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1946 sendet der britische Militärgeheimdienst eine Gruppe von namhaften britischen Designern nach Deutschland. Ihr Auftrag lautet, die Stellung des Designers in der deutschen Konsumgüterindustrie zu untersuchen. Die Kommission bereist 92 Firmen und 22 Ausbildungsstätten für Produktgestalter in den Westzonen, befragt Unternehmer, Techniker, Designer und Lehrkräfte und begutachtet Produkte. Leiter der Kommission ist der 1933 aus Deutschland emigrierte Designexperte Nikolaus Pevsner.Die Edition von Anne Sudrow macht den sensationellen Quellenfund in englischer Sprache erstmals der Öffentlichkeit…mehr

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Produktbeschreibung
1946 sendet der britische Militärgeheimdienst eine Gruppe von namhaften britischen Designern nach Deutschland. Ihr Auftrag lautet, die Stellung des Designers in der deutschen Konsumgüterindustrie zu untersuchen. Die Kommission bereist 92 Firmen und 22 Ausbildungsstätten für Produktgestalter in den Westzonen, befragt Unternehmer, Techniker, Designer und Lehrkräfte und begutachtet Produkte. Leiter der Kommission ist der 1933 aus Deutschland emigrierte Designexperte Nikolaus Pevsner.Die Edition von Anne Sudrow macht den sensationellen Quellenfund in englischer Sprache erstmals der Öffentlichkeit zugänglich. Der Bericht gibt Aufschluss über bekannte und unbekannte deutsche Designer und die Praxis der Produktgestaltung kurz nach dem Ende des Nationalsozialismus. Er widerlegt den Mythos von der 'Stunde Null' des deutschen Designs - in Teilen hielten es die Briten für wegweisend. Aus Perspektive der Siegermacht gewährt der Bericht Einblick in die Entwicklungsabteilungen der deutschen Unternehmen. Zugleich gibt er Zeugnis von der frühen Arbeit des britischen Council of Industrial Design, des Vorbilds für den westdeutschen Rat für Formgebung. Er zeigt, dass die Professionalisierung des Industriedesigns in Großbritannien und Westdeutschland nur als transnationales wirtschaftspolitisches Projekt zu verstehen ist.In ihrer Einleitung erzählt Anne Sudrow die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des Berichts.
Autorenporträt
Der AutorNikolaus Pevsner (1902-1983), 1933 aus dem nationalsozialistischen Deutschland nach Großbritannien emigrierter Kunst-, Architektur- und Designhistoriker, ab 1949 Professor für Kunstgeschichte an den Universitäten Cambridge und Oxford. Publikationen u.a.: Wegbereiter der modernen Formgebung (engl. Originalausg. 1936); An Enquiry into Industrial Art in England (1937); und die 46bändige Serie The Buildings of England (1951-1974). Die vorliegende geheime Quelle ist ein bisher unbekanntes und unveröffentlichtes Gemeinschaftswerk Pevsners mit anderen Autoren. Die HerausgeberinAnne Sudrow, geb. 1970, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam. Für ihre Studie 'Der Schuh im Nationalsozialismus. Eine Produktgeschichte im deutsch-britisch-amerikanischen Vergleich' (Wallstein, 2010) wurde sie mit dem Hedwig-Hintze-Preis des Historikerverbandes ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.12.2012

Auf geheimer Mission in Sachen Design
Wie der britische Militärgeheimdienst 1946 die deutsche Konsumgüterindustrie ausforschte – da gab es viel modernes Know-how abzugreifen
Herr Pott aus Solingen erscheint in Arbeitskleidung und spricht Dialekt. Die Edelstahlwaren, die er herstellt, gestaltet sein Sohn. Herr May, ein Meistertischler aus Osterode, der eine Möbelfirma mit fünfzehn Angestellten betreibt, hat sich während seiner Ausbildung an einer Fachschule in achtzig Prozent der Kurse mit Zeichnen beschäftigt. Er präsentiert einen neuartigen Stuhl ohne Nägel oder Schrauben, von dem tausend Stück pro Woche in der Stuhlfabrik Escher-Hattorf im Harz hergestellt werden. Arno Lambrecht gehört zu den wenigen, die als Industriedesigner arbeiten. Seine Hauptkunden sind Möbelhersteller wie Knoll und Behr.
  Lambrecht erzählt, wie er 1932 als junger, mittelloser Designer Telefunken fünf Entwürfe für Radiogehäuse angeboten hat, die revolutionär gewesen seien. Als von seinen Gesprächspartnern Kritik geäußert wird, beharrt er darauf, sie sollten entweder alle oder keinen seiner Entwürfe nehmen. Obgleich sie wenig Enthusiasmus zeigen, wird er gefragt, was er sich als Honorar vorstelle. Er nennt die lächerlich hohe Summe von 20 000 Reichsmark – und sie akzeptieren.
  Wovon hier berichtet wird, hat wenig mit dem glamourösen Image zu tun, das man heutzutage mit dem Begriff „Design“ verbindet. Und doch deutet sich bereits eine Entwicklung an, die inzwischen dazu geführt hat, dass die Gestaltung industriell gefertigter Massenprodukte immer häufiger über deren Erfolg entscheidet. Alle Genannten – und viele weitere – haben kurz nach dem Zweiten Weltkrieg britischen Designexperten Auskunft gegeben.
  Lapidar heißt es über das Unternehmen, das wiederentdeckt wurde und nun unter dem Titel „Geheimreport Deutsches Design“ vorliegt: „Auf Vorschlag des Präsidenten des Handelsministeriums, des Council of Industrial Design, hat die Warenabteilung des British Intelligence Objectives Sub-Committee vier Teams nach Deutschland geschickt, um die Stellung des Designers in der deutschen Industrie zu untersuchen.“
  Die Sache ist so heikel wie spannend, ist es doch der britische Militärgeheimdienst BIOS (British Intelligence Objectives Sub-Committee), der neun namhafte britische Experten zwischen Juli und Dezember 1946 nach Deutschland entsendet. Sie besuchen insgesamt 92 Firmen verschiedener Branchen und 22 Ausbildungsstätten für Produktgestalter in der britischen und – mit eingeschränkten Kompetenzen – amerikanischen Zone.
  Befragt werden Unternehmer, Geschäftsführer, Techniker, Architekten und Innenarchitekten, Designer und Lehrkräfte an Fach- und Hochschulen. Es werden jede Menge Produkte begutachtet, Fotos und Zeichnungen gesammelt, um herauszufinden, welche Forschungs- und Produktionsmethoden angewendet werden, welche Stellung ein Designer in der Industrie einnimmt, was er verdient und wie er ausgebildet wird. Auch für Vertriebswege, Marketing und Marktforschung interessieren sich die Emissäre. Schwerpunkte sind Berlin, Frankfurt am Main, Offenbach, Stuttgart, München, Selb, Krefeld und Bielefeld. Was die Branchen angeht, sind es die elektrotechnische Industrie, die Leichtmetall- und Kunstfaserverarbeitung, aber auch Tapeten- und Metallwarenhersteller sowie Firmen der Möbel-, Textil- und Modeindustrie, die untersucht werden.
  Das Unternehmen, das herausfinden soll, worauf sich die Überlegenheit der deutschen Hersteller in Sachen „Formgebung“ gründet, scheint erstaunlich unproblematisch verlaufen zu sein, obgleich die deutschen Unternehmen gegenüber den Siegermächten auskunftspflichtig sind und die Briten Uniform tragen. Der abschließende, 155 Seiten umfassende Gesamtbericht mit dem Titel „Design Investigation in Selected German Consumer Goods Industries“ wird im Sommer 1947 einem Kreis von Beamten des Wirtschaftsministeriums und britischen Industriellen vorgelegt. Für kurze Zeit ist er auch für 14 Shilling in der Geschäftsstelle des BIOS zu beziehen.
  Anne Sudrow, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam, hat den Geheimbericht in Cambridge – genauer, im Außendepot des Londoner Imperial War Museums am ehemaligen Flughafen Duxford – wiederentdeckt und, versehen mit einer fundierten Einleitung, in der sie Voraussetzungen und Hintergründe des Vorhabens erläutert und dessen Ergebnisse technik- und designhistorisch einordnet, in der Originalsprache herausgegeben. Nach ihrer Einschätzung muss der Bericht „als die wohl umfassendste und bedeutendste Quelle über die Praxis der Produktgestaltung in der deutsche Industrie um die Mitte des 20. Jahrhunderts angesehen werden“.
  In der Tat gewährt der Bericht einzigartige Einblicke in die Realität der industriellen Produktion von Konsumgütern im Deutschland der Nachkriegszeit. Die Neugier der Briten auf deutsches „Know How“ gilt zwar in erster Linie der Rüstungs- und Chemieindustrie, doch sehen die Alliierten in der Konsumgüterindustrie schon deshalb einen Bereich, den auszuforschen es lohnt, weil im Zuge des NS-Vierjahresplans ab 1936 in jenen Industrien Ersatzstoffe verwendet wurden. Besonders im Hinblick auf Kunststoffe hatten sich die Deutschen als innovativ erwiesen. Die Briten waren für ihren Teil in Sachen „Formgestaltung“ im Hintertreffen, und das ökonomische Wettrennen mit Amerika hatte gerade erst begonnen.
  Sudrow nennt drei Gründe für das immense Interesse: Erstens sei es den Briten um für die eigene Industrie verwertbare Leistungen gegangen. Da man – im Unterschied zu Franzosen und Russen – weitgehend auf materielle Reparationen wie die Demontage von Maschinen verzichtete, hielt man sich an das entsprechende „Know How“. Zweitens verfolgte das britische Wirtschaftsministerium seit Kriegsende eine „neue und innovative Art der Wirtschaftspolitik“, die Design staatlich förderte, um die Exportchancen britischer Produkte zu verbessern. Bereits 1944 war zu diesem Zweck das „Council of Industrial Design“ gegründet worden, das helfen sollte, Vorstellungen von einer „guten Industrieform“ in der Konsumgüterindustrie zu verankern. Drittens schließlich habe die Mission einem Berufsstand geholfen, sich in Britannien zu professionalisieren: dem des Industriedesigners.
  Es war kein Geringerer als der aus Deutschland emigrierte Kunsthistoriker Nikolaus Pevsner, der, da er zunächst nicht als Kunsthistoriker arbeiten konnte, mit seiner Methode der empirischen Designforschung in England bekannt geworden war. Bereits 1937 hatte er eine Studie veröffentlicht, die für heftige Diskussionen gesorgt hatte, behauptet Pevsner doch, neunzig Prozent der britischen Produkte seien ohne ästhetische Qualität, der Zustand der Produktgestaltung verheerend. Habe die „moderne Bewegung“ mit John Ruskin und William Morris einmal in Großbritannien ihren Ausgang genommen, so sei sie seit dem Ersten Weltkrieg verkümmert. Als Vorbild galten ihm Gropius und das Dessauer Bauhaus, die Design als Mittel der Sozialreform sowie Handwerk, Kunst und Industrieproduktion als zusammengehörend begriffen hätten.
  Das war starker Tobak. Manche vermuteten sogar, Pevsner sei ein deutscher Agent. Die These, Deutschland sei das Zentrum der modernen Gestaltung, weil die deutschen Designer im Unterschied zu ihren englischen Kollegen die Maschine nie abgelehnt, sondern die Möglichkeiten der Serienproduktion produktiv genutzt hätten, war vermutlich einer der Gründe, weshalb Pevsner maßgeblich an dem Geheimbericht mitwirkte. So bildete seine „empirische Designforschung“ auch 1946 die methodische Basis. Im Grunde erhebt der Geheimbericht weiteres empirisches Material für Pevsners These, Deutschland habe Großbritannien in Sachen Design überflügelt.
  Der Report beleuchtet freilich nicht nur ein Kapitel der Industrie- und Zeitgeschichte. Er macht deutlich, wie grundlegend der Umschwung der deutschen Konsumgüterindustrie auf eine moderne, von Ästhetik und Werbung bestimmte Produktion erfolgte. Ausdrücklich wird festgestellt, wie begeistert die deutschen Unternehmer „von guter Gestaltung“ seien, wie bereit, sich „mit deren Philosophie auseinanderzusetzen“. Sie unterstützten die Ausbildungsstätten ihrer Industrie „nicht nur finanziell, sondern nähmen auch auf deren Lehrpläne und die Bildungspolitik Einfluss“. Auch die Konsumenten seien in Deutschland „kritischer“ gegenüber den Produkten, was die Kommission auf drei Ursachen zurückführt: Das kulturelle Niveau sei in den Städten der Provinz höher, weil Berlin als Metropole nie die Bedeutung von London erlangt habe, die „Moderne“ habe in Deutschland größeren Erfolg gehabt, und – wichtigster Punkt – die Ausbildung aller am Produktionsprozess Beteiligter sei besser.
  Die Zeiten, in denen „Made in Germany“ als Kainsmal für die deutsche Billigkonkurrenz eingeführt worden war, die Ende des 19. Jahrhunderts schamlos britische Unternehmen ausforschte, waren lange vorbei. Was Kundennähe, Ausbildung oder Produktgestaltung angeht, waren die Briten nicht auf der Höhe der Zeit.
  Schon während des Ersten Weltkriegs hatten die Reformer der „Design and Industries Association“ (DIA) den sachlichen „Maschinenstil“ von Möbeln, Stoffen und anderen Gebrauchsgütern aus Deutschland – etwa von Thonet und der AEG – als vorbildlich angesehen. Dass es neue Fertigungsmethoden, Typisierung und Modularisierung sowie geringere Preise durch größere Stückzahlen waren, die Deutschland zum Vorreiter gemacht hatten, ist freilich nur die halbe Wahrheit. Ohne die erstaunliche Offenheit vieler Mittelständler gegenüber der vom Nationalsozialismus verfemten Moderne, hätte eine staatliche Designförderung auch in Deutschland wenig bewirken können. Nicht zuletzt die Vielfalt des Designs ließ Deutschland als Musterland erscheinen. Also nutzte das Council, wie Sudrow nüchtern feststellt, die einzigartige Chance der britischen Besatzung „als neue Möglichkeit der Informationsbeschaffung, um ein Projekt von staatlich beauftragter Industriespionage in deutschen Konsumgüterunternehmen auf den Weg zu bringen“.
THOMAS WAGNER
Nikolaus Pevsner u.a.: Geheimreport Deutsches Design. Deutsche Konsumgüter im Visier des britischen Council of Industrial Design (1946). Englischer Originaltext. Herausgegeben und mit einer Einleitung versehen von Anne Sudrow. Deutsches Museum Abhandlungen und Berichte, Neue Folge, Band 28. Wallstein Verlag, Göttingen 2012. 336 Seiten, 29,90 Euro.
Industriedesign war in
Britannien schlecht entwickelt –
anders als in Deutschland
Der Geheimbericht stellte fest:
Die deutsche Provinz war
anspruchsvoller als Berlin
Ein Radio der deutschen Firma Braun – vor Jahrzehnten war es unglaublich avanciert und sehr begehrt.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Einen interessanten Fund kann Thomas Wagner mit diesem "Geheimreport Deutsches Design" annoncieren, der dem Rezensenten gleich doppelt bedeutsam erscheint. Das ist zum einen die Entstehungsgeschichte: 1946 schickte der britische Militärgeheimdienst BIOS eine Expertengruppe nach Deutschland, um dort die Geheimnisse des damals avancierten deutschen Design zu erkunden. Statt mit industriellen Reparationsleistungen wollten die Briten sich mit Know-How entschädigen und befragten Unternehmer, Produktgestalter und Techniker zur moderne Ästhetik und Herstellung der Konsumgüter. Zum anderen aber fügt sich dieser Report, und das ist für den Rezensenten die wirklich erstaunliche Pointe, zur "umfassendsten und bedeutendsten" Quelle für die Geschichte und Praxis des deutschen Industriedesigns in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

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'.eine veritable und gewichtige Geschichte des einmal sehr avancierten deutschen Industriedesigns.' (perlentaucher.de, Januar 2013)'Die Veröffentlichung dieser kostbaren Quelle ist nicht nur ein spannendes Dokument für das frühe Int