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Im Jahre 2007 feierte das "Heidelberger Seminar für Klassische Philologie" sein zweihundertjähriges Bestehen. Es ist das älteste geisteswissenschaftliche Institut der Universität. Gegründet wurde es von dem berühmten Philologen und Romantiker Friedrich Creuzer (1771-1858). Anläßlich der Aufnahme des Studienbetriebes veröffentlichte Creuzer 1807 die vorliegende Denkschrift. Sie kann als intellektuelle Gründungsurkunde des Seminars für Klassische Philologie gelten. Creuzers Programm ist den neuhumanistischen Zeitströmungen verpflichtet, setzt aber deutlich eigene Akzente. Neuplatonismus und…mehr

Produktbeschreibung
Im Jahre 2007 feierte das "Heidelberger Seminar für Klassische Philologie" sein zweihundertjähriges Bestehen. Es ist das älteste geisteswissenschaftliche Institut der Universität. Gegründet wurde es von dem berühmten Philologen und Romantiker Friedrich Creuzer (1771-1858). Anläßlich der Aufnahme des Studienbetriebes veröffentlichte Creuzer 1807 die vorliegende Denkschrift. Sie kann als intellektuelle Gründungsurkunde des Seminars für Klassische Philologie gelten. Creuzers Programm ist den neuhumanistischen Zeitströmungen verpflichtet, setzt aber deutlich eigene Akzente. Neuplatonismus und avancierte Bildforschung, historische Reflexion und hermeneutische Intuition gehen eine bemerkenswerte Verbindung ein. Creuzers Versuch, Romantik und Wissenschaft, Sinnlichkeit und Institution zusammenzudenken, blieb in der Fachhistorie weitgehend folgenlos. Creuzers Wirkung ist eine untergründige. Hegel und Schelling, Cousin und Flaubert, Nietzsche und Benjamin haben von Creuzer entscheidende Anregungen empfangen und an die wissenschaftliche und künstlerische Moderne vermittelt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.12.2008

Besessen vom Ursprung
Als Schauen und Lesen noch dasselbe waren: Friedrich Creuzer, der „Romantiker unter den Philologen”
Eine aversive Einstellung zur Gegenwart begleitet das Selbstverständnis der Klassischen Philologie von Anfang an. Viele würden „das Studium desselben für eine todte Reliquie des Mittelalters ausgeben, die man gleich so manchen anderen mönchischen Missbräuchen so schnell wie möglich hinwegzuschaffen habe”, so die „katholische” Klage des Lutheraners Friedrich Creuzer. Die Altertumswissenschaft war für den seit 1804 in Heidelberg lehrenden Professor ein Medium, das gesamte Leben auf eine höhere, zweckfreiere Ebene zu hieven, was beim Adepten des Altertums eine Amnesie voraussetzte. Begeistert durch die antiken Dichtungen, so der Philologe, lasse er die „dürftige oder unwürdige Gegenwart” hinter sich und verinnerliche eine Sphäre des Ewigen.
Eindringlich legte Creuzer 1807 in einer Programmschrift zur Gründung des Heidelberger philologischen Seminars, die von Jürgen Paul Schwindt neu herausgegeben und mit einer schwungvollen Einleitung versehen wurde, das Potenzial dieser sich als „classisch” verstehenden Disziplin in der modernen Zeit frei. Wenig später sollte Creuzer aus Neuplatonismus und avancierter Bildforschung, historischer Reflexion und hermeneutischer Intuition eine originelle Symbiose entfalten.
Symbole als plötzliche Zeichen des Göttlichen, die „mit einem Blick das Ganze” vermitteln, faszinierten Creuzer besonders. Als Philologe setzte er sich vor allem mit Bildern und sprachlich vermittelten Bildern auseinander; sie waren die Medien des Wissens in ältester Zeit, als Schauen und Lesen noch dasselbe waren. „Das Geistige, in den Moment eines Blicks und in den Brennpunkt des Augenblicklichen und Augenscheinlichen zusammengedrängt, ist für rohe Gemüther erwecklicher als die gründlichste Belehrung.” Creuzer misstraut den Buchstaben, dem abstrakten Denken und seinen syllogistischen Schlussfolgerungen.
Das goldene Zeitalter meinte Creuzer, über den jetzt auch ein interessanter neuer Sammelband vorliegt, in den mythischen Quellen des Ostens zu finden. In seiner vierbändigen „Symbolik und Mythologie der alten Völker” (1810-1812) stellte er die These auf, dass die Religionen und Kulte des orientalischen und okzidentalen Altertums letztlich auf eine indische Urreligion und einen Urmonotheismus zurückgingen. Diese seien über Vorderasien und Ägypten nach Griechenland gewandert, wo sich dann aus dieser Wurzel selbstständig das griechische polytheistische System entwickelt habe.
Mit dieser Deutung war ein neues Erklärungsmodell des Anfangs in die Welt gesetzt. Nicht mehr dem Vorbild der griechischen Kultur und ihren Schönheitskult à la Winckelmann wurde gehuldigt, sondern stattdessen in Herder’scher Manier an den genetischen Voraussetzungen dieser Kultur und ihren religiösen Ursprung gefeilt.
Creuzers auf den Orient gerichteter Kompass offenbart sich somit als eine Fundamentalkritik der abendlä;ndischen Denkweise. Der klassischen Antike machte er implizit den Vorwurf, äußerliche Schönheit an die Stelle der religiösen Tiefe gesetzt zu haben. Damit setzte er sich zwischen alle Stühle der akademischen Zunft. Die penetrante „Morgenländerei” Creuzers war nicht nur Gottfried Hermann und Karl Otfried Müller Stein des Anstoßes, auch der arrivierte Homer-Übersetzer und nüchterne Protestant Johann Heinrich Voß ließ in seiner „Antisymbolik” von 1824 an der von Heidelberg ausgehenden mystischen Romantik kein gutes Haar. Creuzer musste von nun an damit leben, als „Kryptokatholik” ein Werk des „esoterischen Priesterthums” hinterlassen zu haben.
Zwar konnte Creuzer die immer positivistischer eingestellte Philologie nicht befruchten; stattdessen wirkte er in Literatur und Philosophie als subtile Referenz weiter. So fand Schellings Philosophie der Mythologie als „theogenischer Process”, der von der Einheit Gottes ausging und darin endete, ihre Grundlegung in Creuzers Symbolik (Susan Richter). Schwindt macht darauf aufmerksam, dass der Streit um Creuzers Symbolik die Auseinandersetzung um Nietzsches Geburt der Tragödie antizipiert. Beide erschließen der Philologie neue Kraftfelder, weil sie über die handwerklichen Methoden der eigenen Disziplin bewusst hinausschießen.
In Frankreich wurde Creuzer sogar als Wiederentdecker der neuplatonischen Schule gepriesen. Berühmten Historikern und Religionsphilosophen wie Jules Michelet, Edgar Quinet und Victor Cousin lieferte er das Modell religionsgeschichtlichen Denkens. Darüber hinaus diente Creuzer der französischen Weltliteratur der zweiten Jahrhunderthälfte als Fundus abgründiger Mythen und Symbole. Originalexzerpte belegen, dass Flaubert die übersetzte „Symbolik” Creuzers zum Stimulus seines Werks „Die Versuchung des heiligen Antonius” (1874) gemacht hat (Joséphine Jacquier). Die surrealistisch anmutende, halluzinierende Imagination Flauberts ist also einem Buch deutscher Gelehrsamkeit entsprungen, eine Tatsache, die auch Michel Foucault nicht verborgen geblieben ist.
In dem durch einen kleinen Katalogteil angereicherten Sammelband wechseln sich anspruchsvolle kulturwissenschaftliche Texte zur Symboltheorie und Rezeptionsgeschichte mit quellengesättigten Beiträge zu Teilaspekten seiner Biographie ab; eine überfällige Publikation über einen Forscher, der bis heute eher durch seine tragisch verlaufende Liebesbeziehung zu Caroline von Günderrode bekannt ist als durch seine fulminante Symboltheorie. STEFAN LAUBE
FRIEDRICH CREUZER: Das Akademische Studium des Alterthums, nebst einem Plane der humanistischen Vorlesungen und des philologischen Seminarium auf der Universität zu Heidelberg. herausgegeben und eingeleitet von Jürgen Paul Schwindt. Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2007. XLII, 141 Seiten, 14 Euro.
FRANK ENGEHAUSEN, ARMIN SCHLECHTER, JÜRGEN PAUL SCHWINDT (Hrsg.): Friedrich Creuzer 1771-1858. Philologie und Mythologie im Zeitalter der Romantik. Begleitband zur Ausstellung in der UB Heidelberg. Verlag für Regionalkultur, Heidelberg/Ubstadt-Weiher 2008. 224 S., 16,90 Euro.
Friedrich Creuzer Foto: Schwindt
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