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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.07.2002

Der letzte Feuerwehrmann
Klaus Lichtblaus Kampf für die Moderne
Das Haus brennt lichterloh von allen Seiten, der Dachstuhl schmilzt, der Boden wankt, und die Feuerwehr legt Holzscheit um Holzscheit nach, bis gar nichts mehr geblieben ist vom einst so stolzen Haus. Niemand stellt den Flammen sich entgegen, niemand wagt den Gang zum Wasser der Erkenntnis. Niemand? Ein einziger Mensch, ein Mann der Wissenschaft auch er, bleibt standhaft. Er hat keine eigennützigen Policen abgeschlossen, nichts wird er verdienen am Untergang des gemeinsamen Hauses, den die pyromanisch gewordenen Kollegen zu verantworten haben. Hier steht der Mann und kann nicht anders und muss und wird das Haus der Soziologie retten. Klaus Lichtblau ist sein Name.
Wenn der Bielefelder Soziologe den Fernseher einschaltet, wird er Zeuge von „Selbstverbrennungsakten”. Auf diesen martialischen Begriff bringt Lichtblau die Versuche der Kollegen Ulrich Beck und Dirk Kaesler, durch „theoretische Anspruchslosigkeit” zum „Liebling einer breiteren Öffentlichkeit” zu avancieren. Die Vereinfacher springen von Talk-Show zu Expertenkommission und retour, unterlaufen dabei das „inzwischen erreichte Anspruchsniveau der internationalen soziologischen Diskussion” und ebnen so „das strukturelle Gefälle zwischen Expertenkultur und Laientum” ein. Am Ende aber, wenn „die reine Verschlagwortung” vollbracht ist, wird keiner mehr die Soziologen vermissen, und deshalb schlägt Lichtblau Alarm.
Sphärenklänge des Ästhetischen
Am eigenen Ideengebäude begannen „manche moderne Soziologen” zu zündeln, als sie das Ende der Moderne ausriefen. Das von Tönnies, Simmel, Weber begründete Fach läuft damit jedoch Gefahr, seine Daseinsberechtigung zu verlieren. Die Moderne ist das ureigene Forschungsgebiet einer rund hundert jährigen Wissenschaft, Soziologen sind Modernitätsforscher. Georg Simmel kennzeichnete den modernen Menschen durch einen „Mangel an Definitivem im Zentrum der Seele”, Max Weber sah in der Rationalisierung und funktionalen Ausdifferenzierung den entscheidenden Wesenszug moderner Gesellschaften. Ihnen und den übrigen Klassikern hatte schon 1888 ein Schriftsteller den Weg gewiesen, der Naturalist Eugen Wolff, der die Moderne „ein Weib” nannte, „wild bewegt wie der Geist der Zeit, mit flatterndem Gewand und fliegendem Haar, mit vorwärtsschreitender Gebärde”.
Grundfalsch und höchst gefährlich ist Lichtblau zufolge jener „soziologische Selbsthass”, auf den er die grassierende Rede von einer zweiten oder einer anderen Moderne , von einer reflexiven im Unterschied zur einfachen Moderne oder gar das dubiose Schlagwort Postmoderne zurückführt. Stattdessen müsse „der gegenwärtige soziale Wandel innerhalb des überlieferten soziologischen Verständnisses von Moderne” betrachtet werden. Gerade die eben nur scheinbar sämtliche Kategorien sprengende Globalisierung solle ihre Analyse nach bewährtem Muster erfahren; sie sei, ob nun in China, Russland oder den islamischen Ländern, letztlich nur ein weiterer Abschnitt im unabgeschlossenen, unabschließbaren Transformationsprozess der Moderne.
Lichtblau rät den Kollegen, an die sein Büchlein wohl gerichtet ist, nicht jeden „avantgardistischen Wahn” mitzumachen. Sie sollten lieber aus der Vergangenheit um 1800 und um 1900, sie sollten von den Romantikern und den Neu romantikern lernen, wie empfänglich die Künstler für gesellschaftliche Umbrüche sind und wie vergleichsweise taub doch die Wissenschaftler. Die „Sphäre des Ästhetischen” habe darum künftig die Soziologen besonders zu interessieren. So schrieb Klaus Lichtblau zu Bielefeld, und wären seine Sätze etwas knapper, wäre seine Sprache etwas geschmeidiger, sein Deutsch etwas deutlicher, dann gäbe es noch mehr zu berichten vom letzten ehrlichen Feuerwehrmann dieser Erde.
ALEXANDER KISSLER
KLAUS LICHTBLAU: Transformationen der Moderne. Philo Verlag, Berlin / Wien 2002. 180 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Als einer der letzten Standhaften kämpft der Soziologe Klaus Lichtblau für die Moderne, berichtet Rezensent Alexander Kissler. Dabei geriert sich Lichtblau ein wenig wie der "letzte Feuermann", der die Pflicht hat, das brennende Haus der Moderne ganz allein zu löschen versucht, findet Kissler. Wie der Rezensent weiter ausführt, betreibt Lichtblau zunächst ein wenig Kollegenschelte: durch "theoretische Anspruchslosigkeit" versuchten Kollegen wie Ulrich Beck und Dirk Kaesler zu Lieblingen der Öffentlichkeit zu avancieren. Lichtblau warnt dann laut Kissler vor der Preisgabe der Moderne, die er als das ureigene Forschungsgebiet der Soziologie versteht, und rät seinen Kollegen, nicht jeden "avantgardistischen Wahn" mitzumachen. Den Rezensenten scheint das nicht sonderlich zu beeindrucken. Offene Kritik übt er allerdings nur an Lichtblaus Stil: "Wären seine Sätze etwas knapper, wäre seine Sprache etwas geschmeidiger, sein Deutsch etwas deutlicher", so Kissler zusammenfassend, "dann gäbe es noch mehr zu berichten vom letzten ehrlichen Feuerwehrmann dieser Erde".

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