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Kurt Bracharz ist Anhänger der Buchreligion - jenes polytheistischen Glaubens, dessen heilige Schriften Don Quijote, Moby Dick, Berlin Alexanderplatz, Lolita oder V heißen -, und er ist überzeugt, dass ein Buch mehr ist als mit unterhaltsamen Geschichten bedruckte Seiten.Der süchtige Leser hat ein Jahr lang über das geschrieben, was er gelesen hat; er wandert von William S. Burroughs zu Wilhelm Busch, von James Joyce zu Henri Michaux, von Alfred Döblin zu Don DeLillo. Doch seine Notizen und Randbemerkungen, Reflexionen und Assoziationen sind weit mehr als ein schlichtes Lesetagebuch: Für…mehr

Produktbeschreibung
Kurt Bracharz ist Anhänger der Buchreligion - jenes polytheistischen Glaubens, dessen heilige Schriften Don Quijote, Moby Dick, Berlin Alexanderplatz, Lolita oder V heißen -, und er ist überzeugt, dass ein Buch mehr ist als mit unterhaltsamen Geschichten bedruckte Seiten.Der süchtige Leser hat ein Jahr lang über das geschrieben, was er gelesen hat; er wandert von William S. Burroughs zu Wilhelm Busch, von James Joyce zu Henri Michaux, von Alfred Döblin zu Don DeLillo. Doch seine Notizen und Randbemerkungen, Reflexionen und Assoziationen sind weit mehr als ein schlichtes Lesetagebuch: Für "reife Leser" ist es ein Ausbruch bibliophiler Leidenschaft, ein Genuss für alle, die selbst schon einige Lesefrüchte in ihre Scheune eingebracht haben.
Autorenporträt
Kurt Bracharz, geboren 1947, lebt als Schriftsteller, Kinderbuchautor und Kolumnist in Bregenz. Zahlreiche Literaturpreise, u.a. Deutscher Krimipreis (1991) und Ehrenpreis des Vorarlberger Buchhandels (2003). Seit 2005 Mitherausgeber der Literaturzeitschrift Miromente. Bei Haymon: Für reife Leser (2009), Cowboy Joe. Kriminalroman (HAYMONtb 2009) und Mein Appetit-Lexikon (2010).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.09.2009

Ausweitung der Lesezone

High Noon in der Niemandsbucht: Kurt Bracharz präsentiert eine persönliche Geschichte des Lesens - und wird dabei zum Erzähler.

Zwölf Bücher in zwölf Monaten wiederzulesen, die für die eigene Biographie bedeutsam waren: Dieses schöne und ästhetisch strukturierte Projekt, das Alberto Manguel mit seinem "Tagebuch eines Lesers" verwirklicht hat, nimmt sich der österreichische Schriftsteller Kurt Bracharz zum Vorbild, um eine Schreibkrise zu überwinden. Sein persönlicher "Kanon" ist recht exotisch, er reicht von Wilhelm Busch bis William Burroughs, von Dalí zu DeLillo und zurück zu Döblin. Es gibt da nur ein kleines Problem: Der Autor ist Prokrastinierer, und bisweilen scheint es, als ob er alles andere lieber läse als die Bücher auf seiner Liste. Das genau ist jedoch der Witz seines Buches.

Es kommt immer etwas dazwischen: So beschränken sich die Kommentare zu den angekündigten zwölf Büchern manchmal auf wenige Absätze, dafür werden jedoch noch andere Werke des jeweiligen Autors, oft auch dessen Leben in den Blick genommen, verschiedene Biographien verglichen, Übersetzungen kritisiert. Im Grunde tut Bracharz also das, was er am besten kann und vielfach bewiesen hat: Er sudelt, wie es die großen Aphoristiker seit Lichtenberg tun, er verfranst sich heillos und feiert dann den Umweg. Vor allem aber beobachtet er die Beobachter, und das mit viel Humor: "Ich habe die Literatur immer als Myzel gesehen (und denke, auch die Strukturalisten hätten bei besseren Biologiekenntnissen diese Metapher statt ihres kümmerlichen Rhizoms verwendet)." Und dann macht er aus dem Pilz-Vergleich selbst wieder Poesie: Er ziehe diesen vor, "weil die Fruchtkörper der Pilze so ungeheuer vielfältige Formen annehmen wie die Hervorbringungen der Literatur. Es wachsen die Mousserons eines Heinrich Böll neben den Krötenstühlen des göttlichen Marquis aus demselben unterirdischen Geflecht, dessen Fäden alles jemals Geschriebene und dessen Zellen alle Wörter aller Sprachen sind."

Im Kern des Tagebuches steht die befreiende Einsicht, dass die schönste Rezeption die ungesteuerte ist: das Mäandern in Antiquariaten oder auch nur in der eigenen Bibliothek, die eingestandenermaßen ein "Messie-Zimmer" ist, die Entscheidung für das handliche Manesse-Bändchen als Zuglektüre, weil es besser in die Anzuginnentasche passt als das für den Monat vorgesehene "Berlin Alexanderplatz", und zuweilen auch der Verzicht auf die Lektüre zugunsten des Sichtreibenlassens im Fernsehnachtprogramm, in dem plötzlich noch ein guter Film beginnt: "Spätnachts, als ich eigentlich nicht mehr weiterglotzen wollte, kam ,Abgerechnet wird zum Schluss', und ich sah mir diesen amüsanten Film doch noch zur Gänze an."

Fast zur Hälfte ist Bracharz' Buch ein Film-Buch, DVDs sammelt er so manisch wie Druckwerke. Seine Geschichte des Lesens ist somit eine Ausweitung dieser Tätigkeit: Lesen bedeutet für ihn interpretieren, und zwar die Kultur in allen ihren Verzweigungen. Wer sich mit Burroughs' "Naked Lunch" konfrontiert, muss auch die Cronenberg-Verfilmung verdauen, wer Dalís in einer Kunstsprache aus Katalanisch und Französisch verfasste Prosa verstehen will, kommt nicht um dessen künstlerisches Werk herum. Immer wieder gelingen Bracharz dabei herrliche Anekdoten - so liest er eine aus dem Englischen übersetzte Dalí-Biographie, in welcher der Künstler mit dem Satz "Im Alter von sechs Jahren wollte ich Koch werden" zitiert wird, und entdeckt dabei einen für die Geschichte des Surrealismus nicht ganz unwichtigen Fehler: Während "in der englischen Ausgabe geschlechtsneutral ,cook' steht, hatte Dalí selbst ,cuisinière', also ,Köchin', geschrieben."

Am Ende des Bandes steht eine Bibliographie der tatsächlich darin verarbeiteten Primär- und Sekundärwerke - und das sind nicht zwölf, sondern weit mehr als hundert. Einen regelrechten Literatursampler, ein Mixtape ohne Genregrenzen hat Bracharz also vorgelegt. Die dabei entstandene Reflexionsprosa ist aber kein Kuschelrock und keine Loungemusik, sondern eher der Soundtrack zu einem abseitigen Film im Nachtprogramm, dem man sich nicht entziehen kann. Unter dem Eindruck des latenten Humors dieser Prosa kann es allerdings leicht passieren, dass man die eigentliche Leistung des Buches übersieht - und diese ist eine implizite Antwort auf die Frage, was es heute überhaupt heißt zu erzählen. Das Gros der Gegenwartsliteratur lässt oft vergessen, was noch vor dreißig bis vierzig Jahren in vieler Schriftsteller Munde war: das "Ende der Fiktionen", die Krise des Romans. Gegner eines überkommenen Illusionismus wie Hildesheimer oder Handke verfolgten damals Strategien des radikalen Verzichts auf Fabel und Handlung und setzten an deren Stelle eine aphoristische Journalprosa, die das neue, der Zeit angemessene Erzählen darstellen sollte. In genau dieser Tradition lässt sich auch der Assoziationsstil des Tagebuchs von Kurt Bracharz verorten. Ob er es selber weiß? Kurt Bracharz ist ein Erzähler.

JAN WIELE

Kurt Bracharz: "Für reife Leser". Haymon Verlag, Wien 2009. 286 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Angetan zeigt sich Rezensent Jan Wiele von Kurt Bracharz' Lesegeschichte, ein Buch über das Lesen auch im Sinne von Interpretieren, geht es doch nicht nur um Bücher, sondern auch um Filme. Zu seiner Freude beschränkt sich Bracharz keineswegs auf die angekündigte Behandlung von zwölf Büchern, die für seine Biografie von Bedeutung waren, sondern verarbeitet letztlich weit mehr als hundert Bücher und zahllose Filme. Dass es beim Kommentieren und Kritisieren nicht immer geradeaus in eine Richtung geht, macht für ihn das Buch besonders reizvoll. Bracharz, so Wiele, "sudelt, wie es die großen Aphoristiker seit Lichtenberg tun, er verfranst sich heillos und feiert dann den Umweg". Mit Lob bedenkt er auch den Humor des Autors. Nicht zuletzt schätzt er das Buch, weil es für ihn implizit eine Antwort auf die Frage gibt, was heute überhaupt erzählen bedeutet. Brachnarz jedenfalls wird für Wiele in seiner genreüberschreitenden Prosa zum Erzähler.

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