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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.04.2002

Zwischen den Welten

TSCHECHOSLOWAKEI. Die politische Entwicklung des 20. Jahrhunderts in Europa nötigte viele Menschen zu einem Wandern zwischen den Welten. Dazu gehörte auch der aus einem großbürgerlich-jüdischen Elternhaus stammende Jirí Kosta. Der Einmarsch deutscher Truppen in die Rumpf-Tschechoslowakei hinderte ihn 1939 an der Fortsetzung seines Studiums und brachte ihn schließlich über Theresienstadt und die Arbeit in den Kohlegruben von Kladno nach Auschwitz. Nach der ersten euphorischen Zeit in der neuen Tschechoslowakei litt er bald unter den antisemitischen Tendenzen der Kommunisten: Die Machthaber verhafteten den Vater wegen seiner Verbindung zu Noel Field und die Mutter wegen ihrer Herkunft. Kosta mußte zur Bewährung in die Produktion. Dann gelang ihm in den sechziger Jahren eine wissenschaftliche Karriere; er arbeitete an den wirtschaftspolitischen Grundlagen des Prager Frühlings mit. Nach der Okkupation seines Heimatlandes durch sowjetische Truppen floh er in den Westen. Nach der "samtenen Revolution" in der Tschechoslowakei blieb er in der Bundesrepublik, aber mit zweitem Wohnsitz in Prag. Kosta war ursprünglich ein linker Intellektueller gewesen, dann Kommunist, der in der Nachkriegszeit vom System sowjetischer Prägung schnell enttäuscht wurde, aber an die Reformfähigkeit des Kommunismus glaubte. Als dies scheiterte, wandelte er sich wohl auch in Auseinandersetzung mit dem linken Milieu an der Universität Frankfurt zum Sozialdemokraten. Er stand allerdings der Ostpolitik Brandts kritisch gegenüber; er hielt es für einen Fehler, daß die Bonner Politik keinen Kontakt zu den Dissidenten suchte. (Jirí Kosta: Nie aufgegeben. Ein Leben zwischen Bangen und Hoffen. Philo Verlagsgesellschaft, Berlin/Wien 2001. 184 Seiten, 16,90 Euro.)

FRANZ-JOSEF KOS

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Im Jahr 1970 ist der Ökonom Jiri Kosta, einer der Protagonisten des Prager Frühlings, nach Frankfurt am Main emigriert, wo er dann Theorie und Praxis "sozialistischer Wirtschaftssysteme" - und damit ihres Versagens - lehrte. Seine Autobiografie, stellt Hanno Loewy fest, ist ganz wie die bescheidene Person: "ein Bericht, ganz matter of fact". Über den Holocaust, seine Zeit in Theresienstadt, seine so glückliche wie zufällige Rettung in Auschwitz hat Kosta, so Loewy, lange nicht gesprochen - vor allem wohl, meint der Rezensent, weil er seine "jüdische Herkunft" als eher kontingentes Faktum begreift, nicht als "ausfüllende Identität". Mit Entsetzen konstatierte er die Verwandlung des, auch seines, "kommunistischen Traums" in ein "System organisierten Verfolgungswahns". Erst nach dem Ende des Kommunismus konnte sich Kosta als "Pendler" zwischen den Kulturen wieder frei fühlen, unterwegs in Europa und "immer wieder froh, anzukommen."

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