Manche waren groß wie Fußbälle, andre hoch auf langen Beinen, andre nicht größer als Ameisenaugen. Das alles ist gut für den Kochtopf!' sagte eine Stimme. Sofort wurde die Ebene leergeschabt und blankgeputzt, und nichts war mehr da als der dunkle Boden, der aus Lehm war." Auf den "Besitztümern" vernichtet der Eigentümer seine nicht zum Leben taugenden Schöpfungen selbst: "Dann schaffe ich alles ab, und es ist nichts mehr da als die Sümpfe, die mein Besitztum sind und mich zur Verzweiflung treiben wollen. Und wenn ich drauf versessen bleibe, so weiß ich eigentlich nicht, weshalb."

Trocken und eindringlich rhythmisiert ist Michaux' Tonfall; nur die Gedichte leisten sich hin und wieder etwas an Getragenheit. Gewaltsam geht es manchmal in diesen Imaginationen zu, immer fremdartig, fast skurril und doch gleichzeitg auch merkwürdig vertraut. Man meint diese inneren "Besitztümer" zu kennen und wird doch von jeder neuen Wendung überrascht, mitgerissen von einer Sprache, die alle rhetorischen Effekte wie Schlacken von sich abfallen läßt. Daß diese faszinierenden Texte wieder auf deutsch zugänglich sind, dafür kann man Verlag wie Übersetzer kaum genug loben.

HELMUT MAYER

Henri Michaux: "Meine Besitztümer - und andere Texte 1929-1938". Aus dem Französischen übersetzt von Paul Celan, Kurt Leonhard und Dieter Hornig. Literaturverlag Droschl, Klagenfurt 2003. 192 S., br., 23,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Erst langsam wird in Deutschland das Werk des gebürtigen Belgiers Henri Michaux gewürdigt, der auf Französisch schrieb, lange in Paris lebte und in Frankreich längst seinen Platz im Olymp, der Bibliotheque de la Pleiade, gefunden hat, stellt Hans-Jürgen Heinrichs den Dichter vor. Schreiben war für Michaux eine Mischung aus Trance und "ecriture automatique", erklärt Heinrichs, was seines Erachtens wenig mit dem Surrealismus gemein hatte, sondern hieß, dass Michaux sich den inneren Bildern und Vorgängen überließ. Eine solche Literaturauffassung ist natürlich stark von Drogenerfahrungen beeinflusst, erklärt Heinrichs, obwohl sich Michaux später scharf gegen Drogenmissbrauch gewandt haben soll. Michaux wollte in Bereiche seines Unbewussten vorstoßen, hält Heinrichs fest: "der Dichter als Forscher", dessen Erkenntnishunger nicht unideologischer hätte sein können. Außerdem besaß Michaux einen wunderbaren Humor, gerät Heinrichs jetzt auch ins Schwärmen, und nur einer wie er könne auf die Idee verfallen, die in ihm aufsteigenden Bilder, also etwas ganz und gar Immaterielles, "meine Besitztümer" zu nennen. Der Verlag hat eine Fortsetzung mit Schriften aus den 20er und 30er Jahren angekündigt, freut sich unser Rezensent.

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