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Nach der Revolution auf dem Granit von 1990 und der Or-angenen Revolution von 2004 hat von November 2013 bis Februar 2014 ein weiterer ukrainischer Volksaufstand, der Euromaidan, das Janukowitsch-Regime weggespült. Die vielschichtigen Probleme der Ukraine sind damit allerdings nicht gelöst. Der revolutionären Euphorie folgte bereits in den ersten Wochen nach der Regierungsneubildung tiefe Ernüchterung. Die russische Annexion der Schwarzmeerhalbinsel Krim im März 2014 hat der dritten postsowjetischen ukrainischen Revolution eine gänzlich neue Dimension verliehen und wird eine erfolgreichen…mehr

Produktbeschreibung
Nach der Revolution auf dem Granit von 1990 und der Or-angenen Revolution von 2004 hat von November 2013 bis Februar 2014 ein weiterer ukrainischer Volksaufstand, der Euromaidan, das Janukowitsch-Regime weggespült. Die vielschichtigen Probleme der Ukraine sind damit allerdings nicht gelöst. Der revolutionären Euphorie folgte bereits in den ersten Wochen nach der Regierungsneubildung tiefe Ernüchterung. Die russische Annexion der Schwarzmeerhalbinsel Krim im März 2014 hat der dritten postsowjetischen ukrainischen Revolution eine gänzlich neue Dimension verliehen und wird eine erfolgreichen Transition des Landes noch komplizierter machen. Der Weg in Richtung Demokratie und Marktwirtschaft dürfte für die Ukraine lang und hart werden.In dem vorliegenden Band analysieren renommierte Politikwissenschaftler und Publizisten Ariel Cohen, Ivan Benovic, Paul Flückiger, Gerhard Gnauck, Rudolf Hermann, Wojciech Kononczuk, Taras Kuzio, Ludmila Lutz-Auras, Jakob Mischke, Mykola Rjabtschuk sowieLilia Shevtsova die ukrainische Revolution 3.0. Dabei liegt der Fokus unter anderem auf der Entstehung des Euromaidans und dem Verlauf der Revolution, auf geopolitischen und geostrategischen Überlegungen sowie den mittel- und langfristigen politischen, gesellschaftli-chen und ökonomischen Perspektiven der Ukraine.
Autorenporträt
Simon Geissbühler (geboren 1973) ist Historiker, promovierter Politologe und Experte für Osteuropa. Zu seinen Publikationen gehören u.a. "Blutiger Juli. Rumäniens Vernichtungskrieg und der vergessene Massenmord an den Juden 1941" (Paderborn, 2013) und "Babuschka Anna. Das Leben einer ukrainischen Bäuerin im 20. Jahrhundert" (Wien, 2007).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Der frühere Moskaukorrespondent Jörg Mettke bespricht zweier neue Bücher zur Ukraine in jenem schnarrend-verächtlichen Tonfall, den man selbst beim Spiegel nicht mehr oft zu lesen bekommt. Ein Text für Liebhaber also! Dem Sammelband des Schweizer Diplomaten rechnet Mettke vor allem positiv an, dass sich in ihm "nur wenig Putin-Fixiertheit" findet. Vor allem den Text der Moskauer Soziologin hebt er hervor, die ein Gleichgewicht der Schwäche zwischen der EU und Russland aufmacht: Paralyse hier, Autoritarismus da und die Ukraine dazwischen. Das gefällt dem Rezensenten, der Putin zwar für einen Reaktionär hält, aber den Umsturz in der Ukraine rechtswidrig nennt und Russland vom Westen hintergangen sieht.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.08.2014

Putin, Putin
aller Wege
Zwei Bücher über den Konflikt in der Ukraine
suchen vorurteilslos darzustellen, worum es geht
VON JÖRG R. METTKE
Acht Monate seit der gescheiterten EU-Assoziierung der Ukraine und ersten Eruptionen des Kiewer Euro-Maidan haben ausgereicht, erneut eine Ahnung davon zu bescheren, wie hauchdünn die Zivilisationskruste in manchen Regionen Europa ist und wie gewalttätig soziale Atavismen darunter sind. Wie vor 15 Jahren, als der Kosovo-Krieg der Nato den postkommunistischen Balkan unversehens in eine Mord- und Totschlag-Landschaft mit hoffnungslos verhedderten Irredenta-Linien verwandelte, wachsen wieder Bestürzung und Biertisch-Betroffenheit – selten gepaart mit Wissen.
  Einfachstem Informationsbedarf abzuhelfen, aus erster Hand und abseits literarischer Kunst, war wohl das Hauptanliegen des Kiewer Schriftstellers Andrej Kurkow. Für den Zeitraum 21. November 2013 bis 24. April 2014 legt der nahe Leningrad geborene Autor sein „Ukrainisches Tagebuch“ vor. Es endet am 155. Tag, einen Tag nach seinem 53. Geburtstag und einen Monat vor der Wahl eines neuen Präsidenten. Separatisten haben gerade Slawjanogorsk nahe Slawjansk besetzt und auf Polizeihubschrauber geschossen, aber noch ist es „relativ ruhig“ im Land. Auf Kurkows Gabentisch harren fünf Flaschen Whisky und ein Cognac besserer Zeiten; „alle“, notiert er – sei es im Original, sei es in der Übersetzung – etwas missverständlich, „sind des Wartens auf den Krieg müde“.
  Wie der Krieg dann doch kam, wo niemand auf ihn warten mochte, erfährt man aus Kurkows Aufzeichnungen nicht mehr. Dafür wird eindrucksvoll gezeigt, wie unmerklich sich Nicht-Frieden in Gewohnheiten und Wahrnehmungen aufgeklärter Bürger schleicht, wie ihr Urteilsvermögen schwindet. Vernunft erodiert, Angst wird manifest und „Paranoia allgegenwärtig“. Halbwahrheiten und Hörensagen, getwitterte Fakten und Facebook-Fiktion schlagen sich nieder neben amtlichen Verlautbarungen und den Kommentaren westlicher Sender. Manches hält bloß einige Stunden, anderes findet dauerhafte Bestätigung. Mittelalter scheint zurückzukehren: Der Bericht eines Kosaken, zwei Protestierenden seien „die Köpfe abgeschnitten worden“, reichen dem Autor für die Feststellung, „derart grauenvolle Dinge hat es bei uns im Land früher nicht gegeben“.
  Einen Kontrapunkt dazu liefert später die russische Nachrichtensendung „Wremja“ mit dem Gräuelmärchen, in Slawjansk hätten ukrainische Soldaten einen dreijährigen Jungen vor den Augen seiner Mutter gekreuzigt – nachweislich eine Hetzgeschichte aus dem Repertoire des nationalchauvinistischen Ideologen Alexander Dugin, der gegenwärtig wieder aufgeregt-schaurig als moderner Rasputin des russischen Hofes durch deutsche Medien gereicht wird.
  Ein Verdienst Kurkows ist es, neben der teilnehmend-beobachtenden Konflikt-Chronik mit täglichen Fieberdaten und Momentaufnahmen auch einen Appendix alphabetisch geordneter Sachinformation und Kurzbiografien zu bieten, von Bandera bis Timoschenko, von Berkut bis zur UGKZ, der griechisch-katholischen Kirche der Ukraine. Wie die Dinge sich entwickeln, sind Zeitungsleser gut beraten, dieses Tagebuch zur Hand haben.
  Eine Übereinstimmung mit der jeweiligen Morgenlektüre ist dabei auffällig: Putin, Putin aller Wege. Für weniges, was zwischen Bug und Don und darüber hinaus geschieht, wird ihm nicht die Verantwortung zugeschrieben: Kurkow hadert mit dem russischen Präsidenten von Seite 20, wo Putin auf den „Zusammenbruch der Ukraine wartet“, bis zu Seite 173, auf der „Herr Putin“ zusammen mit seinem „russischen Volk“ an der „Wiederherstellung der Sowjetunion“ arbeitet. Sehr viele Presse-Schlagzeilen verraten ein ähnlich holzschnittartiges Weltbild: „Putins Lügen“ etwa oder „Putin braucht klare Zeichen“ oder „Putins verklärte Sicht der Welt“ oder, ganz einfach, „Putin ist alles zuzutrauen“. Oder, außer Rand und Band: „Stoppt Putin jetzt!“
  Da verfügt ein Journalist im klirrenden Ton einer OKW-Sondermeldung, Romantik und historischer Ballast gehörten nun abgeschüttelt; so was verstelle „uns Deutschen“ nur den rechten „Blick aufs Putin-Reich“. Und eine Kollegin erfand gleich eine neue Slawistik mit der kühnen Behauptung, der russischen Sprache ermangele es des Verbums „haben“. Darauf gründet sie – kein Haben, kein Sein! – die krude These von einer der russischen „Armuts- und Kollektivkultur“ gleichsam immanenten „Dauerkorruption“.
  Weil publizistische Mythen zu Russland und den Konfliktherden, die uns zunehmend von ihm trennen, so immens ins Kraut schießen, ist ein anderer publizistischer Schnellschuss in Sachen Ukraine umso wichtiger: „Kiew – Revolution 3.0“, herausgegeben von dem Schweizer Diplomaten Simon Geissbühler. In diesem Buch findet sich nur wenig Putin-Fixiertheit und emotionale Übertreibung, obwohl die zwölf Autoren - sämtliche ausgewiesene Ukraine-Fachleute –, die zu diesem Band Aufsätze beigetragen haben, ausnahmslos für westliche Deutungsvarianten des Konflikts stehen.
  Als besonders anregend, wie häufig bei solchen Diskursen, erweist sich auch hier der Beitrag der Einheimischen: Völlig leidenschaftslos präpariert die erfahrene russische Sozialwissenschaftlerin Lilia Shevtsova das massive EU-Versagen in der Ukraine heraus. Auf eine knappe Formel gebracht, begreift Shevtsova die andauernde Hängepartie als doppelten „Test, ob Russland bereit ist, sein imperiales Modell aufzugeben“ und „ob die EU ihre gegenwärtige Paralyse überwinden kann“. Die Spezialistin für russische Innenpolitik des Moskauer Carnegie-Centers sieht die liberale Demokratie weltweit in der Krise, während Moskau und Peking das dadurch entstandene Vakuum mit „neuem Autoritarismus“ zu füllen versuchten. Auch dafür fungiere die Ukraine als Testgelände. 
  Nur: Wo konkret EU-Politik ansetzen kann, um „Russland zu konfrontieren“, wie Shevtsova fordert, bleibt vage: Weder nennt sie Felder, auf denen Europa dazu imstande wäre, noch Methoden, mit denen konfrontative Politik erfolgreich umzusetzen wäre. Allein die Bereitschaft der EU, „für ihre Prinzipien und Werte einzustehen“, wird da jedenfalls wenig ausrichten.
  Vernünftig klingt die Empfehlung, in Zukunft der „Östlichen Partnerschaft“ eine flexibel konditionierte Strategie beizugesellen, die auf Erfüllung klarer Forderungen nach Rechtsstaatlichkeit oder Zivilgesellschaft zielt und dieses am Ende damit honoriert, einen Beitritt zur EU in Aussicht zu stellen.
  Doch jenes Russland, das sich durch den rechtswidrigen Regimewechsel in der Ukraine von seinen westlichen Partnern hintergangen und seine elementaren Interessen bedroht sieht, wäre auch dann immer noch dasselbe – und bliebe Kiews Nachbar. Über das Recht auf Phantomschmerz ist mit Amputierten nicht zu diskutieren. Und auch die Frage, ob der Reaktionär Wladimir Putin nicht immer noch besser damit umzugehen weiß als der revanchistische Mob in seinem Rücken, bleibt weiterhin unbeantwortet.
Andrej Kurkow: Ukrainisches Tagebuch. Aufzeichnungen aus dem Herzen des Protests. Aus dem Russischen von Steffen Beilich. Haymon Verlag, Innsbruck/Wien 2014. 280 Seiten, 17,90 Euro.
Simon Geissbühler (Hrsg.): Kiew – Revolution 3.0. Der Euromaidan 2013/14 und die Zukunftsperspektiven der Ukraine. Ibidem-Verlag, Stuttgart 2014. 160 Seiten, 24,90 Euro
Der Journalist Jörg R. Mettke arbeitet seit 1987 als Russlandkorrespondent; er lebt teils in Moskau, teils in Berlin.
Kurkow zeigt, wie sich
– durch Gewohnheit – das Denken
der Bürger militarisiert
Mit dem Regimewechsel in Kiew
ging einher, dass Russland sich
vom Westen hintergangen fühlt
Wladimir Putin hat die Mehrheit der Russen auf seiner Seite. Westliche Medien halten ihn für einen üblen Autokraten. Entsprechend krass fallen die Überschriften von Artikeln aus, die Putins Politik behandeln.
Zeichnung: Bernd Zeller
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