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Fritz Rück stand als junger Spartakist an der Spitze der württembergischen Novemberrevolution, die in Stuttgart schon eine Woche früher als in Berlin begann. Vom Musikpavillon auf dem Schlossplatz forderte er die Beendigung des Krieges und die Abschaffung der Monarchie. Er wurde Vorsitzender des ersten Arbeiterrates, ein Ministeramt in der neuen SPD-Regierung lehnte er ab. Lange Zeit lebte er im Berliner Wedding, wo er mit seiner ersten Frau Dora eine kleine Buchhandlung betrieb. Dem Terror der Nazis entzog er sich durch Flucht, sein Leben war in Gefahr. In 17 harten Exiljahren in der Schweiz…mehr

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Produktbeschreibung
Fritz Rück stand als junger Spartakist an der Spitze der württembergischen Novemberrevolution, die in Stuttgart schon eine Woche früher als in Berlin begann. Vom Musikpavillon auf dem Schlossplatz forderte er die Beendigung des Krieges und die Abschaffung der Monarchie. Er wurde Vorsitzender des ersten Arbeiterrates, ein Ministeramt in der neuen SPD-Regierung lehnte er ab.
Lange Zeit lebte er im Berliner Wedding, wo er mit seiner ersten Frau Dora eine kleine Buchhandlung betrieb. Dem Terror der Nazis entzog er sich durch Flucht, sein Leben war in Gefahr. In 17 harten Exiljahren in der Schweiz und in Schweden konnte er sich eine neue Existenz aufbauen.
Mit seiner schwedischen Frau und vier Kindern kehrte er 1950 in das zerstörte Stuttgart zurück. Er erhielt eine Stelle als Redakteur der Gewerkschaftszeitung "Druck und Papier", 1955 wurde er zum Bundesvorsitzenden des Touristenvereins "Die Naturfreunde" gewählt. Wie alle zurückgekehrten Emigranten stieß er in der antikommunistisch geprägten Adenauerzeit auf Ablehnung und Skepsis. Doch er bekämpfte offen die Wiederaufrüstung der BRD und warnte vor den Höllenkräften der Atomindustrie. Die Gewerkschafts- und Arbeiterjugend faszinierte und prägte er durch seine integre Persönlichkeit und durch seine nonkonformistische Haltung. In seinen beiden so unterschiedlichen Lebenshälften brachte der Querdenker stets frischen Wind in die Arbeiterbewegung. Die Autorin zeichnet dieses aufregende Leben mit neuen Quellen und zahlreichen Interviews in lebendiger Weise nach.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.05.2015

Ganz ohne Arbeiterregierung
Fritz Rück begann als Spartakist und endete als Vorsitzender der Naturfreunde

Wer kennt heute noch Fritz Rück? Wahrscheinlich nur noch Fachleute der kommunistischen Arbeiterbewegung, Veteranen der Gewerkschaft "Druck und Papier" und der Naturfreunde, zu deren Bundesvorsitzenden Rück 1955 gewählt wurde. In den großen Darstellungen über die Geschichte des "langen" 20. Jahrhunderts findet man seinen Namen jedenfalls nicht.

Seine erste prägende politische Sozialisation erfuhr der 1895 in Stuttgart geborene Sohn eines Schreiners durch sein sozialdemokratisches Elternhaus, in dessen Wohnzimmer ein Porträt von Karl Marx hing, und im Arbeitermilieu Stuttgarts, das während des Kaiserreichs zu den Hochburgen des linken Flügels der SPD zählte. Aus tiefer Erbitterung und Zorn über die Zustimmung der SPD-Fraktion im Reichstag zu den Kriegskrediten entwickelte sich der 1913 in die SPD eingetretene bildungshungrige Rück, für den der Sozialismus zu einem "Lebensevangelium" geworden war, während des Kriegs zu einem radikalen, geradezu fanatischen Spartakisten.

Wie viele andere Stuttgarter Arbeiterjugendliche sah er in Karl Liebknecht eine "Ikone des Widerstands" gegen die SPD-Führung. Von der Notwendigkeit einer politischen und gesellschaftlichen Umwälzung nach dem Vorbild der russischen Oktoberrevolution überzeugt, rief er als Vorsitzender des Stuttgarter Arbeiter- und Soldatenrates bereits am 4. November 1918 in der württembergischen Hauptstadt zu einem Generalstreik auf, ohne sich vorher mit den Politikern der Mehrheitssozialdemokratie und dem örtlichen Gewerkschaftskartell zu verständigen. Als die unblutig verlaufende Staatsumwälzung in Berlin wie in Württemberg am 9. November erfolgte, saß der junge Revolutionär, gegen den der Generalstaatsanwalt ein Strafverfahren wegen Hochverrats einleiten wollte, in Haft. Aus dem Arbeiter- und Soldatenrat zog sich Rück, der sich als "auserlesenes Instrument der geschichtlichen Entwicklung" verstand, schon am 10. November wieder zurück: Sein Aufruf, die neue württembergische Regierung aus Mehrheitssozialdemokraten, Unabhängigen Sozialdemokraten - diese hatten sich 1917 von der SPD abgespalten - und Bürgerlichen zu stürzen, hatte dort keinen Rückhalt gefunden. Rücks radikale Agitation ging selbst Rosa Luxemburg zu weit, die dessen Mitarbeit in der "Roten Fahne" ein einstweiliges Ende setzte, nachdem er die USPD-Führung hämisch attackiert hatte.

Obwohl er sich der Parteilinie schon bald anpasste, blieb ihm eine führende Rolle in der KPD verwehrt. Der junge Revolutionär, der schon 1917 seinen Beruf als Schriftsetzer an den Nagel gehängt und sein Brot durch den Journalismus verdient hatte, schrieb für die kommunistische Presse Artikel, Gedichte und Rezensionen und agierte als wandernder Redner und Referent. Er trat als doktrinärer Kommunist auf, der trotz anfänglichen Unmuts über die Unterordnung der deutschen Kommunisten unter die Kommunistische Internationale in Moskau deren Oktrois kritiklos folgte und gemäß dem kommunistischen Geschichtsdeterminismus die kommende Weltrevolution verkündete. Dass er bei einer Reise nach Moskau und in die Ukraine im Sommer 1921 Zeuge der dort ausgebrochenen Hungerkatastrophe wurde, minderte seine Faszination für die russische Revolution nicht. Als Feuilletonredakteur der "Roten Fahne" pries Rück, der selbst revolutionäre Agitationslyrik verfasste, eine Arbeiterdichtung im Stile Kurt Kläbers und reduzierte die Rolle der Kunst auf ihre Funktion als Instrument im Klassenkampf.

Ungeklärt bleibt, warum Rück Ende 1929 die KPD verließ - und ob er dies freiwillig oder eher unfreiwillig tat. Ende 1930/Anfang 1931 trat er der SPD bei, die er zuvor stets des "schändlichen Verrats" geziehen und mit Häme übergossen hatte, kehrte ihr jedoch kurze Zeit später schon wieder den Rücken, um wieder seine altbekannten radikalen Positionen zu propagieren. 1932 versuchte er vergeblich die SAP, eine linkssozialistische Splittergruppe, auf kommunistischen Kurs zu bringen und zum Beitritt in die Kommunistische Internationale zu bewegen. Nach seinem Ausschluss aus der SAP wandelte er sich wieder zum stalintreuen Kommunisten und begehrte eine erneute Aufnahme in die KPD, die ihm jedoch verweigert wurde.

Im Jahr 1933 - nach Hitlers Machtantritt - floh er in die Schweiz, wo er seinen "Lebensunterhalt mit dem Verfassen von harmlosen Zeitungsartikeln verdienen musste". Im Exil in Schweden, das in den Jahren 1937 bis 1949 zu seiner zweiten politischen Heimat wurde, distanzierte er sich vom stalinistischen Terror und bekannte sich zu einer Politik der Reformen, wie sie von den schwedischen Sozialdemokraten praktiziert wurde. Seinen Eintritt in die SPD nach Kriegsende verband er mit der Vision einer "Arbeiterregierung", die wie in Schweden die Interessen der Gewerkschaften durchsetzen sollte. Deren Verwirklichung ließen freilich die Machtverhältnisse in der Bundesrepublik nicht zu, weshalb er auch schon bald das freie Schweden der "vermuckerten" Bundesrepublik entgegenstellte. Als Redakteur der Gewerkschaftszeitung "Druck und Papier" verfocht er weiterhin einen unorthodoxen Marxismus, trat für die Überwindung des Kapitalismus ein und riet von einer Beschränkung der Gewerkschaften auf Tarifpolitik ab. Als Vorsitzender der Naturfreunde gehörte er zu den frühen Warnern vor Umweltverschmutzung, den Gefahren der Atomenergie und "gemanschter" Lebensmittel.

Elisabeth Benz bemüht sich in der von ihr verfassten Biographie Rücks, einen vergessenen Funktionär der Arbeiterbewegung dem Vergessen zu entreißen. Leider bleibt der Versuch, seine Hoffnungen und Enttäuschungen, Dogmen und Verirrungen, politischen Kehrtwenden und Lernprozesse darzulegen und zu erklären (und damit auch einen neuen Fokus auf die Geschichte der Arbeiterbewegung zu werfen), oft in Ansätzen stecken. Die Autorin begnügt sich zumeist damit, die zahlreichen Lebensstationen nachzuzeichnen. Dabei stützt sie sich vor allem auf Artikel und Schriften Rücks aus den Jahren 1917 bis 1959, hinter denen dessen Persönlichkeit verschwindet.

Die Autorin räumt selbst ein, dass sie Rücks Biographie in den Jahren 1919 bis 1933 mangels aussagekräftiger Quellen "nur in Bruchstücken rekonstruieren" konnte. Gerade für diese Zeit drängt sich aber die Frage auf, ob Rücks politisches Handeln eher von Dogmatismus oder mehr von Opportunismus geprägt war. Die wenigen autobiographischen Zeugnisse, die er hinterlassen hat, sind bewusst stilisierte und politisch funktionalisierte Rückblenden auf frühere Lebensabschnitte. Auch seine Agitationslyrik vermittelt keine persönlichen Erlebnisse, Erfahrungen und Reflexionen. Die Autorin sieht in Rück eine "farbige, faszinierende Persönlichkeit". Die Bewunderung für den "Helden" verstellt ihr den Blick auf Brüche, Widersprüche und Ungereimtheiten in Rücks Leben, die nach einer Erklärung verlangen.

PETRA WEBER.

Elisabeth Benz: Ein halbes Leben für die Revolution. Fritz Rück (1895-1959). Eine politische Biographie. Klartext Verlag, Essen 2014. 440 S., 29,95 [Euro].

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