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Wie Rock und Jazz in die Bundesrepublik kamen, davon erzählt Konrad Heidkamp. Und davon, wie sich in vier Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte das Musikverständnis revolutionierte. Er porträtiert Ikonen des Rock und Jazz wie Miles Davis, John Coltrane, Thelonious Monk, Bob Dylan, Mick Jagger oder Bruce Springsteen.

Produktbeschreibung
Wie Rock und Jazz in die Bundesrepublik kamen, davon erzählt Konrad Heidkamp. Und davon, wie sich in vier Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte das Musikverständnis revolutionierte. Er porträtiert Ikonen des Rock und Jazz wie Miles Davis, John Coltrane, Thelonious Monk, Bob Dylan, Mick Jagger oder Bruce Springsteen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.12.2000

Du hast den Farbfilm vergessen!
Selige Saiten, brüchige Welt: Der Musikkritiker Konrad Heidkamp folgt den Tonspuren eines Werdegangs ohne Walkman

Die Rockmusik hat in ihrer Geschichte, die mittlerweile fast ein halbes Jahrhundert zurückreicht, nicht nur viele wunderbare und noch viel mehr überflüssige Platten hervorgebracht, sondern auch einen umfangreichen gedruckten Apparat dazu. Das hat womöglich mit ihrer immer wieder geleugneten ("Sterben möcht' ich, bevor ich alt bin", sangen "The Who" in "My Generation"), aber doch gar nicht nur insgeheimen Sehnsucht nach Ewigkeit zu tun. Über die Jahrzehnte haben sich verschiedene Grundmodelle der Rockliteratur herausgebildet: die Musiker-Monographie, aus kritischer Distanz oder auch aus einer unbequemen Fanbücklingshaltung geschrieben, das enzyklopädische Werk, das alles weiß und nichts vergißt - und die eher private Betrachtung, bevorzugt im Rückblick: Wie ist das eigentlich, mit Rockmusik aufgewachsen zu sein?

Aus dieser Gattung stammen nicht unbedingt die aufschlußreichsten Bücher, was das Woher und Wohin des Rock angeht - und alles, was dazwischen liegt. Doch will man wirklich wissen, wer wann in welcher Gruppe gespielt hat und warum, welcher Song an einem Tag im Mai 1968 die Hitparade in New South Wales anführte und von welchem Hersteller Paul McCartney seine Baßsaiten bezog?

Mißtrauen gegenüber jenen, die alles zu kennen behaupten, ist stets angebracht. Das gilt natürlich nicht weniger für die Ich-Erzähler in der Musik - auch wenn sie das Personalpronomen gewöhnlich geschickt vermeiden. So einer ist der Publizist Konrad Heidkamp. Wenn er über Konzerte oder Platten schreibt, dann schreibt er vor allem über sich selbst. Das machen alle guten Autoren. Das Thema ist ihnen stets nur Vorwand, vor allem, wenn es in einer so ausgestellt subjektiven Kunst wie dem Rock liegt. Und es geht hier auch nicht um das bei anderen Gelegenheiten immer wieder beschworene Generationenporträt. Leider gibt es noch viel zu wenig gute Bücher darüber, wie es ist, mit Rockmusik aufzuwachsen.

Der Innenumschlag von Heidkamps Erinnerungen an die "Musik einer Generation", wie der Untertitel lautet: "40 Jahre Rock und Jazz", zeigt Konzerteintrittskarten, vor allem aus den sechziger und siebziger Jahren. Damals konnte man noch Entdeckungen machen, und zugleich war es sehr leicht, sich mit seiner Meinung zu blamieren. Es war die Zeit vor dem allumfassenden anything goes, als Freundschaften zerbrachen über der Frage, wer besser sei: Beatles oder Rolling Stones. Es war die musikalische Sozialisationszeit Heidkamps, er ist Jahrgang 1947.

Über dem Buch liegt schon allein durch den Titel ein Hauch von Melancholie, einer Komposition von Bob Dylan, die Anfang der sechziger Jahre zum Hit wurde durch die Interpretation Van Morrisons, der dabei klingt wie Mick Jagger: "It's All Over Now, Baby Blue", ein ganz eigener rockmusikalischer Kosmos. Der Text des Lieds steht auf der letzten Seite des Buchs. Heidkamp setzt oft Wirklichkeitssplitter von damals, Zeitungsausschnitte, Lyrik, Slogans, gegen seine eigenen Erinnerungen. Manchmal ist schwer zu erkennen, wem er schließlich mehr traut: den Zeugnissen - auch des fortlaufenden Schwachsinns eines Grabenkriegs zwischen Generationen - oder sich selbst.

Die Schwermut, die wie ein Mantel gegen warmen Sommerregen über diesem Buch liegt, drückt sich auch in den Schwarzweißfotos aus, die seltsam vorgestrig aussehen - auch wenn sie von gestern stammen. In nicht wenigen von ihnen ist Ewigkeit, woran man auch erkennen kann, daß der Rock sich seit jeher schwertut mit dem Alter. Es ist eine junge Kunst geblieben - bis heute. Deswegen ist es auch so schwer, über sie im Rückblick auf eine Art zu schreiben, daß nicht aus jedem Satz Nostalgie tränt. Das ist die größte Kunst von Heidkamps Erinnerungen: Wie er Sentimentalität nicht zuläßt, obwohl er sich so genau erinnert, daß es mitunter zum Fürchten ist. Wie kann man ein solches Gedächtnis besitzen? Ist es nicht schöner, vergessen zu können? Oder ist doch die eine oder andere Episode nur erfunden, weil sie, aus dem Heute gesehen, perfekt in die nachgestellte Wirklichkeit von gestern paßt? Es spielt keine Rolle, das hat das Schreiben über Rock mit einem der schönsten Sätze aus einem Western gemeinsam. Denn so heißt es am Ende von John Fords "The Man Who Shot Liberty Valance": "When the legend becomes fact - print the legend."

Heidkamp schreibt über seine Entdeckungen des Jazz und des Rock, aber er schreibt auch darüber, wie es dazu kam, was vorher und was gleichzeitig war und was daraus wurde. Also schreibt er über Tippkick-Turniere und den Gewissensstreit der Mitspieler über den Fall Elvis Presley versus Charlie Parker, er schreibt über den "Goldenen Schuß" im Fernsehen und die RAF in den Städten, und er schreibt übers Kino, vor allem über John-Ford-Western. Mit "The Searchers" beginnt das Buch, mit Herbert Achternbuschs Betrachtungen zu diesem Film schließt es.

Manchmal drohen Heidkamps Anspielungsgelehrsamkeiten Selbstzweck zu werden, die doppelten und mehrfachen Filter, durch die er zurückblickt, um dann doch nur das zu sehen, was er sehen will - was ihm niemand verwehren wird, als Jazz- und als Rockhörer und als Autor schon gar nicht. Manchmal kommt einem das Buch doch recht prätentiös vor, als glaube Heidkamp seine früheren Leidenschaften nachträglich schönschreiben zu müssen; wie, um sich dafür zu rechtfertigen, Rock und Jazz gehört zu haben, als es noch nicht alle taten.

Was bleiben wird von seinem Buch, sind einzelne gelungene Porträts, etwa von Neil Young, den großen, aufrecht Gebrochenen des amerikanischen Rock. Oder auch seine Annäherungen an die entschiedene Nina Simone, den zerbrechlichen Chet Baker. Passagen gibt es in diesem Buch, die wird man immer wieder lesen wollen. Genauso, wie man von manchen Platten immer wieder nur dasselbe Lied hören möchte. Auch in Zeiten von CD, MP3 und DVD ist es schön zu sehen, wie sich der Tonarm des Plattenspielers über dieser einen Rille senkt und wie dann der erste Ton klingt. In seinen besten Passagen erzählt Heidkamps Buch davon, wie aus diesem Wiedererkennen ein neues Erlebnis wird.

ANDREAS OBST

Konrad Heidkamp: "It's All Over Now". Musik einer Generation. 40 Jahre Rock und Jazz. Alexander Fest Verlag, Berlin 1999. 311 S., geb., 49,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Im Großen und Ganzen positiv bespricht Andreas Obst diesen Band und verzeiht dem Autor gerne seine subjektive Sichtweise. "Ein Hauch von Melancholie" liegt nach Meinung des Rezensenten über diesem Buch, in dem neben "Zeitungsausschnitten, Lyrik und Slogans" auch Heidkamps eigene Erinnerungen eine große Rolle spielen. Selbst neuere Fotos sehen hier, wie Obst anmerkt, seltsam vergangen aus. Doch trotzdem sei das Buch frei von überflüssigen Sentimentalitäten. Etwas erstaunt zeigt sich Obst von dem präzisen Erinnerungsvermögen Heidkamps und vermutet, dass der Autor an der ein oder anderen Stelle doch ein wenig dazu erfunden hat. Doch selbst wenn das so wäre, stört es den Rezensenten nicht: Es spielt keine Rolle, findet er. Was ihm außerdem gefällt, ist dass Heidkamp auch auf andere wichtige Themen der Zeit eingeht: Kino, RAF, Glaubenskriege darüber, welche Musiker denn nun wirklich besser seien als andere. Und auch die Porträts einzelner Musiker, gesteht uns der Rezensent, wird er "immer wieder lesen wollen".

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