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Befreit vom Muff des Kaiserreiches und preußischem Kadavergehorsam erlebte das geistige und kulturelle Leben in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg eine nie gekannte Blüte. Tucholsky verlegt die "Weltbühne", Bertolt Brecht revolutioniert das Theater, Siegfried Kracauer geht mit den kleinen Ladenmädchen ins Kino, Walter Benjamin übersetzt Proust, und in Berlin, Dreh- und Angelpunkt dieser Ära, diskutiert man über Freud, über Zwölftonmusik, die aktuellen Kokspreise, über Max Beckmann oder Otto Dix und tanzt den Putz von den Wänden.Ein neues Lebensgefühl, die Lust am Experimentieren, der Geist…mehr

Produktbeschreibung
Befreit vom Muff des Kaiserreiches und preußischem Kadavergehorsam erlebte das geistige und kulturelle Leben in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg eine nie gekannte Blüte. Tucholsky verlegt die "Weltbühne", Bertolt Brecht revolutioniert das Theater, Siegfried Kracauer geht mit den kleinen Ladenmädchen ins Kino, Walter Benjamin übersetzt Proust, und in Berlin, Dreh- und Angelpunkt dieser Ära, diskutiert man über Freud, über Zwölftonmusik, die aktuellen Kokspreise, über Max Beckmann oder Otto Dix und tanzt den Putz von den Wänden.Ein neues Lebensgefühl, die Lust am Experimentieren, der Geist der Moderne hat Einzug gehalten, und das schlägt sich auch auf den Buchcovern dieser Epoche nieder, sei es auf John Heartfields legendären Buchumschlägen für den Malik-Verlag und anderen oder in Georg Salters weltberühmtem Coverdesign für Döblins "Berlin Alexanderplatz".Der Sammler, Antiquar und Verleger Jürgen Holstein hat diese Titel zusammengetragen und in "Blickfang", einem vom Feuilleton als kulturhistorische Pioniertat gefeierten und leider rasch vergriffenen Privatdruck, erstmals vorgestellt - diese zweite Chance nun sollte man sich nicht entgehen lassen."Buchumschläge der Weimarer Republik" zeigt 1.000 der eindrucksvollsten Beispiele des Coverdesigns aus den Jahren der Weimarer Republik.Fachkundige Essays beleuchten die kulturellen Hintergründe dieser einzigartigen Ära der Innovation und des künstlerischen Wagemutes, in der ein besseres Deutschland möglich schien und die mit Wirtschaftskrise und dem Aufkommen des Nationalsozialismus ihr klägliches Ende fand.Ob Kinderbuch, Weltliteratur, politische Streitschrift oder minimalistisch gestaltete Künstlermonographie - Book Covers zeigt eine Explosion der Kreativität, eine entfesselte Phantasie, die jeden, der sich für Literatur, Typographie, Illustration, Kunstgeschichte oder einfach nur schöne Bücher interessiert, in den Bann schlagen wird. Ein Fest für Auge wie Geist, Bilderbuch, Lesebuch und Nachschlagewerkzugleich, und ein Denkmal für ein herausragendes Kapitel deutscher Designgeschichte.
Autorenporträt
Jürgen Holstein wurde 1936 in Berlin geboren. Nach einer Lehre in einem Buchantiquariat eröffnete er 1966 seinen eigenen Buchladen, der auf Kunstgeschichte und Literatur des 20. Jahrhunderts spezialisiert war. Holstein verfasste auch selbst Bücher, darunter eines über die Coverdesigns von George Salter sowie den Bestseller Blickfang, der Beispiele für herausragendes Buchdesign im Berlin der Weimarer Republik präsentiert. Seit der Wiedervereinigung hat sich Holstein vorrangig damit befasst, visuelle kulturelle Artefakte der ehemaligen DDR zu bewahren. Sein riesiges Archiv, das heute im Getty Center in Los Angeles beheimatet ist, umfasst Kunstwerke, Objekte, Bücher, Kataloge und Poster aus jener Zeit.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2015

Berlin, Verlagshauptstadt der Moderne

Ein Fest für Sammler und Bibliophile: Jürgen Holstein lässt aus Einbänden die Geschichte der Buchkunst der Weimarer Republik hervortreten.

Von Alexander Kosenina

Was für ein Buch! Was für eine Sammlung! Was für ein beispielloser Schatz! Die Sammlung Jürgen und Waltraud Holstein vereinigt etwa tausend Bücher mit kunstvollen Umschlägen und Einbänden, die zwischen 1919 und 1933 in Berlin erschienen sind. In dem großformatigen, opulenten, zweisprachigen Katalog finden sie sich jetzt alle abgebildet und beschrieben, bereichert um instruktive Aufsätze und Register. Damit dürfte dieser Prachtband zu den schönsten, bibliophilsten und noch dazu nützlichsten Druckerzeugnissen der diesjährigen Messe zählen. Denn der Antiquar und besessene Sammler Jürgen Holstein erschließt hier akribisch die Literatur der Weimarer Republik mit der in Deutschland bislang noch wenig ausgeprägten Konzentration auf die Buchgestaltung. Neben prominenten Verlegern wie Samuel Fischer, Wieland Herzfelde (Malik), Gustav Kiepenheuer, Erich Reiss, Ernst Rowohlt oder Louis F. Ullstein (Propyläen) werden insgesamt 250 Büchermacher mit ihren oft winzigen Programmen vorgestellt, die selbst ausgefuchsten Antiquariatstrüfflern noch Unbekanntes bieten dürften. Prunkstücke wie Döblins "Berlin Alexanderplatz", mit Georg Salters inhaltsgerechter Collage aus handgeschriebenen Textpassagen und kleinen bunten Ikons, stehen so neben absoluten Raritäten wie Paul Althaus' "Jack der Aufschlitzer" von 1924 aus dem kleinen, nur drei Jahre lang existierenden Schöneberger Gottschalk Verlag. Hans Bellmer lässt auf dem Cover den Titel blutrot über fotomontierte weibliche Leichenteile zucken. Solch abgründige Literatur, die Holstein reichlich versammelt, hat nicht nur das "Schmutz- und Schundgesetz" von 1926 aus Bibliotheken verbannt.

Gegen die Lust der Expressionisten, das Bürgertum aus der Unterweltperspektive zu provozieren, schritt die Zensur immer wieder ein. Nicht nur Curt Corrinths "Bordell, ein infernalischer Roman", mit wunderbarem Einband von César Klein, wurde sofort zur Einstampfung verurteilt. Schutzumschläge erzählen gelegentlich auch von dem karikaturistischen Einfallsreichtum gegen solche biedere juristische Kleinmütigkeit. Als den Behörden auf John Heartfields Fotomontage zu Heinrich Wandts "Erotik und Spionage in der Etappe Gent" ein Rock zu hoch und die Strumpfbänder zu tief gerutscht erschienen, überschrieb der Künstler in einer zweiten Fassung die gerügte Stelle mit dem Hinweis: "Hier hat die Zensur eingegriffen." In der nächsten Version schneidet ein Staatsanwalt ein Tüchlein der Verschwiegenheit zurecht und kommentiert: "Da muß man ja dazwischen fahren." Im vorgelegten Exemplar ist das delikate Dreieck sogar tatsächlich herausgeschnitten, so dass rotes Leinenunterzeug zwischen den Beinen hervorblinkt.

Holsteins Sammlung ist nicht nur eine buchwissenschaftliche Bibliographie, sondern auch ein wichtiger Beitrag zur Kunstgeschichte, die Literaturillustrationen und Einbände leider ziemlich stiefmütterlich behandelt. Die Gleichzeitigkeit der Stile, Techniken und Ausdrucksformen ist überwältigend und hält viele Anregungen für heutige Gestalter bereit. Sie reicht von der neusachlichen Nüchternheit schlicht eingefasster Titelschildchen auf einfarbigem Grund bis zu expressionistischer Leuchtkraft, von konstruktivistischer Designkunst bis zu dadaistischem Ulk, von der plakativen Drastik eines George Grosz bis zum kindlichen Humor eines Joachim Ringelnatz. Auch an Techniken ist fast alles vertreten, da wird gezeichnet, geschnitten, geklebt, geprägt, gemalt, getuscht und gedruckt, was das Zeug hält. Wenn man Georg Salters minimalistischen Umschlag zu Henri Guilbeaux' Lenin-Biographie betrachtet, der 1923 im exklusiven Verlag "Die Schmiede" nur die fünf Lettern LENIN wie mit blutigen Fingern auf eine Kalkwand wirft, meint man, ein Graffito aus der nächsten Unterführung vor sich zu haben.

Der berühmte Feuilletonist Béla Balázs, den Christoph Stölzel in seinem Vorwort sehr zu Recht zitiert, erinnerte 1923 an die sichtbare und fühlbare Aura von Büchern, die immer mehr sind als lesbare Inhalte. Wer diese inzwischen gefährdeten Artefakte nicht zu durchblättern, zu streicheln und zu genießen verstehe, habe kein Recht auf eine Bibliothek. Diese wahre Einsicht bestätigt Holsteins Schatztruhe Seite für Seite. Sie lässt eine Blütezeit der Buchkultur wieder lebendig werden, die durch Vertreibung und Exil vieler der hier vorgestellten Verlage mehr als gelitten hat.

Jürgen Holstein (Hg.): "The Book Cover in the Weimar Republic / Buchumschläge in der Weimarer Republik".

Taschen Verlag, Köln 2015. 451 S., Abb., geb., 49,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension

Marc Reichwein freut sich über diese "Taschen"-Version eines bereits 2005 im Selbstverlag von Jürgen Holstein publizierten Buches, pardon "Prachtbandes", wie Reichwein schreibt. Was der Buchantiquar sehr subjektiv und für den Rezensenten dennoch faszinierend hier an Beispielen der Cover-Kunst zusammengetragen hat, ist für Reichwein Lese-, Bilderbuch und Nachschlagewerk in einem. Die Jahre 1919 bis 1933 deckt der Band ab, erfahren wir, eine widersprüchliche Vielfalt zwischen Disharmonie und Expansionswut, schreibt Reichwein. Wie frisch die Bucheinbandgestaltung der Weimarer Republik war, wird ihm hier eindrucksvoll vor Augen geführt.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Eine Fundgrube für jeden... Es ist auch eine kleine Zeitgeschichte, vor allem aber ein gedrucktes Denkmal eines kleinen, aber besonderen Kapitels deutscher Kulturgeschichte." dpa