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Die junge Literaturwissenschaftlerin Tanja Lucic muss ihre Heimatstadt Zagreb wegen des Krieges verlassen und landet als Dozentin für "serbo-kroatische Literatur an der Amsterdamer Universität. Ihre Studenten sind kaum jünger als sie und stammen aus allen Teilen des ehemaligen Jugoslawien. Sie haben sich immatrikuliert, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen, nebenbei jobben sie als Straßenmusiker, Servier- und Putzkräfte oder für eine Zuliefererefirma der S & M-Ladenkette "Das Ministerium der Schmerzen". Tanja entschließt sich, das Experiment einer "Katalogisierung" des ex-jugoslawischen…mehr

Produktbeschreibung
Die junge Literaturwissenschaftlerin Tanja Lucic muss ihre Heimatstadt Zagreb wegen des Krieges verlassen und landet als Dozentin für "serbo-kroatische Literatur an der Amsterdamer Universität. Ihre Studenten sind kaum jünger als sie und stammen aus allen Teilen des ehemaligen Jugoslawien. Sie haben sich immatrikuliert, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen, nebenbei jobben sie als Straßenmusiker, Servier- und Putzkräfte oder für eine Zuliefererefirma der S & M-Ladenkette "Das Ministerium der Schmerzen".
Tanja entschließt sich, das Experiment einer "Katalogisierung" des ex-jugoslawischen Alltags zu wagen, und die ehemaligen Kompoatrioten werden bald zu einer verschworenen Gemeinschaft, die ihre bittersüßen Erinnerungen an Kindheit, Sprache, Elternhaus und Lektüre zusammentragen. Die persönlichen und kollektiven Erinnerungen sind auch "Katalysatoren" in der angespannten politischen Atmosphäre der Haager Kriegsverbrechertribunale, emotionale "Cocktails" aus Verlust, Schuld undTraumata, mit denen sich diese Entwurzelten nun - im Exil - konfrontiert sehen und die jeden Einzelnen von Ihnen vor die Frage stellen, was von seinem zerbrochenem Leben noch zu retten ist.
Autorenporträt
Dubravka Ugresic wurde 1949 im heutigen Kroatien geboren. Bis sie 1993 aus politischen Gründen emigrieren musste, unterrichtete sie Literatur an der Universität Zagreb. Danach war sie Dozentin an verschiedenen europäischen und amerikanischen Universitäten, zuletzt an der Freien Universität Berlin. Im Jahr 2012 wurde sie mit dem Jean Améry-Preis für Essayistik augezeichnet.
Dubravka Ugresic lebt in Amsterdam.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Dubravka Ugresics Roman um die kroatische Philologin Tanja Lucic, die als eine Art alter ego der Autorin gelten kann, die es nach Amsterdam verschlägt, ist ein Emigrantenroman im eigentlichen Sinne, nämlich das "Protokoll einer von Existenzangst flankierten Identitätssuche", schreibt die Rezensentin Ilma Rakusa. Als Serbokroatisch-Lektorin an der Universität begegne sie einem elenden Häufchen Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien. Eindrücklich beschreibe Ugresic deren Versehrtheit, ihr Leben im Zeichen eines Traumas, das auf den "brutalen Bruch" in ihrer Lebensgeschichte zurückgeht. Zusammen mit ihnen, so die Rezensentin, wird Lucic versuchen, das Dilemma zu umgehen, entweder "über alles authentisch zu schweigen oder unauthentisch zu reden". Ugresic, so das wohlwollende Fazit der Rezensentin, hat ein "bewundernswert kluges, sensibles und unlarmoyantes" Buch über die Existenz als Emigrant verfasst, das Auswege jenseits des Zerbrechens zeigt, indem es die hoffnungsvolle "Perspektive auf ein Anderssein" hochhält.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.03.2006

Mein Kind schläft wie abgeschlachtet
Von unsichtbaren Ohrfeigen und vom schnellen Altern im Exil: Dubravka Ugresic’ Roman „Das Ministerium der Schmerzen”
Alles frei erfunden, behauptet Dubravka Ugresic. Das gesamte Personal, selbst Amsterdam, wo sie lebt und der Roman spielt, sei „nicht allzu realistisch”. Und dann erzählt die siebenundfünfzigjährige, im heutigen Kroatien geborene Autorin, eine sehr realistische Geschichte, die vom Exil handelt und sich so, genau so in Amsterdam oder an anderen Orten der Welt zugetragen haben könnte.
Die Geschichte ist kalt und erbarmungslos, aber zum überraschend guten Schluss doch auch ein bisschen rührend. Die Hauptperson ist Tanja Lucic, eine aus Zagreb für zwei Semester an die Amsterdamer Uni eingeladene Literaturwissenschaftlerin für Serbokroatisch. Ihre durch den Jugoslawienkrieg in die Niederlande versprengte Studentengruppe braucht nichts so wenig wie verfeinerte Kenntnisse ihrer Muttersprache, eine Sprache, in der es heißt: „mein Kind schläft wie abgeschlachtet”. Dieser Satz war für viele ein Grund zur Flucht. Kinder schlafen doch wie „Engelchen”.
Der Roman „Das Ministerium der Schmerzen” beginnt mit Marina Zwetajewas Gedicht „Der Drang nach Haus”. Zwetajewa benutzt den Begriff des „Gefühlseremiten”. Dies Wort trifft. Der Krieg ist für das „Gefühlseremitentum” verantwortlich. Dubravka Ugresic interessiert, was mit den Menschen geschieht, wenn der einzige vertraute Ort nur durch den Rückzug in sich selbst zu erreichen ist, aber welche Wüste ist das „Innere”! Exil ist ein anderes Wort für Desorientierung. Alles hat den Platz verloren, der Mann, den Tanja Lucic verlassen hat, die Zagreber Wohnung, die nach ihrem Weggang der Armee zugeteilt wurde, die zurückgebliebene Mutter, ja, selbst die Straßen Zagrebs. Beim Besuch „zu Hause” ist sie genauso fremd wie in ihrer Amsterdamer Souterrainwohnung. Die vertraute Welt existiert nicht, der Stillstand der Zuhausgebliebenen prallt an der Unruhe des Exilanten ab.
Dubravka Ugresic beschreibt den Druck, den jedes Wort ausüben kann. Sie erzählt die Geschichte und Gespräche ohne Interesse an der Schönheit der städtischen Oberflächen. Der schonungslose Blick dieser Autorin, bekannt, gefürchtet und bewundert aus ihrem „Museum der bedingungslosen Kapitulation” (1999) und ihrer Essaysammlung „Lesen verboten” (2002), heftet sich ans Detail, bannt es in konzentrische Kreise. Ihre forschende Intelligenz interessiert sich für das entlegene Objekt, für rot-weiß-blaugestreifte Plastiktaschen, für die Gepäckstücke derjenigen, die alles verloren haben. Im Taschendesign erkennt sie eine Parodie auf die jugoslawische Fahne ohne den roten Stern. So funktioniert die Logik bei Dubravka Ugresic: sie nähert sich den Hauptsachen über die Nebensache, um dichter an die Auswirkungen von Entwurzelung, von Zweifel und Irrtümern auf das Gefühl zu kommen.
Dubravka Ugresics Bericht vom Leben im Exil ist fortlaufende Erzählung und Kommentar, Fiktion und Analyse zugleich. Entstanden ist ein Buch der Neugier, eine „erfundene” Reportage über die Realität des Verhaltens der „Unsrigen”. Die Beobachterin Ugresic sieht die in Rudeln durch die Stadt treibenden Männer, die das Flüchtlingsdasein wie eine „Invalidität” empfinden und Frauen, die mit dem Überleben beschäftigt sind. Alle bewegen sich ängstlich, wie mit einer „unsichtbaren Ohrfeige im Gesicht”. „In der Emigration”, sagt die Studentin Ana, „altert man schnell und bleibt lange jung”, Uroš wünscht, dass er „zu sich kommt”, und Igor brüllt: „shit, I don’t have any biography!”
Spitzeltum gehört zum zusammengebrochenen System, der Spitzel in der Gruppe denunziert die Dozentin. Das Misstrauen zwischen Tanja und dem Studenten Igor entlädt sich in offener Gewalt und endet in einer Idylle: Versöhnung bei so viel Unversöhnlichkeit der „Barbaren”, die sich als der doppelte Boden der niederländischen Gesellschaft begreifen, deren Repräsentanten sich in diesem Roman übrigens ziemlich egozentrische verhalten.
Nicht die Schönheit der Sprache, die Raffinesse der Geschichte, sondern der Versuch, hinter den Schein zu kommen, gibt diesem Buch seine unbedingte Dringlichkeit. Vor dem Ausbruch des Krieges auf dem Balkan verfasste Dubravka Ugresic Romane. 1993 ging sie ins Exil. Das Leben diktiert ihr seither andere Texte. Es sind die bedingungslosen Geschichten deplatzierter Gefühle, die der zerstückelten Aussicht aus dem Amsterdamer Souterrainfenster gleichen. VERENA AUFFERMANN
DUBRAVKA UGRESIC: Das Ministerium der Schmerzen. Roman. Aus dem Kroatischen von Barbara Antkowiak, Mirjana und Klaus Wittmann. Berlin Verlag, Berlin 2005. 288 Seiten, 19,90 Euro.
Chronistin des Exils: Die Schriftstellerin Dubravka Ugresic
Foto: Peter Peitsch
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"Dubravka Ugresic ist eine Autorin, die man verehren muss." (Susan Sontag)