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Geboren im Kaiserreich und gestorben in der Bunderepublik: Bernhard Heinrich Lankenau hat die Dramatik des 20. Jahrhunderts miterlebt. Diese Dramatik, sein Polizeiberuf und die Weltkriege führten den Lehrersohn aus protestantischen und einfachen Oldenburger Verhältnissen bis an die Schaltstellen des Dritten Reiches. Hitler stand er in München gegenüber, Himmler traf er in Münster, wo er die Ordnungspolizei für den Weltanschauungskrieg organisierte. In den besetzten Niederlanden unterstanden ihm die Polizeibataillone, die Deportationen und Razzien durchführten, direkt. Aber er war kein…mehr

Produktbeschreibung
Geboren im Kaiserreich und gestorben in der Bunderepublik: Bernhard Heinrich Lankenau hat die Dramatik des 20. Jahrhunderts miterlebt. Diese Dramatik, sein Polizeiberuf und die Weltkriege führten den Lehrersohn aus protestantischen und einfachen Oldenburger Verhältnissen bis an die Schaltstellen des Dritten Reiches. Hitler stand er in München gegenüber, Himmler traf er in Münster, wo er die Ordnungspolizei für den Weltanschauungskrieg organisierte. In den besetzten Niederlanden unterstanden ihm die Polizeibataillone, die Deportationen und Razzien durchführten, direkt.
Aber er war kein "Direkttäter", ihm ist keine unmittelbare Beteiligung an Gewalttaten nachzuweisen. Lankenaus Platz war vor allem der Schreibtisch: Hier entwarf er neue Strukturen für die Polizei und beschäftigte sich mit der Geschichte seines Berufsstandes. Als promovierter Historiker trug er so nach 1945 zur Legendenbildung der "sauberen Polizei" bei. Er produzierte eine Tradition, die allerdings einen Teil derhistorischen Wahrheit verdrängte.
Christoph Spieker zeichnet Lankenaus Leben mit Prägungen und Verantwortungen nach, sucht die Wirkung des Polizeigenerals und Traditionsarbeiters zu beschreiben und liefert damit einen Beitrag zur Nachgeschichte der Polizei im Nationalsozialismus.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Christian Hartmann sieht einen großen Verdienst in der Studie von Christoph Spieker, der sich der Biografie des ehemaligen Polizisten und späteren SS-Gruppenführers Heinrich Lankenau widmet. Die Karriere Lankenaus und seine schwer zu durchleuchtende Verstrickung in die Gräueltaten der Nazis in Münster, später in Den Haag kann der Autor dem Rezensenten minutiös anhand von Dokumenten und Fotos rekonstruieren. Ein besseres Lektorat hätte der Rezensent dem Buch gewünscht und mehr analytische Schärfe bei der Hinterfragung individueller Motive dieses klassischen Schreibtischtäters, der nach dem Krieg wieder zum braven Bürger mutierte, wie Hartmann schreibt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.06.2016

Brauner Vollstrecker, braver Bürger
Minutiöse Rekonstruktion: Polizeioffizier Heinrich Lankenau vor und nach 1945

Der Typus des Täters steht schon länger im Zentrum der NS-Forschung. Dahinter steht nicht nur ein schlichtes biographisches Interesse, sondern immer auch die quälende Frage nach Ursachen und Verlauf des unvorstellbaren Zivilisationsbruchs der Jahre 1933 bis 1945: Wie konnte nur aus dem "Volk der Dichter und Denker" das der "Richter und Henker" werden? Heinrich Lankenau war ein solcher Täter. Dabei stand er doch ursprünglich auf der Seite der anderen, auf der Seite der Polizei.

Zu der war der 1891 geborene Lankenau im Oktober 1919 gekommen. Damals wollte der ehemalige Kriegsfreiwillige, der es zum Leutnant gebracht hatte, sein Theologie-Studium nicht mehr fortsetzen. Nach einer Zeit in den Freikorps wurde er stattdessen Polizeioffizier im Freistaat Oldenburg. Fleißig, effizient und erfolgreich organisierte er dort die innere Sicherheit. Dass sein Engagement für die Republik indes Grenzen hatte, zeigte sich 1931/32, als die NSDAP zur stärksten Partei in Oldenburg wurde. Schon damals half Lankenau als Major der Schutzpolizei mit, diese für die SA zu öffnen. Seiner Karriere nach 1933 sollte das nicht schaden. Bereits im Februar dieses Schicksalsjahrs wurde Lankenau "Staatskommissar für die Landessicherheit" in Oldenburg; vier Jahre später kam er auf eine weitere Schlüsselposition, er wurde Kommandeur der Schutzpolizei in München, der "Hauptstadt der Bewegung". Auch sonst demonstrierte dieser klassische Vertreter des nationalkonservativ geprägten Beamten, dass er bereit war, sich den neuen Verhältnissen anzupassen: 1938 wurde er Angehöriger der SS, wo er es schließlich bis zum SS-Gruppenführer bringen sollte; 1942 verließ er die evangelische Kirche (in die er 1947 reumütig zurückkehrte).

Welche Probleme solche Zugeständnisse mit sich bringen konnten, zeigte sich für Lankenau bereits in der Nacht vom 9. auf den 10. Oktober 1938: Obwohl er vom Entscheidungsprozess für die Pogromnacht ausgeschlossen blieb, unterstützte er diesen, bis dahin beispiellosen Rechtsbruch durch "flankierende Maßnahmen" und suggerierte gleichzeitig nach außen, "alles sei unter Kontrolle der Polizei".

Doch sollte es noch schlimmer kommen. Als Befehlshaber der Ordnungspolizei in Münster (1939 bis 1941) und in Den Haag (1942/43) wurde Lankenau während des Zweiten Weltkriegs zu einem jener "Schreibtischtäter", die zwar nach außen kaum sichtbar, aber gleichwohl effizient und engagiert dafür sorgten, dass die Maschinerie der deutschen Terror- und Vernichtungspolitik gut funktionierte. Während seiner Dienstzeit in den Niederlanden wurden dort 50 000 Juden verschleppt und der Terror gegen den holländischen Widerstand weiter forciert. "Wer eine Schusswaffe besitzt, ist Bandit und dementsprechend sofort zu behandeln", heißt es in einem Befehl Lankenaus vom August 1943.

Dass er dafür nach 1945 nicht wirklich zur Rechenschaft gezogen wurde, lag nicht nur daran, dass seine Befugnisse und seine Schuld im institutionellen Gestrüpp der deutschen Besatzungsverwaltung von außen nur schwer zu erkennen waren. Rückwirkend als Glücksfall sollte sich für Lankenau auch der Umstand erweisen, dass er sich im Oktober 1943 mit seinem Vorgesetzten, dem Höheren SS- und Polizeiführer Hanns Albin Rauter, zerstritten hatte. Grund dafür waren nicht etwa fachliche, politische oder gar moralische Skrupel, sondern rein persönliche Spannungen. Lankenaus Ablösung aus den Niederlanden wurde damals auch mit seinem erhöhten Nikotin- und Alkoholkonsum begründet - ein aufschlussreicher Hinweis darauf, wie sich dieser einstige Theologiestudent für seinen "Dienst" zu betäuben suchte.

Die Bedeutung, die Lankenau für die deutsche Besatzungsherrschaft in den Niederlanden gehabt hatte, wurde indes weder in seiner britischen noch in seiner niederländischen Haft erkannt. Auch deutsche Ermittlungen verliefen im Sande; stattdessen wurde der Wunsch des ehemaligen Generalleutnants der Polizei nach einem vollen Pensionsanspruch 1952 "wunschgemäß geregelt". Danach blieb ihm bis zu seinem Tode im Jahr 1983 noch viel Zeit. Lankenau, der in den 20er Jahren als Historiker promoviert worden war, nützte sie, um seine Sicht der Dinge zu Papier zu bringen: Aufgaben der Ordnungspolizei in den Niederlanden sei die "Truppenausbildung" gewesen, ferner der Luftschutz, "Objektschutzaufgaben" sowie "die Einsatzbereitschaft für Fälle von Unruhen (die aber während meiner Zeit nicht eingetreten sind)".

Die minutiöse Rekonstruktion dieser Biographie ist das große Verdienst dieser Studie, die zudem viele interessante Dokumente und Fotos enthält. Allerdings hätte ihr ein strenges Lektorat gutgetan. Inakzeptabel, noch dazu in der Schlussbetrachtung, sind etwa Sätze wie: "Es bedurfte nur des kurzen Impulses ,der Jude ist an allem schuld', um den stets latenten Antisemitismus vom Standby-Modus in die mentale Realität zu holen." Und auch analytisch bleiben Wünsche offen, beispielsweise bei der Beantwortung der zentralen Frage, ob einer wie Lankenau eigentlich mehr war als nur ein "williger Vollstrecker". Oder anders: Wie weit war Lankenaus Tun das Resultat individueller Motive? Überblickt man dieses Leben, so kommt man nicht umhin, hier fast ausschließlich einen Befehlsempfänger am Werk zu sehen. Dass Lankenau seinen polizeilichen Auftrag mehr und mehr pervertierte, war in erster Linie eine Folge von Opportunismus, Ehrgeiz und ganz bestimmter politisch-ideologischer Rahmenbedingungen, denen er sich bedingungslos unterordnete. In dem Moment aber, wo sich die NS-Diktatur auflöste, mutierte auch dieser Mitorganisator von Holocaust und Besatzungsterror wieder zu dem, was er vor der NS-Herrschaft gewesen war - zu einem braven, unauffälligen Bürger, dessen Selbstbild eigentlich in einem denkbar scharfen Kontrast zu dem eines Verbrechers stand.

CHRISTIAN HARTMANN

Christoph Spieker: Traditionsarbeit. Eine biografische Studie über Prägung, Verantwortung und Wirkung des Polizeioffiziers Bernhard Heinrich Lankenau 1891-1983. Klartext Verlag, Schriften Band 12 der Villa ten Hompel, Essen 2015. 533 S., 39,95 [Euro].

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