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Produktdetails
  • Verlag: Eichborn
  • Seitenzahl: 139
  • Erscheinungstermin: Oktober 2006
  • Deutsch
  • Abmessung: 15mm x 167mm x 250mm
  • Gewicht: 480g
  • ISBN-13: 9783821857794
  • ISBN-10: 382185779X
  • Artikelnr.: 20837805
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.12.2006

Kein Zimmer frei für George Bush
Tomas Niederberghaus entdeckt Geschichten hinter Menschen in Hotels / Von Peter Lückemeier

Manche arbeiten in Hotels, andere gehen in Hotels, und wieder andere haben sich ganz für ein Leben im Hotel entschlossen. Von solchen Menschen wird hier erzählt, darunter Udo Lindenberg, der im Atlantic in Hamburg wohnt.

Hätten Sie gedacht, daß Udo Lindenberg einen Butler beschäftigt? Daß er seit mehr als zehn Jahren im Hotel lebt, im Hamburger Atlantic, Suite 212? Und daß er in der Dauer solcher immobilen Nichtseßhaftigkeit von Vladimir Nabokov übertroffen wurde, der seine letzten sechzehn Jahre im Hotel verbrachte? Falls Sie es noch nicht wußten, erfahren Sie es aus dem Eichborn-Band "Menschen in Hotels". Noch ein Buch über Hotels, muß das sein? Muß natürlich nicht, aber dieses ist gelungen. Weil es aus lauter kurzen Porträts etwa in der Länge eines ordentlichen Zeitungsartikels besteht, die bei aller Knappheit die ganze Vielseitigkeit des Stoffes entfalten.

Wir lernen Menschen und Hotels an allen Enden der Welt kennen. Zum Beispiel Herrn Yared Temtime im Sheraton in Addis Abeba, dem teuersten Hotel Afrikas. Der Äthiopier lebt mit seiner Schwester auf zehn Quadratmetern in einer Wellblechhütte. Er verdient 110 Dollar im Monat, und dennoch bedeutet der Job als Rezeptionist für ihn den Aufstieg in eine bessere Welt.

Oder Frau Maria Adilia Santos, die im Reid's Palace auf Madeira seit 32 Jahren die Betten macht und in all der Zeit nie in eine peinliche Situation geriet, weil sie stets viermal vernehmlich anklopft. Nur einmal muß die Warnung überhört worden sein - von einem betagten britischen Paar. Es hörte gerade das Neujahrskonzert, und die alte Lady rief dem Zimmermädchen zu: "Lassen Sie uns tanzen!" Nur am Rande wird bemerkt, daß auch im Reid's die strengen Bekleidungsregeln gelockert wurden: Fürs Abendessen reichen jetzt Anzug und Krawatte.

Dies ist nicht die einzige Stelle, in der ein Abschied von alten Traditionen beklagt wird. "Hilfe, kurze Hosen" ist dann konsequenterweise auch der Beitrag Asfa-Wossen Asserates über seinen Besuch im Ritz Madrid überschrieben. Der Prinz, Autor des Bestsellers "Manieren" und Nachfahr Kaiser Haile Selassis, gedenkt dankbar des einstigen Inhabers Señor Georges Marquet, unter dessen Regie bis in die siebziger Jahre Herren ohne Krawatten und Damen in Hosen den Speisesaal nicht betreten durften. Zu jenen Zeiten gab es für Gäste, die man lieber von hinten sah, auch die wunderschöne Abkürzung NRT - "Not Ritze Type". Asserate, im wirklichen Leben eigentlich ein freundlicher Zeitgenosse, macht auch heute im Ritz leider allzu viele NRTs (sogar, igitt, in kurzen Hosen) aus und wird streng: "Ich habe versucht zu verstehen, was Menschen dazu treibt, sich ins Ritz zu setzen und eine hohe Rechnung zu bezahlen, wenn ihnen das Bild, das sie erleben wollen, sowenig wert ist, daß sie es bedenkenlos durch den eigenen Aufzug wieder zerstören."

Der Beitrag zählt zu den stärkeren der insgesamt sechzehn Texte auf 133 Seiten. Richtig schwach ist kein einziger, nur der Artikel über Paris Hilton im Hilton Paris ist so fad ausgefallen wie seine Heldin, und das Porträt des Wagenmeisters im Bayerischen Hof ("40 Jahre im ersten Gang") leidet unter der alten Journalistenkrux, daß Menschen, die interessante Dinge tun, nicht automatisch interessant sein müssen. Die meisten Beiträge stammen aus der Feder des Reisejournalisten Tomas Niederberghaus. Er schreibt gut, flott und informativ (und daß er den Unterschied zwischen "zahlen" und "bezahlen" nicht kennt, sei ihm verziehen, das kommt in den überregionalsten Zeitungen vor).

Niederberghaus hat sein Thema klug komponiert, kurze Vorspänne wecken Appetit, und selbst entlegen erscheinende Motive entwickeln ihren Reiz. So ist dann auch der zunächst etwas befremdlich wirkende Text über Christoph Schletz der packendste geworden: Der junge Mann (29 Jahre) begleitet den Regisseur Robert Wilson auf dessen Reisen, weshalb er 250 Nächte in Hotels auf aller Welt verbringt. Während der Regisseur aber die Suite bezieht, packt sein Adlatus die beiden Koffer des Meisters aus, um dann in seine eigene Unterkunft zu wechseln, "die man sich vom Komfort und Charme wie ein Intercity-Hotel in Göttingen vorstellen muß". Dort baut er sein mobiles Büro mit Laptop und Drucker auf: Mr. Wilson hat 14 000 Adressen in seinem Mail-Verzeichnis gespeichert. Der Regisseur wird einem nach der Lektüre dieses Beitrags nicht unbedingt sympathischer, denn seit Monaten hat er seinen Assistenten nicht gefragt, wie es ihm geht. Und dann die Sache mit der Wäsche. Die läßt Wilson nicht im Hotel waschen, zu teuer: "Es ist Aufgabe von Christoph, die Strümpfe und Unterhosen und Hemden des Meisters ins jeweilige Theater zu schleppen, in dem er inszeniert, dort zu waschen und sie schließlich zurück ins Hotel zu bringen."

Gottlob sind die Menschen in den Hotels nicht alle so. Sir Rocco Forte etwa ist einem schon deshalb angenehm, weil er Badezimmer haßt, in denen neben dem Waschbecken nicht genug Platz für ein Necessaire ist. Und außerdem betreibt er derzeit zwölf Grandhotels, unter ihnen das Hotel de Rome in Berlin und die Villa Kennedy in Frankfurt. Im Crown's in London hat er dafür gesorgt, daß der Gast in der Badewanne Filme sehen kann.

Auch Fausto Allegri, Concierge im Splendido in Portofino, ist das, was man einen guten Typen nennen könnte. Er ist siebzig, trägt sein graues Haar schulterlang, sorgt bei aller Lässigkeit aber perfektionistisch für die Erfüllung von Sonderwünschen - einmal besorgte er 2000 Rosen ohne Stiel und einen Helikopter. Der warf die Blumen über dem Swimming-Pool ab, in der die Freundin des verliebten Auftraggebers ein paar Runden drehte.

"Menschen in Hotels" ist ein gelungenes Buch, gut geschrieben, abwechslungsreich, auf schönem Papier, ergänzt durch Schwarzweißfotos. Es macht Spaß, darin zu lesen, manche Anekdote bleibt hängen wie die von Kurt Wachtveitl, der nicht nur seit vierzig Jahren das Oriental in Bangkok leitet, sondern auch George Bush austrickste. Als der bei ihm übernachten wollte, überredete der Herr Direktor den Sultan von Brunei, das komplette Hotel zu mieten.

Tomas Niederberghaus (Hrsg.): "Menschen in Hotels". Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2006. 139 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.10.2006

Schmetterlingswelten
Oft sind es diese ästhetisch verschwiemelten, international standardisierten Prospekthalter, die dem Gast schon am Empfang, spätestens aber auf dem Zimmer signalisieren: Dies ist kein Wohnhaus, dies ist eine internationale Hotelkette. Auch diesmal ist es nicht nur der deplatzierte Lichtschalter neben der Weltzeituhr oder der desinteressierte Concierge, sondern just dieser Prospektständer, der das Stillleben zerzaust. „Menschen in Hotels” (Hg. von Tomas Niederberghaus, Eichborn Berlin Verlag, Berlin 2006. 140 S., 24,90 Euro) klingt groß und geklaut, ist aber eher ein Buch für den ganz kleinen Kaffeetisch. Wenige Bilder, wenig ansprechende zudem, dafür mehrere Texte über Angestellte und berühmte Gäste. Manche, wie der über den wohl unumgänglichen Hotelgenießer Udo Lindenberg, erreichen stellenweise beinahe poetische Höhe, andere behalten ihren Entwurfcharakter. Nur selten gelingt es dem Autor Niederberghaus, Atmosphäre zu schaffen, aus angehäuften Details Bilder entstehen zu lassen und letztlich ein Gefühl. Nebensächlichkeiten bleiben meist Nebensächlichkeiten: Wieviel der Autor für sein Taxi zum Hotel bezahlt hat, dass seine Ankunft in Montreux unspektakulär war – das konnte man ahnen. Immerhin sitzt er dann in jener inzwischen umgestalteten Suite, die Vladimir Nabokov (linkes Bild) sechzehn Jahre lang bewohnte. Wo er seinen Roman „Ada” schrieb, mit seiner Frau Schach spielte, die Kacheln im Badezimmer bemalte und im übrigen in seiner bunten, unrenoviert großartigen Schmetterlingswelt lebte.
Helmut Mauró
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die Autoren dieses Bandes schreiben über Menschen in Hotels. Das können Dauerbewohner von heute und einst sein, wie Udo Lindenberg oder Vladimir Nabokov. Oder Bedienstete, die den Dreck wegmachen und immer ein paar Mal klopfen, um beim Sex nicht zu stören. Oder als Begleiter von Prominenten unterwegs sind wie Christoph Schletz, der dem Regisseur Robert Wilson alle Arbeit abnimmt, aber selber in billigen Absteigen unterkommen muss. Oder Leute wie Sir Rocco Forte, der gleich zwölf Grandhotels betreibt. Das ist alles interessant, findet Peter Lückemeier, jedenfalls für die Länge eines Zeitungsartikels - und genau dieses Format haben die Texte auch, die in der Mehrzahl vom Herausgeber selbst stammen. Der wird gelobt als einer, der "gut, flott und informativ" schreibt. Dann ist das Buch auch noch "auf schönem Papier" gedruckt. Die Lektüre hat dem Rezensenten "Spaß" gemacht.

© Perlentaucher Medien GmbH