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Daß Abdankung, der freiwillige Verzicht auf die Macht, zum schwierigsten zählt, zeigt der tägliche Blick in die Zeitung. Was daher in Geschichte und Politik die Ausnahme ist, wird bereitwillig als Legende, als Erfindung hingestellt: Die seltene Kunst der Abdankung steht daher meistens zwischen Realität und Fiktion - prominent bei Karl dem Fünften, aber auch schon bei Diogenes und Alexander, in der Papstgeschichte und auf dem (Musik-)Theater, in der Philosophie bei Meister Eckart und besonders bei Arthur Schopenhauer. Shakespeare zeigt das Scheitern und das märchenhafte Gelingen des…mehr

Produktbeschreibung
Daß Abdankung, der freiwillige Verzicht auf die Macht, zum schwierigsten zählt, zeigt der tägliche Blick in die Zeitung. Was daher in Geschichte und Politik die Ausnahme ist, wird bereitwillig als Legende, als Erfindung hingestellt: Die seltene Kunst der Abdankung steht daher meistens zwischen Realität und Fiktion - prominent bei Karl dem Fünften, aber auch schon bei Diogenes und Alexander, in der Papstgeschichte und auf dem (Musik-)Theater, in der Philosophie bei Meister Eckart und besonders bei Arthur Schopenhauer. Shakespeare zeigt das Scheitern und das märchenhafte Gelingen des Machtvakuums, bei Schiller gibt es dagegen nur den Sieg oder die Niederlage, aber keine Abdankung von der Macht.

Es sind im frühen 20. Jahrhundert vor allem die Ränder der europäischen Kultur, die die Last der Macht als Lust und List des Verzichts erfahren, Fernando Pessoa in Portugal, Jorge Luis Borges in Argentinien, Gustav Mahler und Hugo von Hofmannsthal in Wien. Bis hin zu den utopischen Entwürfen von Ingeborg Bachmann oder Albert Camus erscheint die Kunst der Abdankung als Asyl, als alternative Aufgabe, die weniger Ausnahme als Regel sein könnte.
Autorenporträt
Mathias Mayer ist Inhaber des Lehrstuhls für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Augsburg
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.12.2001

Es ist Zeit für mich zu gehen
Mathias Mayer versenkt sich in die hohe Kunst der Abdankung

Noch nie ist in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ein Bundeskanzler freiwillig aus dem Amt geschieden. Überhaupt sei "die freywillige abdankung", so schon der Barockdichter Lohenstein, "bey grossen fürsten ein unbekanntes wunderwerk". Ob Helmut Kohl oder Wolfgang Wagner, selten nimmt einer der Großen freiwillig seinen Hut. Ein durch die Umstände erzwungener Rücktritt, der einem Sturz zuvorkommen will, ist keine echte Abdankung. Diese ist so selten, daß jeder die Handvoll von historischen Beispielen kennt: den rätselhaften Machtverzicht Sullas, der zu seiner bis dahin brutalen Politik mitnichten passen will, die Abdankung des - bezeichnenderweise bald heiliggesprochenen - Papstes Cölestin V. und vor allem den Rückzug von Karl V. ins Kloster von San Yuste. Die künstlerische Phantasie hat sich immer wieder an diesen Beispielen des Machtverzichts entzündet: Mozarts "Lucio Silla" schließt mit der Abdankung des römischen Konsuls - wie die Opera seria überhaupt häufig um das Thema des Machtverzichts kreist -, Reinhold Schneider hat den "Engelpapst" Cölestin V. zur Titelgestalt seines monumentalen Lesedramas "Der große Verzicht" (1950) gemacht, und vor allem Karl V. war und ist das literarische Musterbeispiel des freiwilligen Rückzugs von der Macht. Man darf behaupten: Die Abdankung kommt in der Politik so selten vor, wie sie in der Kunst an der Tagesordnung ist.

"So leben wir und nehmen immer Abschied", heißt es am Schluß von Rilkes achter Duineser Elegie. Dieser Vers ist für den Regensburger Germanisten Mathias Mayer in seinem faszinierenden Essay über die "Kunst der Abdankung" geradezu das Leitmotiv der modernen Kunst. Man fühlt sich an Karl Heinz Bohrers Buch "Der Abschied" erinnert, in dem die Trennung, bei der man nicht mehr "Auf Wiedersehen" sagen kann, zur Signatur der Moderne wird. Abdankung, so Mayer lapidar, "ist im System der Geschichte als eines Prozesses der Machtsteigerung nicht vorgesehen", bedeutet gewissermaßen, aus der Geschichte auszuziehen. Fernando Pessoa vergleicht diesen Auszug in seinem Sonett "Abdankung" der Landschaft, die am Ende des Tages zur "alten, stillen Nacht" heimkehrt: "Nimm mich in deine Arme, ewige Nacht, / ich bin ein König, nenn mich deinen Sohn, / freiwillig dankt' ich ab von meinem Thron, / der Träume nur und Müdigkeit gebracht."

Der Austritt aus dem Machtspiel der Geschichte hat von jeher zur Legendenbildung geführt: Der Abdankende wird zum Heiligen stilisiert. Vor allem in den letzten hundert Jahren ist die Abdankung mehr und mehr zu einem Existential der Kunst geworden. Seit dem von Hegel diagnostizierten "Ende der Kunst" sieht sich der Künstler selbst immer wieder als abgedankten König. "Der Verlust der ,Macht' der Kunst, der Rückzug ins Innere, dann auch ins Unterirdische, Subversive, wird zum Beginn der Moderne." Die überzeugenden Beispiele, die Mayer anführt, ließen sich beliebig vermehren. Man mag vermissen, daß zum Beispiel Robert Walser in Mayers Essay nicht erwähnt wird, für den der Machtverzicht geradezu zur Grundfigur seines OEuvres wie seines Künstlerlebens wird - bis hin zum Schreibverzicht, zur förmlichen Abdankung des Dichters. Doch Mayer hat zu viel zu sagen, als daß er Vollständigkeit des Materials prätendieren wollte.

Der Titel "Kunst der Abdankung" ist ganz wörtlich zu nehmen: Abdankung ist weit mehr "Kunst" als Politik. Sie impliziert eine "Ethik des Rückzugs", zu der die Geschichte kaum imstande ist. Das hat schon Shakespeare erfahren müssen, dessen große Abdankungsszene im vierten Akt von "Richard II." erst nach dem Tode von Königin Elisabeth gedruckt werden durfte. (Den "Abdankungsspielen auf Englands Welttheater" ist ein eigenes Kapitel in Mayers Studie gewidmet.) Schon der Gedanke, daß ein Mächtiger auf Macht verzichten und damit den Wert der Macht relativieren könnte, ist subversiv! Die Kunst zieht aus der Geschichte aus und stellt gerade in ihrer Ohnmacht die Macht in Frage. Abdankung muß hier nicht Resignation, sie kann auch Re-Signation: Neusetzung von Zeichen sein.

Im gewichtigsten Abschnitt seiner Studie demonstriert Mayer, wie die Abdankung Karls V. schon in den Porträts von Tizian antizipiert, als Politikum zu einer Kunst wird, die in den letzten Jahrhunderten immer von neuem variiert worden ist: etwa in Friedrich Schlegels geplantem Drama über den Kaiser, Platens Ballade "Der Pilgrim von St. Just", im grandiosen Schlußmoment von Verdis "Don Carlos" - wo Karl V. aus seiner eigenen Grabkammer hervortritt und im Namen einer die Absichten der geschichtlichen Macht durchkreuzenden Transzendenz Don Carlos der irdischen Gewalt entzieht - oder in Ernst Kreneks Oper "Karl V.", die inmitten des nationalsozialistischen Machtrauschs den Machtverweigerer Karl in ein tragisch-gebrochenes Licht rückt: Das Spiel der Macht kennt keinen Ausstieg. Noch Ingeborg Bachmanns Lyrik - ihr gilt der "Epilog" des Buchs - weist zurück auf den habsburgischen Mythos, die zur Legende gewordene Gestalt Karls V.: Ihr Österreich ist nach den Worten Mayers "das aus der Geschichte ausgetretene Haus Österreich; erst im Verlust seiner Macht wird es erinnerungsfähige Wirklichkeit, im Wort".

Der eigentliche Philosoph der Abdankung ist Schopenhauer: Abdankung ist für ihn "Verneinung des Willens". Mayer kann diese Schopenhauer-Spur unmittelbar bis zu Hofmannsthals Trauerspiel "Der Turm", zu Fernando Pessoas "Ästhetik der Abdankung" und Jorge Luis Borges' Suspendierung des historischen Denkens verfolgen. Erstaunlich, daß der musik- und opernerfahrene Autor - ein ganzes Kapitel kreist um die "Physiognomik der Abdankung" in den Symphonien Mahlers - sich die Gelegenheit entgehen läßt, die Poetik der Abdankung, des Ausstiegs aus der Geschichte bei Wagner von "Lohengrin" über "Ring" und "Meistersinger" bis zum "Parsifal" zu verfolgen, welcher nur einmal flüchtig gestreift wird. Die Schopenhauer-Spur ist ja auch und gerade hier nicht zu übersehen. Doch kann und will der Verfasser in seinem Essay keine erschöpfende Darstellung des Themas bieten. Dennoch schickt er es ebenso facettenreich wie sprachlich geschliffen durch seine neun Variationen, denen der Leser weitere hinzufügen mag.

DIETER BORCHMEYER

Mathias Mayer: "Die Kunst der Abdankung". Neun Kapitel über die Macht der Ohnmacht. Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2001. 160 S., Abb., br., 38,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Die These des Bandes umreißt Friedmann Harzer als die Vorstellung von der Abdankung als einer "Suspendierung der Geschichte ... die in utopischen Gegenentwürfen eine Aufhebung der gestundeten Zeit bewirkt". Wie sehr solch "freiwillige Resignation" an die Kunst gebunden ist und wie wenig sie dagegen Bestandteil der Realgeschichte werden kann, hat ihm der Autor am Beispiel der Abdankung Karls V. bzw. an modernen Autoren von Bachmann bis Pessoa und an einigen Dramen Shakespeares plausibel machen können. Eine bestechende Kulturgeschichte der Resignation, lautet Harzers Urteil, wenn ihm Brahms und Mahler und ein Kapitel über Schiller auch ein wenig fehl am Platz erscheinen.

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