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Die Wahrnehmung des Ersten Weltkriegs wird bis heute geprägt durch die Bilder millionenfacher Kriegsverstümmelung. Wie kein Krieg zuvor hinterließ der "Große Krieg" ein Heer von Verwundeten, Amputierten und Blinden - körperlich wie geistig zerstörter Existenzen: Soldaten ohne Arme oder Beine oder mit grauenhaften Gesichtsverletzungen. Insbesondere für die Verlierernation Deutschland erwies sich das Millionenheer der "Kriegskrüppel" als eine Erbschaft des Krieges mit großer politischer Sprengkraft. Wie keine andere politische Strömung der Zwischenkriegszeit stilisierte sich die NSDAP zur…mehr

Produktbeschreibung
Die Wahrnehmung des Ersten Weltkriegs wird bis heute geprägt durch die Bilder millionenfacher Kriegsverstümmelung. Wie kein Krieg zuvor hinterließ der "Große Krieg" ein Heer von Verwundeten, Amputierten und Blinden - körperlich wie geistig zerstörter Existenzen: Soldaten ohne Arme oder Beine oder mit grauenhaften Gesichtsverletzungen. Insbesondere für die Verlierernation Deutschland erwies sich das Millionenheer der "Kriegskrüppel" als eine Erbschaft des Krieges mit großer politischer Sprengkraft. Wie keine andere politische Strömung der Zwischenkriegszeit stilisierte sich die NSDAP zur Bewegung ehemaliger Frontsoldaten und erhob damit alleinigen Anspruch auf das in der Weimarer Republik von allem politischen Lagern erbittert umkämpfte "Erbe" der Front.
Nach 1933 wurden die Kriegsversehrten als "Ehrenbürger der Nation" geehrt. Nils Löffelbein untersucht die NS-Kriegsopferpolitik im Hinblick auf die von der Propagandaregie generierten Bilder, Symbole, Rituale und politischen Diskurse und macht so nachvollziehbar, welchen Stellenwert die Nationalsozialisten den "Opfern" des Weltkrieges innerhalb ihrer Gesellschafts- und Geschichtsauffassung zuweisen wollten. Seine Analyse der politischen Methoden und organisatorischen Rahmenbedienungen der nationalsozialistischen Kriegsopferpolitik gibt zugleich darüber Aufschluss, wie und mit welchem "Erfolg" die Veteranen selbst an den Nationalsozialismus gebunden werden sollten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.03.2014

Heldentod braucht kein Brot
Kriegsbeschädigte in der nationalsozialistischen Politik und Propaganda

Hitler ließ sich immer wieder als "Frontsoldat" darstellen, und stolz trug er neben seinem Eisernen Kreuz auch das Verwundetenabzeichen. Vor allem in den Wahlkämpfen der frühen 1930er Jahre machte sich die NSDAP das Anliegen einer angemessenen Behandlung der Kriegsbeschädigten zu eigen. Die Weimarer Republik machte es den Nazis aber auch leicht. Zwar hatte sie die Kriegsopferversorgung materiell durchaus angemessen ausgestattet, aber anstelle einer eigenen Verwaltung waren nunmehr die allgemeinen Versorgungsämter zuständig geworden (das war auch eine Folge des Versailler Vertrages). Damit fühlten sich die Kriegsblinden und -versehrten im wörtlichen Sinne in eine Reihe gestellt mit anderen Empfängern staatlicher Wohlfahrtsleistungen.

Die NSDAP stand gleichwohl vor einer Reihe grundsätzlicher Probleme bei der Vereinnahmung der Kriegsopfer: Zum einen war es ihr erklärtes Ziel, die Zahl staatlicher Leistungsempfänger ("Bummelanten") drastisch zu reduzieren, zum anderen war ihr Idealbild das des arbeits- und kampffähigen gesunden männlichen Körpers. Gerade dem entsprachen die Schwerstversehrten natürlich nicht. Auch konnte eine zu deutliche Betonung der schlimmen Folgen eines Krieges für den Einzelnen die von den Nationalsozialisten gewünschte Kriegsbereitschaft gefährden. So stellte die NS-Propaganda immer wieder jene Verwundeten heraus, die augenscheinlich nur leicht verwundet waren und einer baldigen Genesung entgegensehen konnten: weiße Kopfbinde und improvisierte Gehhilfe gehörten zum Grundrepertoire entsprechender Gemälde oder konstruierter Fotografien, nicht jedoch das zerschmetterte Gesicht oder die dauerhaft amputierten Gliedmaßen.

Das galt sogar noch für den großangelegten und aufwändig gedrehten Propagandafilm "Stoßtrupp 1917", mit dem die nach der Machtübertragung durch Gleichschaltung der übrigen Verbände entstandene "NS-Kriegsopferversorgung" auf sich aufmerksam machte. Unter seinem "Reichskriegsopferführer" Hanns Oberlindober versuchte der Verband, sich bald zur Vertretung aller Teilnehmer am Ersten Weltkrieg aufzuschwingen, unterlag aber im polykratischen System des Dritten Reiches schnell dem "NS-Reichskriegerbund" unter "Reichskriegerführer" Wilhelm Reinhard. Hitler legte fest, Oberlindober habe sich auf die Betreuung der Versehrten zu beschränken; eine herbe Niederlage für den eifrigen "Alten Kämpfer", der danach mehr oder weniger in der Bedeutungslosigkeit verschwand, obwohl sein Verband mit rund 1,5 Millionen Mitgliedern eine der größten Organisationen unter dem Dach der Partei war.

Dem entsprach das, was die nationalsozialistische Politik nach 1933 den Kriegsopfern real zu bieten hatte. Ihr wesentliches Ziel war, die Zahl der "unnützen Esser" zu verringern, das hieß konkret, so viele Versorgungsempfänger wie möglich in irgendeiner Form in Lohn und Brot zu bringen. Die Gründung eines verbandseigenen Unternehmens zur Schaffung von Arbeitsplätzen scheiterte zwar sehr schnell, aber trotzdem waren schon 1934 erstaunlich viele frühere Empfänger von Kriegsopferrenten wieder berufstätig. Das allerdings geschah nicht immer zur Zufriedenheit der Beteiligten: Viele, gerade Schwerstbeschädigte, waren auf dem regulären Arbeitsmarkt nicht zu vermitteln, sahen sich aber gleichwohl erheblichem Druck ausgesetzt, irgendeine Arbeit aufzunehmen. Hatte in der Weimarer Zeit noch der überwiegende Anschein ausgereicht, dass eine gesundheitliche Schädigung kriegsbedingt war, so war dafür jetzt der zweifelsfreie Nachweis zu erbringen - fast 20 Jahre nach Kriegsbeginn häufig kaum noch möglich. Die angeblichen "Ehrenbürger der Nation" sahen sich von einer Behörde zur anderen geschickt, schikaniert und am Ende häufig ohne ausreichende wirtschaftliche Existenzgrundlage.

Da half es auch wenig, dass das NS-Regime ihnen in vielfältiger Form symbolische Anerkennung zuteil werden ließ. Plätze in der ersten Reihe bei Kundgebungen und in der Oper, Fotos mit einem händeschüttelnden "Führer", Vorzugsbehandlung bei Behörden und in der Straßenbahn - das alles kostete das Regime wenig und erlaubte es den Betroffenen, sich endlich angemessen gewürdigt zu fühlen.

Zwei Kapitel sind besonders finster: Das eine behandelt den Umgang mit jüdischen Kriegsversehrten, das andere den mit psychisch beschädigten Kriegsopfern. Wer im Sinne des NS-Systems Jude war, konnte anfangs sogar das eigens geschaffene Kriegsopferabzeichen bekommen, aber das schützte mittelfristig nicht vor Verfolgung. Hatte Hitler zu Lebzeiten des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg noch Rücksicht genommen, so fiel diese vollends nach 1935. Letztlich gerieten die jüdischen Kriegsversehrten allenfalls zeitlich verzögert in die Vernichtungsmaschinerie.

Psychische Traumata konnte sich das NS-Regime nicht als Kriegsfolgen erklären, ließ der Krieg doch erklärtermaßen nur die Stärksten und Besten überleben. Vielmehr musste es sich dabei um den kriegsbedingten Ausbruch erblich bedingter Anlagen zu Depressionen, Schizophrenie oder Ähnlichem handeln. Also wurden alsbald auch Angehörige des NSKOV sterilisiert oder gleich der Euthanasie-Aktion zugeführt. Erst die berühmte Predigt des Münsteraner Bischofs Graf von Galen - die Löffelbein allerdings zumeist als "Rede" bezeichnet - thematisierte offen, dass auch Kriegsversehrte des Ersten Weltkrieges ermordet wurden. Galen fragte ebenso offen danach, was dann wohl mit den Versehrten des laufenden Krieges geschehen werde. Den Fortgang des Mordens hielt auch das nur beschränkt auf. Löffelbein ist eine umfassende, quellengesättigte und zugleich sehr lesbare, kluge Studie gelungen. Der Klartext Verlag eröffnet damit eine Reihe mit dem allerdings leicht verwechslungsgefährdeten Titel "Zeit der Weltkriege". Wenn er weiter solche ausgezeichneten Manuskripte publizieren will, täte der Essener Verleger aber gut daran, etwas mehr in ein ordentliches Lektorat zu investieren und auch nicht wieder einmal am Personenregister zu sparen.

WINFRIED HEINEMANN

Nils Löffelbein: Ehrenbürger der Nation. Die Kriegsbeschädigten des Ersten Weltkriegs in Politik und Propaganda des Nationalsozialismus. Klartext Verlag, Essen 2014. 494 S., 36,95 [Euro].

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