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Grundlage dieser Studie ist die wiedergefundene Handschrift des Gedichtes "Astralis". Sie gehört zu der exklusiven Autographensammlung Stefan Zweigs und befindet sich seit 1986 in The British Library in London. Erstmalig gelingt es der Autorin eine originalgetreue Transkription des Textes mit allen Varianten zu erstellen und die Entstehungs-, Überlieferungs- und Druckgeschichte zu rekonstruieren. In einführenden Kapiteln unterscheidet sie die in der Editionsphilologie oftmals nicht klar definierten Begriffe: Handschrift als Überlieferungsträger, Text als Gesamtheit der Schriftzeichen und Werk…mehr

Produktbeschreibung
Grundlage dieser Studie ist die wiedergefundene Handschrift des Gedichtes "Astralis". Sie gehört zu der exklusiven Autographensammlung Stefan Zweigs und befindet sich seit 1986 in The British Library in London. Erstmalig gelingt es der Autorin eine originalgetreue Transkription des Textes mit allen Varianten zu erstellen und die Entstehungs-, Überlieferungs- und Druckgeschichte zu rekonstruieren. In einführenden Kapiteln unterscheidet sie die in der Editionsphilologie oftmals nicht klar definierten Begriffe: Handschrift als Überlieferungsträger, Text als Gesamtheit der Schriftzeichen und Werk als ästhetische Größe. An exponierter Stelle zwischen den beiden Teilen des Romans "Heinrich von Ofterdingen" potenziert dieses späte, tiefgründige Gedicht zentrale Themen der frühromantischen Poesie wie Liebe und Tod, Traum und Erwachen, Selbstfindung und Weltentwurf. Die Entzifferung des gestrichenen Titels "Genius" eröffnet einen neuen Deutungsspielraum, da das zu sich selbst erwachende poetische Ich sowohl mit der mythologischen Bedeutung der Genien, Schutzgeister und der personifizierten Zeugungskraft als auch mit dem Rollenspiel und der Pluralität des Geistes in Beziehung gesetzt werden kann, die nach F. Schlegel und Novalis das höhere Genie oder den Künstler auszeichnet. Die endgültige Überschrift "Astralis" verweist dagegen in die hermetische Tradition, da der Astralleib oder siderische Mensch bei Paracelsus und Böhme eine wichtige Rolle spielt. Diesen Quellen und Bezügen wird ebenso nachgegangen wie den poetischen Umdeutungen zeitgenössischer Diskurse.

Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit viel Bewunderung blickt Rezensent Hermann Kurzke auf den "klugen Träumer" Novalis, weil dessen Schriften seinen "verdickten Hirnschmalz" "schmeidigten", also belebend auf die Verstandestätigkeiten wirken. Aber auch mit "tiefer Rührung", weil er in Novalis` Blick alles Böse zerschmelzen sieht. Dabei sei "so viel Leid um ihn" gewesen, doch Novalis habe daraus wohl poetische Kraft geschöpft. Das jedenfalls (und noch viel mehr) hat Kurzke aus der "voluminösen Arbeit" von Sophie Vietor erfahren, die er hier in allerhöchsten Tönen lobt. In "jeder denkbaren Hinsicht" habe sie das Astralis-Gedicht untersucht, welches dem 2. und nicht mehr vollendeten Teil des Romans "Heinrich von Ofterdingen" vorangestellt werden sollte. Also handschriftengeschichtlich, druckgeschichtlich, quellenphilologisch sowie interpretatorisch - "von der Papierqualität bis zu den Schriftzügen". Für Kurzke ist Sophie Vietor das "Musterbeispiel treufleißigen Dienstes am Text". Auch die Geschichte des Wiederauffindens der Astralis-Handschrift, die das Unternehmen ausgelöst hat, erzählt der Rezensent. Das Manuskript habe einst zur großen Autographensammlung Stefan Zweigs gehört, und galt als verschollen, seit er auf der Flucht vor den Nazis die Sammlung auflöste. Ein paar "Lieblingsstücke" jedoch habe er behalten. Darunter "Astralis", das sich nun in der British Library wiederfand.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.2001

Sternenmensch im Blütenkelch
Handschriften-Fund: Das Astralis-Gedicht des Novalis

Es kann ja sein, daß die Welt so platt ist, wie sie meistens erscheint; kann ja sein, daß es, wissenschaftlich gesehen, müßig ist, sich mit der Frage von Novalis zu beschäftigen, ob nicht die Welt eine versteinerte Zauberstadt sei, die durch ein einziges geheimes Wort aus ihrem Bann gelöst werden könne. Aber auch dann belebt und erfrischt es immer, Novalis zu lesen; es schmeidigt verdicktes Hirnschmalz, bringt das Denken aus den gewohnten Bahnen, zeitigt erstaunliche Bilder und eröffnet ungeahnte Verknüpfungen. Auch in einer platten Welt ist es nützlich, zu träumen. "Man sieht nun aus bemoosten Trümmern/ Eine wunderseltsame Zukunft schimmern/ Und was vordem alltäglich war/ Scheint jetzo fremd und wunderbar."

Das Alltägliche - wunderbar? Die Welt müsse romantisiert werden, forderte der junge Dichter. Romantisieren heiße, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Endlichen einen unendlichen Schein geben. Umgekehrt erhalte das Unendliche dadurch einen geläufigen Ausdruck, werde quasi logarithmisiert. Novalis will dennoch kein Phantast sein, die Wirklichkeit nicht hintergehen. Er meint, die Welt sei bereits wunderbar, wenn uns nur die Schuppen von den Augen fielen.

Wenn wir statt der Augen grüne Gläser hätten, schrieb einst Heinrich von Kleist in einem Brief, würden wir die Welt für grün halten. Die Welt ist einerseits so, wie sie ist, aber andererseits ist sie so, wie wir sie anblicken. Wer den Menschen für einen Affen hält, der wird nur Affenartiges erblicken. Wer die Menschen für Ebenbilder Gottes hält, sieht allenthalben Wunder. "Die Welt wird Traum, der Traum wird Welt/ Und was man geglaubt, es sei geschehn/ Kann man von weitem erst kommen sehn."

Novalis starb am 25. März 1801, keine dreißig Jahre alt. Die Verszitate stammen aus seinem Gedicht "Astralis", mit dem der zweite, nicht mehr vollendete Teil des Romans "Heinrich von Ofterdingen" beginnen sollte. Astralis ist das Kind der Liebe von Heinrich und Mathilde. An der Liebe ist wie an nichts anderem das Wunderbare im Alltäglichen zu sehen. Astralis ist der Sternenmensch, in dem die Menschheit sich selbst und ihrer hohen Bestimmung begegnet und so die Sterne berührt. Er ist ganz Wollust und zugleich ganz Philosophie. In traumklaren Bildern malt Novalis die Zeugungskraft als Blütenstaub, der die Narbe befruchtet, den empfangenden Schoß als Kelch.

Es sei nichts Böses in der Welt, hatte er einst dem Freund Friedrich Schlegel mit feurigen Worten demonstriert. Mit tiefer Rührung kann man sehen, wie im Blick dieses jungen Mannes alles Böse zerschmilzt. Dabei war viel Leid um ihn. Seine Braut war gestorben, fünfzehn Jahre alt, bitter und qualvoll. Novalis trainiert an diesem schrecklichen Tod die Lösung des Bannes, der die Menschen gefangen hält. Am Grabeshügel der Braut wird die Welt gläsern und federleicht, "im seligen Verklärungsaugenblick" zergehen die Grenzen von Raum und Zeit. "Zur Staubwolke wurde der Hügel", heißt es in den "Hymnen an die Nacht", und "durch die Wolke sah ich die verklärten Züge der Geliebten. In ihren Augen ruhte die Ewigkeit - ich faßte ihre Hände, und die Tränen wurden ein funkelndes, unzerreißliches Band. Jahrtausende zogen abwärts in die Ferne, wie Ungewitter."

Die Liebe schlägt Wunden wie der Tod, und nur im Todesschmerz gewährt sie ihre verklärende Kraft. "Der Leib wird aufgelöst in Tränen", so lauten die Schlußzeilen des Astralis-Gedichts, "zum weiten Grabe wird die Welt/ In das verzehrt von bangem Sehnen/ Das Herz, als Asche, niederfällt." Die Asche aber zeugt Wunderbares im Blütenkelch: "Alle Asche ist Blütenstaub - der Kelch ist der Himmel."

Dies alles und noch viel mehr erfährt man aus der voluminösen Arbeit von Sophia Vietor, die "Astralis" in jeder nur denkbaren Hinsicht untersucht, handschriftengeschichtlich, druckgeschichtlich, quellenphilologisch, interpretatorisch und im Werkkontext, von der Papierqualität bis zu den Schriftzügen, von minutiös diskutierten Datierungsfragen bis zur Deutungsgeschichte; das alles unbeeilt und Schritt für Schritt, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt, jeder Fährte folgend, verheiße sie nun goldene Berge oder nur ein Nickelstück. Mag manche langwierige Erörterung auch müßig sein, so verfehlt die Arbeit im Ganzen ihren Eindruck nicht. Sie ist ein Musterbeispiel treufleißigen Dienstes am Text, den sie immer erklären und verstehen, niemals bevormunden, kritisieren oder übervorteilen will.

Angestoßen wurde das Unternehmen von der Wiederauffindung der Handschrift, die einst zur großen Autographensammlung von Stefan Zweig gehörte, aber verschollen war, seit Zweig auf der Flucht vor Hitlerdeutschland seine Sammlung aufgelöst hatte. Einige wenige Lieblingsstücke hatte er heimlich behalten, darunter "Astralis". Die Handschrift fand sich nun in der British Library - nicht gerade ein versteckter Platz, möchte man meinen, und doch mußten Jahrzehnte vergehen, bis sie nun mit aller erdenklichen Sorgfalt neu herausgegeben und kommentiert werden konnte, als Geschenk an die Öffentlichkeit zum zweihundertsten Todestag des klugen Träumers.

HERMANN KURZKE

Sophia Vietor: "Astralis von Novalis. Handschrift - Text - Werk". Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2001. 416 S., br., 86,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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