Produktdetails
  • Verlag: Philo
  • ISBN-13: 9783825701550
  • ISBN-10: 3825701557
  • Artikelnr.: 24942506
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.05.2000

Börne in Berlin
Seine Briefe an Jeanette Wohl
Seitdem die Wörter „Berliner Republik” und „Generation Berlin” grassieren, macht es sich nicht schlecht, erfreuliche Nachrichten aus der Geschichte der Stadt ans Tageslicht zu fördern – und manchmal verkaufen sie sich auch ganz gut. Diesem Umstand ist es wohl zuzuschreiben, dass Börnes Berliner Briefe nun in einem Separatdruck wieder erscheinen.
Ludwig Börne hielt sich von Mitte Februar bis Ende April 1828 in Berlin auf. Er wollte herausfinden, ob die Stadt für seine weitere publizistische Karriere ein geeigneter Standort sein könnte, an den er nebenbei seine Frankfurter Freundin Jeanette Wohl zu binden vermöchte. An sie sind seine Briefe adressiert, um ihrer beider Verhältnis geht es hier allein. Bedauerlicherweise sind ihre Antworten oder Vorgaben nicht erhalten, so dass dieser Part sich nur indirekt aus Börnes Sätzen erschließen lässt.
Börne kam 1828 zum zweiten Mal nach früheren Studienaufenthalten in die Stadt, nun als anerkannter Publizist, der bereits ein Jahr darauf, gesammelte Werke erscheinen ließ. Das, was er aus dem gesellschaftlichen Leben seiner Freundin zu berichten weiß, und so hat sie es wohl auch empfunden, ist spärlich: Namen, Garderoben, Speisekarten, Tagesklatsch. Er bewegt sich zumeist in den inzwischen etwas lädierten, einst berühmten Salons, nur selten stehen die ersten Namen auf seiner Besuchsliste. Immer wieder vergisst er oder verpasst er zum Beispiel eine Begegnung mit Hegel. Jeanette vermutet, wohl nicht zu Unrecht, aus Bequemlichkeit.
Genau genommen geht es ihm auch nicht darum; ihn beschäftigt die zukünftige Gestaltung seines Verhältnisses mit Jeanette Wohl, der Freundin, Geliebten, auch „Mütterchen” genannten fernen Adressatin. Vor einer definitiven Beziehung mit ihr, die ihn bis zum Tod hütete, literarisch ermunterte und ihm als Echo unentbehrlich war, hat er Angst. Er kokettiert vor ihr mit allerhand erfundenen Liebschaften, so als wolle er sie eifersüchtig machen, redet aber zugleich mit einer Pedanterie über anderer Leute Beziehungen, so als sei ihm nichts ferner als Sexualität.
Alles in allem: Die Briefe sind sehr privat, auch ein wenig peinlich, gesellschaftshistorisch ohne Belang, vor allem sind sie traurig. Berliner Briefe aber sind es nicht.
AGNES HÜFNER
LUDWIG BÖRNE: Berliner Briefe. Herausgegeben von Willi Jaspers. Philo Verlagsgesellschaft, Berlin 2000. 136 Seiten, 29,80 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Agnes Hüfners Begeisterung hält sich in Grenzen: Denn nicht nur, dass die "Berliner Briefe" bei näherer Betrachtung diese Bezeichnung kaum rechtfertigen. Vielmehr scheint die Rezensentin zu den diskreteren Naturen zu gehören, die beim Lesen fremder Post, besonders wenn sie recht intimer Art ist, nur verhaltenes Vergnügen verspüren. "Ein wenig peinlich" berührt zeigt sich Hüfner von Börnes Schilderungen an seine Frankfurter Freundin Jeanette Wohl. Darüber hinaus sei der einseitige Briefwechsel (Wohls Antworten sind nicht erhalten) "gesellschaftshistorisch ohne Belang". Im Vordergrund stehen nach Hüfners Diagnose Klatsch und Tratsch, Belanglosigkeiten wie der Inhalt von Speisekarten etc., aber auch Börnes Phlegma, durch das er immer wieder wichtige Begegnungen (z. B. mit Hegel) "verpasst". Alles in allem sind die Briefe "vor allem (...) traurig", resümiert Hüfner.

© Perlentaucher Medien GmbH