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Der in Neapel geborene und in Rom lebende Autor erzählt von seinem Vater und taucht dabei in seine Kindheit ab. In dem mehrfach ausgezeichneten Roman kommt vieles zur Sprache: Evakuierung im Krieg, Not und Überlebenskampf bei Kriegsende und in der Nachkriegszeit, dunkle Geschäfte, soziale Strukturen und das bunt-faszinierende Leben in Neapel, Zusammenhalt und Streit in einer typisch süditalienischen Großfamilie.Vor allem aber geht es um Lebenslust, Enttäuschungen und zorniges Aufbegehren einer einzigartigen Vaterfigur. Der Sohn versucht, die Wutausbrüche des Vaters gegen die Mutter, die…mehr

Produktbeschreibung
Der in Neapel geborene und in Rom lebende Autor erzählt von seinem Vater und taucht dabei in seine Kindheit ab. In dem mehrfach ausgezeichneten Roman kommt vieles zur Sprache: Evakuierung im Krieg, Not und Überlebenskampf bei Kriegsende und in der Nachkriegszeit, dunkle Geschäfte, soziale Strukturen und das bunt-faszinierende Leben in Neapel, Zusammenhalt und Streit in einer typisch süditalienischen Großfamilie.Vor allem aber geht es um Lebenslust, Enttäuschungen und zorniges Aufbegehren einer einzigartigen Vaterfigur. Der Sohn versucht, die Wutausbrüche des Vaters gegen die Mutter, die manchmal in brutale Handgreiflichkeiten ausarten, im Nachhinein zu verstehen und sich mit seinem "Erzeuger" zu versöhnen, auch dessen absurde Lügengeschichten als Teil einer subjektiven Wirklichkeit zu begreifen, nicht zuletzt seine Zerrissenheit zwischen dem Brotberuf als Eisenbahner und der tief empfundenen Berufung zum Künstler.So wird Starnones Roman, dessen mitreißender Erzählduktus gleichermaßen überzeugt wie das außergewöhnliche literarische Niveau, auch zur Auseinandersetzung mit dem Wesen der Kunst, der Bedeutung und dem "Wert" von Kunstwerken sowie dem Schaffensprozess kleiner Meister und großer Genies.
Autorenporträt
Gerhard Kofler, geboren 1949 in Bozen/Südtirol, lebte bis zu seinem Tod 2005 als freier Schriftsteller, Literaturkritiker und Generalsekretär der Grazer Autorinnen Autorenversammlung in Wien. Mehrere Literaturpreise und -stipendien, u.a. 1997 Förderungspreis zum Österreichischen Staatspreis für Literatur und 1999 Ehrendoktorat für Literatur der World Academy of Arts and Culture.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.11.2005

Neapel überleben
Domenico Starnones Roman „Via Gemito”
Was wäre Neapel ohne die hupenden Vespabesitzer, die streitenden Autofahrer, die auftrumpfenden Fischhändler, die zeternden Hausfrauen, die lautstark palavernden Sportzeitungsleser vor den Cafés und die nie um ein Schimpfwort verlegenen sonnenbebrillten Nichtstuer? Domenico Starnone, 1946 in Neapel geboren und heute in Rom zu Hause, geht in seinem autobiographischen Roman „Via Gemito” dem theatralischen Gebaren auf den Grund. Wie kein anderer verkörpert sein übermächtiger Vater, Eisenbahner und Maler von Beruf, die betörenden und die abstoßenden Eigenschaften der Stadt. Starnones Unterfangen zielt vor allem auf eines: sich von der bedrückenden Vaterimago zu befreien und ein versöhnlicheres Verhältnis zu dem bewunderten und verhassten Mann zu finden.
Starnone pendelt zwischen seinem erwachsenen Ich - dem schreibenden Schriftsteller - und seinem Kinder-Ich Mimì hin und her. Die Episoden aus den fünfziger und sechziger Jahren sind eingerahmt von Schilderungen seiner Erinnerungsarbeit; auch ein Besuch in Neapel, Gespräche mit seinen Brüdern und Spaziergänge durch die vertrauten Viertel kommen vor. Schubhaft ergreift die Vergangenheit von ihm Besitz und gewinnt derartig bedrängende Plastizität, dass er an jeder Ecke die Gestalt der Mutter, das Gebrüll seines Vaters und die spielenden Geschwister wahrzunehmen vermeint. Bild um Bild breitet er Szenen seiner Kindheit vor uns aus: die enge feuchte Wohnung in der Via Gemito, wo die achtköpfige Familie hauste, furchterregende Prügeleien, Nächte unter riesigen halbfertigen Gemälden, die nach Ölfarbe riechen, schließlich die Krankheit der Mutter und ihr früher Tod. Weil der Vater Federì ein unablässig erzählender Mensch mit Neigung zur Mythomanie ist und seinen Kindern fortwährend Geschichten über seinen grandiosen Werdegang auftischt, fließen auch dessen Kindheitserlebnisse und Nachkriegserfahrungen mit ein. Der Erzählzwang des Vaters bestimmt Starnones literarische Verfahrensweise: um dem widersprüchlichen Charakter Federìs auf die Spur zu kommen, muss er sich durch eine Schicht von Legenden hindurchfressen, was die Chronologie der Ereignisse immer wieder außer Kraft setzt.
Federì ist eine zwiespältige Gestalt: ein leidenschaftlicher Maler, der sich täglich durch seinen Brotberuf als Eisenbahner in die Schranken gewiesen sieht, ein süditalienischer Familientyrann mit cholerischen Ausfällen und Neigung zu Handgreiflichkeiten, vor allem seiner viel zu hübschen Frau Rusinè gegenüber. Weshalb zieht sie sich so schön an und will ihn auch noch auf Kunstausstellungen begleiten, wo sie eigentlich nichts zu suchen hat? Doch nur, um ihm die Show zu stehlen und fremden Männern schöne Augen zu machen. Überhaupt, die ganze Welt hat sich gegen ihn verbündet und niemand erkennt sein künstlerisches Genie. Alle sind sie „strunz”, ein Stück Scheiße, (was der Übersetzer Gerhard Kofler dankenswerter Weise im Original stehen lässt), weshalb ihn wenigstens seine Söhne von früh bis spät bewundern müssen. Schon mit drei konnte er lesen und schreiben! Die Lehrer hielten den Atem an, wenn er zeichnete! Der lieblose Vater, der ihm den Erfolg nicht gönnte, verfrachtete ihn zur Eisenbahn! Das Teatro Bellini, wo er während des Krieges phantastische Vorstellungen für die Alliierten auf die Beine stellte und als Übersetzer und Bühnenbildner in Aktion trat! Seine Karriere als Karikaturist! Seine Bilder, für Preise ausgewählt, die man ihm dann mit den üblichen Machenschaften wieder aberkannte!
Eindringlich führt Domenico Starnone die Konsequenzen dieses Auftrumpfens vor, das den Sohn bis zu Mordphantasien treibt. Es gibt starke Szenen: wie Mimì für den Vater Modell steht, starr vor Angst, ihn zu enttäuschen. Wie Federì ihn während eines Tanzfestes durch seine lautstarke Aufforderung, endlich auf das angebetete Mädchen zuzugehen, demütigt. Wie im Anschluss an Familienfeiern die Stimmung kippt, weil Federì nicht im Mittelpunkt stand und seine Frau es gewagt hat, sich zu amüsieren. Jenseits von Klischees im O-sole-mio-Stil vermittelt Starnone das, was die Gepflogenheiten neapolitanischer Familien ausmacht. Die Kehrseite von Wärme und Herzlichkeit sind strikte Rollenmodelle, chronifizierte Beziehungen und die Neigung zur Tragödie. Auch das Psychogramm des Vaters ist einleuchtend.
Der glücklichste Augenblick
Manchmal allerdings entwertet Starnone durch Deutungen und Erklärungen auf der Metaebene die gerade erzeugte Lebendigkeit: Da hatte man eine Quadrille vor Augen, hörte noch die Kommandos des aufgeputzten Tanzlehrers und sah den verliebten Mimì vor sich, als der Autor mit Allgemeinplätzen die Atmosphäre zerstört. Es sei der „glücklichste Augenblick in einer Zeit, die Gott sei Dank seit langem und für immer vorbei ist”, für deren Schilderung er Handbücher über den Tanz zu Rate gezogen habe, bis er alles beiseite legte, denn „die Musik, die Stimme des Tänzers ist ganz deutlich geblieben, auch seine Figur, und das genügt”. Das ist es ja gerade: Es hätte genügt. Mitunter wirkt die Dramaturgie des Romans unorganisch, und nicht immer spannt Starnone die Handlungsfäden überzeugend zusammen: eine Erinnerung - wie Mimì für den Vater eine Packung Zigaretten aus dem Esszimmer holen soll - wird zum Auslöser einer ganzen Serie weiterer Erinnerungen, weshalb der gefürchtete Gang in das verlassene Zimmer erst nach sechzig Seiten wieder aufgenommen wird.
Domenico Starnone ist ursprünglich Lehrer und wurde in Italien mit kurzen Prosatexten über die Schule und die Tücken des Unterrichtens bekannt, bis er ins Drehbuchfach wechselte und mit „Via Gemito” vor fünf Jahren einen großen Erfolg landete. Es ist sein persönlichstes Buch und vielleicht erklärt sich daraus die Neigung, manches zu sehr aufzublähen und wie ein Kaninchen in der Falle starr den Vater zu fixieren. Aber vor allem in der zweiten Hälfte gewinnt der Roman an Schwung. Die formale Unausgewogenheit fällt vor allem im Vergleich mit der Tradition neapolitanischer Familiengenealogien ins Auge, wie sie von Raffaele La Capria, Michele Prisco, Anna Maria Ortese und Fabrizia Ramondino immer wieder variiert wurde. „Via Gemito” lohnt sich dennoch. Allein wegen der Analyse des Machotums.
MAIKE ALBATH
DOMENICO STARNONE: Via Gemito. Aus dem Italienischen von Gerhard Kofler. Haymon Verlag, Innsbruck 2005. 445 Seiten, 22,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Als schlichtweg "beeindruckend" charakterisiert Rezensent Franz Haas diesen Roman, der eine autobiografisch fundierte Kindheitserinnerung des Autors darstelle. Beeindruckt zeigt sich der Rezensent sowohl gegenüber dem Stoff des Romans - ein "bewunderter" und zugleich "verhasster Vater" vor dem Hintergrund eines "abschreckend schönen Porträts" der Stadt Neapel - als auch gegenüber Starnones erzählerischem Verfahren. Nach dem Tode des Vaters kehre der Sohn und Erzähler in die "Strassen seiner Kindheit" und insbesondere in Via Germito zurück. Aus dieser zeitlichen Perspektive und mit misstrauischem Blick auf die "Niedertracht des Gedächtnisses", erzählt der Rezensent, entfalte der Autor mit dem Erzähler einen "herzzerreissend negativen Künstlerroman". Der Vater sei nämlich ein verkannter Maler gewesen, zumindest einer, der nie seiner leidenschaftlich großspurigen und diktatorischen Natur entsprechend von seiner Umwelt wahrgenommen wurde, außer von den Leidtragenden in seiner Familie. Neben aller Tyrannei und Schlägen habe der Vater dem Sohn aber auch ein gewissermaßen künstlerisches Vermächtnis mitgegeben, denn beide würden die "Kehrseite der Stadt" erzählen. Nicht vom Golf und Vesuv und vielleicht der Oper, sondern von den stinkenden Gassen und dem Leben der allereinfachsten Menschen rings um die Via Germito.

© Perlentaucher Medien GmbH
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