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Das Romandebüt Motel Life war ein Sensationserfolg. Jetzt legt Willy Vlautin mit Northline nach.
Die deutsche Kritik lobte die zu Herzen gehende Lebensgeschichte von zwei Brüdern" als kraftvoll und herzzerreißend", zutiefst menschlich", authentisch und zart", attestierte ihr leuchtende Sätze, mit vielen knappen, herrlich klaren, anrührenden und alles sagenden Dialogen" und bezeichnete sie als großes Erzählkino". Die Nacht bricht herein über Las Vegas, Stadt der Glücksspieler und einsamen Trinker, der Nutten und Hochzeitstouristen in der Wüste Nevadas. Allison Johnson, Anfang zwanzig, ein…mehr

Produktbeschreibung
Das Romandebüt Motel Life war ein Sensationserfolg. Jetzt legt Willy Vlautin mit Northline nach.
Die deutsche Kritik lobte die zu Herzen gehende Lebensgeschichte von zwei Brüdern" als kraftvoll und herzzerreißend", zutiefst menschlich", authentisch und zart", attestierte ihr leuchtende Sätze, mit vielen knappen, herrlich klaren, anrührenden und alles sagenden Dialogen" und bezeichnete sie als großes Erzählkino".
Die Nacht bricht herein über Las Vegas, Stadt der Glücksspieler und einsamen Trinker, der Nutten und Hochzeitstouristen in der Wüste Nevadas. Allison Johnson, Anfang zwanzig, ein Mädchen mit schwarzem Haar und blauen Augen, sitzt vor einem Videospiel im Kasino. Sie ist betrunken. Ihr Freund Jimmy schleppt sie aufs Klo, zwingt sie, mit ihm Sex zu haben, prügelt sie blutig, weil sie bewusstlos wird. Allison lebt mit ihrer Mutter im Norden der Stadt. Vor und hinter dem Haus zwei verdorrte Rasenflächen, in der Auffahrt unter einem Plastikdach ein 1987er Chevrolet Lumina. Die Mutter trinkt und raucht ununterbrochen, hat eine Affäre mit irgendeinem Tom und trägt billige chinesische Seidenkleidchen. Abends schauen sie Filme mit Paul Newman, Haie der Großstadt und Butch Cassidy und Sundance Kid. Als Allison erfährt, dass sie im dritten Monat schwanger ist, packt sie ein paar Kleider in einen Koffer und haut ab. In Reno, der Spielerstadt an der kalifornischen Grenze, findet sie einen Job als Kellnerin in einem Diner. Ihr Baby muss sie zur Adoption freigeben. Es bleiben ihr der Alkohol und die Gespräche mit Paul Newman: Immer wenn die Hoffnungslosigkeit am größten ist, denkt sie an den schönen Schauspieler und an seine Rollen, und er kommt zu ihr und tröstet sie. Und dann ist da noch Dan, der Stammkunde im Diner ...
Autorenporträt
Willy Vlautin, geboren 1967 in Reno, Nevada, ist Sänger und Songschreiber der Folkrockband Richmond Fontaine. Er lebt in Portland, Oregon. Mit Richmond Fontaine tourt er immer wieder um die Welt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.03.2009

Die kalte Wüste
Las Vegas für Untergeher: Willy Vlautins Roman „Northline”
Wenn die Realität (und man selbst in ihr) nicht mehr zu ertragen ist, richtet man sich in Parallelwelten ein, um Trost und Hoffnung zu finden. In Willy Vlautins Debütroman „Motel Life” waren es zwei aus der Bahn geworfene Brüder, die sich nächtliche Geschichten vom Krieg und der Liebe erzählten, wenn sie nicht einschlafen konnten. In seinem neuen Buch „Northline” ist es der Schauspieler Paul Newman, der der Protagonistin in ihren komatösen oder halluzinatorischen Momenten erscheint, um praktische Ratschläge zu erteilen. Ob er helfen kann?
„Das Mädchen” heißt sie zunächst nur, bis sie irgendwann einen Namen bekommt: Allison. Schwarze Haare hat sie, auffallend blaue Augen, ein Alkoholproblem und einen Freund, Jimmy, der sie im Suff auf der Toilette einer Spielbank zum Sex nötigt. Als sie dabei ohnmächtig wird und sich einnässt, tritt er sie mit seinen Stahlkappenstiefeln. Auf den Rücken hat er ihr ein Hakenkreuz tätowieren lassen. Wir sind in Las Vegas und in einem Milieu, das gemeinhin als „White Trash” bezeichnet wird – eine wachsende Schicht weißer Amerikaner am sozialen Abgrund. Nichts in diesem Szenario könnte die Hoffnung vermitteln, dass sich etwas zum Besseren wenden könnte: Allisons Mutter trinkt ebenfalls und hat keine Zähne mehr im Mund; die jüngere, sechzehnjährige Schwester ist mit dem Freund nach Mexiko gefahren und kommt nicht mehr zurück.
Willy Vlautin, Sänger und Gitarrist der Alt-Country-Band „Richmond Fontaine”, hat eigens zu „Northline” einen Soundtrack komponiert, der dem Roman als CD beigelegt ist: getragene, melancholische Gitarrenstücke, wie man sie am Lagerfeuer spielen könnte. Bereits „Motel Life” war ein sehr guter Roman, doch „Northline” ist noch um einiges stärker, und das liegt am Einfühlungsvermögen, mit dem Vlautin seine Hauptfigur durch ihr trostloses Leben begleitet; an der Art und Weise, wie er sie in die deprimierende Ödnis von Wüsten, Einkaufsmärkten, Spielsalons und Bars hineinsetzt.
Das hat etwas ungeheuer Authentisches, Zärtliches, Trauriges und Mitfühlendes zugleich. Wenn Menschlichkeit eine literarische Kategorie ist, dann beherrscht Vlautin sie in Perfektion. Es gibt Szenen in „Northline”, die man so schnell nicht mehr vergessen wird. Als Allison während einer Party mitten in der Wüste zusehen muss, wie Jimmy sie betrügt, macht sie sich buchstäblich aus dem Staub und wird von einem alten Lastwagenfahrer mitgenommen.
Eine Reise nach Reno
Wie Vlautin die nächtliche Fahrt in einen Schwebezustand bringt, ist schlicht großartig – der alte Mann und das Mädchen; da ist kein Pathos und auch keine sexuelle Aufladung, sondern nur kurzzeitige Nähe, Trauer und Leere. Und für den Leser die Erkenntnis, dass es in Vlautins Welt keine Sieger gibt, dass es keinen Orientierungspunkt gibt, dass das Leben ein unendlicher verzweifelter Strahl ist und dass all diese in die Welt geworfenen Figuren das auch wissen.
Allison wagt dennoch einen Ausbruchsversuch. Als sie bemerkt, dass sie schwanger ist, bricht sie alle heimatlichen Verbindungen ab und fährt nach Reno. Das Kind, das sie bekommt, gibt sie zur Adoption frei, was ihre finanzielle Not lindert, ihre Albträume aber nährt. Sie versucht, Fuß zu fassen, wie der Frosch, der in der Milch strampelt in der Hoffnung, dass sie Quark werde. Die wenigen Menschen, die sie kennen lernt, sind gezeichnet – Penny, die fette Telefonmarketingfrau, für die sie arbeitet, ebenso wie Dan, der Stammgast mit der Narbe im Gesicht und dem hängenden Auge in dem Diner, in dem sie kellnert. „Wenn du dich selbst zu sehr hasst”, sagt Penny zu ihr, „sitzt du einfach mit einer endlosen Reihe von Arschlöchern da. Aber viele Menschen sind ziemlich glücklich, heißt es.” Entscheidend ist der Nachsatz. Das Glück ist etwas, was man aus Erzählungen kennt oder aus dem Fernsehen.
All das erzählt Vlautin in einer kargen, lakonischen Sprache, in kurzen Sätzen, in Dialogen, die einem trotzigen Verstummen abgerungen sind. Ein sozialer Aufstieg ist in dieser vom Kapitalismus umzingelten Welt paradoxerweise ausgeschlossen; der amerikanische Traum ist ausgeträumt. Und doch hat der Roman beinahe ein Happy End. Nur beinahe, denn an ein dauerhaftes Gelingen mag man so recht nicht glauben. „Northline” ist in seiner Ausstattung ein sehr amerikanisches Buch, und doch hat Vlautins scheinbar dahingeworfene und tatsächlich subtile Figurenzeichnung etwas den Orten und Straßen Nevadas Enthobenes, etwas universell Gültiges: Er gibt den Verlierern eine großartige literarische Stimme. CHRISTOPH SCHRÖDER
WILLY VLAUTIN: Northline. Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Robin Detje. Berlin Verlag, Berlin 2009. 204 Seiten, 19,90 Euro.
Mit Hut, Hund und Sack und Pack, aber ohne Wohnung: Las Vegas vor dem Casino Cortez Foto: Rapho / laif
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.04.2009

Verlorene Seelen im Sattelschlepper

Südlich vom gelobten Land: Der Musiker und Autor Willy Vlautin trennt den weißen Müll Amerikas etwas zu gründlich in Täter und Opfer.

She was lost and isolation is my biggest fear", sang Willy Vlautin über ein "skinhead girl" in "Northline", einem Lied seiner Countryband Richmond Fontaine. Nach "Motel Life", dem literarischen Debüt des 1967 in Reno, Nevada, geborenen Musikers, heißt sein zweiter, eigens mit einem Soundtrack versehener Roman nun ebenfalls "Northline". Vom Verlorensein, von Furcht und Isolation ist dort ebenfalls die Rede.

Das zunächst namenlose "Mädchen" (es ist eigentlich eine Frau), um das es geht, hatte nicht viel Glück in seinem Leben: Allison Johnson ist zweiundzwanzig, hat die Schule längst geschmissen, schaut mit ihrer verwahrlosten Mutter alte Spielfilme mit Paul Newman und wird von ihrem Freund Jimmy regelmäßig misshandelt. Zu dessen bevorzugten Gesprächsthemen gehören Johnny Cash, Adolf Hitler und Sitting Bull; am liebsten verbreitet er rassistische Ansichten, angeheizt von Speed, Skinhead-Kameraden und Alkohol. Außerdem will er irgendwann einmal einer Linie nach Norden folgen, besagter Northline eben, wobei er ironischerweise genau die Richtung einzuschlagen gedenkt, in der auch die ihm verhassten mexikanischen Einwanderer das gelobte Land vermuten.

Allison kann sich Jimmys Einfluss kaum entziehen: Sie trinkt, gerät oft in Panik, hyperventiliert und verletzt sich selbst; zumindest für das Hakenkreuz-Tattoo, das sie sich im Vollrausch hat stechen lassen, schämt sie sich inzwischen. Als Allison schwanger wird, tritt sie endlich die Flucht nach Reno an. Ihre Ängste, Albträume und schrecklichen Erinnerungen werden sie zwar begleiten, aber die Menschen, denen sie dort und unterwegs begegnet, werden sie verändern, unterstützt von Paul Newman, der ihr in aussichtslosen Situationen im Traum erscheint.

Es ist bemerkenswert, mit welch einfachen Worten Vlautin selbst Nebenfiguren, etwa einen Frettchen züchtenden, depressiven Hilfskoch, treffend charakterisiert. Oder den alten T. J. Watson, der in seinem Sattelschlepper seiner Frau zuliebe regelmäßig eine obskure Radiosendung hört, damit er später mit ihr darüber reden kann. Sie tun dadurch etwas gemeinsam und sind doch meilenweit voneinander entfernt. Nur wenige Sätze genügen Vlautin - geschult am lakonischen Duktus eines Raymond Carver -, um ganze Biographien anzudeuten, ja um eine auf den ersten Blick unspektakuläre Vita im Vorbeigehen auf den Punkt zu bringen und um Verständnis für sie zu werben.

Seine Sympathie gilt den Verlierern, den scheinbar schwachen Durchschnittsmenschen, den verlorenen Seelen zwischen Truckstop, Diner und Bingosalon. Es sind Gestalten, die im Leben oft zu kurz gekommen sind, die vom Vater oder von ein paar zufällig vorbeikommenden Schlägern verprügelt wurden, sich einmal wieder aufrappeln können und ein andermal ihre Demütigung rücksichtslos weitergeben, um in der gesellschaftlichen Hackordnung wenigstens nicht mehr ganz unten zu stehen, weil es da immer jemanden gibt, dem es noch schlechter ergeht.

An einer sozialromantischen Verklärung seiner ambivalenten Protagonisten ist Vlautin also nicht gelegen; er verschweigt nie ihre dunklen Seiten und entkommt so der Stilisierung vermeintlich anständiger und aufrichtiger Pechvögel. Vielmehr geht es ihm darum, zu zeigen, wie sich die häufig träge und selbstmitleidige Allison, die ihren Sohn schließlich zur Adoption freigibt, wider Erwarten ein Leben erarbeitet, das mindestens einen Deut besser ist als das, was sie hinter sich gelassen hat.

Im Fluss der Erzählung gelingen dem Songschreiber und Autor, der mittlerweile in Portland, Oregon, lebt, jedoch nicht durchgängig unkonventionelle und glaubhafte Darstellungen; manche Figur bleibt blass und wird nur allzu flüchtig gestreift. Zu deutlich treten Opfer-Täter-Schemata hervor. Dennoch gibt Vlautins Roman einen aufschlussreichen Einblick in eine Welt jenseits des amerikanischen Traums. Und immerhin: Das Ende von "Northline" lässt Raum für einen Funken Hoffnung, aber auch für jede Menge Zweifel.

ALEXANDER MÜLLER

Willy Vlautin: "Northline". Roman. Aus dem Amerikanischen von Robin Detje. Mit einem Nachwort von Pedro Lenz. Berlin Verlag, Berlin 2009. 204 S., br., 19,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Christoph Schröder fand schon Willy Vlautins Debütroman "Motel Life" ziemlich gut, aber sein neues Buch preist er als noch gelungener. In "Northline" beschreibt der amerikanische Autor, als Sänger und Gitarrist der Countryband "Richmond Fontaine" bekannt, die trostlose Welt der jungen Allison: Sie ist alkoholabhängig, ihr Freund schlägt, quält und betrügt sie. Es ist eine Milieustudie im "White Trash" von Las Vegas, wo der "amerikanische Traum" längst zu Ende ist und an ein Aufsteigen aus den trostlosen Verhältnissen gar nicht zu denken ist, informiert der Rezensent. Begeistert ist er von der einfühlsamen und empathischen Erzählweise, mit der Vlautin seine Hauptfigur begleitet und ihm hat offensichtlich auch die beigegebene CD gefallen, die den melancholischen Soundtrack für diese traurige Geschichte abgibt.

© Perlentaucher Medien GmbH