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Die Politik des ersten Kanzlers der Bundesrepublik Deutschland, Konrad Adenauer, sei ohne Alternativen gewesen, wird heute vielfach angenommen. Weil die USA es so wollten, habe es zwangsläufig zur Westintegration des deutschen Teilstaats und zur Wiederbewaffnung kommen müssen. Übersehen wird dabei, dass die politische Situation über lange Zeit durchaus offen war. Das erste Jahrzehnt nach 1945 war stimmungsmäßig durch eine radikale Kriegsgegnerschaft geprägt: "Nie wieder Krieg!" und "Nie wieder Militär!" lauteten die gängigen Parolen. Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland von 1949…mehr

Produktbeschreibung
Die Politik des ersten Kanzlers der Bundesrepublik Deutschland, Konrad Adenauer, sei ohne Alternativen gewesen, wird heute vielfach angenommen. Weil die USA es so wollten, habe es zwangsläufig zur Westintegration des deutschen Teilstaats und zur Wiederbewaffnung kommen müssen. Übersehen wird dabei, dass die politische Situation über lange Zeit durchaus offen war. Das erste Jahrzehnt nach 1945 war stimmungsmäßig durch eine radikale Kriegsgegnerschaft geprägt: "Nie wieder Krieg!" und "Nie wieder Militär!" lauteten die gängigen Parolen. Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland von 1949 wurden friedenspolitische Normen durchgesetzt, die es in dieser Form in der deutschen Verfassungsgeschichte noch nie gegeben hatte: Friedensgebot, Recht auf Kriegsdienstverweigerung, Verbot des Angriffskrieges. Die Feindkonstellation des Kalten Krieges begann auch das politische Klima im geteilten Deutschland zu beeinflussen. Seit 1950 war die Bundesregierung bestrebt, die Wiederbewaffnung gegen den erkennbaren Mehrheitswillen der Bevölkerung durchzusetzen, was ihr schließlich auch gelang. Die Kritiker dieses Weges wollten kein geteiltes und kein "remilitarisiertes" Deutschland im Spannungsfeld des Ost-West-Konflikts, sondern ein Gesamtdeutschland, das eine ausgleichende Brückenfunktion übernehmen sollte. Einige der Persönlichkeiten die sich für eine derartige Politik einsetzten werden in diesem Band vorgestellt.
Autorenporträt
Detlef Bald, geboren 1941 in Plettenberg/Westfalen, hat in Freiburg im Breisgau Geschichte und Politikwissenschaft studiert. Er wurde 1969 bei Dieter Oberndörfer mit einer Studie über Deutsch-Ostafrika promoviert und war bis 1996 Leiter des Projektbereichs Militär und Gesellschaft am Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr. Seither ist er freier Publizist. Bald ist Experte für militärische Zeitgeschichte, die Geschichte der Bundeswehr und historische Friedensforschung.Wolfram Wette, geboren 1940 in Ludwigshafen, hat Geschichte, Politikwissenschaft und Philosophie studiert. 1971 Promotion in München, 1991 Habilitation in Freiburg im Breisgau. 1971-1995 arbeitete er am Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Freiburg im Breisgau. Seit 1998 ist er apl. Professor für Neueste Geschichte an der Universität Freiburg. Wettes Forschungsschwerpunkte sind die Militärgeschichte und die Historische Friedensforschung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.11.2008

Viel Saft, wenig Kraft
Auf der Suche nach Alternativen zu einem westdeutschen Verteidigungsbeitrag

Detlef Bald und Wolfram Wette wollen in ihrem Sammelband politische Alternativen zu der von der Regierung Adenauer betriebenen Politik der Westintegration und der Wiederbewaffnung vorstellen. Wette sucht zunächst einmal nach dem Schurken, der gegen den Willen der Mehrheit der Bundesdeutschen die Wiederbewaffnung durchsetzte. Diesen findet er in Adenauer, dem er vorhält, von einem Denken "in den Kategorien der traditionellen staatlichen Machtpolitik" und einer "Wahnvorstellung über ein aggressives kommunistisches Russland" gefangen gewesen zu sein. Im "Spätjahr 1949" habe der CDU-Kanzler "praktisch im Alleingang" die Wiederbewaffnung "beschlossen", was zum Rücktritt Gustav Heinemanns als Innenminister geführt habe.

Offensichtlich ist sich Wette nicht im Klaren darüber, dass Adenauer den Westmächten zwar Vorschläge für einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag unterbreiten konnte, aber niemals in der Lage war, im Alleingang über die Remilitarisierung zu entscheiden. Im Übrigen trat der wohl renommierteste Gegner der westdeutschen Wiederbewaffnung, Heinemann, nicht 1949, sondern erst im Oktober 1950 von seinem Amt zurück. Ein Trauma über ein aggressives Russland kann Wette dem Bundeskanzler nur deshalb unterstellen, weil er selbst die Grundhaltung Moskaus für "defensiv" hält. Zu dieser Einschätzung gelangt er, weil er die expansive Politik der Sowjetunion in Osteuropa, den kommunistischen Staatsstreich in der Tschechoslowakei ebenso wie die Berlin-Krise 1948 und den Überfall Nordkoreas auf Südkorea im Juni 1950 ausblendet.

Bald leuchtet die politischen Handlungsspielräume der Deutschen aus. Er überschätzt gewaltig deren Autonomie, wenn er betont, dass diese nach Bekanntgabe der Stalin-Note vom 10. März 1952 "den Saum des Mantels der Geschichte hätten erfassen können, um ihre Geschicke in die Hand zu nehmen". Zugleich ignoriert er, dass neue Akten aus russischen Archiven zutage gefördert haben, dass der Kreml mit der Notenoffensive nicht nur ein "Störmanöver" gegen den Beitritt der Bundesrepublik in die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) initiierte und den Westen für den Sündenfall der deutschen Teilung verantwortlich machen wollte, sondern auch - als erster propagandistischer Auftakt zum politischen Umsturz - den Massenwiderstand gegen die Regierung Adenauer zu mobilisieren versuchte.

Alexander Gallus, der nach den Durchsetzungschancen der neutralistischen Bestrebungen im ersten Nachkriegsjahrzehnt fragt, kommt hingegen zu einem realistischen, sehr ernüchternden Urteil. Aufgrund der festgefahrenen bipolaren Weltordnung seien die Alternativkonzepte der "Neutralisten" zur Wirkungslosigkeit und zum Scheitern verurteilt gewesen. Obwohl Männer von politischer Statur wie Jakob Kaiser, Gustav Heinemann, Karl Georg Pfleiderer und Thomas Dehler in den etablierten bürgerlichen Parteien zu den Opponenten des Adenauerschen Wiederbewaffnungskurses zählten, angesehene Journalisten wie Rudolf Augstein und Paul Sethe an das gesamtdeutsche Gewissen appellierten und Schriftsteller wie Hans Werner Richter und Alfred Andersch, die ebenso wie Jakob Kaiser Deutschland als "Brücke" zwischen Ost und West konzipierten, zu den prominentesten Köpfen der "Gruppe 47" gehörten, gelang es nicht, eine breite Widerstandsbewegung gegen die Politik Adenauers zu aktivieren. Gallus führt das Scheitern der Neutralisten auch darauf zurück, dass sie es nicht vermochten, informelle Netzwerke zu bilden und einen Minimalkonsens zu entwickeln, der über die Feststellung hinausging, dass die deutsche Einheit nur auf dem Weg der Blockfreiheit zu erreichen sei.

Eine breite Massenbewegung gegen die Remilitarisierung hätten wahrscheinlich nur die Gewerkschaften ins Leben rufen können, die aber - wie Knud Andresen in seinem Beitrag zeigt - über die Notwendigkeit eines deutschen Verteidigungsbeitrages uneins waren. Während die Gewerkschaftsführung einen Wehrbeitrag befürwortete, waren die Gewerkschaftsbasis und vor allem die Gewerkschaftsjugend strikt gegen die Aufstellung deutscher Streitkräfte. Um die Distanz zur Basis nicht zu vergrößern, ließ sich die Gewerkschaftsführung auf einen Kompromiss ein und forderte seit 1952 im Einklang mit der SPD Neuwahlen. Die DGB-Spitze nahm zwar 1955 an der Paulskirchenbewegung teil, die gegen die Integration der Bundesrepublik in die Nato protestierte, aber auch dies war nur eine Kontribution an die Mitglieder. DGB-Chef Freitag versprach Adenauer zur gleichen Zeit ausdrücklich einen "Stillhaltekurs".

Mit Wilhelm Elfes stellt Reinhold Lütgemeier-Davin einen Politiker vor, der sich nicht nur durch seine vehemente Gegnerschaft gegen die Wiederbewaffnung innerhalb der CDU isolierte und 1951 ausgeschlossen wurde, sondern sich auch ungewollt vor den Karren der SED spannen ließ, die die Friedens- und Protestbewegung zu unterminieren versuchte. Unerfindlich bleibt, was die Beiträge über Horst Symanowski und über Fritz Hartnagel in einem Sammelband über Friedenskonzeptionen in Westdeutschland von 1945 bis 1955 zu suchen haben. Symanowski war ein Industriepfarrer, der nach dem Vorbild der französischen Arbeiterpriester in die Betriebe ging und dort Kontakt zu den Arbeitern knüpfte. Der Freund von Sophie Scholl, Hartnagel, beriet als Amtsgerichtsrat Wehrdienstgegner und protestierte 1983 in Mutlangen gegen die Stationierung der Pershing-Raketen. Erstaunt nimmt man auch zur Kenntnis, dass Annette Kolbs Initiativen zur deutsch-französischen Verständigung ein Beitrag gewidmet wird. Verehrte die Schriftstellerin doch Adenauer und Charles de Gaulle als Wegbereiter der deutsch-französischen Entente cordiale. Originell ist lediglich ihr Statement, dass das Verschwinden des Krieges die "Abdikation des Mannes" verlange.

Der recht willkürlich zusammengestellte Sammelband führt das Gegenteil dessen vor Augen, was die Herausgeber die Leser lehren wollten: Die vorgestellten Friedenskonzeptionen waren keine realistische Alternative zu einem westdeutschen Verteidigungsbeitrag, den die Westmächte wünschten, weil sie keinen Machtzuwachs der Sowjetunion in Mitteleuropa wollten: Westeuropa war ohne deutsche Streitkräfte nicht zu verteidigen, und ein neutralisiertes Gesamtdeutschland weckte insbesondere in Frankreich das Rapallo-Trauma. Es ist das große Manko dieser Aufsatzsammlung, dass diese internationalen Rahmenbedingungen völlig ausgeblendet werden.

PETRA WEBER

Detlef Bald/Wolfram Wette (Herausgeber): Alternativen zur Wiederbewaffnung. Friedenskonzeptionen in Westdeutschland 1945-1955. Klartext Verlag, Essen 2008. 220 S., 22,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Skeptisch betrachtet Petra Weber diesen von Detlef Bald und Wolfram Wette herausgegebenen Sammelband über Alternativen zur Wiederbewaffnung der BRD. Die Zusammenstellung des Bands hält sie für "recht willkürlich", die Beiträge über Horst Symanowski und über Fritz Hartnagel scheinen ihr in einem Buch über Friedenskonzeptionen in Westdeutschland fehl am Platz. Kritisch äußert sie sich auch über die Beiträge von Wette und Bald, denen sie vorhält, die Autonomie und den politischen Handlungsspielraum der deutschen Politik in dieser Zeit zu überschätzen. Dagegen lobt sie Alexander Gallus' Beitrag über die Chancen für eine Durchsetzung von neutralistischen Bestrebungen wegen seiner realistischen Einschätzung. Entgegen seiner eigentlichen Intention zeigt der Band ihres Erachtens auf, dass die vorgestellten Friedenskonzeptionen "keine realistische Alternative zu einem westdeutschen Verteidigungsbeitrag" waren.

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