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"Eine Geschichte aus Deutschland Selten rückt uns die Geschichte der nationalsozialistischen Judenverfolgung so nahe und spüren wir die Wucht der Ereignisse so eindrücklich wie in diesem Buch."
Bei der Recherche über einen Berliner Mordfall aus dem Jahr 1938 stößt Eva Züchner hinter der Kriminalstory auf eine ganz andere Geschichte. Denn einer der Verdächtigen war Jude. Als sie beginnt, dessen weitere Stationen zu rekonstruieren, trifft die Autorin auf eine Handvoll Menschen, über deren Lebenswege sich ein beeindruckendes Panorama dieser Zeit erschließt. Wie in einem Brennglas bündeln sich…mehr

Produktbeschreibung
"Eine Geschichte aus Deutschland Selten rückt uns die Geschichte der nationalsozialistischen Judenverfolgung so nahe und spüren wir die Wucht der Ereignisse so eindrücklich wie in diesem Buch."
Bei der Recherche über einen Berliner Mordfall aus dem Jahr 1938 stößt Eva Züchner hinter der Kriminalstory auf eine ganz andere Geschichte. Denn einer der Verdächtigen war Jude. Als sie beginnt, dessen weitere Stationen zu rekonstruieren, trifft die Autorin auf eine Handvoll Menschen, über deren Lebenswege sich ein beeindruckendes Panorama dieser Zeit erschließt.
Wie in einem Brennglas bündeln sich in diesen Biographien nicht nur die nationalsozialistischen Maßnahmen zur Aushöhlung und Zerschlagung menschlicher Existenzen, sondern auch der Widerstand dagegen und der Wille zu überleben. Präzise recherchiert, knapp und auf kleinem Raum erzählt, ist Der verbrannte Koffer eine mitreißende Lektüre - ein kleiner, beinah zufälliger Ausschnitt deutscher Geschichte, der uns aber umso tiefer in deren Abgrund blicken lässt.
Autorenporträt
Eva Züchner, geboren 1942 in Berlin, wuchs in Kleinmachnow bei Berlin und Barcelona auf. In Berlin studierte sie Vergleichende Literaturwissenschaft und Neuere Geschichte. Sie arbeitete als Ausstellungskuratorin und Archivleiterin am Landesmuseum Berlinische Galerie. Schwerpunkte ihrer bisherigen Publikationen sind die klassische Moderne und Dada Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.03.2012

Der Fall des toten Mannequins und ihres Nichtmörders

Die Lebenslinien der Täter und der Opfer: Eva Züchner erzählt aus einer Kriminalakte des "Dritten Reichs".

Von Regina Mönch

Berlin im Spätsommer 1938: Eine Frau wird brutal ermordet, ein glamouröses Mannequin. Die Kriminalpolizei vernimmt Verdächtige und findet den Mörder nach sechs Tagen: Einen Liebhaber der schönen Tilly Albrecht. Wenige Minuten vor seiner Verhaftung ersticht er sich in der Herrentoilette der Berliner Likörfabrik Mampe. Alle verdächtigten Männer sind entlastet; bis auf einen, Walter Caro, Geschäftsführer einer feinen Konfektionsfirma im Berliner Hausvogteiviertel und so etwas wie Tillys Chef. Den behält man in Untersuchungshaft, denn Walter Caro, so steht es im Vernehmungsprotokoll, ist "mosaischen Glaubens". Werner Togotzes von der Berliner Mordkommission, seit einigen Monaten Mitglied der SS, überstellt den Unschuldigen einem anderen Dezernat "wegen des Verdachtes der Rassenschande".

Eva Züchner, die zum Mordfall im Landesarchiv recherchierte, beschloss, als sie diese Akte entdeckte, eine andere Geschichte zu schreiben: Die der Menschen, deren Namen sie in der Mordakte fand. Deren Erforschung, notiert die Autorin, glich dem Öffnen einer Falltür. Sie rekonstruiert aus dem Nachlass der Behörden und aus wenigen Gesprächen mit Nachgeborenen eine Geschichte der Zerstörung menschlicher Existenzen, aber auch des Widerstandes und Überlebenswillens. Immer neue Spuren nimmt sie auf, um das weitverzweigte Geflecht von Lebenslinien der Täter und Opfer sichtbar zu machen, die nur scheinbar vom Schicksal unausweichlich vorbestimmt waren.

Natürlich ist der Mordfall nicht Auslöser längst alltäglicher Schikanen für die Caros, die fast alle Juden sind. Die begannen spätestens 1933 mit einer außergewöhnlichen Bereitschaft fast aller Mitbürger, sie im Stich zu lassen. Auch der Aufstieg der mit dem Mordfall befassten Polizisten im Nazistaat beruht auf Entscheidungen, und sie treffen fast immer die schrecklichsten. Die Caros aber können sich dem Diktat der Rassegesetze, der Arisierungskampagnen und der Zwangsarbeit nicht entziehen, doch gelingen Eva Züchner eigenwillige Porträts ganz individueller Menschen, die sich dem Druck und den Zumutungen dieser dunklen deutschen Jahre nicht einfach ausliefern. Sie versuchen sich und andere zu retten, werden verraten, fliehen, und wer überlebt, hatte das Glück, in der Hölle einen anständigen Menschen zu treffen.

Walter Caro verliert erst spät seine Arbeit, taucht unter und wird schließlich von einem Arzt, der zuvor Widerstandsgruppen dem Volksgerichtshof auslieferte, verraten, dann nach Auschwitz deportiert. Paul Reckzeh, Denunziant aus Leidenschaft und ohne Gewissensnot, versucht nach dem Krieg noch einmal eine bizarre Karriere. Er wechselt die Besatzungszonen, sobald die Gefahr besteht, für seine Taten bestraft zu werden, und arbeitet lange als hochangesehener Arzt in der DDR, die ihn als "Verfolgten des Klassenfeindes" protegiert. Kriminalrat Walter Togotzes Täterleben wird schließlich mit einem Nachruf in einer Berliner Zeitung gekrönt: "Er war ein braver Mann." Ihre Nachkriegsbiographien bastelten sich diese Männer mühelos zusammen, die Überlebenden ihres Terrors hatten es schwer, sich auch nur ihre alte bürgerliche Identität zurück zu erkämpfen. Das war oft demütigend und bedurfte vieler Dokumente in Nazisprache, denn nur die erkannten die Nachkriegsbehörden an. Für jeden Tag mit "Judenstern" werden ihnen fünf DM zugestanden, der Entschädigungsantrag eines "jüdisch versippten" Familienmitglieds wird 1958 abgelehnt: "Die Antragstellerin ist Arierin." Die furchtbaren Verhöre, denen sie ausgesetzt war, hätten zudem nicht ihr gegolten. Eva Züchner erzählt diese Geschichten kühl distanziert; aus einer immensen Fülle von Zeugnissen hat sie ungewöhnliche Schicksale geborgen und eine Reportage über den Alltag im "Dritten Reich" geschrieben. Sie fällt keine Urteile, das Entsetzen kommt beim Lesen. Es steigt aus der grotesk banalen Sprache der Dokumente auf, deren darunter verborgene Menschenschicksale erst Züchners Kunst zum Leben erweckt.

Eva Züchner: "Der verbrannte Koffer". Eine jüdische Familie in Berlin.

Berlin Verlag, Berlin 2012. 176 S., geb., 18,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Der Historikerin und Literaturwissenschaftlerin Eva Züchner ist es zu verdanken, dass die Geschichte der jüdischen Kaufmannsfamilie Caro aus Berlin nicht vergessen ist, lobt Alexandra Senfft. Die Autorin schildert eindringlich und fesselnd die Spurensuche, die ihren Ausgang bei den Ermittlungen zum Mord am Mannequin Tilly Albrecht nimmt, den man zunächst Walter Caro angelastet hatte, und lässt das schreckliche Schicksal einer jüdischen Familie im Nationalsozialismus vor Augen treten, so die Rezensentin. Dabei findet sie die Familiengeschichte sprachlich wie dramaturgisch sehr gelungen dargestellt, insbesondere die Verschärfung der Gesetzgebung und der Lebensbedingungen der Juden unter den Nazis lässt sich hier beklemmend nachvollziehen, findet Senfft. Dass Züchner die Geschichte der Caros "ohne Pathos", dafür aber umso eindringlicher vor Augen führt, beeindruckt die Rezensentin, die nach der Lektüre auch ein dunkles Kapitel Berliner Geschichte "wiederbelebt" sieht.

© Perlentaucher Medien GmbH