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Als Rilke 1904 im Auftrag der schwedischen Reformpädagogin Ellen Key ein Päckchen der 19jährigen Eva Solmitz (1885-1974) erhielt, forderte er sie auf, die Verbindung mit ihm aufrechtzuerhalten. Es entwickelte sich eine Korrespondenz, in der der Dichter die Rolle des Mentors übernahm. Ausgebildet unter der Pionierin für Sozialarbeit Alice Salomon und später Mitarbeiterin in der progressiven Odenwaldschule ihres Schwagers Paul Geheeb war die seit 1909 verheiratete Eva Cassirer jedoch nicht nur eine hingebungsvoll verehrende Leserin, wie Rilke sie brauchte. Der von vielen Gönnerinnen und Gönnern…mehr

Produktbeschreibung
Als Rilke 1904 im Auftrag der schwedischen Reformpädagogin Ellen Key ein Päckchen der 19jährigen Eva Solmitz (1885-1974) erhielt, forderte er sie auf, die Verbindung mit ihm aufrechtzuerhalten. Es entwickelte sich eine Korrespondenz, in der der Dichter die Rolle des Mentors übernahm. Ausgebildet unter der Pionierin für Sozialarbeit Alice Salomon und später Mitarbeiterin in der progressiven Odenwaldschule ihres Schwagers Paul Geheeb war die seit 1909 verheiratete Eva Cassirer jedoch nicht nur eine hingebungsvoll verehrende Leserin, wie Rilke sie brauchte. Der von vielen Gönnerinnen und Gönnern gehegte Dichter fand in ihr auch seine wohl großzügigste Wohltäterin. Ihre aus den Kriegsjahren 1914/1915 erhaltenen Briefe an Rilke, ihre Notizen über das letzte Treffen kurz vor seinem Tod und ihre eigene Biographie zeigen Eva Cassirer als singuläre Erscheinung in seinem weiten Freundeskreis, da sie weder Aristokratin oder Künstlerin noch Geliebte des Dichters war. Sie war eine Repräsentantin jenes jüdischen Mäzenatentums, ohne das die deutsche Kunst und Literatur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht zu denken ist.
Autorenporträt
Die HerausgeberinSigrid Bauschinger, geb. 1934 in Frankfurt am Main, studierte deutsche und französische Literaturwissenschaft und Philosophie in Frankfurt und lehrte bis 2000 deutsche Sprache und Literatur an der Universität von Massachusetts. Sie lebt in Amherst/Massachusetts und München.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.12.2009

Maß und Halt für alles
Rainer Maria Rilke in den Briefen mit Eva Cassirer
Es begann mit weißen Narzissen, es endete an der Pforte des Todes. Eva Cassirer hieß noch Eva Solmitz, als sie, gerade 19-jährig, Rainer Maria Rilke ein weihnachtliches Büchergeschenk zukommen ließ. Die eigentliche Absenderin war die schwedische Schriftstellerin und Reformpädagogin Ellen Key, Eva Solmitz hatte als Rilke-Verehrerin Versand und schmückende Verpackung übernommen. Ein Grußkärtchen von ihrer Hand lag dabei. Rilke, offen stets für schwärmende Mädchenworte, bedankte sich gleich Ende Dezember 1904. Einen Segensgruß entbot er. Auch wolle er vom „wachsenden Leben, von dem ich nun weiß, nicht wieder die Spur verlieren.” Und so geschah es.
Knapp neun Jahre später schreibt Rilke nach eigener Einschätzung eine „grenzenlose Epistel”. Der längste, der seltsamste, der in seiner gläsernen Sachlichkeit radikalste Brief wird zum Scheitelpunkt einer an sehr verschiedenen Empfindlichkeiten überreichen Korrespondenz. Rilke wollte sich damals von seiner Ehefrau Clara scheiden lassen, Eva Cassirer sollte die Kosten übernehmen. Sinn und Zweck der seitenlangen Unterredung, die am 29. Oktober 1913 in Paris zu Papier gebracht wird, ist die Einsicht in einen als unhaltbar, ja tödlich vorgeführten Zustand. Von Eva Cassirers Konto soll ein „Wiener Advokat” bezahlt werden. Nur so käme eine „tatsächliche Ordnung” in das Leben von Rainer Maria, Clara und Ruth Rilke, des Mannes, der Frau, der gemeinsamen Tochter. Ob Eva sich dazu bereit erklären könne, aus „Sorge um mein innerstes geistiges Dasein”?
Rilke wirbt bei der „hülfreichen Freundin” um Verständnis. Clara werde psychoanalytisch behandelt, die Freundschaft, die er für sie empfinde, gebiete geradezu, ihr Leben nicht „auch nur mit der Spur eines Fadens an das meine gebunden zu lassen”. Sie, die angetraute bildende Künstlerin, vermehre nur „die Schwierigkeiten meines künstlerischen und bürgerlichen Daseins genau um das Doppelte”. Fatalerweise ähnele sie dem Dichter zu sehr, sie gebe keinen schöpferischen Widerpart ab, sondern „ein aus anderem Stoffe gemachtes Nachbild meiner Freuden und meiner Nöte.”
Kurz und schlimm: Clara, begabt mit dem „nachgiebigen Herz eines schwachen Jüngers”, ist Kopie, nicht Kontrast und genau deshalb der wandelnde Vorwurf. Sie brachte bisher „die Unzulänglichkeiten meiner Verhältnisse mir immer vergrößert zum Bewusstsein, während meine eigenste arglose Freude und Produktivkraft mir weniger deutlich wurde, da ich sie in einem anderen Wesen fremder sich benehmen und oft darin sich verlieren sah.” 2500 österreichische Kronen für Scheidung und Reisespesen müssen vor diesem Hintergrund als sinnvolle Investition zur Rückgewinnung dichterischer Potenz erscheinen – oder etwa nicht?
Evas wachsendes Leben hat mittlerweile das 28. Jahr erreicht, Rilke ist zehn Jahre älter. Der Antrag, den man durchaus für unverfroren halten kann, ist mehr als ein Nebenzweig im dornigen Gebüsch der Künstler-Ehen. Auch von Rudolf Borchardt etwa sind Briefe überliefert, mit denen er sich aus seiner Verbindung mit einer Malerin gewaltsam heraus schnitt. Rilkes Selbstanalyse zeigt den Dichter nicht nur als Nervenbündel, als hypersensiblen Bittsteller mit einem gewaltigen Einsamkeitsbedürfnis und einem noch gewaltigeren Stolz auf das innerste Dasein, die, wie es oft heißt, inneren Verhältnisse, inneren Zustände. Hier liegt vielmehr der notwendig antisoziale Habitus des Künstlers offen zutage, der wiederum Gemeinschaft schafft. Durchhalten lassen sich die vielen Schroffheiten und Fluchten nur, wenn sie eingebettet sind in unwandelbare Kontinuitäten. Eva Cassirer war hierbei ein wichtigerer Part zugedacht als der der Muse oder der Geliebten. Sie war die Ernährerin.
Eva Cassirer hatte nämlich die delikate Theorie des Bewunderns, die Rilke auf ihre Anregung entwickelte, ins unwiderruflich Praktische gewendet. Rilkes Diktum aus dem Brief vom 13. Oktober 1907, Bewunderung sei „das einzige Mittel einer jeden Beziehung” und müsse darum „zur Bedingung unseres Anschauens” werden, trug reiche Frucht in Eva Cassirers Leben. Zur Hochzeit mit dem Kunsthistoriker Kurt Cassirer anno 1909 erhielt sie von ihrem Vater, dem Berliner Bankier Selmar Solmitz, die stattliche Summe von 10.000 Mark „zum persönlichen Gebrauch”. Da Rilke oft die „falschen Verhältnisse” an den staatlichen Schulen beklagt hatte, überließ Eva Cassirer ihm die gesamte Summe für die Privaterziehung von Tochter Ruth. Zunehmend zweigte Rilke mit Eva Cassirers Einverständnis Beträge davon für den eigenen Unterhalt ab. Auch die Scheidung sollte schließlich mit Mitteln aus dem Deputat bestritten werden.
Für die junge Frau, zu der sich das jüdische Mädchen entwickelt hatte, waren die Gedichte Rilkes ihr „täglich Brot” geworden; „jedes Wort geht in mein Blut über. Ich begreife es, wie sonst nichts auf der Welt.” Einmal schreibt sie, ganz im Bewusstsein der Absolutheit einer solchen Aussage: „Ich kann doch nichts so lesen, wie Ihre Worte, und sie sind mir Maß und Halt für alles.” Gewaltiger kann Literatur nicht ins Leben drängen, nicht Leben werden. Die Distanz zwischen den Menschen schwand darum nicht – „meine Kleinheit und Unnützlichkeit Ihnen gegenüber” blieb präsent –, wohl aber wurde sie gehoben auf eine Ebene, auf der ein Wort eine Seele direkt affiziert. Das Bewundern war tatsächlich ins Anschauen verschoben, ins Betrachten und Lesen. Rilke wählte hierfür den altmodischen, aber damals sehr treffenden Ausdruck von der „Ergriffenheit eines Einzelnen”.
Eva Cassirer verbrachte ihr Leben hauptsächlich in Berlin, in Rom, im Odenwald. Die ausgebildete Kindergärtnerin war vielseitig interessiert, qua Geschlecht und großbürgerlicher Herkunft aber auf die Rolle als höhere Tochter und „standesgemäße Partie” festgelegt. Literatur und Bildung blieben Medien der Selbstvergewisserung. Auch der schwierigen, mitunter depressiven Dichterin Regina Ullmann ließ sie Fürsorge angedeihen. Im April 1939 emigrierte sie nach England, von wo sie 1946 nach Oberhambach bei Heppenheim zurückkehrte, als Leiterin der „Odenwaldschule”. Dort, so hatte sie schon 1918 geschrieben, „lebt etwas Wesenhaftes, Wirkendes und Gutes”. Das noch heute bestehende reformpädagogische Internat war 1910 vom Mann ihrer Schwägerin und Jugendfreundin Edith Cassirer gegründet worden, Paul Geheeb.
Die diskrete Mäzenatin beendete einen ihrer Briefe an den zwischen Krankheitseitelkeit, Arbeitsstolz, Seherpose und Zartheit schwankenden Dichter mit der vierfachen Formel „in Hoffnung, in Verehrung, in Wünschen, in Dankbarkeit.” Dem hoffenden Wunsch, man möge sich öfters sehen, widersetzte sich Rilke je länger, je stärker. Träume formten um, was selten sich ereignete: Rilke gab in einem „starken und schönen Traum” Georg Simmel Widerwort, „und wie durch magnetische Kraft sogen mich Ihre Worte durch die Luft zu Ihnen und Ihnen nach, als Sie den Saal verließen.”
Insgesamt ein halbes Dutzend Mal sind sie einander begegnet – zuletzt wenige Wochen vor Rilkes Tod, August 1926 in Bad Ragaz. In einem Erinnerungsblatt berichtet Eva Cassirer, die selbst 1974 starb: Rilke sagte bei der Verabschiedung, er „hätte noch immer diesen Schrecken vor der Todesstunde, die Furcht, wie das durchzuhalten sei. (. . .) Man könne ja auch nicht wissen, wo das eigene Selbst dann wäre; vielleicht wäre es tief in Einem und das, was da draußen vor sich ginge, hätte nichts mehr mit dem Selbst zu tun.”
Nicht die Scheidung von Clara, die bekanntlich nicht stattfand, wohl aber Gedicht um Gedicht ermöglichte Eva Cassirer. Die Abwesenheit erotischer Valeurs sorgte für eine Empathie der hartnäckigen Art. Die kluge Frau bewunderte den Dichter und hörte doch nicht auf, klug zu sein. Maß und Halt war der fremde, ewig kränkelnde Mann auch insofern, als sich dessen wichtigste Mahnung gegen ihn selbst kehren ließ: Was er schrieb, war immer geringer als das Verschwiegene. Und Eva Cassirer blieb nobel genug, dennoch nicht die Freundschaft zu kassieren. Sie hatte Rilkes Wort begriffen: „Wo man etwas sagbar macht, da nimmt auch schon das Unsägliche dahinter maßlos zu.” ALEXANDER KISSLER
RAINER MARIA RILKE UND EVA CASSIRER: Briefwechsel. Herausgegeben und kommentiert von Sigrid Bauschinger. 400 Seiten, 32 Euro. Wallstein Verlag, Göttingen 2009.
Eva Cassirer war ein wichtigerer Part zugedacht als der der Muse. Sie war die Ernährerin.
Bewunderung muss „zur Bedingung unseres Anschauens” werden.
Eva Cassirer (1885-1974) und Rainer Maria Rilke (1875-1926). Fotos: Paul Geheeb Archiv/Ecole d’Humanité, Blanc Kunstverlag
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Eine an "Empfindlichkeiten überreiche Korrespondenz" erblickt Rezensent Alexander Kissler in dem von Sigrid Bauschinger herausgegebenen Briefwechsel zwischen Rainer Maria Rilke und Eva Cassirer. Die Briefe zeigen die kluge, gebildete, großbürgerliche Cassirer seines Erachtens nicht nur als grenzenlose Bewunderin Rilkes und seiner Kunst. Deutlich wird für ihn auch die Rolle, die sie als Ernährerin des Dichters spielte, der nicht davor zurückschreckte, sie um die Kosten für die angestrebte Scheidung von seiner Frau Clara zu bitten. Rilke erscheint ihm gerade in diesem Brief als "Nervenbündel" und "hypersensibler Bittsteller". Offen zutage trete dabei auch der "notwendig antisoziale Habitus des Künstlers". Kissler zeigt sich beeindruckt von der Empathie Cassirers und von der Wirkung, die Rilkes Gedichte auf sie hatten, was indes nichts an der menschlichen Distanz zwischen den beiden änderte. "Die kluge Frau bewunderte den Dichter", resümiert Kissler, "und hörte doch nicht auf, klug zu sein."

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'Es sind zauberhafte, ernste Briefe einer jungen, begabten jüdischen Frau, die ihren Platz im Leben sucht. (.) In den Briefen und besonders im Nachwort von Sigrid Bauschinger lernt man eine Frau kennen, die den Platz, den das junge Mädchen einst suchte