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Ein Mann nimmt Abschied, er wird den nächsten Tag nicht überleben. Doch Noll kann nicht aufhören, sich zu erinnern, und so werden die letzten Stunden zur Spurensuche und zu dem Roman eines Lebens - wie ein Musikstück komponiert, fügen sich Geschichten voller Geheimnisse, Schuld und Augenblicken des Glücks ineinander. Die Figuren in Noll kämpfen mit dem Gleichmaß der Alltagsgeschwindigkeit, ringen um Selbstbehauptung in einer in die Schräge gedrehten Welt, und schließlich entfaltet, wie schon in Jäckles hochgelobten Erzählungen Es gibt solche, das Erinnern selbst seinen Zauber, wird das…mehr

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Produktbeschreibung
Ein Mann nimmt Abschied, er wird den nächsten Tag nicht überleben. Doch Noll kann nicht aufhören, sich zu erinnern, und so werden die letzten Stunden zur Spurensuche und zu dem Roman eines Lebens - wie ein Musikstück komponiert, fügen sich Geschichten voller Geheimnisse, Schuld und Augenblicken des Glücks ineinander. Die Figuren in Noll kämpfen mit dem Gleichmaß der Alltagsgeschwindigkeit, ringen um Selbstbehauptung in einer in die Schräge gedrehten Welt, und schließlich entfaltet, wie schon in Jäckles hochgelobten Erzählungen Es gibt solche, das Erinnern selbst seinen Zauber, wird das Erzählen zum eigentlichen Helden des Romans. Verdrängte Schuld, vertuschte Katastrophen - im Erinnern erzählt sich auch das Ausgesparte, das Angedeutete mit. Der Großvater, der im Krieg einen Finger verloren und begraben hat, so wie die eigene Schuld, nach der man in der Familie nicht fragt. Der Vater, der plötzlich nicht mehr wiederkommt. Viejo, ein verrückter alter Mann, ein Geschichtenerzähler, der seine letzte Geschichte nicht mehr loswird. Und schließlich Noll selbst, der dem Leben abhanden kommt, sich von den Menschen entfremdet, weil ihm in den entscheidenden Augenblicken die richtigen Worte fehlen. Wie das wohl ist für einen, der den letzten Augenblick gesetzt hat, wie man einen Punkt setzt nach dem beendeten Satz. Wie das wohl ist, wenn einer geht. Inhalt und Form fließen ineinander, Sätze und Erinnerung verweigern Eindeutigkeit. In kunstvoll variierten Wiederholungen kreisen sie immer enger um die Geheimnisse einer Familie und schließen sich am Ende wie ein erdenrunder Abendhimmel
Autorenporträt
Jäckle, Nina
Nina Jäckle wurde 1966 im Schwarzwald geboren und lebt heute in Berlin. Sie hat bereits zahlreiche literarische Auszeichnungen und Stipendien erhalten, darunter 1995 den GEDOK Literaturförderpreis, 1996 den Hamburger Förderpreis für Literatur, 2003 das Alfred Döblin Stipendium, Berlin, 2004 das Stipendium Künstlerdorf Schöppingen und das Stipendium Kloster Cismar und 2005 den 6. Karlsruher Hörspielpreis. Im Beim Berlin Verlag erschienen: »Es gibt solche« (2002), »Noll« (2004) und »Gleich nebenan« (2006) und »Sevilla« (2010).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.2005

Das Leben ist gar nicht anderswo
Aussteiger ohne Wahl: Romane von Christine Pitzke und Nina Jäckle

Wir haben gewisse Erwartungen an Heimkehrer-Geschichten: Wenn sie schon nicht den dramatischen Bogen der Heimkehr des Odysseus erreichen, dann rechnen wir doch mit der Läuterung des Helden durch den Krieg oder doch der Einsicht in das Schreckliche, einen Erkenntniszuwachs durch das Fremdsein im Zuhause oder den Willen zur Artikulation, zum Lamento wie in Borcherts "Draußen vor der Tür".

Christine Pitzkes schmaler "Roman" unterläuft alle diese Erwartungen: Diese "Versuche, den Morgen zu beschreiben" gelten einem vom Krieg Gezeichneten, der über das Erlebte nicht sprechen kann und will, nicht mit der Frau, zu der er sich flüchtet, und schon gar nicht in einer Talk-Show über Kriegsheimkehrer. Dieser Krol "bewältigt" nichts, er gibt sich seiner Erschöpfung hin. In den Krieg geraten ist er wie in eine Naturkatastrophe, als zugereister Techniker von seinem Ausbruch überrascht, fand er sich in der Stadt eingeschlossen - offenbar irgendwo auf jugoslawischem Territorium, später fährt er dort mit der Ich-Erzählerin die Küste ab. Sie, eine alte Liebe, hat ihn aufgenommen. Krols Zustand ist wechselhaft mit starker Verdüsterung und seltenen Aufhellungen, "er kann tagsüber nicht in helle Wolken sehen, er kann tagsüber nicht arbeiten, nicht vor dem Bildschirm und nirgendwo sonst, er will kein Fleisch essen, er ekelt sich, er ist wütend, dann wieder liegt er kalt und niedergeschlagen, ein Gefühl, sagt er, als ob eine Hautschicht erstarrt sei".

Christine Pitzke läßt nun die Erzählerin dem Beginn eines Heilungsprozesses beiwohnen, diesen auch fördern, durch geduldiges Nichtstun und Hinnehmen. Lange Zeit sieht es so aus, als würde sie, als Anästhesistin prädestiniert für die Betäubung von Schmerzen, hier auf verlorenem Posten stehen, ja als würde vielmehr der seelisch Versehrte die Ärztin anstecken mit seiner Wut und Weltangst und sie aus den Gleisen der Normalität springen lassen. "Wunden auf der hinteren Seite des Herzens sind schwer zu erreichen", weiß sie, und weil sie außerdem Expertin für Wundversorgung ist, muß man, was wie eine Sentenz klingt, stets auch wörtlich nehmen. Einige der mit Begriffen überschriebenen Kurzkapitel dieses Buches sind medizinischen Exkursen gewidmet: "Epithelisierung", "Verletzungsarten", "Aufwachraum" - Pitzkes Blick wechselt sprunghaft von der sachlich-funktionalen Betrachtung zu poetischer Verkürzung und Prägnanz: "die Seele wartet nicht immer auf den Körper, das ist das Gesetz der Maschinen" oder, archaisch getönt: "der Mensch ist ein Gott in Trümmern".

Immer wieder überraschen die Stärke der Bilder, die Originalität der Gedanken, die Genauigkeit der Formulierungen. Das Buch hat einerseits Pathos im Wortsinn (schließlich geht es um Schmerz), andererseits einen verqueren Witz.

Die "Versuche, den Morgen zu beschreiben" beschreiben das, was nach der Nacht kommt, als etwas noch sehr Vages, Diffuses. Zugleich sind es Versuche (auch im Sinne des Essays), unsere Gegenwart zu beschreiben: als eine, in der der Krieg nicht bloß anderswo stattfindet. Die Erzählerin hat schon einen Mantel für eine etwaige Evakuierung beiseite gelegt. Der Nachbar der beiden, ein Gärtner, wird spaßeshalber von Unbekannten mit Steinen traktiert und verletzt. Ganz normal aussehende Männer dringen ins Krankenhaus ein und werfen dort alles über den Haufen. Christine Pitzke konstatiert einen Zustand, der ziemlich genau dem entspricht, den Ingeborg Bachmann in ihrem Gedicht "Alle Tage" umrissen hat: "Der Krieg wird nicht mehr erklärt, / sondern fortgesetzt. Das Unerhörte / ist alltäglich geworden." Und "der Schwache", der "in die Feuerzonen gerückt" ist, heißt hier Krol. Das Gefühl der Bedrohung dominiert die kollektive Wahrnehmung, es hat die Literatur längst erfaßt. "Alle Tage" heißt ja auch Terézia Moras jüngster Roman, der sich um den Einbruch einer sinnlosen Gewalt in den urbanen Alltag dreht.

Christine Pitzkes Protagonist kommentiert all das scheinbar abgebrüht, nach seiner Theorie geht die Verjüngung einer Gesellschaft nicht ohne Zerstörung ab. Und während er sich als Testperson im Schlaflabor und als Stelzengeher für eine Eventagentur über die Niederungen des gewöhnlichen Erwerbslebens erhebt, entfaltet sich die Wirkung der Zeit, die bekanntlich alle Wunden heilt. Die Erzählung umfaßt ein Jahr, beginnt und endet im Winter. Ein Rest Beunruhigung bleibt. Die Lösung der Krolschen Erstarrung wird nicht als Lösung eines Rätsels präsentiert, sie geschieht unspektakulär und quasi als Nebenprodukt der unscheinbaren Liebesgeschichte, die hier auch erzählt wird: "Wir gehen lange, Krol und ich, wir gehen weit, ein gemeinsames Tier, das Schwächere um die Form des Stärkeren herumgegossen, und wenn man eines zerstört, sind beide zerstört".

Schwache Helden haben zur Zeit offenkundig Konjunktur, Männer, die sich aus dem Arbeitsprozeß ausklinken, Aussteiger aus Erschöpfung - ohne Lebenstraum, ohne Alternativprojekt. Auch Nina Jäckle hat mit ihrem ersten Roman ein Stück existentielle Prosa vorgelegt. Ihre Titelfigur "Noll" ist mit Pitzkes Krol nicht nur klanglich verwandt. Auch Noll findet sich nicht zurecht im Leben, beim Arbeiten, in der Liebe, und das schon vor der Krankheit, die ihn zum Moribunden macht. Jäckle hat ihr Debüt als Ritual des Abschiednehmens und Erinnerns inszeniert: als Chronik eines angekündigten Todes auf mitteleuropäisch. Es stirbt der Held, den Zeitpunkt hat er selbst bestimmt, in einem Versuch, gegen das Zwangsläufige des Krebs-Ganges die eigene Souveränität zurückzugewinnen. "Wie das wohl ist, wenn einer geht, zuvor jedoch die täglichen Dinge tut, unwichtige Handgriffe, die plötzlich etwas Abschließendes bedeuten, das Spülen des Geschirrs, das Einräumen der Wäsche in die Kommode, das Abschalten des Radios."

Solche Überlegungen stellt die Versicherungsdetektivin an, die den Selbstmord, der so gar nicht nach einem Unfall ausschaut, untersucht - der zweite Teil der Geschichte kann es dabei an Stringenz mit dem ersten nicht aufnehmen. Bedenkt man, daß Noll Mutter und Schwester die Versicherungssumme zukommen lassen will, verhält er sich in der Tat eher ungeschickt: Überall in der Wohnung hinterläßt er Zettel für sie, er räumt penibelst auf, "plant Schritt für Schritt das Hinterlassen der Räume für fremde Augen". Dabei und dazwischen nimmt er sich ausgiebig Zeit zum Erinnern: an Mara, die Frau, die ihm wichtig war und die er verlor, weil er sich nicht durchringen konnte, ihr das zu sagen; an den Großvater, der im Krieg seinen Finger abgehackt und vergraben hatte, um dem Dienst im Feld zu entgehen, der von dieser Geschichte besessen war und später, verwirrt, seinen Finger plötzlich vermißte.

Formal gebärdet Jäckle sich weniger virtuos als Pitzke, sie erzählt vom tastenden Zugehen auf den Tod in einer betont schlichten, durch Wiederholungen strukturierten Sprache, mit großer Intensität, aber ohne jede Wehleidigkeit und mit viel Gespür für die Wirkung der Lücke: "man ließ einige Details aus, über die niemand sprechen wollte", heißt es über die Familientreffen im Banne des großväterlichen Fingers, der irgendwie immer auch auf die zwielichtige Rolle seines Inhabers in der Nazi-Zeit zu zeigen schien. Mit "Noll" ist Jäckle das Porträt eines Mannes geglückt, der nicht zum Versicherungsbetrüger taugt, aber immerhin bei seinem Abgang mehr Konsequenz beweist als in seinem ganzen Leben.

DANIELA STRIGL

Christine Pitzke: "Versuche, den Morgen zu beschreiben". Roman. Jung und Jung, Salzburg-Wien 2004. 140 S., geb., 17,90 [Euro].

Nina Jäckle: "Noll". Roman. Berlin Verlag, Berlin 2004. 191 S., geb., 18,- [Euro].

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