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Würde und Rechte des Menschen: Mit diesen Begriffen bezeichnen wir das Verhältnis, aufgrund dessen sich die menschlichen von allen nichtmenschlichen Wesen unterscheiden. An der vernünftigen Verständigung über die Bedingungen der Aufrechterhaltung dieses Verhältnisses entscheiden sich die Konsistenz unserer Rechtssysteme, die interkulturelle Vermittelbarkeit unterschiedlicher Vorstellungen von Humanität und die Möglichkeiten des Brückenschlages zwischen Ethik und Politik.

Produktbeschreibung
Würde und Rechte des Menschen: Mit diesen Begriffen bezeichnen wir das Verhältnis, aufgrund dessen sich die menschlichen von allen nichtmenschlichen Wesen unterscheiden. An der vernünftigen Verständigung über die Bedingungen der Aufrechterhaltung dieses Verhältnisses entscheiden sich die Konsistenz unserer Rechtssysteme, die interkulturelle Vermittelbarkeit unterschiedlicher Vorstellungen von Humanität und die Möglichkeiten des Brückenschlages zwischen Ethik und Politik.
Autorenporträt
Dr. Walter Schweidler ist Inhaber des Lehrstuhls für Philosophie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.08.2002

Optionen machen unfrei
Im Zwiespalt: Walter Schweidler mischt die Menschenrechte auf

Gegenwärtig nehmen die Kritiker der Normwissenschaften vor allem das Menschenrechtsdenken ins Visier, das zum üppigsten Gewächs im Zaubergarten des Naturrechts emporgeblüht ist. "Wer Menschheit sagt, der will betrügen", urteilte Carl Schmitt, und Milosevic spricht es ihm nach. Kant hat derartigen Verdächtigungen eine Konzeption von grandioser Schlichtheit entgegengesetzt. Das angeborene Recht, so erklärte er in der "Metaphysik der Sitten", sei nur ein einziges: "Freiheit (Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür), sofern sie mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen kraft seiner Menschheit zustehende Recht." Charles Taylor kritisiert die "Negativität" eines solchen Freiheitsverständnisses; es reduziere Freiheit zu einem Spielraum von Optionen und thematisiere den Gedanken erfüllten Menschseins nur gleichsam in der Möglichkeitsform. Erst mit der Idee der positiven Freiheit werde der Schritt von der Möglichkeit zur Wirklichkeit eines freien Lebens vollzogen.

Aber dieser Schritt ist - wie der Bochumer Philosoph Walter Schweidler in seiner Aufsatzsammlung klarmacht - gerade nicht Sache des Staates, sondern des Bürgers. Insofern sind negative und positive Freiheit keine Gegensätze, sondern bedingen einander. Die Freiheit, unter Respektierung fremder Lebensentwürfe den eigenen Weg zu finden - sei es in Religion, Berufstätigkeit oder sonstigen identitätsprägenden Bereichen -, ist nach Schweidler das menschliche Urrecht schlechthin, und alle Menschenrechtskataloge dienen nur dazu, dieses Urrecht für besonders bedeutsame Lebensbereiche zu konkretisieren.

In diesem Sinne hätten die Menschenrechte den Sinn, ein Verhältnis zwischen uns aufrechtzuerhalten, innerhalb dessen die Unvergleichlichkeit jedes einzelnen von uns wahrnehmbar bleibe. Kraft seines Menschenrechts sei jeder gleichermaßen berechtigt, seine "Fähigkeit, sich lernend und verstehend zu seinem Leben als einer begrenzten, selbstverantwortlich zu gestaltenden Spanne Zeit zu verhalten", handelnd einzusetzen und zur Entfaltung zu bringen. Der Grund der Menschenrechte, jene Würde, die der Eingangsartikel des Grundgesetzes für "unantastbar" erklärt, trägt demzufolge nach Schweidler der biographischen Einzigartigkeit eines jeden menschlichen Lebens Rechnung. Zu Recht hebt der Autor hervor, daß ein solches Menschenrechtsverständnis mit westlichem Überlegenheitsdünkel nicht das geringste zu tun habe: "Es soll nicht jeder leben wie wir; aber es soll jeder Stellung zu der Frage nehmen können, wie er leben will, und zwar Stellung nehmen gegenüber seinen eigenen politischen Repräsentanten - und nicht dergestalt, daß er vor ihnen davonläuft und zu uns kommt."

Gerade um der positiven Freiheit der Bürger willen darf das Recht somit die Freiheit nur in der Möglichkeitsform kennen. Hingegen führt es zu großer moralischer Verwirrung, wenn das einzelne Individuum seine Freiheit im Sinne eines bloßen Ensembles von Möglichkeiten mißversteht. Selbstbestimmung heißt für den einzelnen immer auch Selbstbeschränkung. Irgendwann ist es zu spät, um Lokomotivführer oder Kurienkardinal zu werden. Wer sich statt dessen mit einer Existenz als Professor begnügt, hat zwar zahllose alternative Handlungsoptionen eingebüßt, aber an Lebensernst und Erfahrungstiefe womöglich gewonnen. Ein Authentizitätsverständnis, das Lebenserfüllung an der Anzahl der verfügbaren Handlungsoptionen mißt, verfehlt demgegenüber solch grundlegende ethische Phänomene wie Verläßlichkeit und Treue. Mehr noch: Wie Schweidler zeigt, unterminiert ein von ihm so genanntes "optionalistisches" Denken das der Menschenrechtsidee zugrunde liegende Persönlichkeitsbild selbst.

Aus dem Befund, daß das Leben als ein Vorrat an Optionen zu begreifen sei, lassen sich nach Schweidler zwei mögliche Konsequenzen ziehen: Entweder man taxiert den einzelnen Menschen anhand seiner Fähigkeit, an der Steigerung der gesellschaftlichen Optionenvielfalt mitzuwirken. Oder aber man fordert, die Menge an verfügbaren Optionen solle für alle Menschen prinzipiell die gleiche sein, und leitet daraus die Forderung nach einer möglichst absoluten "Chancengleichheit" ab.

Sosehr diese Schlußfolgerungen einander an der Oberfläche widersprechen, sowenig bleibt dem von Schweidler angeleiteten Beobachter ihre untergründige Gemeinsamkeit verborgen: Übereinstimmend weigern sie sich, den Menschen in seiner Individualität in den Blick zu nehmen; statt dessen behandeln sie ihn als bloßes Gattungswesen. Angesichts dieser heimlichen Verwandtschaft ist es nicht verwunderlich, daß beide Auffassungen in heutigen Gemeinwesen zu einer im großen und ganzen friedlichen Koexistenz gefunden haben; Streit herrscht lediglich über das richtige Mischungsverhältnis zwischen ihnen.

Dieser technokratischen Sichtweise hält Schweidler die wunderbare Einzigartigkeit eines jeden menschlichen Lebens entgegen, dessen menschenrechtlichen Schutz er konsequenterweise mit dem Zeitpunkt der Zeugung beginnen läßt; denn niemandem dürfe erlaubt werden, "darüber zu entscheiden, wo Unvergleichlichkeit beginnt und wo sie endet". Wer eine solche Position als fundamentalistisch schmäht, weiß buchstäblich nicht, was er sagt; denn wie Schweidler eindrucksvoll gezeigt hat, ist es nichts Geringeres als das Fundament von Rechtlichkeit überhaupt, das hier auf dem Spiel steht.

Ungeachtet ihrer vielfältigen Qualitäten weisen Schweidlers Erörterungen einen gewissen Restbestand ungelöster Probleme auf. Wie will Schweidler von einem Ausgangspunkt her, der die Freiheit zur authentischen Gestaltung des eigenen Lebens betont und in diesem Sinne handlungstheoretisch imprägniert ist, den menschenrechtlichen Status der Allerschwächsten, nämlich der konstitutionell und dauerhaft Handlungsunfähigen begründen? Der Hinweis Schweidlers, wer die Menschheit spalte, könne nicht sicher sein, in welchem Lager er selbst schließlich landen werde, greift hier nicht durch; denn eine Ausgrenzung der genannten Personengruppe aus dem Schutzbereich der Menschenrechte geschähe nicht willkürlich, sondern aus guten, nämlich von Schweidler selbst vorgetragenen philosophischen Gründen.

Auch Schweidlers Aussage, daß die Würde des Menschen nicht an die Innehabung bestimmter Eigenschaften geknüpft werden dürfe, erweist sich vor dem Hintergrund seiner Authentizitätskonzeption als anfechtbar: Beruht die Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Führung des eigenen Lebens etwa nicht auf Eigenschaften, die der einzelne Mensch zwar haben kann, aber, wie jeder Besuch auf einer Altenpflegestation lehrt, keineswegs haben muß? Den an diesen Stellen offenbar werdenden Zwiespalt zwischen seinem Begründungsansatz und seinem Begründungsziel löst Schweidler nicht überzeugend auf. Vielleicht wäre dies nur durch den offenen Rückgriff auf den Gedanken von der Geschöpflichkeit des Menschen möglich gewesen. Daß Schweidler diesen Schritt nicht gewagt hat, ist bedauerlich. Er hat damit die Chance vergeben, zu zeigen, daß die Zivilreligion der Menschenrechte nicht ohne Anleihen bei ihrer spottgekrönten älteren Schwester auszukommen vermag.

MICHAEL PAWLIK.

Walter Schweidler: "Das Unantastbare". Beiträge zur Philosophie der Menschenrechte. Lit Verlag, Münster 2001. 261 S., br., 25,46 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Michael Pawlik sieht in Walter Schweidlers Erörterungen über das "Unantastbare" eine größtenteils gelungene Entgegnung auf technokratische Sichtweisen der Menschenrechte, wie sie seiner Meinung nach heutzutage Konjunktur haben. Schweidler vertritt einen Ansatz, in dem der "biografischen Einzigartigkeit" eines jeden menschlichen Lebens Rechnung getragen werde, d.h. es geht um die Freiheit, unter Respektierung anderer Lebensentwürfe, den eigenen zu finden, erläutert der Rezensent. Dabei wende sich Schweidler gegen ein Authentizitätsverständnis, das die Erfülltheit eines Lebens an der Zahl der möglichen Handlungsoptionen misst. Selbstbestimmung heiße immer auch Selbstbeschränkung. Aber auch Schweidler kriegt die Nuss im Baum der Erkenntnisse über Möglichkeiten und Einschränkungen individueller Freiheiten nicht vollständig geknackt, gesteht Pawlik. Für ihn bleibt die Frage ungelöst, wie der Status der Allerschwächsten, der konstitutionell Handlungsunfähigen aussieht. Seiner Meinung nach hat Schweidler davor zurückgescheut, auf den "Gedanken der Geschöpflichkeit des Menschen" - und damit auf die religiöse Ethik - zurückzugreifen.

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