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Zum 250. Geburtstag von Karl Philipp Moritz am 15. September: Alexander Kosenina untersucht die literarischen Vorstudien zum"Anton Reiser."

Produktbeschreibung
Zum 250. Geburtstag von Karl Philipp Moritz am 15. September: Alexander Kosenina untersucht die literarischen Vorstudien zum"Anton Reiser."
Autorenporträt
Alexander Kosenina, geb. 1963, ist Professor für deutsche Literatur an der Universität Bristol. Veröffentlichungen zur Literatur- und Kulturgeschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Aufschlussreich findet Rezensent Thomas Meissner diese Studien über Karl Philipp Moritz, die Alexander Kosenina vorgelegt hat. Im Mittelpunkt sieht er einen weniger bekannten Teil von Moritz? Werk, nämlich die literarischen Anfängerarbeiten und Experimente bis zum Aufbruch nach Italien. Kosenina verfolge anhand dieser Texte Moritz? schriftstellerischen Weg. Deutlich wird für Meissner insbesondere, dass sich der spätere Autor des "Anton Reiser" und Herausgeber des "Magazins für Erfahrungsseelenkunde" schon früh für Anthropologie und Psychologie interessierte. In diesem Zusammenhang nennt Meissner etwa die "Beiträge zur Philosophie des Lebens" oder "Reisen eines Deutschen in England im Jahr 1782". Etwas bedauerlich findet er Koseninas geringes Interesse an der biografischen Perspektive, könnte diese doch die "innere Genese des Schriftstellers Moritz entscheidend ergänzen".

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.12.2006

Reise ins eigene Ich
Alexander Kosenina unterzieht Karl Philipp Moritz einer Therapie

Ein Geheimtip ist Karl Philipp Moritz schon lange nicht mehr. Mag sein Werk auch nicht die Verbreitung eines der anderen klassischen Autoren um 1800 haben, so finden seine Schriften zur Ästhetik, Mythologie oder Pädagogik doch zunehmend Beachtung. Aus dem von jeher geschätzten Autor des autobiographischen Romans "Anton Reiser" (1785/90) und dem Reiseschriftsteller ist damit wieder jener geradezu unbegreiflich vielseitige Schriftsteller geworden, als der sich Moritz seinen Zeitgenossen präsentierte.

Alexander Kosenina wendet sich gleichwohl einem wenig bekannten Teil des Moritzschen Werkes zu, nämlich den frühesten literarischen Arbeiten bis zum Aufbruch nach Italien 1786. Ihn interessiert "die allmähliche Verfertigung des Schriftstellers Moritz aus literarischen Experimentalanordnungen". Folgerichtig geht es nicht um Höhenkammliteratur, sondern um literarische Anfängerarbeiten und Experimente, die einen Autor zeigen, der noch auf der Suche nach einem unverwechselbaren Profil ist. In sieben Einzelstudien verfolgt Kosenina diesen Weg, an dessen Ende der erfolgreiche Romancier und Herausgeber des "Magazins für Erfahrungsseelenkunde", der ersten psychologischen Fachzeitschrift in Deutschland, steht.

Eines der Leitthemen ist die Anthropologie. Die Lehre vom Menschen avanciert in dieser Zeit zu einer regelrechten Modeerscheinung und ist mit Momenten von Selbstbeobachtung und Introspektion wie überhaupt mit einer umfassenden Hinwendung zur Empirie verbunden. Immer wieder geht es um die inneren Beweggründe einer Handlung, um kausallogisch lückenlose Erklärung, um die genaue Registrierung der äußeren Umstände. Führt Moritz später in seinem "Magazin für Erfahrungsseelenkunde" die ganze Palette menschlichen (Fehl-)Verhaltens vor, so legt er im Roman "Anton Reiser" mit geradezu bedrückender Schonungslosigkeit seine eigene Kindheits- und Jugendgeschichte bloß. Seine frühen "Beiträge zur Philosophie des Lebens" ordnet Kosenina gleichsam in diese Kette ein. Hier werden nicht nur in popularphilosophischer Form kleine Lebensweisheiten zum besten gegeben, sondern hier zeigt sich auch schon jenes anthropologische Interesse, für das Moritz später berühmt sein wird. Biographisch gesehen, kommt der Präsentation von Tagebuchauszügen in den "Beiträgen" eine therapeutische Funktion zu: Es handelt sich um Moritz' ersten Versuch, jene "quietistische Erziehungsdiktatur" mit dem Verbot jeder Form von Selbstreflexion, unter der er als Kind gelitten hatte, "öffentlich in literarischer Form zu überwinden".

Ein anthropologisches Interesse zeigt sich auch in der Fallgeschichte "Aus K...s Papieren", die in ihrer Substanz noch auf Moritz' Studienzeit zurückverweist. In einer Mischung aus Tagebuchaufzeichnungen und Herausgeberkommentaren wird die Geschichte zweier scheiternder Lebensläufe erzählt. In beiden Fällen geht es um eine "innere Krankheit", um Tatenlosigkeit und Antriebsschwäche, die fast zur völligen Selbstaufgabe führen. Wenngleich Moritz auch hier an einer psychologischen Erklärung gelegen ist, die der in die Rolle eines "philosophischen Arztes" versetzte Leser anhand des Materials freilich selbst leisten muß, hebt Kosenina doch auch die Momente literarischer Stilisierung hervor. Schillers "Räuber", Goethes "Werther" und Friedrich Maximilian Klingers Drama "Die Zwillinge" stellt er als Referenztexte heraus, was es doch äußerst unwahrscheinlich macht, daß Moritz lediglich als kommentierender Herausgeber fungiert, wie er es sich selbst zuschreibt. Aus der Fallgeschichte wird mithin Literatur.

Das bekannteste Werk der vorliegenden Studien sind zweifellos die "Reisen eines Deutschen in England im Jahr 1782". Kosenina spricht von einer "Erfahrungsseelenreise", um Moritz' anthropologische Perspektive auf das "Stammland des Empirismus" zu unterstreichen. Dieser favorisiert "Beobachtungen aus der wirklichen Welt, deren einzige oft mehr praktischen Wert hat als tausend aus Büchern geschöpfte", und entsprechend reist er zu Fuß. Möchte er auf diese Weise "Sitten und Menschen" kennenlernen und sich von einem unvoreingenommenen, neugierigen Blick leiten lassen, so stößt er damit auf Unverständnis und wird "für einen Bettler oder Spitzbuben" gehalten. Seine subjektive Perspektive hebt seine Reiseaufzeichnungen indes entschieden von den faktographisch orientierten Reiseführern der Aufklärungszeit ab und sorgte wohl nicht zuletzt für ihren Erfolg beim zeitgenössischen Publikum.

Sosehr Kosenina den inhaltlichen Zusammenhang von zum Teil schon an anderem Ort publizierten Beiträgen wahrt, so desinteressiert zeigt er sich am biographischen Kontext. Das ist bedauerlich, denn die biographische Perspektive könnte die innere Genese des Schriftstellers Moritz entscheidend ergänzen. Anläßlich der "Sechs deutschen Gedichte, dem Könige von Preußen gewidmet" (1781) erwähnt Kosenina immerhin, daß Moritz mit ihrer Publikation wohl auch seine Karriere befördern wollte. Das stete Ankämpfen um Anerkennung und Ruhm, die Aufstiegswünsche des aus einfachsten sozialen Verhältnissen stammenden Moritz sind ein vielleicht ebenso wichtiger Antrieb zu seinen frühen literarischen Versuchen wie sein nicht zuletzt biographisch bedingtes anthropologisches Interesse.

THOMAS MEISSNER

Alexander Kosenina: "Karl Philipp Moritz". Literarische Experimente auf dem Weg zum psychologischen Roman. Wallstein Verlag, Göttingen 2006. 182 S., br., 24,- [Euro].

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