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In ein jüdisches Internat wird der Held dieses ungewöhnlichen Erstlingsromans eines jungen palästinensischen Israeli gesteckt. Als hochbegabter Schüler erhält er den begehrten Platz und sitzt nun als einziger Araber in einer Klasse voller jüdischer Kinder, die alles anders machen als er - selbst wenn es darum geht, wie man ein Hühnchen isst. Aufgewachsen ist er in dem arabischen Dorf Tira, mit der Legende seines 1948 ums Leben gekommenen Großvaters und einem ehrgeizigen Vater, der in seiner Jugend die Universitätscafeteria in die Luft gejagt und dafür zwei Jahre im Gefängnis gesessen hat und…mehr

Produktbeschreibung
In ein jüdisches Internat wird der Held dieses ungewöhnlichen Erstlingsromans eines jungen palästinensischen Israeli gesteckt. Als hochbegabter Schüler erhält er den begehrten Platz und sitzt nun als einziger Araber in einer Klasse voller jüdischer Kinder, die alles anders machen als er - selbst wenn es darum geht, wie man ein Hühnchen isst. Aufgewachsen ist er in dem arabischen Dorf Tira, mit der Legende seines 1948 ums Leben gekommenen Großvaters und einem ehrgeizigen Vater, der in seiner Jugend die Universitätscafeteria in die Luft gejagt und dafür zwei Jahre im Gefängnis gesessen hat und nun hofft, dass sein Sohn Pilot wird oder zumindest der erste Araber, der eine Atombombe baut. Der Sohn stellt sich allerdings als "Feigling" heraus, genau wie seine Brüder: "Mein Vater versteht nicht, warum ich und meine Brüder so geworden sind. Wir können nicht einmal eine Fahne zeichnen. Er sagt, dass andere Kinder - manche sind sogar jünger als wir - durch die Straße marschieren und dabei "PLO - Israel NO" singen, und dann wirft er mir vor, dass ich wahrscheinlich nicht einmal weiß, was PLO heißt."
Der Erzähler flüchtet sich hinter eine Vielzahl von Masken und muss doch verzweifeln an dem unauflösbaren Konflikt der Identitätsfindung - weder in der arabischen noch in der jüdischen Welt findet er eine innere Heimat. Ein mutiges und hellsichtiges Buch, dessen sanfte Selbstironie und melancholischer Witz überraschen.
Autorenporträt
Sayed Kashua wurde 1975 geboren und lebt im palästinensischen Teil des Dorfes Beit Safafa bei Jerusalem. Er ist Filmkritiker und Kolumnist der in Tel Aviv erscheinenden Wochenzeitung Ha'Ir. Sayed Kashua ist verheiratet und hat eine Tochter und einen Sohn. Zweite Person Singular ist sein dritter Roman. Seit 2006 schreibt er regelmäßig in der Wochenzeitung Haaretz. Er ist zudem Autor der erfolgreichen israelischen Sitcom Avoda Aravit (arabische Arbeit).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Sehr differenziert setzt sich Stefan Weidner mit dem Erstling des arabisch-israelischen Autors Sayed Kashua auseinander, der seines Wissens Neuland betritt, insofern er - anders etwa als Emil Habibi - auf hebräisch schreibt. Es gelänge Kashua nicht, bedauert Weidner, dieses Neuland in literarischer Hinsicht fruchtbar zu machen. Der Autor verleihe seinem Antihelden "kein Bewusstsein, keine Seele, keine Sprache". Nicht einmal einen Narren oder echten Trottel wolle uns Kashua schenken, so dass die ganzen inneren Verrenkungen eines palästinensischen Israeli, der in einem israelischen Eliteinternat landet und vergebliche Anpassungsbemühungen unternimmt, kaum nachvollziehbar seien. Dabei bietet die Geschichte, mit autobiografischen Zügen ausgestattet, ausreichend Problemstoff, meint Weidner. Ihm ist die "erzählerische Selbstverstümmelung" des Autors nicht geheuer, da er nirgendwo einen Anflug von Selbstironie entdecken kann. So kommen die arabisch-israelischen Menschen - mit Ausnahme der Frauen - in dem Buch seiner Meinung nach einfach bloß schlecht weg.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.10.2002

Akzentfrei Hebräisch
Selbstquälerisch: Das Erstlingswerk eines israelischen Arabers

Der Autor dieses Buchs muß ein sehr unglücklicher Mann sein, oder aber er ist ein Meister der Verstellungen und Masken. Er kann sich so gründlich verstellen, daß wir ihn selbst dann, wenn wir annehmen, er verstellte sich, für einen unglücklichen Mann halten müssen. Nicht einmal das Pressefoto, auf dem er mit breitem Lächeln direkt in die Kamera blickt, vermag unseren Glauben an das Unglück des Verfassers zu ändern. Während der Lektüre wohnt man einer erzählerischen Selbstverstümmelung bei, wird Zeuge eines literarischen Flagellantentums, das seinen Reiz durchaus haben könnte, wenn es sich nur des passenden Werkzeugs bediente. Einmal wagt es Sayed Kashua, Jahrgang 1975, Thomas Bernhard in seinen Text zu schmuggeln. Während der Antiheld im Krankenhaus auf die Entbindung seiner Frau wartet, nimmt er wie üblich, um nicht für den Araber gehalten zu werden, der er ist, ein hebräisches Buch zur Hand. "Es ist nicht irgendein Buch, sondern ,Wittgensteins Neffe'. Sogar ein Arzt würde staunen, wenn er zufällig vorbeikäme."

Der Rezensent auch. Der große Unterschied zwischen Bernhard und Sayed Kashua - einmal abgesehen von den vielen kleinen und mittleren - liegt im Stil. Hätte man nicht bei zahlreichen anderen israelischen Schriftstellern gelesen, was im Hebräischen möglich ist, man müßte glauben, in dieser Sprache seien Nebensätze verpönt. Doch wir lesen zur Sicherheit noch einmal Yoram Kaniuk und wissen, daß es nicht so ist. Noch drei andere Schriftsteller werden dann neben Thomas Bernhard genannt: Amos Oz, der palästinensische Dichter Mahmud Darwish und der arabisch-israelische Schriftsteller und Israel-Preisträger Emil Habibi. Die Abstammung von den Woody-Allen-Typen, die einem bei Oz und Habibi begegnen, liegt bei Sayed Kashuas namenlosem Erzähler auf der Hand. Aber eine entscheidende Eigenschaft der Romanfiguren seiner Vorbilder teilt er nicht, nämlich ihren oft jungenhaften Charme zwischen Don Quichotte und Prophet.

Und noch ein Unterschied ist zu nennen, vielleicht der entscheidende: Während Oz als jüdischer Israeli auf hebräisch schreibt und Habibi als arabischer Israeli auf arabisch, schreibt Kashua als arabischer Israeli auf hebräisch. Zwar gibt es Araber, die auf hebräisch schreiben, nämlich die arabischen, aus arabischen Ländern nach Israel eingewanderten Juden (etwa Sami Michael), aber es gibt keinen international bekannten Romanautor, der von Geburt Muslim ist und auf hebräisch schreibt. Sayed Kashua besetzt also eine Leerstelle, situiert sein Schreiben in einer neuen, spannenden Konstellation. Doch im gleichen Atemzug, in dem das Buch die Leerstelle besetzt, verrät es uns (ob freiwillig oder nicht, sei dahingestellt), warum diese Leerstelle bislang eine Leerstelle war. Und warum Kashua an seinem Platz so bald keine Konkurrenz fürchten dürfte.

Von den Arabern in Israel wissen wir in der Regel wenig mehr, als daß es sie gibt. Es sind die Nachkommen derjenigen Palästinenser, die im arabisch-israelischen Krieg von 1948 nicht aus Palästina geflohen oder die rechtzeitig wieder zurückgekehrt sind, also die nicht jüdischen, sondern entweder christlichen oder muslimischen Einwohner Palästinas. Sie machen derzeit etwa ein Sechstel der israelischen Bevölkerung aus, mit steigender Tendenz. Sie gelten als israelische Staatsbürger, haben jedoch andere Pässe als die israelischen Juden und müssen nicht zum Militärdienst, was letztlich auf eine Diskriminierung hinausläuft, denn manche Studiengänge, wie etwa Medizin, sind ohne vorherigen Militärdienst kaum zugänglich.

Die Loyalitäten der israelischen Araber im Nahost-Konflikt sind unklar. Viele Israelis trauen ihnen nicht. Glaubt man Sayed Kashua, so haben sie sogar recht. Ein großer Teil der Problematik dieses Buchs liegt darin, daß der Autor nicht nur seinen Helden, sondern einen ganzen, ohnedies unter beträchtlichem Diskriminierungsdruck stehenden Bevölkerungsteil der Lächerlichkeit preisgibt.

Mit sicherlich starkem autobiographischem Einschlag schildert Kashua die Jugend eines solchen israelischen Arabers. Der Junge, aus dessen Perspektive rückblickend erzählt wird, ist von Anbeginn als Verlierer und Antiheld angelegt, der sich bei der Großmutter wohler fühlt als bei den Eltern und ein großer Angsthase ist. Er versucht, sich dem Einfluß des Vaters zu entziehen, der eine Karriere als palästinensischer Extremist hinter sich hat, seinen Sohn indoktrinieren will und ständig Gefahr läuft, erneut verhaftet zu werden. Dennoch ist der Vater stolz, als es dem Sohn gelingt, unter tausend arabischen Bewerbern einen Platz in einem israelischen Eliteinternat zu ergattern. Hier fühlt sich der Junge noch fremder, aber er versucht mit Erfolg, sich den Juden soweit wie möglich anzupassen und akzentfrei hebräisch zu sprechen.

Die Erzählung über einen Araber in einem israelischen Internat könnte nahezu alle Facetten der besonderen Situation der israelischen Araber zur Sprache bringen. Hätte Kashua seinen Helden mit einem Bruchteil der seelischen Tiefe von Musils Törleß versehen, wir läsen ein aufwühlendes Zeugnis der Orientierungslosigkeit arabischer Bürger in Israel. Doch Kashua verleiht seinem Helden kein Bewußtsein, keine Seele, keine Sprache. Auch einen Narren, einen Schelm oder wenigstens einen ausgewachsenen Trottel will er uns nicht bieten. Nichts von dem, was das Buch über die Verrenkungen der israelischen Araber mutmaßlich sagen will, wird wirklich zur Sprache gebracht. Der Leser, so mag sich der Autor gedacht haben, geht ja ohnedies davon aus, daß die israelischen Araber entweder Extremisten sind oder orientierungslos und depressiv. Nur will es auch nicht gelingen, die Bemühungen des Helden, ein guter, angepaßter israelischer Araber zu werden, als sanfte Selbstironie zu lesen. Nirgendwo im Text gibt es ein Signal, das er erlauben würde, die permanente Selbstentblößung des Erzählers nicht ernst zu nehmen. Zumal der Verlag über den Autor genau die biographischen Details mitteilt, die auch den Romanhelden auszeichnen, einschließlich des genauen Wohnortes. Was ein echtes Klischee ist, was ironisches Zitat des Klischees, ist nicht mehr zu unterscheiden, zumal das negative Klischee über die Araber das bevorzugte Mittel des Helden ist, seinen Selbsthaß zu pflegen.

Die einzigen positiven arabischen Figuren des Buchs sind Frauen, die Großmutter und die Frau des Erzählers vor allem. Die Männer sind Terroristen wie der Vater, sie geben ihren Kindern die Namen russischer, gegen Israel gerichteter Raketen, sie jubeln den irakischen Scuds im Golfkrieg zu, sie glauben, auch wenn sie das Eliteinternat absolviert haben, mit Inbrunst an die einfältigsten Jenseitsvorstellungen. Ironie, falls dies alles denn wirklich ironisch gemeint ist, erweist sich als zu hohe Kunst für den schriftstellerischen Anfänger Sayed Kashua. Selbst der Buchtitel leidet unter der mißratenen Ironie.

Kashua wagt im übrigen das Experiment, sein Buch, das auch erst in diesem Jahr erschienen ist, bis an die jüngste Gegenwart heranzuführen. Während die Al-Aqsa-Intifada tobt, zieht der Erzähler, jetzt mit Frau und Kind, aber ohne berufliche Perspektive, in den palästinensischen Teil eines Dorfes bei Jerusalem, trotz der damit verbundenen Schikanen. Die Eltern und die Frau wollen, daß die junge Familie in das Heimatdorf im israelischen Kernland zurückzieht. Doch sie bleiben. Die israelischen Araber, so scheint Sayed Kashua sagen zu wollen, müssen sich für eine Partei entscheiden. Während sich der zerquälte Held für die Palästinenser entscheidet, indem er in den Autonomiegebieten lebt, entscheidet sich der Autor für Israel, indem er auf hebräisch schreibt. Was immer wir daraus schließen: Für die Literatur haben sich beide nicht entschieden.

STEFAN WEIDNER

Sayed Kashua: "Tanzende Araber". Roman. Aus dem Hebräischen übersetzt von Mirjam Pressler. Berlin Verlag, Berlin 2002. 279 S., geb., 19,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.01.2003

Nie wieder wird es sein wie früher
Das Leben in all seinen grausamen Facetten: Sayed Kashua ist der erste muslimische Autor, der seine Bücher auf Hebräisch schreibt
Rotwein bereits am Vormittag? Nun ja, ein wenig ungewöhnlich, umso mehr, wenn der junge Mann, der da in seinem kargen Arbeitszimmer sitzt, ein Muslim ist. 27 Jahre jung, aber schon ein Star in seinem Land, da mag man schon einen etwas exaltierten Lebensstil haben.
In seinem Land? Sayed Kashuas Erfolg basiert auf der Ambivalenz seiner Zugehörigkeit: Er ist ein israelischer Araber, also einer, der ähnlich wie ein Jude in Deutschland zumindest zwei Seelen in seiner Brust hat. Und er ist ein Schriftsteller, ein höchst talentierter, und sein erster Roman, „Tanzende Araber”, der sich inzwischen mit großem Erfolg auch in Deutschland verkauft, wurde in Israel ein Renner. Die autobiografisch gefärbte Geschichte beschreibt die Extreme, zwischen denen er selbst und sein Protagonist – ein israelisch-arabischer Junge – sich bewegen: Da ist der Vater, der hofft, dass sein Sohn ein großer Kämpfer für die Befreiung Palästinas werde, und da sind die jüdischen Klassenkameraden in dem israelischen Internat, die der kleine Junge aus einem arabischen Dorf in Galiläa bewundert. Aber sie akzeptieren ihn nicht wirklich, obwohl er doch so sein will wie sie.
Lange bevor Kashua mit seinem Roman auf die israelischen Bestsellerlisten Israels rückte, lange bevor die weltberühmte Krimiautorin Batya Gur ihn öffentlich über alle Maßen pries, war er als regelmäßiger Kolumnist in einer Zeitung den jungen, hippen Israelis längst ein Begriff. Kashua schrieb über alles mögliche: Über die Politik sowieso, aber auch über seine Gefühle während der Schwangerschaft seiner Frau. Er war der Junge von nebenan, den jeder zu kennen schien – obwohl Kashua sich zumeist versteckt. „Ich bin froh, dass ich nie in die Redaktion muss, dass ich zuhause schreiben kann. Die Situation da draußen, ich habe keinen Nerv darauf”.
Sayed Kashua lebt in Beit Zafafa, einer arabischen Nachbarschaft in Jerusalem. Wenn er aus seiner Wohnung herauskommt, blickt er auf wunderschöne Bougainvillea-Sträuche und auf das hier im Osten Jerusalems erbaute jüdische Viertel Gilo, das mit seinen bulligen, arroganten Gebäuden in scharfem Kontrast zu den verwinkelten Häusern und dem Minarett von Beit Zafafa steht.
Kashua zuckt mit den Achseln. Die gegenwärtige Lage in Israel hat ihn ratlos gemacht. Er ärgert sich sehr über die Regierung Sharon, nennt sie rassistisch, da Eli Yishai, der orthodoxe Innenminister nun angeregt hat, israelischen Arabern, die Selbstmordattentäter aus den palästinensischen Autonomiegebieten logistisch unterstützen, die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Nach einem Gesetz von 1980 ist das möglich. „Aber hast du schon mal gehört, dass sie das auch bei einem jüdischen Israeli erwägen? Bei Leuten aus dem extremistischen Untergrund? Oder bei dem Mörder Rabins?”
Ausflug ins Dorf
Kashua schimpft nicht, sein Ton deutet auf eine gewisse resignative Gleichgültigkeit hin, die man eigentlich eher bei einem abgeklärten Siebzigjährigen erwartet. Doch im Nahen Osten altert man schnell. Das Leben in all seinen grausamen, brutalen, unfairen Facetten – jeder kennt es von klein auf. Einer wie Kashua allemal. Seine Sensibilität macht ihm zu schaffen. Sein Schmerz, er versteckt ihn gerne hinter seinem Kleine-Jungen- Grinsen. Diesen Schmerz verursachen aber nicht nur jüdische Israelis, sondern auch seine eigene Gemeinschaft trägt dazu bei.
Neulich hat er eine Erzählung geschrieben über eine Gruppe israelischer Araber, die bei einem Ausflug in ein Dorf gelangen, wo noch Reste einer Moschee stehen. Die Jüngeren verkriechen sich in das Innere der Ruine und ziehen sich dort einen Joint rein, die alten Männer kauern unter einigen Bäumen und betrinken sich mit einer heimlich mitgebrachten Flasche Alkohol. Ein Ausdruck der Verzweiflung, diese Szene. Doch sie hatte einen katastrophalen Effekt: Die arabische Gemeinschaft in Israel ist empört. Die Eltern seiner Frau, mit der er seit zehn Jahren zusammenlebt, haben den Kontakt zu ihm abgebrochen, seine eigenen Eltern werden in seinem Heimatdorf ununterbrochen beschimpft. Kashua reißt einen Witz, um schnell über seine Trauer hinwegzukommen und ruft dann sogleich, unheimlich stolz: „Ich bin der erste Muslim, der auf Hebräisch Romane schreibt!”. Sein großer Vorgänger, der arabische Israeli Anton Shammas, dessen Roman „Arabesken” in den achtziger Jahren ein großer Erfolg war, war ja „nur” Christ.
Warum er nicht auf Arabisch schreibe? „Wo soll ich dann veröffentlichen? Und wer soll das dann lesen?”, fragt er, ein wenig überrascht über die Frage. Es sei doch klar, dass in den arabischen Ländern Zensur herrsche, außerdem schreibt er ja für seine „Landsleute”, also für die Israelis. Und überhaupt: Hebräisch sei seine Sprache. Natürlich spricht er mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter Arabisch, aber schreiben, denken, sich ausdrücken? Natürlich nur in der Sprache der Juden.
Wie hin- und hergerissen Kashua in seiner Identität ist, wird erneut deutlich, wenn er auf die Intifada zu sprechen kommt. Kein gutes Haar lässt er an Israel, seine Kritik ist eindeutig. Er steht ganz und gar auf der Seiten der Palästinenser, auch wenn er kein Freund von Selbstmordattentaten ist. Trotz seines Ärgers bleibt er präzise: Stets spricht er von den Verbrechen dieser „rechten Regierung”. Es sind nicht „die Juden” schuld, es ist ein bestimmter Teil der Gesellschaft.
Diese eigentlich ganz simple, aber im Nahen Osten schon lange nicht mehr normale Einsicht, hat sich Kashua bewahrt. Angewidert von Sharon, Netanyahu und deren Gefolgschaft, will er plötzlich etwas trinken gehen. Auf den Vorschlag, in den Ostteil der Stadt, in ein arabisches Restaurant zu gehen, reagiert er zögerlich. Nein, dort fühle er sich einfach nicht wohl. Er mag nicht unter Arabern sein. „Lass uns lieber in den Westteil gehen, da kenne ich einige Pubs, da treffen wir dann auch meine Freunde.” Meine Freunde – das sind fast ausschließlich linke, säkulare Juden – nur mit ihnen fühlt er sich wirklich wohl. „Ach, unser Kampf ist doch derselbe: Wir wollen eine freie, demokratische Gesellschaft ohne Rassismus und Religion. Meine Freunde und ich – da gibt es diese Frage nicht mehr, ob sie Juden und ich Muslim bin. Das interessiert uns nicht.”
Unser Kampf ist derselbe
Dieser Kampf hat sich intensiviert seit jenem unglückseligen Oktober 2000, als arabische Israelis im Norden des Landes, bei Umm-El-Fahm eine Solidaritätskundgebung für ihre Brüder in der Westbank abhielten. Die israelische Polizei erschoss bei den Unruhen kaltblütig zwölf Männer. Das geschah, wohlgemerkt, noch unter der Regierung Barak. Bis heute untersucht eine Kommission den Vorfall. Dass so etwas je möglich sein würde, dass israelische Polizei auf israelische Staatsbürger, selbst wenn sie Araber sind, schießen könnten, das konnte sich Kashua niemals vorstellen. Er hatte immer an die Möglichkeit der Ko-Existenz geglaubt. „Es wird nie mehr so sein wie vorher. Denn jetzt weiß ich – es kann jederzeit wieder geschehen! Wie soll man sich da noch zugehörig fühlen?”
Eine jüdische Israelin kommt herein, eine alte Freundin aus dem Westteil Jerusalems. Große Freude, Umarmung, sie setzt sich mit an den Tisch. Das Interview ist vorbei, es wird über gemeinsame Freunde, über die bevorstehende Reise Sayeds nach Europa gesprochen. Politik? Kein Thema. Wozu auch? Die jüdische Israelin und der arabische Israeli sind sich sowieso einig: Es wird nie mehr so sein wie vorher.
RICHARD CHAIM SCHNEIDER
Sayed Kashua, der Autor von „Tanzende Araber” Foto: Bayerischer Rundfunk
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"Der junge Shooting Star der israelischen Gegenwartsliteratur." (taz)