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Bora Cosics schelmisch-nachdenkliches Buch umfasst die Zeit zwischen 1937, als er mit seinen Eltern nach Belgrad zieht, und Anfang der 1990er-Jahre, als der Protagonist die Stadt, angewidert vom Nationalismus seiner Landsleute, wieder verlässt.Ganz im Einklang mit seiner selbst gewählten Rolle als Konsul blickt der Autor mit der Distanz eines Fremden abgeklärt und sprachlich virtuos auf Kindheit, Jugend, Erwachsenenleben zurück. Er erzählt von der deutschen Besatzung, dem Sozialismus unter Tito, vom Leben als Bohemien inmitten eines faszinierenden intellektuellen Biotops, mit Akteuren wie Ivo…mehr

Produktbeschreibung
Bora Cosics schelmisch-nachdenkliches Buch umfasst die Zeit zwischen 1937, als er mit seinen Eltern nach Belgrad zieht, und Anfang der 1990er-Jahre, als der Protagonist die Stadt, angewidert vom Nationalismus seiner Landsleute, wieder verlässt.Ganz im Einklang mit seiner selbst gewählten Rolle als Konsul blickt der Autor mit der Distanz eines Fremden abgeklärt und sprachlich virtuos auf Kindheit, Jugend, Erwachsenenleben zurück. Er erzählt von der deutschen Besatzung, dem Sozialismus unter Tito, vom Leben als Bohemien inmitten eines faszinierenden intellektuellen Biotops, mit Akteuren wie Ivo Andric, Georges Perec, Danilo Kis,Bogdan Bogdanovic und anderen, bis herauf in die Neunzigerjahre, als der "Konsul" "demissioniert".
Autorenporträt
Cosic, BoraBora Cosic, geboren 1932 in Zagreb, lebt seit 1992 in Rovinj/Istrien und Berlin. Wichtigster Autor der Belgrader Avantgarde. Zahlreiche Preise, u. a. Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung2002.Auf Deutsch u. a.: Die Rolle meiner Familie in der Weltrevolution (1994), Die Zollerklärung (2001), Eine kurze Kindheit in Agram (2011),Die Tutoren (2015).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2016

Im diplomatischen Erkennungsdienst

Bora Cosic beschwört in seinem Erinnerungsband "Konsul in Belgrad" die jugoslawische Hauptstadt, wie er sie in jungen Jahren erlebt hat.

Von Paul Ingendaay

Bora Cosic ist ein Schriftsteller mit System. Er weiß, dass Geschichten oft eines Kniffs, einer besonderen Perspektive bedürfen, um erzählbar zu werden. Bei dem Buch, mit dem der 1932 geborene serbische Erzähler auch im Westen berühmt wurde, verrät sich das System schon im Titel: "Die Rolle meiner Familie in der Weltrevolution" (1969, auf Deutsch 1994 erschienen). Ein junger lakonischer Ich-Erzähler mischt Privates und Öffentliches, Banales und Bedeutendes, ohne dabei Unterschiede zu machen, und liefert dank seiner Einfalt und Unmittelbarkeit eine umso realistischere, von greller Komik durchzogene Kleingeschichte eines absurden, brutalen Jahrhunderts. "Alles glich einer Theatervorstellung, obwohl es in Wirklichkeit keine war."

Das Thema dieses vielseitigen, seinen inneren Aufruhr gut verbergenden Autors ist der Einzelne als Spielball geschichtlicher Mächte, aber Jammern ist nicht sein Ding. Schreiben, glaubt Cosic, sollte etwas von einem epileptischen Anfall haben. Der wahre Schriftsteller wehrt sich durch Sprachspiel, ironische Hommagen und höheren Blödsinn gegen die Zumutungen dessen, was andere Schicksal nennen. So hat der heute meist in Berlin-Charlottenburg lebende Cosic es immer gehalten und im Windschatten populärerer Balkankrisen-Kommentatoren vom Dienst ein weitverzweigtes, vielfach ausgezeichnetes literarisches Werk von hohen Graden geschaffen.

Vielleicht ist es kein Zufall, dass er seit dem Verlassen seines Wohnorts Belgrad aus Protest gegen das Milosevic-Regime im Jahr 1992 den Produktionsrhythmus noch einmal erhöht hat, um der im Krieg untergegangenen Heimat ein paar heimliche Trauergesänge zu widmen. Darunter sind pessimistische, bewusst in Beamtenmetaphorik gekleidete Bilanzen wie "Die Zollerklärung" (deutsch 2001) und "Das Land null" (2004).

Als jüngste Beschwörung der verlorenen Zeit folgt nun "Konsul in Belgrad". Es ist ein kluges, poetisches, mit Abstand und Ironie erzähltes Erinnerungsbuch, voller Staunen über das sang- und klanglose Verschwinden der Dinge und die Unfähigkeit des Menschen, es zu verhindern. Im Mittelpunkt steht die Stadt Belgrad, wohin der fünfjährige Bora nach frühesten Kindheitsjahren in Zagreb 1937 verpflanzt wurde. Und wieder ist es eine zentrale Metapher, die es dem Autor erlaubt, die Wörtermaschine anzuwerfen: Er, der Erzähler, empfindet sich als Konsul, als Fremder in seiner Stadt. Er verrichtet dort gewissermaßen nur diplomatischen Dienst und hat deshalb die Pflicht, etwas Geschriebenes über seine Dienstzeit - gut fünfzig Jahre seines Lebens - zu hinterlassen. Es ist das dichte, mit einem nostalgischen Fotoanhang versehene Buch, das wir in Händen halten.

Wir kennen Belgrad noch nicht. Aber so wie Prousts Erzähler Marcel Fahrpläne studiert und in ihnen schon das eigentliche Reiseglück vorwegnimmt, das auch von der späteren Realität nicht eingeholt, geschweige denn übertroffen werden kann, so könnte der Leser dieses Buches ein imaginäres Belgrad durchstreifen, bevor er das wirkliche Belgrad kennenlernt. Cosic ist ein begnadeter Wanderer und Chronist. Er registriert, wie der Tito-Sozialismus die lebendigen Aufschriften der alten Stadt übermalt - ein Kind hat Augen für so etwas -, er späht in Treppenhäuser, Korridore und Wohnungen, prüft die Aussicht in die Hinterhöfe - Boras Mutter zog geradezu zwanghaft um und nötigte dem kleinen Konsul dadurch immer neue Diplomatenresidenzen auf - und entdeckt gerade in der Materialität des menschlichen Wohnens ein endloses Feld philosophischer Reflexion. (Ein ähnliches Verfahren charakterisiert den schönen Band "Lange Schatten in Berlin" über die Interieurs von Charlottenburg.) Schulzeit und Studentenzeit kommen stark gefiltert ins Bild; es geht nicht um die Nöte des Aufwachsens, sondern um Lebensstationen, die sich an die Topographie der Stadt knüpfen lassen.

Auch vom Eros ist die Rede, namentlich von einer jungen Tante, die den deutlich jüngeren Bora ziemlich kirre macht, später dann von der Mädchenjagd, der Lust am Betrug, der ersten Ehe und der zweiten. "So zog sich das Erwachsenwerden hin, nicht nur mein eigenes, sondern das des ganzen Milieus, in dem ich mich bewegte. In jeder Hinsicht lebte ich damals an der stillen Adresse des mittelmäßig entwickelten Sozialismus und daher an einer meist öden. Wo die Leute in ihren grauen Wohnungen saßen und es draußen fast nichts gab. Keiner weiß, dass das herrschende Regime in solchen Ländern, besonders im Sommer, gar nicht zu bemerken war, sondern das ganze Sein des Menschen von allein abrollte, ohne jede Aufsicht."

Der junge Zeitschriftenredakteur und angehende Schriftsteller, der Bora Cosic war, kam natürlich auch mit anderen Künstlern in Berührung. Die bekannteren von ihnen - Ivo Andric, Danilo Kis, der nach Amerika ausgewanderte Dichter Charles Simic - haben im Bericht dieses Diplomaten nur kürzeste Auftritte, kaum dass eine Straße an ihre Schatten erinnert, und den Franzosen Georges Perec, der einen Sommer in den fünfziger Jahren in Belgrad verbringt, verpasst der Autor ganz. Dafür erfahren wir von der Leidenschaft des Zeitungmachens im Café, spüren den Geist von Jungsein, überschießender Energie und Provinzialismus, von interessanten Schneiderinnen und der Aristokratie leerer Taschen.

Geschrieben hat Cosic, wo es gerade passte - und dann wegen eines rundlichen Mädchens alles verbrannt, Aufzeichnungen, Briefe, Fotos, Erinnerungsstücke, so dass er bestimmte Lebensetappen des Mannes, der er einmal war, nur noch aus dem Gedächtnis rekonstruiert. Doch selbst darauf kommt es nicht mehr an, hier machen es Witz, Ton und Haltung, und die verraten einen lässigen, kapitalen europäischen Schriftsteller, wenn die Ortsbezeichnung denn einen Sinn hat, was Bora Cosic vielleicht bestreiten würde. Noch etwas zum Schluss: Nicht er habe seine Stadt verlassen, hat er einmal gesagt. Sondern sie ihn. Durch Bücher wie dieses verwandelt sich der Verlust in Gewinn.

Bora Cosic: "Konsul in Belgrad".

Aus dem Serbischen von Katharina Wolf-Grießhaber. Folio Verlag, Wien 2016. 240 S., Abb., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Paul Ingendaay wird Zeuge, wie Bora Cosic den Verlust seiner Heimatstadt Belgrad an das Tito-Regime in Gewinn verwandelt. Mit Witz, Ton und Haltung, so der Rezensent, erzählt der Autor von seinen Anfängen als Autor, vom Zeitungmachen in Cafes, vom Jungsein, von den Frauen und vom Provinzialismus. Für Ingendaay eine sehr poetische, aber auch ironische Beschwörung der verlorenen Zeit, des Verschwindens von Dingen und Menschen, das dem Leser erlaubt, ein imaginäres Belgrad zu durchstreifen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.03.2017

Der Balkan, die Bohème und die Bomben
Seit langem lebt Bora Ćosić in Berlin. In seinen Memoiren blickt er auf seine Kindheit im Krieg und den Tito–Sozialismus zurück
Im Anhang des Buches sind ein paar Fotos zu finden. Sie zeigen Bora Ćosić zuerst als kleinen Jungen mit kurzen Hosen und Schirmmütze, zuletzt als weißbärtigen Herrn mit Brille und strengem Blick. Dazwischen ist er mit anderen Künstlern und Kollegen, Redakteuren, Lektoren, Übersetzern und Freunden wie dem späteren Belgrader Bürgermeister Bogdan Bogdanovic zu sehen. Ćosić kannte sie alle, und sie bevölkern seinen Memoirenband „Konsul in Belgrad“ wie Puppen eine Puppenstube.
Es ist eine Art Archäologie, die er da betreibt, um die mehr als 50 Jahre, die er, 1932 in Zagreb geboren, von 1937 bis 1992 in Belgrad verbrachte, wieder zum Leben zu erwecken. Das ist wie auf dem einzigen bekannten Foto von Fernando Pessoa, wo der Dichter mit Hut und Mantel überm Arm eine Straße in Lissabon herunterkommt. Da geht er nun für immer, weil, so Ćosić, „auf der Straße fotografierte Menschen niemals ankommen können, da sie ewig in diesem Gang verharren“.
So gehen die Menschen auch durch dieses Buch. Der Vater ist gleich wieder verschwunden, lässt Mutter und Kind sitzen mit einer „Maschinenschreiberin“. Die Mutter kämpft sich ihr Leben lang durch die Armut, die der Sohn von ihr erbt, und malträtiert ihn mit ihren unausgelebten künstlerischen Ambitionen. Das Klavierspiel ist ihm besonders verhasst. Dann fallen Bomben, und bald sitzt er ausgerüstet mit sehr viel freier Zeit in den Kaffeehäuser herum und scheint jahrzehntelang nichts anderes getan zu haben, als sich für Frauen zu interessieren, mal schüchtern und hoffnungslos, mal als unwiderstehlicher Draufgänger. Dabei macht es keinen großen Unterschied, ob die feurige Schwarzhaarige, mit der er Hand in Hand eine Straße hinabgeht, gleich wieder verschwindet, oder ob er vierzig Jahre lang mit ihr verheiratet bleibt, weil ja jedes Foto den Moment als Ewigkeit enthält.
Ćosić ist eine Art Botschafter seiner selbst. Als kindlicher Neuankömmling lernte er, die Stadt aus der Perspektive eines Fremden zu betrachten und erklärte sich zum „Konsul“, der sein Amt als „Diplomat des Seins“ im „Außenministerium des Schicksals“ antritt. Belgrad war in der Vorkriegszeit eine Stadt des Lichts und der Leuchtreklamen, der Markenartikel und der flüchtigen Bekanntschaften. Der Bäcker an der Ecke und der Seidenschalverkäufer, der den Arm der Mutter so sanft zu berühren wusste, repräsentieren ein untergegangenes, bürgerliches Zeitalter, als über jedem Laden noch ein Name stand und in den Gesichtern der Besitzerstolz. Mit dem Sozialismus wurde das Persönliche, das Subjektive abgeschafft. In Ćosićs Erinnerung verwandelt sie sich in ein leeres Gemälde von Chirico oder Max Ernst.
Fast die Hälfte des Buches vergeht mit der Kindheit, in der die Welt die nötige Undurchschaubarkeit besaß, auf die es Ćosić jetzt ankommt. Nach dem Krieg, in den langen Jahren des Sozialismus, beginnt sich die Zeit mehr und mehr zu dehnen und zu beschleunigen, weil so wenig geschah. Zeit zu haben, ist das Schicksal des Bohemiens, der schon am Vormittag sein Schreibpensum erledigt hat und dann nur noch schaut und wartet. Vielleicht war das überhaupt das Signum der Epoche, dieses „Herumsitzen im Kaffeehaus, in einem nicht ganz behaglichen System, das die Leute mit seiner Unbehaglichkeit vielleicht ja in geschlossene Milieus trieb, selbst wenn sie so öffentlich waren wie das Kaffeehaus.“ So hat Ćosić die Tito-Ära überdauert.
Das funktionierte, bis er 1975 zur „unerwünschten Person“ erklärt wurde, weil „Unregelmäßigkeiten im Denken“ bei ihm festgestellt wurden. Mit vornehmer Lakonie geht er über diese Zeit hinweg, die vier Jahre dauerte, in denen er nicht nur nichts veröffentlichen durfte, sondern wo auch alte Freunde ihn auf der Straße plötzlich nicht mehr kannten. 1979 taten sie dann so, als wäre er bloß von einem Auslandsaufenthalt zurückgekehrt. Auch das bestärkte ihn im Gefühl, als „Konsul“ ein Fremder in der eigenen Stadt zu sein. Den Sozialismus hat er also ausgesessen. Doch 1992, mit dem beginnenden Krieg gegen Kroatien und dem wütenden Nationalismus, reichte sein subtiler Humor nicht mehr aus. Ćosić verließ das Land und seine Stadt, die ihm zuwider geworden waren, und lebt seither in Berlin. Den selbsterklärten diplomatischen Dienst hat er damit quittiert.
Das Fremdheitsgefühl dieses Lebens hat auch damit zu tun, dass das Leben im Sozialismus dazu neigt, symbolisch zu werden. Die Straßenbahn, die heute nicht kommt oder der Heizkörper, der da zwar unterm Fenster hängt, aber nie warm wird, sind Objekte, die auf eine Funktion nur noch verweisen und das Leben damit in etwas Theaterhaftes verwandeln. Das vergebliche Warten wird zur Bühnenszene, zur Stilfigur. Die Zeit hört auf zu vergehen und wirft die Wartenden auf sich selbst zurück. Doch Ćosić greift über die politisch-ideologische Wirklichkeit hinaus ins Existenzielle, wenn er vermutet, dass es sich dabei um eine besondere Eigenschaft des südeuropäischen Menschen in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts handeln könnte, der „eine derartige Leere von Raum und Zeit vor sich hatte, dass er diese alten Kategorien des Seins füllen konnte womit und wie er wollte“.
Das Buch ist in der Grundstruktur chronologisch angelegt, doch die Bilder der Erinnerung stellen sich keineswegs chronologisch ein. Sie schieben sich übereinander wie die Waggons bei einem Zugunglück. Im Magazin der Zeit fallen die Erinnerungskörner so, „wie wenn man eine riesige Menge Weizen wasserfallartig in den Schlund des Schiffes schüttet. Und man nicht mehr jedes Korn einzeln sehen kann, sondern sich alles in eine Erinnerungsmasse verwandelt“. Das ist, je nach Blickwinkel, Stärke und Schwäche dieser Memoiren: Sie sind unkonturiert und skizzenhaft, weil alle Figuren, kaum aufgetreten, schon wieder verschwinden. Sie sind unübersichtlich, weil alles zerfließt und die Räume und Zeiten ineinander übergehen. Sie sind so wie das Straßenleben.
Gerade das ist aber auch das Reizvolle: Es kommt weniger darauf an, was erzählt wird, als darauf, wie Ćosić das tut. Es geht nicht um die einzelnen Geschichten, sondern um die Stadt selbst als surreales Tableau und als Bühne einer Wartesaalexistenz. Und da ist es immer wieder das Flirren erotischer Möglichkeiten, das dem Leben, wenn schon keinen Sinn, dann doch zumindest Kraft und Richtung und Momente verleiht.
JÖRG MAGENAU
Als man ihm „Unregelmäßigkeit
im Denken“ attestierte, wurde
er zur „unerwünschten Person“
Bora Ćosić: Konsul in Belgrad. Aus dem Serbischen von Katharina Wolf-Grießhaber. Folio Verlag, Wien und Bozen 2016. 240 S., 22 Euro.
E-Book 16,99 Euro.
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