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Immer dann, wenn über Stadt und Raum gesprochen wird, spielt der Begriff »Dichte« eine zentrale Rolle.Nikolai Roskamm untersucht, wie »Dichte« in verschiedenen Disziplinen konstruiert und verwendet wird. Sein Grundlagentext macht Verbindungen zwischen historischer und zeitgenössischer Stadtsoziologie, Massenpsychologie und Crowdingforschung, klassischen Konzepten der Geographie und deterministischer Geopolitik, nationalökonomischer Bevölkerungslehre und nationalsozialistischer Bevölkerungspolitik sowie zwischen den unterschiedlichen Positionen in Raumplanung und Städtebau deutlich. Es entsteht…mehr

Produktbeschreibung
Immer dann, wenn über Stadt und Raum gesprochen wird, spielt der Begriff »Dichte« eine zentrale Rolle.Nikolai Roskamm untersucht, wie »Dichte« in verschiedenen Disziplinen konstruiert und verwendet wird. Sein Grundlagentext macht Verbindungen zwischen historischer und zeitgenössischer Stadtsoziologie, Massenpsychologie und Crowdingforschung, klassischen Konzepten der Geographie und deterministischer Geopolitik, nationalökonomischer Bevölkerungslehre und nationalsozialistischer Bevölkerungspolitik sowie zwischen den unterschiedlichen Positionen in Raumplanung und Städtebau deutlich. Es entsteht ein kritischer und aufschlussreicher Text über eine bedeutsame Kategorie in den Diskursen zu Stadt und Raum.
Autorenporträt
Roskamm, NikolaiNikolai Roskamm (Dr. phil. habil.), geb. 1967, ist Professor für Planungstheorie, Stadtbaugeschichte und Städtebau an der FH Erfurt. Seine Forschungsschwerpunkte sind Raum- und Stadttheorien, Stadtplanung und urbane Aneignungsprozesse.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.10.2011

Der Raum muss organisiert werden
Von der Geopolitik zur Stadtplanung: Nikolai Roskamm folgt den Wandlungen des Konzepts der Dichte

Der physikalische Begriff der Dichte bezeichnet das Verhältnis von Masse und Volumen eines Körpers. Auf Gesellschaften übertragen meint Dichte das Verhältnis von Individuen und Siedlungsfläche. Aber der Anschein der klaren Quantifizierbarkeit trügt. Denn die Kriterien, mit denen Sozialwissenschaften, Raumplanung und Städtebau die richtige oder falsche Populationsdichte messen und bewerten, klaffen himmelweit auseinander. Viele Menschen auf wenig Raum gelten je nach Zeitgeist entweder als Garant für Vielfalt, Lebendigkeit und Erlebnisfülle oder aber als Signum von Armut, Krankheit und Umsturz. Der Berliner Planungstheoretiker Nikolai Roskamm zeigt in seinem Buch die Wandlungen, die der Dichte-Begriff im zwanzigsten Jahrhundert erlebt hat, bevor er jüngst zum Leitkonzept der neueren Urbanistik aufstieg. Nach den mittlerweile selbstreferentiell gewordenen Diskursen der Raumtheorie deutet sich damit eine gewisse Wiederentdeckung des Realen an.

Der Autor beschreibt die Tradition der Dichte-Befürworter in der Soziologie von Durkheim, Simmel bis Wirth, in der die Kulturfortschritte von Arbeitsteilung, Rationalität, Solidarität, Sittlichkeit und Toleranz vom Grad der Zusammenballung von Menschen hergeleitet werden. Dem steht das Schreckbild des zwanzigsten Jahrhunderts gegenüber, die rohe Masse, die von Analytikern wie Le Bon, Freud und Canetti als archaisches, gewissenloses und zur Enthemmung tendierendes Wesen beschrieben wird, dessen eruptive Zerstörungssucht beständiger polizeilicher, planerischer und politischer Domestizierung bedarf.

Mit dem quantifizierenden Zugriff der völkischen Geopolitiker beginnt die völlige Instrumentalisierung verschiedener Dichte-Konzeptionen. Gegen übermäßige Dichte ("Volk ohne Raum") erschließt die territoriale Expansion nach Osten den "Raum ohne Volk", um optimale Siedlungsverhältnisse zu schaffen. Die damit verbundene Agrarromantik und Stadtfeindschaft der Nationalsozialisten stellt der Autor ansatzweise in den größeren Zusammenhang von gartenstädtischer Frühmoderne und den Stadtlandschaften des Wiederaufbaus nach 1945. Gleichwohl lässt er die Legende des Modernitätsbruchs in den Jahren 1933 bis 1945 unbeschädigt. Hier ist die angelsächsische Forschung über den "reaktionären Modernismus" der nationalsozialistischen Ideologie und deren Anschlussfähigkeit an moderne Planungskonzepte längst weiter.

Nach dem Zweiten Weltkrieg rettet sich die desavouierte Raumplanung durch den Maßstabswechsel von der geographischen Länder- und Bevölkerungskunde zur Ebene der Stadtplanung. Dem Autor ist nur zuzustimmen, wenn er die abstrakten Dichteberechnungen der Städtebauer als "normative Begründungskonstruktionen" kritisiert, die abwechselnd verstreute Punkthochhäuser oder flächige Siedlungszellen, aber nur selten stadtähnliche Gebilde ergeben. Diese Volatilität rührt auch daher, dass die Berechnungsgrundlagen der Planer und Entwerfer stets diffus bleiben und sich keine zwei Städte oder Siedlungen vergleichen lassen. Hier hätte man sich vom Autor mehr nachholende Präzisierung gewünscht.

Die Planungsbegeisterung der Nachkriegszeit bringt städtebauliche Instrumente für Zonenpläne und Bauordnungen hervor. Sie fixieren klare Obergrenzen für Gebäude- und Bewohnerdichten und zementieren das antiurbane Jahrhundertbündnis von Hygiene und Verkehr. Als Gegenbewegung zum völligen Abstraktwerden städtischer Raumbezüge in den sechziger Jahren führt der Autor Stadttheoretiker wie Salin, Jacobs und Bahrdt an und beschreibt, wie auch die Bauvorschriften für niedrige Dichten in die Kritik geraten.

Das Buch schließt mit aktuellen Reurbanisierungskonzepten, die neuerdings höhere bauliche Verdichtungen favorisieren, aber wegen des Wohnflächenwachstums kaum zu höheren Einwohnerzahlen führen; daher ist ersatzweise von kompakten, gemischten und fußläufigen Quartieren die Rede. Nach der ressourcen- und flächenaufwendigen Raumorganisation des zwanzigsten Jahrhunderts entsteht heute allenthalben ein neuer ökologischer Imperativ, der postfossilen Städten eine ähnliche Verdichtung abverlangt wie präfossilen.

An derlei Einsichten geht der Autor mit seiner ziellosen Gelehrsamkeit allerdings vorbei und spricht nur von einer neuen Volte in der wechselvollen Geschichte der "positiven und negativen Moralisierungen des Dichtegebrauchs". Wem derlei Urteilsabstinenz zu vornehm ist, der kann das Thema bei zupackenderen Dichte-Theoretikern von Hoffmann-Axthelm bis Sloterdijk weiterverfolgen.

MICHAEL MÖNNINGER

Nikolai Roskamm: "Dichte". Eine transdisziplinäre Dekonstruktion. Diskurse zu Stadt und Raum.

transcript Verlag, Bielefeld 2011. 377 S., br., 34,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Michael Mönninger erblickt in diesem Buch das Potenzial zur "Wiederentdeckung des Realen", nachdem die jüngeren Debatten zur Raumtheorie mehr und mehr an Selbstreferentialität gelitten hätten. Der Berliner Planungstheoretiker Nikolai Roskamm rekonstruiert hier die Wandlungen des Dichte-Begriffs, informiert der Rezensent. Denn die Zusammenballung von Menschen auf engem Raum sei von Soziologen, Historikern, Philosophen und Psychoanalytikern sowohl als zivilisatorische Errungenschaft wie auch als Schreckgespenst aufgefasst worden. Weiterhin werde die Geopolitik des Dritten Reiches thematisiert und der nach 1945 erfolgte "Maßstabswechsel" der Raumplaner von der Landkarte zum Stadtplan. Im Detail hat der Rezensent allerdings einiges auszusetzen. So würde Roskamm immer noch der mittlerweile widerlegten Auffassung anhängen, dass mit der Naziherrschaft ein "Modernitätsbruch" einhergegangen sei. An anderer Stelle wiederum hätte sich der Kritiker mehr Genauigkeit und auch, bezüglich gegenwärtiger Trends, mehr Mut zum Urteil gewünscht.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Nikolai Roskamm gelingt es, die unterschiedlichen Diskurse zur Dichte neu zusammenzuführen und über Disziplingrenzen hinweg Verbindungen aufzuzeigen.« Tobias Meier, www.urbanophil.net, 06.09.2011 »[Eine] detaillierte, kenntnisreiche und vielschichtige Reise durch die Geschichte des Dichtebegriffs.« Markus Bogensberger, dérive, 47 (2012) »Nikolai Roskamm zeigt die Wandlungen, die der Dichte-Begriff im zwanzigsten Jahrhundert erlebt hat, bevor er jüngst zum Leitkonzept der neueren Urbanistik aufstieg.« Michael Mönninger, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.10.2011 Besprochen in: domus, 1 (2012) www.textplusraum.net, 01.12.2011, Marie Huber