Marktplatzangebote
5 Angebote ab € 5,00 €
  • Gebundenes Buch

2 Kundenbewertungen

Der türkisch-armenische Konflikt, das Selbstbestimmungsrecht der Frau, Vaterlosigkeit und Inzest: Elif Shafak tarnt ihre Generalabrechnung mit den Lebenslügen der türkischen Gesellschaft als Screwball-Komödie, bei der einem das Lachen im Halse steckenbleibt. Armanoush ist 19 Jahre alt, intelligent, schön - und unglücklich. Seit der Scheidung ihrer Eltern lebt sie in zwei Welten, die einfach nicht zusammenkommen wollen: Ihre Mutter Rose verwöhnt sie in Arizona mit dem American Way of Life, während die Familie ihres armenischen Vaters in San Francisco ihr die Traditionen der alten Heimat…mehr

Produktbeschreibung
Der türkisch-armenische Konflikt, das Selbstbestimmungsrecht der Frau, Vaterlosigkeit und Inzest: Elif Shafak tarnt ihre Generalabrechnung mit den Lebenslügen der türkischen Gesellschaft als Screwball-Komödie, bei der einem das Lachen im
Halse steckenbleibt. Armanoush ist 19 Jahre alt, intelligent, schön - und unglücklich. Seit der Scheidung ihrer Eltern lebt sie in zwei Welten, die einfach nicht zusammenkommen wollen: Ihre Mutter Rose verwöhnt sie in Arizona mit dem
American Way of Life, während die Familie ihres armenischen Vaters in San Francisco ihr die Traditionen der alten Heimat nahebringen will - um so mehr, weil Armanoushs Mutter in zweiter Ehe ausgerechnet mit Mustafa verheiratet ist, einem
Türken! Je älter Armanoush wird, desto weniger weiß sie, wer sie wirklich ist: eine amerikanische Armenierin oder eine armenische Amerikanerin? Armanoush entschließt sich zu einer Reise in die Vergangenheit und besucht die türkische Familie
ihres Stiefvaters in Istanbul. Und weißbald nicht mehr, worüber sie sich mehr wundern soll: die herzliche Gastfreundschaft im Haus der Kazancis, die skurrilen Charaktere seiner ausschließlich weiblichen Bewohner oder die völlige Ignoranz
gegenüber der türkisch-armenischen Geschichte. Nur das jüngste Mitglied der Familie, die vaterlos aufgewachsene Asya, kann verstehen, warum Armanoush so viele Fragen stellt ...
Autorenporträt
Elif Shafak lebt in der Türkei. Ihre Romane wurden in mehr als 25 Sprachen übersetzt. Für ihr Werk "Der Bastard von Istanbul" stand die Autorin wegen "Beleidigung und Verunglimpfung des Türkentums" unter Anklage, doch der Prozess wurde zu ihren Gunsten entschieden. Elif Shafak ist Universitätsdozentin, schreibt für Magazine und Zeitschriften und textet Songs für türkische Rockbands. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Istanbul.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Einigen Ärger - genauer gesagt eine Anklage wegen "Herabsetzung des Türkentums" - hat sich die Autorin mit diesem Roman eingehandelt, in dessen Zentrum eine alles andere als gewöhnliche türkische Familie steht. Die junge Heldin Asya lebt, Haschisch rauchend, Johnny Cash hörend, in Istanbul, mit einigen durchgeknallten Tanten und einer Mutter, die nicht verrät, wer Asyas Vater ist. Dann kommt aus den USA Armanoush zu Besuch, eine Verwandte, die etwas über ihre armenische Großmutter herausfinden will. Die Verwicklungen, die sich ergeben, schildert die Autorin Elif Shafak im Ton einer Screwballkomödie. Dagegen hat die Rezensentin Antje Korsmeier auch überhaupt nichts einzuwenden, freilich bedauert sie, dass diese Leichtigkeit der Form durch allzu "schwerfälliges" Abarbeiten der Themen konterkariert wird. Dennoch ein Lesevergnügen - es hätte aber wohl größer sein können.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.11.2007

Frauen suchen ja doch bloß Vaterfiguren

Elif Shafak wurde in der Türkei angeklagt, weil sie über den Armeniermord sprach. Jetzt erscheint ihr Roman auf deutsch - er ist türkischer, als die Autorin meint.

Als der türkische Staatsanwalt Kemal Kerincsiz gegen Elif Shafak Anklage wegen Nicht-Leugnung des Genozids an den Armeniern erhob, hat er sich durchaus nicht einfach, wie die Verteidigung argumentierte, der Verwechslung von Erzähler- und Personenrede schuldig gemacht. Zwar wird das Wort "Genozid" tatsächlich und fraglos mit Bedacht nur von Personen verwendet; doch die Ursprungsgeschichten der beiden Familien, um die es im "Bastard von Istanbul" geht, sind so tief in die Ereignisse von 1915 verwoben, dass, ganz abgesehen vom Fehlen einer ausgestalteten Erzählerinstanz, im Roman dem Genozid ein Realitätsstatus wie Istanbul oder Alabama und San Francisco zukommt.

Wirklich in Personenrede wird die offizielle türkische Version referiert. Auf dem Nebenschauplatz eines Istanbuler Literatencafés, ein meistens komödiantischer Topos der türkischen Literatur, rappelt der "nichtnationalistische Drehbuchautor ultranationalistischer Filme" sie herunter: Von so etwas haben wir noch nie gehört; damals herrschte Krieg, auch viele Türken sind umgekommen; das war noch gar nicht die Türkei; die Armenier übertreiben und verzerren; die Armenier leiden unter kollektiver Hysterie.

Nein, Genozid und inzestuöse Vergewaltigung, das sind die beiden Traumata, um die herum der Roman seine Oberfläche organisiert. Asya, der Bastard, wächst in einer mannlosen Familie von vier Tanten auf, wobei die jüngste "Tante", Zeliha, ihre Mutter ist, vom einzigen Bruder vergewaltigt. Armanoush, das armenisch-amerikanische Gegenkind, teilt ihr Leben zwischen der gleichfalls tantenreichen armenischen Familie ihres Vaters und dem etwas sehr klischeehaft provinzamerikanischen Haushalt ihrer Mutter, Rose. Auf der Handlungsseite sind die Familien doppelt verbunden, indem der türkische Ahnherr den ersten Sohn der armenischen Ahnherrin angenommen und indem Rose in zweiter Ehe Mustafa, den Vergewaltiger, geheiratet hat. Asyas Vater ist also Armanoushs Stiefvater.

Wichtiger als diese Genealogie, die viel zu verästelt daherkommt, als dass sie in ihrer schrittweisen Auflösung Spannung oder Überraschung erzeugen könnte, ist die thematische Spiegelung von Erinnerung und Vergessen. Asya weiß nichts von ihrem Vater, Zeliha und Mustafa wollen vergessen. Die armenische Familie dagegen und dann weiter die community, im Roman vor allem präsent durch einen chat-room, kann und will nicht vergessen. Der türkische Stiefvater ist ihnen ein Horror ebenso wie die Reise Armanoushs zu den Orten familiärer Vergangenheit.

Und hier hatte der Staatsanwalt nun doch entschieden unrecht. Die armenische Obsession durch die Vergangenheit wird sehr kritisch dargestellt. Angesichts der nach einer Figur aus der Stadtgeschichte von San Francisco benannten Turk Street ruft ein Besuch aus: "Die sind einfach überall." Immer hätten sie eine Strickjacke an, weil die Welt so kalt ist. Die Familie will nicht, dass Armanoush so viele Bücher lese, weil damals die Intellektuellen zuerst getötet wurden. Dem klügsten unter den Armeniern wird gar in den Mund gelegt, einige der Armenier wollten nicht, dass die Türken den Völkermord anerkennen, weil ihnen dann das Band der Opferrolle, das sie zusammenhält, weggenommen würde. Leider etwas zu oft wiederholt wird die humoristische Situation, dass die armenische Seite sich furchtsam bekennt und zu ihrer großen Überraschung bei der türkischen Seite auf freundliches Desinteresse stößt. "Armenische Armenierin war kein Problem - ähnliche Kultur, ähnliche Probleme -, aber armenische Amerikanerin bezeichnete jemanden, der die Türken haßte." Denn: "Die Armenier in der Diaspora haben keine türkischen Freunde. Alles, was sie über die Türken wissen, haben sie von ihren Großeltern oder voneinander gehört." Man darf wohl annehmen, dass solche Sätze die amerikanischen Erfahrungen der Autorin wiedergeben. Da ist sie dann emphatisch Türkin. Programmatisch beginnt der Roman mit einem Lob der Schicksalsergebenheit: "Du sollst nicht verfluchen, was vom Himmel fällt." Und: "Was vorbei ist, ist vorbei."

Anders, als es einem Leser, der einfach seiner Lust zumal an den sehr plastischen Familienszenen nachgeht, scheinen mag, ist das Buch in hohem Maße konstruiert, und die Poetologie dieser Konstruktivität wird auch deutlich ausgesprochen. Zeliha verdient ihr Geld mit einem Tattoo-Studio, und ihre ersten, ihr selber wichtigsten Entwürfe waren "alle vom selben Grundprinzip inspiriert: dem Widerspruch. Es gab Gesichter mit einer männlichen und einer weiblichen Hälfte, halb tierische, halb menschliche Körper, Bäume, die zur Hälfte vertrocknet waren und zur Hälfte in Blüte standen." Die Kunden allerdings "wollten mit ihrer Tätowierung eine Aussage machen und nicht ihrem ohnehin schon unsicheren Leben eine weitere Mehrdeutigkeit hinzufügen". Eine solche geeinte Zwienatur hat die spiritistische Istanbuler Tante Banu, die einen guten und einen bösen Dämon auf ihren Schultern herumträgt und am Ende den Vergewaltiger vergiftet. Und eine solche Zwienatur eint auch Armenier und Türken. Beide haben dieselben nahöstlichen Wurzeln, im Roman, in dem pausenlos gegessen wird, vor allem durch die identischen Speisen repräsentiert. Aber die Armenier leiden an Selbstmitleid, die Türken an Selbsthass. Die Armenier können sich nicht auf die Gegenwart einlassen, die Türken nicht mit ihrer Geschichte umgehen.

Ob das eine ergiebige ästhetische Position zum Thema des Genozids ist und was die Parallele zur Vergewaltigung erhellt, zumal wenn der sozusagen umgedrehte Ehrenmord am Vergewaltiger als "Notwendigkeit des Bösen" gerechtfertigt scheint, steht auf einem anderen Blatt. Aber ohnehin kommt das Erzählen nur in Fahrt, wo es um die Doppelnatur von Asya und Armanoush geht. Asya hat "kein männliches Rollenmodell". Die Leerstelle wird bezeichnet durch die Kater, die abwechselnd Pascha und Sultan heißen. Das freilich ist eine Verschiebung im strengen Sinne, denn Asya übernimmt die Rolle ihrer Mutter, die ihrerseits auf einen prügelnden Patriarchen und eben auf den Inzest reagiert. Beide sind wütend, rebellisch, bitter, um Selbstkontrolle bemüht, voller Abneigung gegen weinerliche Frauen, die wie Teegläser über zu großen Anforderungen zerbrechen. Zeliha trägt seit ihrer Jugend Miniröcke und Stöckelschuhe und stählt ihr Selbstbewusstsein - eine der schönsten Passagen des Buches - in der Abwehr männlicher Anmache. Asya hat schon viel zu viele Beziehungen gehabt, "gleichsam als wollte sie sich an den Männern rächen, ohne aber bisher zu wissen, wofür?" Bei Armanoush dagegen ist die Mutter das Problem. Während der Vater der "selbstloseste", aber leider auch der "geschlechtsloseste" Mensch ist, den sie kennt, fühlt sie sich von der unzufriedenen Liebe der Mutter erdrückt: "Sie kann es nicht ertragen, mein Leben nicht unter Kontrolle zu haben." So hat Armanoush sich in die Innenwelt zurückgezogen ("Bücher haben mir das Leben gerettet.") und leidet jetzt, so attraktiv wie intelligent, unter ihrer Unfähigkeit, zur balzenden Mittelmäßigkeit gleichaltriger Männer ein normales Verhältnis zu entwickeln.

Elif Shafak hat in Istanbul über Männerbilder der frühen Republik promoviert und unterrichtet in Arizona Gender Studies. Das lässt manche ihrer Konstruktionen so bücherwurmhaft geraten wie das Leben einer ihrer beiden Heldinnen. Der Vergewaltiger, der, "von einer unterdrückten Mutter gehätschelt und von einem tyrannischen Vater eingeschüchtert und geschlagen, narzißtisch und unsicher" wird und bei einer dominanten und zugleich anspruchslosen Ehefrau Ruhe vor den Überforderungen sucht, ist gut gedacht und schlecht erzählt. Trotzdem gibt das Buch mehr als mit Anschauung behängte Theorie. Therapeutisch soll das Schreiben sein, wie die schamanistische Deutung der Tattoos als internalisierende Externalisierung darlegt. "Um die eigene Position zu stärken, muß man das Gegenüber annehmen, willkommen heißen und dann transformieren."

Was in dieser Transformation herauskommt, ist, dass Frauen nach Vaterfiguren suchen. Zeliha findet einen Armenier, der alles für sie tut. Asya kommt zu einem monogamen Verhältnis mit einem alternden und alkoholkranken Karikaturisten. Armanoush hat einen Chat-Partner, der das in ihr wohnende rätselhafte Wesen hervorlocken kann. "Sicher, umsorgt, beschützt" möchten die Frauen sich fühlen von Männern, "die verstehen, ohne zu bewerten".

Elif Shafak schreibt für ein internationales Publikum, und selbst wenn ihr Beschreibungen wie die des Istanbuler Regens der intimen Stadtkenntnis wegen besonders gelingen, vermeidet sie doch topographische Genauigkeit und spricht statt von Ayran lieber von einem Joghurtgetränk. Auch die allgemeinen Kommentare gehen nicht sehr tief: "Die typische Elite eines Entwicklungslandes, die nichts auf der Welt so sehr haßt wie sich selbst."

Trotzdem dürfte der Roman viel türkischer sein, als er denkt. Von der Sozialisation in der Großfamilie handelt er und den Spuren des Patriarchats in der Geschlechtsidentität der Kinder. Und wer Türken kennt, weiß, was ihnen Vater und Mutter bedeuten.

Die Übersetzung holpert, zumal wegen oft unklarer grammatischer Bezüge. Allerdings kann schon das amerikanische Original die ursprüngliche Eigenheit der Autorin, moderne Alltagssprache mit osmanischen Wendungen zu durchsetzen, nicht einholen. Ärgerlich ist, dass kein des Armenischen und Türkischen Kundiger die obendrein fehlerhaft abgeschriebene amerikanische Transkription korrigiert hat.

GUSTAV FALKE

Elif Shafak: "Der Bastard von Istanbul". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Juliane Gräbener-Müller. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main, 2007. 459 S., geb., 22,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr