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Erste detaillierte Analyse der chilenischen Vergangenheitspolitik vom Ende der Diktatur bis zum Tod PinochetsDas Regime des Generals Pinochet in Chile gilt noch heute als Sinnbild für die grausamen Militärdiktaturen in Lateinamerika. Durch die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen hat der Diktator der chilenischen Demokratie ein schwieriges Erbe hinterlassen. Die chilenische Vergangenheitspolitik sorgte aufgrund der beispielhaften Wahrheitskommissionen und der Verhaftung Pinochets in London international für großes Aufsehen. Aus der detaillierten Analyse der chilenischen Entwicklung lassen…mehr

Produktbeschreibung
Erste detaillierte Analyse der chilenischen Vergangenheitspolitik vom Ende der Diktatur bis zum Tod PinochetsDas Regime des Generals Pinochet in Chile gilt noch heute als Sinnbild für die grausamen Militärdiktaturen in Lateinamerika. Durch die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen hat der Diktator der chilenischen Demokratie ein schwieriges Erbe hinterlassen. Die chilenische Vergangenheitspolitik sorgte aufgrund der beispielhaften Wahrheitskommissionen und der Verhaftung Pinochets in London international für großes Aufsehen. Aus der detaillierten Analyse der chilenischen Entwicklung lassen sich auch Lektionen für die europäische Diskussion um Vergangenheitspolitik und Diktaturüberwindung gewinnen. Stephan Ruderer analysiert aus zeithistorischer Perspektive den Umgang mit der Vergangenheit im demokratischen Chile und liefert eine detaillierte Interpretation der chilenischen Vergangenheitspolitik und ihrer Wechselwirkungen mit dem Demokratisierungsprozess. Gegenstand der Untersuchung sind dabei alle relevanten Maßnahmen auf den Gebieten der Wahrheitsfindung, der transitional justice, der Entschädigungsleistungen, der symbolischen Maßnahmen und des öffentlichen Diskurses.
Autorenporträt
Stephan Ruderer, geb. 1976, studierte Geschichte, Ethnologie und Germanistik in Heidelberg und Santiago de Chile. DAAD-Sprachassistent in Concepción, Chile. Seit 2008 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Münster. Veröffentlichung u.a.: Patio 29. Tras la cruz de fierro (Zus. mit Javiera Bustamante, 2009).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.03.2011

„Vergessen ist das Wort“
Stephan Ruderer zeigt, wie schwer Chile sich mit dem
Erbe des Diktators Augusto Pinochet bis heute tut
Mehr als zwei Jahrzehnte ist es her, dass in Chile der finstere Diktator abtrat. Am 11. September 1973 hatte Augusto Pinochet den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende gestürzt. Die Luftwaffe bombardierte den Regierungspalast La Moneda in Santiago, Allende beging in den Trümmern Selbstmord. Mehr als 3000 Andersdenkende wurden danach ermordet, fast 30 000 gefoltert, Zehntausende flüchteten ins Exil.
Chile wurde eine Art Konzentrationslager und eine neoliberale Spielwiese, die USA standen Spalier. Am 11. März 1990 übergab Pinochet die Schärpe an seinen gewählten Nachfolger Patricio Aylwin. Ende 2006 starb der Tyrann mit 91 Jahren, ohne rechtskräftig verurteilt worden zu sein. „Ich bin gut, ich empfinde mich als Engel“, berichtete er wenige Jahre vor seinem Tod. „Es sind die anderen, die mich um Entschuldigung bitten müssen. Die Marxisten.“
Die Welt hat dieser Fall viel beschäftigt, weil er so modellhaft ist. Allende war der erste Sozialist, der es durch Wahlen an eine Staatsspitze geschafft hatte. Pinochet war der Prototyp des rechtsextremen Despoten und für Unverbesserliche der Retter der Republik. Er trat ab, weil er 1988 ein Referendum ausrief und verlor. Aus der siegreichen Opposition von damals entstand das Parteienbündnis Concertación von Christdemokraten bis Sozialisten, eine Art große Dauerkoalition, die erst kürzlich abgewählt wurde.
Zwanzig Jahre nach der formellen Rückkehr zur Demokratie, am 11. März 2010, zog der rechtskonservative Sebastián Piñera in die Moneda ein. Seit dem vergangenen Oktober ist der Milliardär weltbekannt, weil er mit der telegenen Rettung von 33 Minenarbeitern ein Milliardenpublikum bewegte und seine Heimat als Hort der Hightech präsentierte.
Für Stephan Ruderers Buch „Das Erbe Pinochets“ kam Piñera zu spät, das ist bedauerlich. Auch Aufstieg, Stil und Vermögen dieses Unternehmers sind ja bezeichnend für das neue Chile. Piñera wurde noch unter Pinochet reich, und obwohl er beim Plebiszit gegen ihn stimmte, profitierte er von Privatisierungen und dem sogenannten freien Markt. Der Staatschef war unter anderem Haupteigner der Fluglinie Lan, des Fernsehsenders Chilevisión und des Fußballclubs Colo-Colo. Er führt seine Heimat fast so, als wäre das Land seine „Chile AG“. Spannend ist Ruderers Studie über „Vergangenheitspolitik und Demokratisierung in Chile“ aber auch ohne Piñera. Der Autor zeigt ziemlich akademisch, doch stets überzeugend, wie schwer sich Chile tut, die Fesseln von 16 Jahren Gewaltherrschaft abzulegen.
Am Ergebnis scheiden sich die Geister, einerseits gilt Chiles Entwicklung als vorbildlich. Immerhin folgte nach Pinochet ein Wahlsieger geordnet dem nächsten, und makroökonomisch ging es meistens bergauf. Moderne Flughäfen und Autobahnen, Shopping Malls, Freihandelsverträge, Mitgliedschaft in der OECD – die Investoren sind begeistert.
Andererseits gehen im Süden verseuchte Lachsfarmen ein und hungern eingesperrte Ureinwohner, die wie Terroristen behandelt werden. Im Norden arbeiten einfache Bergleute unter üblen Bedingungen. Gas, Wasser, Schulen und Krankenhäuser sind meistens privat und teuer. Noch mehr als andere Diktaturen Südamerikas hinterließ Pinochets Systemwechsel extreme Ungleichheit und autoritäre Enklaven. Der Kampf zwischen Erinnern und Vergessen dauert bis heute an.
Ähnlich wie in Francos Spanien gab es in Chile keinen Bruch, sondern einen paktierten Übergang. „Das demokratiestärkende Potential der Vergangenheitspolitik wurde nur unzureichend erkannt“, konstatiert Ruderer zu Recht. Pinochets Regime vermachte den Demokraten ein Klima der Angst, die Täter von einst gingen straffrei aus. Das alles wurde im Lauf der Zeit mit Mühe und keineswegs vollständig beseitigt. Der General blieb zunächst Oberbefehlshaber der Armee und später Senator auf Lebenszeit, ehe ihm die Rolle des Patrons abhanden kam und er schließlich sanft entschlief. Über die Bilanz seiner Regierungszeit sind sich seine Landsleute nach wie vor nicht einig, der Streit zwischen beiden Lagern plagt Chile bis in die Gegenwart.
Pinochets Getreue sehen in ihm noch immer den Kreuzritter gegen den Kommunismus, den Erlöser des Vaterlandes. Unter ihm durften sich die Chicago Boys austoben, die wirtschaftliche Schockbehandlung nach amerikanischem Muster gilt ihren Anhängern als Grundlage des vermeintlichen Wirtschaftswunders. De facto hinterließ sie ein soziales Schlachtfeld.
Pinochet installierte für die Mörder und Folterer eine Amnestie, seine Fraktion förderte die Amnesie. „Vergessen, das ist das Wort“, sprach Pinochet. Der Christdemokrat Aylwin erklärte nach dem Machtwechsel, „die Stunde des Verzeihens“ sei angebrochen. Der nächste Präsident, Eduardo Frei, fand: „Chile kann nicht in der Geschichte gefangen bleiben.“ Die Folge war eine übertriebene Konsenspolitik, befördert wurde sie vom Militär und der Elite. Die Politik duckte sich immer wieder, um den Übergang, die sogenannte Transition, nicht zu gefährden – als seien die Menschenrechtsverbrechen der Preis für den Fortschritt gewesen. Es war vor allem Einzelinitiativen zu verdanken, dass dennoch Gerichtsverfahren – etwa gegen den Geheimdienstchef Manuel Contreras – in Gang gebracht wurden. Contreras kam ins Gefängnis.
Terrorbilanzen wie die Berichte von Rettig und Valech erschienen. Findige Anwälte umkurvten das Amnestiegesetz, ermittelten wegen Pinochets Todeskarawane und der Operation Condor, der regionalen Jagd nach Linken. Chilenische Menschenrechtler und Opfergruppen traten und treten mutig für Wahrheit und Gerechtigkeit ein. Die Medien sind ihnen dabei keine große Hilfe gewesen: Die wichtigsten Zeitungen sind konservativ.
Die entscheidenden Anstöße kamen von außen: Pinochets Festnahme 1998 durch einen internationalen Haftbefehl des spanischen Richters Baltasar Garzón brachte die Wende. Zwar ließ Großbritannien den englischen Patienten wegen vermeintlicher Altersschwäche 2000 ziehen, aber Schlächter a. D. denken seither zweimal nach, bevor sie eine Auslandsreise antreten. Garzón wurde unterdessen in Spanien abgesetzt – eine Schande.
In Chile bewirkte Garzóns Vorstoß zumindest Ansätze einer Katharsis. Pinochet verlor nachher auch daheim seine Immunität, wobei seine Strafe über Hausarrest nicht hinausging. Viele vormalige Anhänger wendeten sich erst ab, als die Nachricht von den Geheimkonten der Familie in den USA die Runde gemacht hatte: Den Dieb Pinochet fanden sie schlimmer als den Mörder Pinochet. In diesem Fall halfen US-Recherchen; davon abgesehen, übte Washington keinen guten Einfluss aus. Henry Kissinger, der den Staatsstreich gegen Allende unterstützt hatte, trägt den Friedensnobelpreis.
Chiles sozialistische Präsidenten Ricardo Lagos und Michelle Bachelet ließen Pinochets Andenken langsam verblassen. Allende wurde ein Denkmal gesetzt, eine Tür an der Moneda wurde symbolisch für ihn geöffnet, ein Museum der Erinnerung entstand. Mit seiner Bergungsaktion der Kumpel hat Präsident Piñera das Thema indes zuletzt wieder in den Hintergrund rücken lassen. Vor lauter historischer Begeisterung schrieb er anlässlich seiner Europatournee dem Bundespräsidenten Christian Wulff „Deutschland über alles“ ins Gästebuch. Man kann Chile nur wünschen, dass Piñera künftig mehr Geschichtsbewusstsein zeigt. PETER BURGHARDT
STEPHAN RUDERER: Das Erbe Pinochets. Vergangenheitspolitik und Demokratisierung in Chile 1990-2006. Wallstein, Göttingen 2010. 400 S., 34.90 Euro.
Die neoliberale Schockbehandlung
hinterließ ein soziales Schlachtfeld.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Lobend hat Rezensent Peter Burghardt diese Studie über das "Erbe Pinochets" von Stephan Ruderer aufgenommen. Er bescheinigt dem Autor, die chilenische Vergangenheitspolitik vom Ende der Diktatur im März 1990 bis zum Tod Pinochets im Jahr 2006 eingehend zu analysieren. Deutlich wird für ihn, wie schwer sich Chile auch heute noch mit dem Erbe der grausamen Militärdiktatur tut: Tausende von Menschen wurden ermordet und fast dreißigtausend gefoltert, ein Klima der Angst herrschte, der Neoliberalismus expandierte und soziale Ungleichheit explodierte. Die Darstellung Ruderers scheint Burghardt zwar ein wenig "akademisch", aber stets "überzeugend". Und auch wenn der aktuelle chilenische Präsident Pinera im Buch nicht mehr vorkommt findet der Rezensent es überaus spannend.

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