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Zufällig Erschossene, willkürlich von sowjetischen Militärtribunalen Hingerichtete, nach DDR-Recht zum Tode durch die "Fallschwertmaschine" Verurteilte, Erschlagene: Die Toten des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 mit ihrem bis heute oft unbekannten Schicksal werden in diesem Band vorgestellt. Den Allermeisten wurde ein normales Begräbnis im Familienkreis verweigert (mit Ausnahme der getöteten Polizisten und der in Westberlin Beigesetzten). Sie wurden totgeschwiegen und so noch einmal getötet. Vor dem Hintergrund der Propagandathese vom "faschistischen Putsch" wagte bis 1989 nahezu keiner der…mehr

Produktbeschreibung
Zufällig Erschossene, willkürlich von sowjetischen Militärtribunalen Hingerichtete, nach DDR-Recht zum Tode durch die "Fallschwertmaschine" Verurteilte, Erschlagene: Die Toten des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 mit ihrem bis heute oft unbekannten Schicksal werden in diesem Band vorgestellt.
Den Allermeisten wurde ein normales Begräbnis im Familienkreis verweigert (mit Ausnahme der getöteten Polizisten und der in Westberlin Beigesetzten). Sie wurden totgeschwiegen und so noch einmal getötet. Vor dem Hintergrund der Propagandathese vom "faschistischen Putsch" wagte bis 1989 nahezu keiner der Hinterbliebenen in der DDR, über diesen Teil der eigenen Familiengeschichte zu sprechen.
Wo der Tod damals Lücken riss, werfen heute die Portraits der Getöteten Schlaglichter auf Zustände und Verhaltensweisen, die ein eindrückliches Gesamtbild ergeben von einer Zeit des Verschweigens und Verdrängens, die in besonderer Weise bis in die Gegenwart reicht.
Autorenporträt
Hans-Hermann Hertle: Jahrgang 1955; Studium der Geschichte und Politikwissenschaft in Marburg und Berlin; Dr. phil.; wissenschaftlicher Publizist und Sozialforscher; 1985 - 1999 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung an der Freien Universität Berlin; seit 1999 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam. Zahlreiche Buchveröffentlichungen zur Sozial- und Zeitgeschichte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.06.2004

Dem Vergessen entrissen
Die Lebensläufe und die Gesichter der Toten des 17. Juni

Edda Ahrberg, Hans-Hermann Hertle, Tobias Hollitzer und die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (Hrg.), Die Toten des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953, Lit-Verlag Münster 2004, 212 Seiten, 19,90 [Euro]

55 Menschen - Kinder, Jugendliche, Frauen und Männer - entreißt dieses Buch dem Vergessen: jene, die bei einem der kometenhaften Ereignisse der deutschen Geschichte umgekommen sind und deren Erinnerung dennoch schnell verblaßte. Helden waren sie alle nicht, niemand ist darunter, dessen Nachruhm gepflegt wurde - weder im Osten noch im Westen. Manche wurden mit Grabplatten auf Kosten der Staatskasse geehrt, einige sind seit wenigen Jahren in Straßennamen verewigt, aber bekannt sind sie nicht.

Sie sollten es aber sein, denn das Wissen über sie und ihr Zu-Tode-Kommen hätte schon in der alten Bundesrepublik manchem die gedankenlose Umwidmung des nationalen Feiertages vom 17. Juni in einen Vergnügungstag im Freibad vergällt. Letztlich waren sie es, die dem Arbeiteraufstand in der damals noch mit Anführungsstrichen "DDR" genannten sowjetischen Besatzungszone seine Dramatik gaben. Ohne sie wäre der Tag nur ein besonderer Streiktag, zwar geadelt durch die vorgetragenen hehren Forderungen und die Brutalität der Niederschlagung, aber kein gesamtdeutscher Trauertag.

Die 55 Toten standen politisch auf beiden Seiten der Barrikaden, fünf von ihnen auf der Seite der kommunistischen Staatsmacht, die übrigen auf der anderen, die sich aber nicht allgemeingültig beschreiben läßt, weil sie keinen gemeinsamen Nenner hat. Acht begingen nach ihrer Festnahme Selbstmord oder fielen den unmenschlichen Haftbedingungen zum Opfer. Zwei Todesurteile wurden von DDR-Gerichten verhängt und vollstreckt. Fünf Männer wurden von sowjetischen Instanzen zum Tode verurteilt und hingerichtet. "34 Demonstranten, Passanten und Zuschauer wurden am 17. Juni und den Tagen danach (bis zum 23. Juni) von Volkspolizisten und sowjetischen Soldaten erschossen oder starben an den Folgen der ihnen zugefügten Schußverletzungen."

Die Besonderheit des Buches ist nicht die Wiederholung bekannter oder vervollständigter Statistiken, sondern die Sammlung der 55 Lebensläufe. Das jüngste Todesopfer war der 14 Jahre alte Rudi Schwander aus dem Ostsektor, das zweitjüngste der sechzehnjährige Werner Sendsitzky aus dem Westsektor, die beide tödlich verletzt wurden, als die Volkspolizei wahllos in die Menge oder auch nur "in die Luft" schoß - Sendsitzky hatte von einem Dach im Westsektor das Geschehen beobachtet. Der 15 Jahre alte Wolfgang Röhling ist mittelbar ein Opfer des Volksaufstandes - den West-Berliner erschoß ein nervös gewordener Volkspolizist beim Baden im Grenzgebiet. Sechzehn Jahre alt wurde Dora Borchmann, die bei der Suche nach einer Arbeitsstelle am 17. Juni in Magdeburg in die Nähe der Demonstrationen geriet und erschossen wurde.

Die "politisch gewollten" Toten gehören mit einer Ausnahme einer anderen Generation an. Manche mußten sterben, weil im fernen Moskau noch in den Vormittagsstunden des 17. Juni angeordnet worden war, daß "zwölf Rädelsführer zu erschießen" seien. Diese vom Kreml ohne Ansehen persönlicher Beteiligung angeordnete Erschießungsquote, über die der damalige Hohe Kommissar der Sowjetunion für Deutschland, Semjonow, im Jahre 1995 berichtete, ist glaubwürdig. 1989 hat das frühere ungarische Politbüromitglied György Aczél mitgeteilt, daß drei Jahre später, beim ungarischen Volksaufstand 1956, Moskau gleichfalls Repressionsquoten befahl, diesmal mit der Maßgabe, daß ein Todesurteil mit 6000 Jahren Haft (also etwa 600 Personen mit je zehn Jahren Gefängnisstrafe) zu verrechnen sei.

Nur auf diese Quote und nicht auf ihre persönliche Schuld bei den Demonstrationen oder Gefängnisbelagerungen sind die Hinrichtungen oder standrechtlichen Erschießungen von Ernst Jennrich, Alfred Dartsch und Herbert Stauch aus Magdeburg, Herbert Kaiser und Eberhard von Cancrin aus Leipzig, Willi Göttling aus Berlin und Alfred Diener aus Jena zurückzuführen. Dasselbe gilt für den 15 Jahre alten Paul Ochsenbauer, der in Leipzig mit einem sowjetischen Offizier aneinandergeriet. "Ob er daraufhin standrechtlich erschossen oder auf andere Weise getötet wurde, ließ sich bislang nicht klären", stellen die Autoren fest. Rätselhaft ist auch der Fall "Erna Dorn", deren Namen die Verfasser selbst in Anführungszeichen schreiben und die in Dresden mit dem Fallbeil hingerichtet wurde. Dank dieses Buches wissen wir mehr über den 17. Juni 1953, aber ganz offensichtlich bei weitem noch nicht alles.

GEORG PAUL HEFTY

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

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