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Neu übersetzt von Eva Moldenhauer - das seit langem vergriffene frühe Werk des Nobelpreisträgers: Das Gras.
"Niemand macht die Geschichte, man sieht sie nicht, ebenso wenig wie man das Gras wachsen hört", ein Satz von Boris Pasternak, den Claude Simon seinem Roman als Motto voranstellt. Das Gras erzählt aus dem Innenleben einer Familie, um von der Zeit und ihrem Verfließen zu erzählen. Eine alte Frau stirbt. Nahe beim Haus, am Fuß der sommerlich heißen Pyrenäen, liegt Louise, die junge Frau ihres Neffen, im Gras und erzählt, was geschieht und geschah: Wie die sterbende Marie, Tochter eines…mehr

Produktbeschreibung
Neu übersetzt von Eva Moldenhauer - das seit langem vergriffene frühe Werk des Nobelpreisträgers: Das Gras.

"Niemand macht die Geschichte, man sieht sie nicht, ebenso wenig wie man das Gras wachsen hört", ein Satz von Boris Pasternak, den Claude Simon seinem Roman als Motto voranstellt. Das Gras erzählt aus dem Innenleben einer Familie, um von der Zeit und ihrem Verfließen zu erzählen. Eine alte Frau stirbt. Nahe beim Haus, am Fuß der sommerlich heißen Pyrenäen, liegt Louise, die junge Frau ihres Neffen, im Gras und erzählt, was geschieht und geschah: Wie die sterbende Marie, Tochter eines des Lesens unkundigen Bauern, mit ihrer Schwester Eugènie unter Verzicht auf ein eigenes Leben dem jüngeren Pierre die Karriere eines Universitätsprofessors ermöglicht hat, und wie Sabine, Pierres Frau, ihren Kampf gegen das Verwelken führt. Louise möchte am liebsten fortgehen, aber sie fühlt sich verkettet mit den ineinander verschlungenen Schicksalen der anderen. So entsteht "Geschichte", im Fluss der Gedanken und Erinnerungen, vorantastend, in immer enger umkreisenden Beschreibungen. In den virtuosen Sätzen eines Claude Simon, lang dahinrollend, ergießt sich eine Flut von Bildern üppiger Sinnlichkeit - in denen das Wesentliche unsichtbar bleibender Geschichte sichtbar wird.
Autorenporträt
Simon, Claude
Claude Simon wurde 1913 auf Madagaskar geboren, lebte in Paris und im südfranzösischen Roussillon. Er wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem "Prix de l'Express" (für "Die Straße in Flandern"), dem "Prix Médicis" (für "Geschichte") und dem "Grand-croix de l'ordre national du Mérite". 1985 erhielt er den Literaturnobelpreis. Claude Simon starb 2005 in Paris. Veröffentlichungen (Auswahl) Le vent (1957), dt. Der Wind (DuMont 2001) L'herbe (1958), dt. Das Gras (DuMont 2005) La route des Flandr

Moldenhauer, Eva
Eva Moldenhauer wurde 1934 in Frankfurt am Main geboren, wo sie heute noch lebt. Neben dem Werk von Claude Simon übersetzte sie aus dem Französischen u. a. Claude Lévi-Strauss, Jean-Paul Sartre, Agota Kristof, Jorge Semprun, Julien Green und Emanuel Lévinas.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.09.2005

Im Namen der getrockneten Rose
Strahlendes Tempus: Claude Simons "Gras" in neuer Übersetzung

Wäre Claude Simon in diesem Sommer so gestorben, wie die alte Frau aus diesem frühen Roman stirbt, so wäre unsere Anerkennung ihm sicher. Es ist schon fast Herbst, die letzten Sommertage. Der Hausdiener Julien sieht beim Heimkommen auf dem südwestfranzösischen Hof die gewohnte Gestalt der Marie in ihrem Korbsessel unter der Kastanie. Zwei Stunden später sitzt sie immer noch gleich da, und der nähertretende Julien bemerkt, daß sie "zum ersten Mal in ihrem Leben schief dasaß". Dann beginnen die Tage der Agonie im halbdunklen Zimmer, die in diesem Roman aus der Perspektive der draußen im spätsommerlichen Gras liegenden Louise, einer jungen Verwandten der Sterbenden, erzählt werden. Marie hatte fast nur für ihren Bruder gelebt, und wäre nicht Louise, die Frau des Sohns von diesem Bruder, so würde niemand dieses aufopferungsvollen Lebens gedenken. Von Claude Simon, der im Juli noch diskreter als diese Romanfigur gestorben ist, bleibt das Werk, das bei DuMont seit acht Jahren in exemplarischer Übersetzung ediert wird. Dafür hat dieser Autor mehr als unsere Anerkennung, er hat unsere Bewunderung für ein OEuvre von schon klassischem Zuschnitt.

Dieser Roman "L'Herbe" war 1958 nach "Der Wind" der zweite, der die unverwechselbare Simonsche Erzählart aufwies, wie ein unter komplexen Windströmungen bewegtes Feld aus wirklichen und möglichen Geschichten. Schon auf den ersten Seiten blickt Louise träumend und redend in der friedlichen Septemberlandschaft auf "etwas", das ihr Mann Georges nicht sieht und das offenbar außerhalb aller Erzählperspektive liegt. Das Kraftfeld der Assoziationsströmungen ist für uns aber sofort spürbar. Es wirkt wie die großen Zyklen des Lebens, die auch im Sterbezimmer oben im Haus den Tod nicht wie einen Erbfeind, sondern wie einen vertrauten Gefährten daherkommen lassen. Denn die Sterbende hat in der Erinnerung Louises seit langem schon den Duft einer vertrockneten Rose "oder vielmehr - da eine vertrocknete Rose nach nichts riecht - den Duft, den sie verströmen müßte, das heißt, etwas, was sowohl aus Staub und aus Frische bestünde".

Dieses im Sterben gespiegelte Leben Maries zeigt schon eines der großen Themen Simons: wie Menschen Geschichte machen, indem sie sie durchmachen. Wie Weltkriege und große Ereignisse im Privaten gedeihen. Wie auch eine alte Dame "Stoff der Geschichte schlechthin" wird. Das dem Roman im Motto vorangestellte Wort Pasternaks, Geschichte könne nicht gemacht und auch nicht gesehen werden, ebensowenig wie man das Gras wachsen sieht, hat bei Simon seine unmittelbare kompositorische Konsequenz. So chronologisch eindeutig die Ereignisabfolge sich vollziehen mag, sie geht aufgrund der zahllosen Querverknüpfungen doch in keinem erzählerischen Nacheinander der Episoden auf. Sie gerät nur in den Sog des elliptisch die Dinge umkreisenden Gedankenflusses einer jungen Frau im Gras.

Dabei war diese noch gar nicht da, als an einem Juninachmittag, wo halb Frankreich in zusammengestoppelten Zügen vor der deutschen Reichsgebietserweiterung nach Süden floh, die schon betagte Marie mit Koffer und einer feinen Staubschicht auf den Schuhen plötzlich vor dem Gittertor des Anwesens stand. Marie, die zusammen mit ihrer ebenfalls unverheiratet gebliebenen Schwester alles für die Gelehrtenlaufbahn ihres Bruders geopfert hatte, war dann geblieben und zur einzigen wahren Vertrauensperson der in die Familie hereingeheirateten Louise geworden.

Claude Simon versteht wie kein anderer, eine Familiensaga so lebensnah und zugleich so fern von aller schnurrenden Chronik aus bloßen Assoziationsströmungen zu entfalten. In breit angelegter Syntax aus Haupt- und Nebensätzen und mit Klammer oder Gedankenstrich Jahrzehnte überspringend, läßt er den Ereignisablauf sich zu reiner Synchronie kräuseln. Denn die Zeit selber schreibt mit, schon wenn im Sterbezimmer durch die obere Ritze zwischen den beiden nicht ganz geschlossenen Fensterläden die Sonne einen T-förmigen Lichtfleck wie vom Wort "Tempus" über den Boden wandern läßt. Und auch im Hotelzimmer der nahen Stadt, wo Louise mit ihrem Gatten die ankommenden Trauergäste erwartet, ächzt, poltert, keucht die Zeit im Dunkeln voran zwischen der stillstehenden Pendeluhr im Rokokostil eines philosophisch morbid tickenden Jahrhunderts auf dem Kamin und dem im Vorrücken durch die Nacht leuchtenden Zeiger der Bahnhofsuhr direkt gegenüber. Während die anderen reden, denkt Louise manchmal an all das, wessen es bedarf, um einen ordentlichen Leichnam zustande zu bringen - "die Summe von Monaten, Jahren, Morgenstunden, Abenden, Nächten, verzehrter Nahrung, getragenen und verschlissenen Kleidern".

Dennoch strahlt dieser Roman weder dekadent idealisierende Todesvision noch morbide Leichnamsfaszination aus. Höchstens steigt manchmal der säuerliche Geruch verfaulender Birnen in die Nase, die Maries Enkel gegen den Rat der Bauern auf dem Grundstück unbedingt anpflanzen wollte, die aber unter diesem Klima immer vorzeitig abfallen und faulen. In diesen Vergärungsgeruch hinein stirbt die greise Marie mit ihrem hypothetischen Duft getrockneter Rosen etwa so, wie die zeitoffene partizipiale Präsensform bei Claude Simon immerfort sanft abschweifend in die Klarheit der erinnernden Imperfektform gleitet. Und Eva Moldenhauer hat in ihrer magistralen Übersetzung bis ins sanft ausklingende "sagend", "denkend", "erlöschend" hinein diese ins Offene wehende Zeitform bewahrt.

Für Leser, die mit dem Werk Claude Simons wenig vertraut sind, ist die Neuübersetzung dieses lange vergriffenen Romans ein geeigneter Einstieg, für die anderen ist sie die Wiederbegegnung mit einer fast schon verlorenen Spur.

JOSEPH HANIMANN

Claude Simon: "Das Gras". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Eva Moldenhauer. DuMont Verlag, Köln 2005. 206S., geb., 22,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Claude Simons erstmals 1958 erschienener Roman "Das Gras" ist nicht die leichteste Lektüre für "ungeübte Leser", warnt Thomas Laux und erklärt, dass die noch vorhandenen Rudimente von Handlung nicht chronologisch, sondern "spiralförmig" erzählt werden und hinter das Grundthema des Romans, das Verstreichen der Zeit, zürücktreten. Das Erzählte (zwei Schwestern treffen nach Jahren ihren Bruder wieder, für dessen Karriere sie ihr Leben geopfert haben) werde immer wieder "dezentriert" und in Suggestionen, Bildern, Symbolen und Allegorien aufgelöst, wie Laux beschreibt, so dass die Geschichte "springt oder unwillkürlich im Raum stehen bleibt." Für die anspruchsvolle Komposition des Buches und die kunstvolle Eleganz seiner Sprache habe sich Eva Moldenhauer als "kongeniale Übersetzerin" erwiesen, urteilt der Rezensent. Sie habe die erste deutsche Übersetung von Erika und Elmar Tophoven aus dem Jahre 1970 um Längen übertroffen, da sie "präziser im Detail" sei und es verstanden habe, die Eleganz des Originals einzufangen. "Man kann auch sagen: ein Glücksfall."

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