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Im Sommer 2006 spaltete Bruno die Nation. Für die einen war der zwischen Österreich und Bayern streunende Braunbär ein geschütztes Tier und eine Herausforderung an den modernen Naturschutz, für die Behörden ein Problembär", der schließlich zum Abschuss freigegeben wurde. Dies ist der Stoff, aus dem Falkner eine vielschichtige Künstlernovelle formt. Ein deutscher Schriftsteller kommt nach Leuk in der Schweiz. Bei seiner Ankunft erfährt er aus den Zeitungen, dass auch der Braunbär Bruno im Oberwallis aufgetaucht ist. Im Autor wächst, für ihn zunächst undurchschaubar, die Obsession, diesem Bären…mehr

Produktbeschreibung
Im Sommer 2006 spaltete Bruno die Nation. Für die einen war der zwischen Österreich und Bayern streunende Braunbär ein geschütztes Tier und eine Herausforderung an den modernen Naturschutz, für die Behörden ein Problembär", der schließlich zum Abschuss freigegeben wurde. Dies ist der Stoff, aus dem Falkner eine vielschichtige Künstlernovelle formt.
Ein deutscher Schriftsteller kommt nach Leuk in der Schweiz. Bei seiner Ankunft erfährt er aus den Zeitungen, dass auch der Braunbär Bruno im Oberwallis aufgetaucht ist. Im Autor wächst, für ihn zunächst undurchschaubar, die Obsession, diesem Bären begegnen zu müssen. Es beginnt eine absurde Suche mit verdeckten Ködern, verfehlten Spuren, existenziellen Wendepunkten und verrückten Begegnungen in einer grandios beschriebenen stifterschen" Alpenwelt. Auf den ersten Blick handelt es sich um eine Naturerzählung, bei genauerem Hinsehen aber ist es die Novelle eines Scheiterns auf allen Ebenen, die in der Geschichte entwickelt werden. Die ersehnte Begegnung, in Wahrheit auch die ersehnte Begegnung mit dem Selbst, endet, ebenso wie der wütende Versuch einer Revolte, in einer Groteske. Bruno ist eine Bärengeschichte", keine Frage, vor allem aber ist es eine vielschichtige sprach- und bildmächtige zeitgenössische Künstlernovelle, mit der der Lyriker Gerhard Falkner Hemingway und Adalbert Stifter seine Reverenz erweist.
Autorenporträt
Gerhard Falkner, geboren 1951 in Schwabach, ist Lyriker, Dramatiker, Essayist und Übersetzer. Er lebte nach abgeschlossener Buchhändlerausbildung eine Zeitlang in London und veröffentlichte seit Mitte der 1970er Jahre Gedichte in Zeitschriften und Künstlerbüchern. 1981 feierte er ein Debüt mit dem Gedichtband "so beginnen am körper die tage", das mit der Experimental- und Befindlichkeitslyrik des vorangegangenen Jahrzehnts brach. Heute lebt er abwechselnd in Weigendorf und Berlin. Falkners literarisches Werk wurde 1987 mit dem Bayerischen Staatsförderpreis und 2004 mit dem Schiller- Preis ausgezeichnet sowie 2008 mit dem Kranichsteiner Literaturpreis.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.06.2008

Das Totemtier der Abwegigkeit
Endlich gibt es das literarische Denkmal für den Problembären: Gerhard Falkners Novelle „Bruno”
Das Jahr der Fußballweltmeisterschaft 2006 war bekanntlich auch das Jahr des Bären Bruno. Wer geglaubt hat, die Wortschöpfung „Problembär” entstamme der Begriffsschmiede des unvergessenen Edmund Stoiber oder zumindest seinem politisch-folkloristischen Umfeld, der braucht nur bei Google das „Konzept Bär” des schweizerischen Bundesamtes für Umwelt anzuklicken, um eines Schöneren belehrt zu werden. Vorausgesetzt, dass es sich nicht um eine kabarettistische Fälschung handelt, teilt man bei den Eidgenossen vagabundierende Vertreter der Gattung „Meister Petz” seit Februar 2006 in fünf Kategorien ein: Je nach Verhalten in freier Wildbahn unterscheidet man den „unauffälligen Bären”, den „auffälligen Bären”, den „Schadbären”, den „Problembären” und den „Risikobären”.
Der aus Italien eingewanderte Problembraunbär Bruno wurde zwar in Bayern zur Strecke gebracht, aber vieles deutet darauf hin, dass es ihm unter vergleichbaren Umständen auf Schweizer Boden nicht besser ergangen wäre. Für alle, die bis heute um Bruno trauern, mag es ein Trost sein, dass dem bepelzten Opfer bürokratischer Überreaktion jetzt ein literarisches Denkmal gesetzt wurde: Gerhard Falkner, vor allem als Lyriker bekannt, hat unter dem lapidaren Titel „Bruno” eine Novelle vorgelegt, die genügend Qualitäten besitzt, um der Hauptfigur wenigstens im Reich der Dichtung das Überleben zu sichern. Dort, wo die Einbildungskraft regiert, ist Geographie nur Schall und Rauch. Als halb reales, halb fiktives Fabel-Tier streunt Bruno durch das Oberwallis und wird am Ende von schweizerischen „Problemmenschen” erschossen.
Der Autor stellt sich unterdessen dem Problem, die Tradition der Naturerzählung und der Künstlernovelle wiederzubeleben und obendrein eine Groteske mitzuliefern. Er richtet dabei nicht nur keinen Schaden an, sondern generiert eine geradezu auffällig gute Prosa. Die Schweizer allerdings, über deren Humor widersprüchliche Gerüchte kursieren, könnten ihm das eine oder andere übelnehmen, sodass man Falkner mit Fug als Risikoschriftsteller bezeichnen darf.
Selbstfindung im Gebirge
Ein solcher ist, auf seine Weise, auch der Ich-Held der Geschichte, ein Berliner Dichter mittleren Alters, den es vorübergehend ins Walliserdorf Leuk verschlagen hat. Sein Ruhm reicht immerhin so weit, dass seine Ankunft mit Foto in der Kantonszeitung vermeldet wird; gleichwohl hat er Grund, an seinem Dasein und Sosein zu zweifeln: Er empfindet sich als „derzeit letztes lebendes Exemplar meiner eigenen Person” oder auch als „vom Aussterben bedrohtes Exemplar einer einst in gesunden Populationen vorkommenden, unbändigen Existenz”. Sein Gefühlsleben ist merkwürdig abgestorben, seine Kommunikationsfähigkeit eingeschränkt; er behauptet gar, er habe „bestimmt seit dreißig Jahren nicht mehr geredet”. Mit anderen Worten: Es drängt ihn heftig nach jener Selbstfindung und Selbstvergewisserung, für die der Gang ins Gebirge einen traditionsbeladenen Topos darstellt.
Kaum aber hat der Schriftsteller vernommen, dass der Bär Bruno just in dieser Gegend unterwegs sei, steht für ihn fest, dass er auf den Bären treffen muss, um sich selbst zu begegnen. Hat ihm nicht eine kreolische Geliebte einst offenbart, der Bär sei sein „Totemtier”? Gleichnishaft spukt ihm Hemingways alter Fischer Santiago durch den Kopf, der den Blauen Marlin und das Meer bezwingt, um sich noch einmal der eigenen Willenskraft zu versichern. Anders als jener freilich ist Falkners Held als selbstironischer Stadtmensch sich dessen bewusst, dass schon der Versuch, eine Begegnung mit der Bestie herbeizuführen, als „milder Wahn” einzustufen ist: „Der einzige Ozean, auf den ich mich weit hinauswage, ist der Ozean der Abwegigkeit. Der fixen Idee.”
Dennoch streift er nun durch Wälder und über unwegsame Pfade, legt Köder aus, fahndet nach Spuren und versucht, der Route des Bären zu folgen. Den Leser beglückt er derweil mit Naturschilderungen, die eine Verneigung vor Adalbert Stifter sind, aber auch an die kühnen Schweiz-Impressionen Brigitte Kronauers erinnern, eingedampft auf einen sprachlichen Präzisionsmechanismus, der vom Formwillen des Lyrikers gesteuert wird. Es ist darin sogar noch Platz für ein schnelles Rendezvous in Basel und bedächtige Unterhaltungen mit einem greisen Einheimischen, für eine funkelnde Restaurant-Satire, für Exkurse über Geologie und Gletscherkunde, Neurophysiologie, Gegenwartskunst und Fußball – aber warum auch nicht, wenn dieser Satz stimmt: „Das menschliche Gehirn besitzt ausgefaltet ungefähr die Oberfläche von dreieinhalb Bogen Schreibmaschinenpapier.” Die Schweiz wiederum, heißt es, sei „ein zentraler Teil des alpinen Gehirns, das hier wegen besonders tiefer Furchung auf relativ kleinem Raum eine relativ große Oberfläche bildet, so dass die Schweizer mehr Abstand zueinander wahren können, als ihnen eine ausgezogenere Landesfläche bieten würde, weil sie sozusagen gestapelt leben”.
So greift beziehungsreich alles ineinander, und es stören höchstens die Modemarken, die wie pflichtschuldig Erwähnung finden, als müsse partout eine alberne, sinnferne Gegenwelt zu den Naturkräften konstruiert werden. Die unerhörte Begebenheit, der die Novelle entgegenstrebt, macht dafür umso mehr Effekt, als aufwühlendes Erlebnis und komische Täuschung musterhaft und parodistisch zugleich. Blutig ernst wird es, wie im richtigen Leben, für Bruno, den armen Bären. Aber der hätte sich keine hübschere Hommage wünschen können als dieses kleine Buch. KRISTINA MAIDT-ZINKE
GERHARD FALKNER: Bruno. Eine Novelle. Berlin Verlag, Berlin 2008. 110 Seiten, 16 Euro.
„Sein Gesicht zeigt jene nur den Raubtieren vorbehaltene edle Unverfrorenheit, mit welcher sie auf den Wappen unzähliger Reiche dargestellt sind.” Foto: dpa
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.2008

Der letzte Dichter brummt

Sind wir nicht alle ein bisschen Bruno? Gerhard Falkner ist ins Gebirge geklettert, wo ihn der Albtraum vom Künstler als Problembären einholte.

Wer - wie Gerhard Falkner im Jahre 2006 - mit dem Spycher-Literaturpreis ausgezeichnet wird, darf zehn Monate lang in Chalets und Patrizierwohnungen im schweizerischen Leuk wohnen; Geld gibt es aber nur, wenn der Künstler auch wirklich erscheint. Dass man sich den Preis sozusagen zweimal verdienen und dabei noch ins kulturell-touristische "Eventprogramm des Oberwallis implementieren" lassen muss, ist für manche empfindsamen Geister eine Zumutung; außerdem hat natürlich nicht jeder urbane Dichter Zeit und Lust für Langsamkeitserfahrungen im Gebirg'. Preisträger wie Marcel Beyer oder Martin Mosebach nahmen ihr "virtuelles Heimrecht" unter Viertausendern gern in Anspruch; andere ließen sich dagegen kaum blicken. Auch der Berliner Lyriker Gerhard Falkner scheint als Bergschreiber nicht so recht glücklich geworden zu sein: In seiner Novelle "Bruno" hat er jedenfalls den tragischen Problembären aus Bayern ins Wallis ausgewildert und zu seinem Wappentier und Doppelgänger erkoren.

Bruno hat ja schon einige Schriftsteller inspiriert. In den Kinderbüchern von Ilja Richter und Maria Ortner ist er entweder das arme kleine Bärenkind, das keinem Menschen etwas zuleide tun kann, oder der lustige Bruder von uns Menschenkindern; in Peter Rabas esoterischem "Requiem für einen Braunbären" war er das unendlich liebesfähige, spontane Totemtier, das uns den Spiegel vorhält. Bei Falkner ist Bruno so etwas wie der letzte Dichter. Dichter wie Bären sind ja Einzelgänger, unbändig und von "edler Unverfrorenheit". Sie sehen sich gern als Bestien gejagt und ausgerottet; jedenfalls rückt ihnen eine geschäftige, konsumgierige Welt ungemütlich auf den Pelz.

Im Sommer 2006, auf dem Höhepunkt von Bärenhatz und Fußball-WM, hat sich also ein Berliner Schriftsteller, in dem man ruhig Falkner erkennen darf, für drei Wochen in Leuk einquartiert. Der gescheiterte und offenbar auch frisch geschiedene Künstler befindet sich im "Dämmerzustand zwischen Galgenfrist und Gnadenbrot". Vor allem nachts stapft und stolpert er auf der Suche nach Bruno über Stock und Stein, "wie jemand, an dessen Gang man bereits erkennt, dass er nicht alle beisammen hat"; weder Stürze noch eine "existenzielle Müdigkeit" können ihn von seiner Obsession abbringen. Einmal glaubt er Bruno zu sehen, aber es ist, bei hellem Licht betrachtet, nur eine Kuh. Problembär und Problemautor verfehlen einander, aber an ihrer Schicksalsgemeinschaft gibt es keinen Zweifel. Bruno wird vom Wildhüter bei Leukerbad zur Strecke gebracht; seine Trophäe von einem Großrat den Medien präsentiert. Der Dichter ist fix und fertig, aber seinem vage definierten Ziel - Selbstfindung und "Verdichtung der Lebensgewissheit" - keinen Schritt näher gekommen.

Falkner erzählt eine Künstlernovelle auf der Folie von Stifters "Granit" und Hemingways "Der alte Mann und das Meer" und beißt dabei immer wieder auf Granit. Er kann bärbeißig brummen und poetisch delikat ("Meine Augen waren wie die geladenen Revolver überschüssiger Sommertage") schreiben; er hat einen grimmigen, grotesken Humor, und seine Naturbeschreibungen sind oft wunderbar zart. Dennoch ist seine Suche nach dem Bären in sich nicht recht gelungen. "Immer wieder unternahm ich Anstrengungen, über mich nachzudenken, mich zu fragen, wer hier und warum durch den Wald stürzt, obwohl er eigentlich in der Stadt zu Hause ist", grübelt der Künstler; aber es will ihm nicht gelingen, seine "Person anders zu erfassen als in den abgedroschensten Zuschreibungen". Der Stadtbär fühlt sich fehl und ratlos im Gebirge, und auch der Leser wird nicht so recht warm im hochalpinen "Ozean der Abwegigkeit": Falkners Reflexionen über moderne Kunst, Gletscher, Fußball und Neurologie wirken fahrig und beliebig, und die wenigen Gespräche des depressiven Wanderers mit Eingeborenen verlaufen so unergiebig wie sein Ausflug auf die Basler Kunstmesse. Am Ende verdichtet sich seine vage Ahnung zur traurigen Gewissheit: "Die Alpen sind vernichtet", und mit der Literatur geht es auch weiter bergab. "Bald wird es nur noch diese Problemmenschen geben, nur noch die Termiten und Spaßvögel." Falkner ist keines von beidem, in der Stoiberschen Typologie: weder aggressiver Schad- noch Normalbär. Aber ein gesunder Problembär geht auch anders mit sich und seinem Lebensraum um.

MARTIN HALTER

Gerhard Falkner: "Bruno". Eine Novelle. Berlin Verlag, Berlin 2008. 112 S., geb., 18,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Recht hingerissen bespricht Jens Jessen diese ”bezaubernde” wie ”abgründige” , komische und selbstironische Novelle des Lyrikers Gerhard Falkner. Durch den Casus des ”Problembären” Bruno hindurch, der bis zu seiner Erschießung einen Sommer lang die Öffentlichkeit beschäftigt hatte, beschreibe Falkner ”das Ressentiment” der Spießer gegen den Intellektuellen, dessen Sinnbild das ”frei Tier”, also der Bär Bruno sei. Doch Jessens Begeisterung für dieses luzide Gleichnis wäre vielleicht nicht ganz so euphorisch ausgefallen, hätte Falkner nicht auch dieses subtil hinterfragt und mit dem ”schwächelnden Selbstbewusstsein” des Künstlers an sich in Verbindung gebracht.

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