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Berlin, 1940. Ein ehrgeiziger Forscher am SS-Hygieneinstitut wird unvermutet in zwielichtige Geschäfte mit Pornofilmen verwickelt und verfällt einer Femme fatale. Auf der Folie einer obszessiven Beziehung schildert Thor Kunkel in seinem nachtschwarzenRoman eine Welt ohne Katharsis.
Karl Fußmann ist ein ehrgeiziger Wissenschafts-Karrierist mit einer leicht okkulten Neigung zum Magnetismus, dem es zu Beginn des Zweiten Weltkriegs gelingt, im SS-Hygieneinstitut in Berlin eine Anstellung zu finden. Dort soll er zur Unterstützung des deutschen Nordafrikafeldzugs ein Mittel gegen die Malaria…mehr

Produktbeschreibung
Berlin, 1940. Ein ehrgeiziger Forscher am SS-Hygieneinstitut wird unvermutet in zwielichtige Geschäfte mit Pornofilmen verwickelt und verfällt einer Femme fatale. Auf der Folie einer obszessiven Beziehung schildert Thor Kunkel in seinem nachtschwarzenRoman eine Welt ohne Katharsis.
Karl Fußmann ist ein ehrgeiziger Wissenschafts-Karrierist mit einer leicht okkulten Neigung zum Magnetismus, dem es zu Beginn des Zweiten Weltkriegs gelingt, im SS-Hygieneinstitut in Berlin eine Anstellung zu finden. Dort soll er zur Unterstützung des deutschen Nordafrikafeldzugs ein Mittel gegen die Malaria erfinden. Über seinen Vorgesetzten Ferfried Graf Gessner, der wie fast alle Angestellten des Instituts seine Stellung skrupellos nutzt, um sich fernab der Front selbst zu bereichern, verschlägt es Fußmann in zwielichtige Kreise, wo er einer Femme fatale namens Lotte verfällt. Sie ist eine der blonden Aktricen der heimlich von Graf Gessner produzierten Pornos, mit denen er in Nordafrika viel Geld zu machen hofft und die er zudem in Schweden gegen kriegswichtiges Eisenerz tauscht. Als Fußmann schließlich mitten ins Kriegsgeschehen nach Nordafrika versetzt wird, schlägt der Schrecken des Krieges über ihm zusammen - wie in Berlin auch über diejenigen, für die vorher der Krieg noch unwirklich weit entfernt schien.

Thor Kunkels Roman umfaßt den Zeitraum zwischen 1940 und 1960, spielt in Berlin, auf einer Berghütte nahe dem Obersalzberg, in Nordafrika, Frankfurt am Main und in den USA. Er ist ein gewagter Blick in das Innenleben des Faschismus und eine Wissenschaft ohne ethische Grenzen, ein raffinierter Stilmix aus groteskem Witz, auf die Knochen gehender Brutalität, kolportageartigem Abenteuerroman, fiktiven Briefen, Tagebüchern, elegischer Liebesgeschichte und bösartiger Ironie. Endstufe ist die literarische Antwort auf Quentin Tarantino und David Lynch, ein provokantes Buch über die Nachtseiten des Menschen, das Thor Kunkel konsequent dahin verlegte, wo sich die menschliche Natur von ihrer schlechtesten Seite gezeigt hat: nach Deutschland unter der Nazi-Diktatur.

Autorenporträt
Thor Kunkel, 1963 geboren, lebte nach seinem Studium der bildenden Kunst in Frankfurt und San Fancisco in London, Amsterdam und Hamburg. Sein Roman Das Schwarzlicht-Terrarium (2000) wurde mit dem Ernst-Willner-Preis ausgezeichnet. Derzeit lebt Thor Kunkel in Berlin. Für den im Frühjahr 2004 bei Eichborn erscheinenden Roman Endstufe stellte Kunkel ausgiebige Recherchen an, verfolgte die Spur tatsächlich existenter Nazi-Pornos (der sogenannten Sachsenwald-Filme) nach Schweden und Nordafrika.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.02.2004

NS-Porno
Rowohlt liefert Thor Kunkels Roman "Endstufe" nicht aus

Bislang galt der Schriftsteller Thor Kunkel seinem Verlag als "illusionsloser Aufklärer im Kostüm des Entertainers". So steht es in der Programmvorschau des Rowohlt-Verlags, der mit diesem Zitat aus einer früheren Rezension für seinen Autor wirbt. Am 19. März sollte Kunkels neuer Roman "Endstufe" in den Buchhandel gelangen. Jetzt hat Rowohlt in dürren Worten erklärt, daß Autor und Verlag aufgrund von Differenzen in "inhaltlichen und ästhetischen Fragen" übereingekommen seien, das Vertragsverhältnis zu lösen. Offenbar widersprach Kunkels Roman den Erwartungen des Verlegers. Was aber hatte Alexander Fest erwartet? Darüber gibt die Programmvorschau hinlänglich Auskunft.

Unter der Überschrift "Pornofilme gegen Rohstoffe - das wohl merkwürdigste Tauschvorhaben im Dritten Reich" wird hier ein Roman annonciert, in dessen Zentrum die Produktion und der Vertrieb der sogenannten "Sachsenwald-Filme" stehen. Dabei handelt es sich um Pornofilme, 1940/41 gedreht, die gegen Rohöl und Eisenerz getauscht werden sollten, um den Rohstoffbedarf der deutschen Kriegsmaschinerie zu decken. "Vor diesem Hintergrund", so heißt es in der Programmvorschau, "erzählt Thor Kunkel von der Verstrickung des jungen SS-Hygienikers Karl Fußmann in die Halbwelt der nationalsozialistischen Elite. Im Auftrag seines Vorgesetzten schmuggelt er Filmmaterial von Berlin nach Berchtesgaden. Bei einer wilden Jagdhütten-Party gerät er in den Bann der geheimnisvollen Lolotte und wird, ahnungslos, zum Darsteller eines pornographischen Streifens."

Für welches Publikum werden eigentlich Romane geschrieben, die einen jungen SS-Hygieniker im Bann einer geheimnisvollen Lolotte bei wilden Jagdhüttenpartys im Nazi-Milieu zeigen? Warum müssen auf wenigen Zeilen Begriffe aneinandergereiht werden, die allesamt aus dem Vokabular billigster Reißer stammen? Wenn diese Zeilen Kunkels Roman gerecht werden, muß man sich fragen, warum der Rowolt-Verlag diesen Roman je publizieren wollte. Werden sie dem Roman jedoch nicht gerecht, dann muß der Verlag sich fragen lassen, warum er einen seiner Autoren erst als Verfasser von skandalträchtigem Schund anpreist und ihn dann in letzter Minute wie eine heiße Kartoffel fallenläßt.

Den Schaden hat zunächst Thor Kunkel. Solange "Endstufe" nicht veröffentlicht ist, können Buchhändler, Rezensenten und interessierte Leser - und nur für diesen Kreis werden Programmvorschauen gemacht - von seinem Buch nur eines erwarten: Kolportage der billigsten Sorte, einen Reißer, der eine Grenze überschreitet, die bislang doch weitgehend respektiert wurde. Denn das Verhältnis zwischen der NS-Ideologie, den aus ihr hervorgegangenen Perversionen und dem Bereich der Sexualität stellt das wohl letzte Residuum der nationalsozialistischen Geschichte dar, das nicht auf die eine oder andere Weise ausgeschlachtet wurde. Dabei geht es nicht um die Tabuisierung eines Themenkomplexes. Es gibt, mit gutem Grund, wissenschaftliche Untersuchungen über die Psychopathologie der NS-Elite. Nichts spricht dagegen, die Details der damaligen Pornographie zu erforschen. Alexander Kluge hat sie in einem seiner Dokumentarfilme behandelt, der Filmemacher und Sammler Werner Nekes besitzt zwei Filme aus dieser Produktion, wie gestern in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung berichtet wurde. Auch Kunkel soll ausgiebig recherchiert haben, aber die Fiktionalisierung dieses Gegenstandes wirft besondere Probleme auf.

Die Ankündigung des Rowohlt-Verlags endet mit der Behauptung, Kunkels Roman sei ein "packendes, minutiös recherchiertes Porträt der morbiden Nazi-Gesellschaft", das Geschichte und Sexualität, Wissenschaft und Okkultismus vernetze und den Untergang des Dritten Reiches als "furioses Ende der ,technisch überlegenen' Welt von einst" schildere. Im letzten Kapitel des über fünfhundert Seiten starken Romans, dessen Manuskript dieser Zeitung vorliegt, wird dieses angeblich so furiose Ende im Detail beschrieben. Die Art und Weise, wie hier Massenvergewaltigungen in den Straßen Berlins dargestellt und kommentiert werden, läßt stark bezweifeln, daß Kunkel sein heikles Thema künstlerisch bewältigt hat. Aber gerade wenn ein Autor an seinem Gegenstand scheitert, darf er den Beistand seines Verlags erwarten.

Kunkels erster Roman "Das Schwarzlicht-Terrarium" war von zahlreichen Verlagen als "obszön" und "zynisch" abgelehnt worden, bevor Rowohlt das Manuskript annahm und das erste Kapitel in Klagenfurt mit einem Preis ausgezeichnet wurde. Man wußte also, daß dieser Autor provoziert und polarisiert. Deshalb, aber vor allem aufgrund des auf den ersten Blick erkennbar heiklen Stoffes, hätte Kunkel von seinem Verlag besondere Sorgfalt erwarten dürfen. Sie hätte etwa darin bestanden, den jetzt eingetretenen Fall vorherzusehen und das Buch erst nach seiner Fertigstellung anzukündigen. Mag sein, daß dies nicht mehr den Usancen einer vom Beschleunigungswahn ergriffenen Branche entspricht. Aber wenn ein Verlag nicht erkennt, wann er eine Ausnahme von einer ohnehin problematischen und fragwürdigen Regel machen muß, ist es schlecht um ihn bestellt. Rowohlt war erst unlängst mit dem Buch einer angeblichen israelischen Agentin in die Kritik geraten, und womöglich hat man nicht zuletzt deshalb jetzt geglaubt, die Notbremse ziehen zu müssen. Daß der Versuch des Historikers Lothar Machtan, mit einem Buch über Hitlers angebliche Homosexualität Aufsehen zu erregen, vor einigen Jahren ebenfalls von Alexander Fest verlegt wurde, mag nur eine unglückliche Koinzidenz sein. Aber sie hätte mehr Sensibilität bei dem Thema NS-Pornographie erwarten lassen.

HUBERT SPIEGEL

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Christoph Schröder ist ziemlich entsetzt von Thor Kunkels umstrittenen, nun bei Eichborn erschienenen Roman "Endstufe" - doch nicht aus den Gründen, die zu den heftigen Auseinandersetzungen über die Legitimität des Romans geführt haben, sondern einfach, weil er das Buch ungeheuerlich schlecht findet. Und das gleich auf verschiedenen Ebenen - Schröders Meinung nach ist der Autor "seinem Stoff nicht im Mindesten gewachsen". Nicht nur findet er die Dialoge der Pornografie-begeisterten Nazis ungeheuer nervig, auch mangelt es dem Roman seiner Meinung nach an Struktur ebenso wie an Substanz. Letzteres mag auch damit zu tun haben, dass die Originalfassung des Autor gewaltig gekürzt wurde, doch da fragt Schröder gleich: "Wer hätte andererseits diesen Sermon über 1000 Seiten ertragen?". Und auch Kunkels Versuche, dem Roman einen theoretischen Überbau zu verpassen, lassen Schröder die Hände über den Kopf zusammenschlagen. Bei all dem legt der Rezensent trotzdem Wert auf die Feststellung, dass er die Aufbereitung eines solch heiklen Themas nicht grundsätzlich abzulehnen oder das Buch als "geschmacklos" brandmarken will. Schließlich geht es bei diesem Skandal auch einmal wieder um die Freiheit der Kunst: "Ein Schriftsteller darf geschmacklos sein, manchmal muss er es sogar."

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.04.2004

Sieg Geil
Leider doch ein Skandal: Thor Kunkels Roman „Endstufe”
Im Eichborn-Berlin-Verlag ist ein schlecht geschriebener, wirrer, offen revanchistischer und hasserfüllt antiamerikanischer Nazi-Porno-Roman erschienen, dessen Text uns die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung kürzlich als „ein glänzend geschriebenes, ungeheuer interessantes Manuskript von einem der besten Autoren der jüngeren Generation” empfohlen hat: „Endstufe” von Thor Kunkel. Vor ein paar Wochen lag der auch in dieser Zeitung ausgebreitete Skandal noch darin, dass Rowohlt-Chef Alexander Fest die Veröffentlichung des eigentlich schon angenommenen Romans abgelehnt hatte, was als Feigheit und Zensurmaßnahme eines Verlagsleiters ausgelegt wurde. Jetzt, nach der Veröffentlichung des Buches in einem skrupelloseren Verlag, empfiehlt uns die linksalternative tageszeitung, doch lieber keinen Skandal daraus zu machen. Und der Verleger Wolfgang Hörner grüßt die Rezensenten „in der – freilich idealistischen – Hoffnung”, dass nun über das Buch gesprochen werde, statt über den Skandal, während er gleichzeitig versucht, Kunkels Skandalwert mit großen Plakaten zu Geld zu machen, auf denen er für das „verleumdete” Werk wirbt, „über das alle reden”.
Der Horror der Besatzer
Aber es ist vielleicht ohnehin ein Fehler, sich dem Literaturbetrieb, der gern auch mit Moral handelt, als Moralist zu nähern. Deshalb gleich zu dem bei aller Pornographie Entscheidenden: zu den „Stellen”. In Kunkels Roman ist die Nazi-Herrschaft eine Zeit, die ein schneidiger Stecher mit einem schnellen Auto und drei Fickmariechen an jeder Hand angenehm besoffen überleben kann. Den wahren Horror bringen die Besatzer ins Land: „. . . Sibirier, Usbeken, Turkmenen und Mongolen, die in Horden durch die Straßen ziehen und plündern. (. . .) Zuweilen wehrt sich, was aus den Ruinen geschleppt wird, es schreit und fleht, doch die Soldaten verladen die verschnürten Körper wie Holzbarren . . . oder verstauen sie in den Vorratskammern von Panzern.” Dann wird vergewaltigt. Die Iwans sind Steinzeitwesen, die eine Romanfigur an „Stürmer- ENDE]Karikaturen mongolischer Untermenschen denken lassen”.
Nur die Amis sind noch schlimmer, vor allem die „Nigger”, die ihren „monsterdick” ENDE] aus dem Jeep hängen lassen, „schwarze, schlackernde Blutwürste”, wenn sie an anständigen deutschen Frauen vorbeifahren. Während die „algerischen und marokkanischen Divisionen” sich an „Schafen und Frauen gleichermaßen gütlich taten. U-Bahn-Stationen wurden abgesperrt und zu mittelalterlich anmutenden Folterkammern umfunktioniert.” Was ist schon Auschwitz gegen die Vergewaltigung der Besiegten durch die Sieger? Unvermittelt entfährt einem verbitterten Deutschen die naheliegende Retourkutsche: „Der Einsatz von Atombomben gegen Zivilisten ist ein schnelles und humanes Mittel zu töten . . . Die Strahlen sind auf jeden Fall effektiver als Zyklon B . . .” Und der Held des Buches, Dr. Karl Fußmann vom SS-Hygiene-Institut, zieht das düstere Nachkriegs-Fazit: „. . . die ,Amerikanisierung‘ des Globus wird noch blutiger und langwieriger verlaufen als der Krieg, der jetzt hinter uns liegt.” So schlimm war Hitler wohl doch nicht.
Es wird Menschen geben, die sich an Kunkels politischer Pornographie aufgeilen können. Nach Walsers Schlussstrichen, nach Jörg Friedrichs Brandreden, deren Duktus hier wiederkehrt, hat sich in Deutschland ein neuer revanchistischer Mainstream gebildet. Endlich darf darüber geredet werden, wie schlimm und vielleicht auch ungerecht es war, den Krieg zu verlieren. Das will nun alles heraus. Die Verwandlung des Tagebuchs der „Frau in Berlin” in schmierige Kolportage war nur eine Frage der Zeit. Thor Kunkel hat übrigens alles revanchistische Ressentiment in Interviews abgestritten und versteckt sich hinter seinen Figuren; als hätte nicht er sie erschaffen und ihnen seinen Text in den Mund gelegt. Sie transportieren in diesem Roman vor allem seine Thesen. Überhaupt will der Autor mit „Endstufe” in sektiererischem Sendungsbewusstsein nur eine Theorie illustrieren: dass der Geist der Wissenschaft die Menschen knechtet, dies unter den Nazis tat und es nun auf dem leider amerikanisierten Globus noch viel effektiver tut. Dass die Nazizeit nur ein Vorspiel war für die grausame Welt, in der wir heute als entwertete Kreaturen leben müssen. Hier werden die antiwestliche, werwölfische Nachkriegsgesinnung und die antiamerikanischen Parolen der Kreuzberger Autonomen-Orthodoxie wütend verquirlt.
„Endstufe” beginnt als Geschichte der Entstehung von Pornofilmen im Nazireich und enthält Seiten über Seiten „klassischer” Körperteil-Pornographie, die den Rezensenten nicht erregen konnte und so den Elchtest aller Pornos nicht bestanden hat. Sätze wie „Sein gemartertes Glied bäumte sich schmerzerfüllt” führen weniger zu Schwellungen als zum Griff nach dem Duden. Überhaupt ist die Stilblüte Thor Kunkels eigentliches Terrain: „Ihr Schweigen lag eine Zeit lang wie ein höhnisch grinsender Maulwurf zwischen den Laken, dann holte sie einmal tief Luft.” Doch wild trieben es die ulkigen Nazis: „Am köstlichsten war es, wenn sie ihn – mit Stacheldraht verschnürt – stundenlang ritt, mit abgewandtem Gesicht und häkelnd, denn sie verschickte noch immer Hakenkreuz-Topflappen an ihre Mutter.” Sollen wir noch erwähnen, dass der Verlag Kunkel mit Jonathan Swift und Anthony Burgess vergleicht?
Skandale hinterlassen hässliche graue Asche, und es ist eine traurige Arbeit, sie wegzuräumen. Trauern muss man hier auch um einen Roman, der nicht geschrieben wurde. Kunkels Stoff hätte sich in einen wilden, grotesken, überschäumenden Comic-Strip verwandeln lassen, eine überhitzte Burleske, ein absurdes Paralleluniversum. Das hätte ein drastischer pornographischer Roman sein können und, wenn es sich ästhetisch begründen ließe, gern auch ein Roman mit linksfaschistischen Untertönen. Die Literaturkritik kennt keine Anstandsgrenzen; seine Grenzen setzt sich jedes Kunstwerk selbst. Die politischen Einwände, die man gegen „Endstufe” erheben muss, haben keine literaturkritische Bedeutung. Kunkel hätte ein großes Buch schreiben können, wenn er ein Herz hätte oder ein Gefühl für Sprache, für seine Figuren und das Eigentliche der Literatur: das Spiel. Stattdessen stampft er treudeutsch voran, seine Kampfthesen im Tornister. Einen erzählerischen Todesmarsch mutet er uns zu, aus einem Gefangenenlager voll abstruser Verschwörungstheorien bis auf unsere Ladentische. In blankgewichsten Schaftstiefeln.
Zum Aufkauf freigegeben
Muss man jetzt verlangen, dass „Endstufe” in obrigkeitshöriger deutscher Art verboten wird? Auf keinen Fall. Aber sollte sich die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung in einem Akt sozialhygienischen Verantwortungsbewusstseins und literaturkritischer Weisheit entschließen, die gesamte Auflage aufzukaufen, als FAS-Hygiene-Institut, wer würde sie daran hindern? Denn der Skandal der Veröffentlichung des Kunkel-Buches wäre nicht ohne die tatkräftige Unterstützung von Kulturjournalisten der FAS-Schule entstanden, die sich als smarte Marketingassistenten und Karrierebetreuer verstehen. Ohne die blauäugigen nützlichen Idioten des Betriebs, die bis in die seriösesten Medien vorgedrungen sind, gefördert von Chefredakteuren und Verlegern, für die Journalismus Dabeisein bedeutet und denen Gesten des unbeschwerten, poppigen Mitspielens wichtiger sind als die Distanzbemühungen einer ernsthaften Literaturkritik.
ROBIN DETJE
THOR KUNKEL: Endstufe. Roman. Eichborn Berlin Verlag, Berlin 2004. 586 Seiten, 24,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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"Ich glaube, es ist wichtig, das Dritte Reich unter dem Aspekt der Verführung und Verblendung zu sehen. Ich habe versucht, das Private zu durchleuchten... Ich benutze die Pornographie als poetische Metapher, um das Phänomen Drittes Reich vollständig zu erfassen. Ich zeige den Intimitätsverlust und die Perversion, die der Faschismus beinhaltet. Die Bilder, die wir bisher kannten, reichen nicht aus, um das Phänomen Drittes Reich mit all seinen Schrecken nachfühlbar zu machen..." Thor Kunkel über sein Buch