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In der Dissertation kann man die Genese von all jenem entdecken, was Andric als Literaten formte und auszeichnete.Aus Anlass der 50 Wiederkehr des Literaturnobelpreises an Ivo Andric erscheint seine Disseration "Die Entwicklung des geistigen Lebens in Bosnien unter der Einwirkung der türkischen Herrschaft" erstmals als Einzelpublikation im Wieser Verlag. "In der Dissertation kann man die Genese von all jenem entdecken, was Andric als Literaten formte und auszeichnete", schreibt Zoran Konstantinovic im Jahre 1982. (Zitiert nach Branko Tosovic, Der Nobelpreisträger Ivo Andric in Graz.…mehr

Produktbeschreibung
In der Dissertation kann man die Genese von all jenem entdecken, was Andric als Literaten formte und auszeichnete.Aus Anlass der 50 Wiederkehr des Literaturnobelpreises an Ivo Andric erscheint seine Disseration "Die Entwicklung des geistigen Lebens in Bosnien unter der Einwirkung der türkischen Herrschaft" erstmals als Einzelpublikation im Wieser Verlag. "In der Dissertation kann man die Genese von all jenem entdecken, was Andric als Literaten formte und auszeichnete", schreibt Zoran Konstantinovic im Jahre 1982. (Zitiert nach Branko Tosovic, Der Nobelpreisträger Ivo Andric in Graz. Andric-Initiative Bd. 1, Graz 2008). In der Dissertation finden sich zahlreiche Themen, die "später als Quelle für seine Romane und Erzählungen herangezogen" wurden (Ivo Andric Gesellschaft, Beograd). Mit der Herausgabe dieses Bandes würdigt der Wieser Verlag den großen Erzähler und Nobelpreisträger (und legt nach dem Erzählband "Buffet Titanic",1995) sein theoretisches Grundlagenwerk vor, das in den jüngsten kriegerischen Auseinandersetzungen mystifiziert und diskreditiert wurde. Gerade weil ihr Inhalt "sogar vielen Fachleuten nicht ausreichend bekannt ist, rund um sie eine wahre Mystifizierung entbrannt, falsche Interpretationen gegeben und Schlussfolgerungen gezogen" werden, wie Branko Tosovic feststellt, finden wir die Einzelpublikation der Disseration für hilfreich, das Werk des großen Erzählers neu zu lesen und zu verstehen.
Autorenporträt
Ivo Andric, geb. 1892 in Travnik/Bosnien, gestorben 1975 in Belgrad gestorben, studierte Slawistik und Geschichte in Zagreb, Wien, Krakau und Graz, wo er auch promovierte. 1921 trat er in den diplomatischen Dienst ein. Er vertrat sein Land in Rom, Bukarest, Triest, Genua, Madrid und Berlin. 1939 war er jugoslawischer Botschafter in Berlin. Im Ersten Weltkrieg saß er wegen seiner politischen Tätigkeit in einem österreichischen Gefängnis, im Zweiten Weltkrieg haben ihn die Deutschen interniert. Seine berühmten Romane "Wesire und Konsuln" (I945) und "Die Brücke über die Drina" (I945) schrieb er während seiner Internierung im Zweiten Weltkrieg.
In Belgrad arbeitete er später zurückgezogen an seinen großen Romanen. 1961 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.07.2012

Leben unter dem muslimischen Joch

Es gibt zwar keine gute deutsche Biographie über den Literaturnobelpreisträger Ivo Andric, doch nun liegt seine Dissertation vor: voller Motive des späteren Werks.

Ivo Andric, der Literaturnobelpreisträger von 1961, gehört zu jenen Trägern dieser Auszeichnung, die immer noch gelesen werden. Sein Werk liegt nahezu vollständig auf Deutsch vor, viele Bücher sind weiterhin lieferbar, zum Teil in Neuauflagen. In allen Weltsprachen hat Andric seine Lesergemeinde. Kaum zu überschätzen ist sein andauernder Einfluss im früheren Jugoslawien und dort vor allem in Serbien, wo die Werke des in Bosnien geborenen und aufgewachsenen Kroaten seit Generationen Schullektüre sind. Ausgerechnet in Bosnien tun sich einige nationalistische Vorredner der muslimischen Mehrheitsbevölkerung allerdings schwer mit Andrics Werken, denen sie eine "antitürkische" Stoßrichtung unterstellen. Nun war Andric viel zu klug und begabt, um als Literat ein Nationalist zu sein. Doch fällt tatsächlich auf, dass das türkische Personal seiner Werke oft als rückständig und lasterhaft beschrieben wird. War der Wahl-Belgrader Andric also wirklich jener "Türkenhasser", als den ihn seine Gegner in Bosnien verunglimpfen?

Ein Schlüssel zu Werk und Weltsicht Andrics ist seine 1924 erschienene Dissertation mit dem Titel "Die Entwicklung des geistigen Lebens in Bosnien unter der Einwirkung der türkischen Herrschaft", die der Wieser-Verlag dankenswerterweise zugänglich gemacht hat. Übersetzt werden musste die Arbeit nicht, denn sie erschien im Original auf Deutsch. Als im Juni 1924 an der Karl-Franzens-Universität in Graz das Rigorosum stattfand (Andric bestand mit "ausgezeichnet"), war der Kandidat in Jugoslawien bereits ein arrivierter Dichter.

Dass Andric auch Diplomat in Diensten des Belgrader Außenministeriums war und gewisse politische Rücksichten nehmen musste, könnte eine einführende Fußnote erklären, in der er versichert, seine Abhandlung sei nicht etwa als Kritik an der islamischen Kultur als solcher zu verstehen, "sondern nur als Kritik jener Folgen, die ihre Übertragung auf ein christliches, slawisches Land zeitigte". Gleich in der Einleitung seiner Dissertation wird allerdings deutlich, was Andric von "den Türken" hielt: "Es ist gesagt worden, durch die Eroberung von Konstantinopel sei der europäischen Menschheit eine Wunde geschlagen. Es gibt wohl wenige Länder, die diesen Schlag härter und empfindlicher zu fühlen bekamen als Bosnien." Die Türkenherrschaft hat bei Andric zur "Verrohung der Sitten und zu einem Rückschritt in jeder Beziehung" geführt. Die Unterwerfung Bosniens durch die Osmanen im Jahr 1463 erscheint denn auch als "Invasion eines nach Glauben, Geist und Rasse fremden Eroberervolkes", das "den serbo-kroatischen Rassen- und Sprachenkomplex in zwei Teile geteilt" habe.

Über die Knabenlese, also die systematische Entführung von balkanischen Christenjungen nach Istanbul, schreibt Andric: "Diese Kinder, als Abkömmlinge von urwüchsigen, gesunden Bergbewohnern, haben kraft ihrer angeborenen Intelligenz und Tüchtigkeit viel leichter als die arbeitsscheuen und mit Lastern behafteten Türken Ehren und Ansehen erlangt." Dass Bosnien bei ihm dem Islam "anheimgefallen" ist und daher seine "natürliche Aufgabe" nicht mehr habe erfüllen können, "an der kulturellen Entwicklung des christlichen Europas" teilzunehmen, verwundert angesichts solcher Urteile nicht mehr. Andric sieht das Bosnien der Türkenzeit als "mächtiges Bollwerk gegen den christlichen Westen".

Das sind Worte und Urteile aus einer anderen Zeit. Sie stammen von dem Diplomaten, nicht dem Schriftsteller Andric. Bevor er sich 1941 ganz auf seine Dichterexistenz zurückzog und mitten im von den Deutschen besetzten Belgrad zwei große Romane und eine umfangreiche Erzählung verfasste, war Andric stellvertretender Außenminister Jugoslawiens gewesen und hatte unter anderem die Politik einer Zwangsumsiedlung von Muslimen aus Südserbien in die Türkei vertreten. Auf seinem letzten diplomatischen Posten repräsentierte Andric schließlich von 1939 bis zum deutschen Überfall auf Jugoslawien im April 1941 die jugoslawische Königsdiktatur in Hitlers Berlin, wo er als Gesandter unter anderem Umgang mit Arno Breker und Carl Schmitt pflegte. Wer das weiß, wird einige Sätze aus Andrics Dissertation, etwa jenen über die Korruption als "Rassenlaster" der Türken, mit noch größerem Unbehagen lesen, auch wenn sie 15 Jahre vorher entstanden.

Doch es gibt auch eine andere Seite von Andrics Doktorarbeit. Zwischen den Zeilen tritt bereits unverkennbar der Erzähler und Romancier hervor, dem in seinem Hauptwerk das Wagnis glückte, ein Bauwerk (die berühmte Brücke über die Drina in der Stadt Visegrad) zur Protagonistin eines vierhundertseitigen Romans zu machen. Andric war ein akribischer Rechercheur, dessen literarische Meisterschaft sich in der extremen Verdichtung seiner gewaltigen Materialberge zu großer Literatur zeigte. Er grub jahrhundertealte Fermane aus, stöberte in Klosterchroniken, Kirchenbüchern und diplomatischer Korrespondenz Motive und Figuren auf.

In Andrics Dissertation tauchen einzelne Figuren seiner erst knapp zwei Jahrzehnte später entstandenen Hauptwerke bereits auf. Manche Szenen der Bücher begegnen uns hier noch in der Vorform eines osmanischen Aktenvermerks. Nur mit Mühe gelingt es Andric, seine Sprache im Zaum der für eine Dissertation nötigen Wissenschaftlichkeit zu halten. Das Bild eines Reisenden von einem verarmten serbischen Geistlichen, der eine Beerdigungsfeier "mit nackten Füßen bis zu den Knien" leitete, entzückte Andric ebenso wie das Sprichwort bosnischer Christen, dem zufolge die Lüge des Armen Hab und Gut sei. Offensichtlich ist seine Freude an bosnischen Redensarten wie dieser: "Er ist dick und fett, als ob er in Bosnien die Steuern eingetrieben hätte."

Die Romane lassen von all der Mühe und dem Archivstaub der Vorstudien nichts mehr ahnen. Für das Verständnis des Werks von Ivo Andric ist seine Dissertation eine wichtige Ergänzung. Deshalb zumal, weil von diesem großen europäischen Schriftsteller bis heute keine brauchbare deutsche Biographie erschienen ist.

MICHAEL MARTENS

Ivo Andric: "Die Entwicklung des geistigen Lebens in Bosnien unter der Einwirkung der türkischen Herrschaft".

Wieser Verlag, Klagenfurt 2011. 200 S., geb., 21,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit großer Dankbarkeit hat Michael Martens zur jetzt zugänglich gemachten Dissertation des Literaturpreisträgers Ivo Andric von 1961 gegriffen. Die darin zum Ausdruck kommenden Ressentiments und der von politischen Rücksichten geprägte Türkenhass sind ihm zwar unbehaglich, dafür hat er aber eine Schatzkiste voller Motive und Figuren für Andrics späteres Werk gefunden, wie er erfreut kundtut. Der Autor war, bis er sich 1941 ganz aufs Schreiben verlegte, Diplomat und stellvertretender Außenminister von Bosnien, und seine 1924 erschienene Doktorarbeit steht deshalb ganz im Schatten der Politik, erfahren wir vom Rezensenten. Martens liest hier mit wachsender Irritation "Worte und Urteile aus einer anderen Zeit". Dafür entdeckt er in der Dissertation aber einen "Schlüssel" für das spätere Werk des Schriftstellers, dem man nicht nur die Freude an der Sprache anmerkt, sondern der sich für seine Romane durchaus an Motiven und Figuren seiner akribischen Recherchen und Quellenarbeit bediente. Gerade angesichts der Tatsache, dass es noch keine deutschsprachige Lebensbeschreibung über Andric gibt, findet der Rezensenten diese Doktorarbeit so wertvoll.

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