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Ein perfekter Mann Hédi Kaddour erzählt die atemberaubende Geschichte eines Mannes, der ein unaussprechliches Geheimnis verbirgt - in einer Zeit, in der die äußere Erscheinung als Ausdruck innerer Haltung galt. London 1930: Der französische Journalist Max Goffard ist fasziniert von William Strether, einem hochdekorierten Helden des Ersten Weltkriegs - und perfekten Gentleman. Strether ist elegant, schneidig, er verkörpert geradezu das Ideal männlich-soldatischer Haltung. Als Goffard ihn trifft, arbeitet er als MaÎtre dHôtel in einem Nobelrestaurant und hat sich einer faschistischen…mehr

Produktbeschreibung
Ein perfekter Mann Hédi Kaddour erzählt die atemberaubende Geschichte eines Mannes, der ein unaussprechliches Geheimnis verbirgt - in einer Zeit, in der die äußere Erscheinung als Ausdruck innerer Haltung galt. London 1930: Der französische Journalist Max Goffard ist fasziniert von William Strether, einem hochdekorierten Helden des Ersten Weltkriegs - und perfekten Gentleman. Strether ist elegant, schneidig, er verkörpert geradezu das Ideal männlich-soldatischer Haltung. Als Goffard ihn trifft, arbeitet er als MaÎtre dHôtel in einem Nobelrestaurant und hat sich einer faschistischen Splitterpartei angeschlossen, bei der er eine geistige Heimat zu finden hofft. Goffard will mehr herausfinden über diesen Mann, der trotz seiner Strenge etwas Schillerndes hat. Und tatsächlich vertraut Strether sich ihm an, erzählt ihm in langen Gesprächen seine Lebensgeschichte - fast so, als würde es ihn erleichtern. Doch warum sollte Strether, für den...
Autorenporträt
Hédi Kaddour ist 1945 in Tunesien geboren und lebt seit seiner Kindheit in Frankreich. Er lebt in Paris.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.06.2011

Eine Emma Bovary, die überlebt

Nach dem großen Roman "Waltenberg" erzählt der Franzose Hédi Kaddour mit "Savoir-vivre" eine spannende und kunstvolle Geschichte von Krieg, Identität und Vertrauen.

Es gibt noch gute Nachrichten vom Eichborn Verlag. Nach Wochen und Monaten, in denen vor allem von der gescheiterten Fusion mit dem Aufbau Verlag und deren Folgen zu hören war, mithin von Dingen, die keinerlei Anlass zur Freude gaben, wollen wir nicht vergessen, dass es immer noch schöne Neuerscheinungen gibt, die das Frankfurter Haus in schwerer Zeit auf den Weg gebracht hat. Auf eine soll besonders hingewiesen werden, auf ein Werk, um dessen Autor man sich übrigens trotz der Eichborn-Insolvenz sicherlich keine Sorgen machen muss.

Der aus Tunesien stammende Hédi Kaddour hat seinen zweiten Roman vorgelegt. Auf das 2009 erschienene und vielbeachtete "Waltenberg" folgt "Savoir-vivre", mit dem Kaddour in gewisser Weise an sein erstes Werk anknüpft. Dessen Protagonist Hans Kappler hatte nämlich einen besten Freund, den französischen Journalisten Max Goffard, der in "Savoir-vivre" nun wieder mit von der Partie ist. Auch die aus dem ersten Werk bekannte amerikanische Sängerin taucht wieder auf; sie heißt jetzt Lena Hellström und verdreht Max noch immer den Kopf.

Die beiden begegnen sich in London wieder, wir schreiben das Jahr 1930. Der Journalist Max ist auf der Suche nach einer guten Story. Er besucht mit Lena eine Militärparade, bei der ihm ein Mann mit Verdienstorden auffällt, der Tränen in den Augen hat: Oberst William Strether hat während des Ersten Weltkrieges in der Schlacht von Mons in Belgien gekämpft, wurde zum Helden erklärt und ist nun Parteigänger der englischen Faschisten, der British Fascist League.

"Wie kommt man dazu, dem Faschismus beizutreten?" Das ist die Frage, die Max ihm stellt und die das Thema seiner Reportage sein soll. Im Laufe der Abende, an denen sich die beiden in einer Bar treffen, breitet Strether sein Leben vor Max aus. Er erzählt, wie er zum Jugendführer der British Fascist League aufstieg und auf deren abendlichen Versammlungen für Ordnung sorgte; wie der britische Geheimdienst in Gestalt eines gewissen Jeremy Cox an ihn herantrat und ihn mit einer alten, dummen Geschichte aus seinem früheren Leben unter Druck setzte - und aus der Beiläufigkeit, aus dem Anekdotischen, das die Erzählungen auszeichnet, spricht vor allem das Wissen Kaddours darum, dass es für Strether nicht einen Moment gab, in dem sich alles entschied, sondern viele Augenblicke, die so klein und unbedeutend wirkten, dass die Tragweite, die sie in Summe entwickeln würden, nicht sofort zu erkennen war. Das ist die eine Geschichte, die dieser Roman erzählt. Sie handelt von Zeichen der Zeit, die niemand richtig zu deuten weiß, vom Leben in einer wirtschaftlich katastrophalen Epoche und von der Entstehung des Faschismus in Europa.

Die andere Geschichte spiegelt genau diese Themen auf einer anderen, vordergründig privaten Ebene, und sie ist in die erste hineingewebt wie ein heller Faden in ein sehr feines, dunkles Tuch. Dabei bedient sich Kaddour am liebsten des Stilmittels der Parataxen, seine endlos langen Sätze, die Grete Osterwald sehr einfühlsam übersetzt hat, erzeugen so etwas wie einen Gedankenstrom, in dem alles en passant geschieht. Dieser Eindruck wird verstärkt durch einen immer wiederkehrenden Wechsel der Erzählperspektive und eine Gliederung in kurze, zuweilen nur aus ein, zwei Sätzen bestehende Kapitel, die wie Szenen oder Skizzen wirken und gerade wegen der heiteren Spontaneität, mit der sie nebeneinanderstehen, den Leser dazu drängen, nach einem größeren Sinnzusammenhang zu suchen.

Das federleicht anmutende Spiel mit den erzählerischen Elementen zeichnete schon "Waltenberg" aus. In Kaddours neuem Roman ist es allerdings nicht nur ein Spiel, denn es verbirgt sich darin auch der Hinweis auf eine alles umfassende Unsicherheit, deren Folgen sich erst am Ende vollständig erschließen. In einer dieser Szenen taucht eine Frau namens Gladys auf, die Strethers Ehefrau sein soll, ein Wesen mit der "Traurigkeit derer, die ihr Leben verpasst haben". Eine englische Emma Bovary, von der bald alle glauben, ihr größtes Unglück bestehe darin, den falschen Mann geheiratet zu haben. Doch die Wahrheit ist viel schlimmer. Gladys erster Mann war Offizier und fiel im Krieg, der zweite entpuppte sich als unerträglicher Zeitgenosse, weshalb Gladys sich allein als Dienstmädchen in London durchschlagen musste. Und auf einmal geht es in diesem Roman nur noch am Rande um Politik und Faschismus und kaum noch um das Trauma von Mons und um die Reportage von Max. Stattdessen rückt Gladys in den Mittelpunkt, und gerade als man beginnt, sich zu fragen, in welchem Zusammenhang diese beiden separaten Geschichten stehen, nimmt die Erzählung eine unerwartete Wendung. Der entscheidende Hinweis kommt spät und ausgerechnet in einer Szene, in der sich Max mit dem Geheimdienstler Sir Jeremy austauscht. Der bittet den Journalisten, in seiner Reportage bloß nicht zu dick aufzutragen: "Kein Roman, wir sind nicht bei Mrs. Christie."

Doch vielleicht sind wir gerade da. Denn auch bei der Krimiautorin lösten sich stets auf den letzten Seiten alle zuvor gesponnenen Fäden wunderbar auf. So ähnlich verfährt auch Hédi Kaddour. Er hat keine Scheu, den Leser seitenlang in falscher Sicherheit zu wiegen, nur um ihm am Ende den Boden unter den Füßen zu entziehen und ihn noch einmal auf die Reise durch das Buch zu schicken, diesmal auf der Suche nach den Hinweisen, die er beim ersten Lesen übersehen hat. Am Ende erscheint dann alles in anderem Licht, selbst der Titel des Buches. "Savoir-vivre" ist hier keinesfalls im Sinne einer höheren, verfeinerten Lebensart zu verstehen, sondern viel wörtlicher: als Fähigkeit, in schwierigen Zeiten zu leben und zu überleben.

LENA BOPP

Hédi Kaddour: "Savoir-vivre". Roman.

Aus dem Französischen von Grete Osterwald. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2011. 217 S., geb., 18,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Hedi Kaddours "Savoir-vivre" ist für den insolventen Eichborn-Verlag ein Lichtblick in düsteren Zeiten, meint Rezensentin Lena Bopp anerkennend. Der zweite Roman des tunesischstämmigen Franzosen greift teilweise auf das Figurenrepertoire seines Debüts "Waltenberg" zurück, wie Bopp feststellt: Einer der beiden Erzählstränge ist um den bereits bekannten Journalisten Max zentriert, der im London des Jahres 1930 über Tage hinweg ein Mitglied der British Fascist Leage zu seinem Leben befragt. Neu ist hingegen Gladys - eine, so die Rezensentin, "englische Emma Bovary" -, die an die falschen Männer gerät und unfreiwillig zur Überlebenskünstlerin wird. Beide Erzählstränge verstehe Kaddour bravourös miteinander zu verflechten, ja gegeneinander auszuspielen. Eine "alles umfassende Unsicherheit" ist laut Rezension die Folge. Ganz nach Manier Agatha Christies löse erst ein Ende voller Überraschungen das Geflecht auf und fordere den Leser zur erneuten Lektüre heraus.

© Perlentaucher Medien GmbH