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Produktdetails
  • Verlag: Eichborn
  • Seitenzahl: 207
  • Abmessung: 21mm x 230mm x 217mm
  • Gewicht: 326g
  • ISBN-13: 9783821805894
  • ISBN-10: 3821805897
  • Artikelnr.: 08580308
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.06.2000

Findelkind im Fummel
Eine irische Transvestiten-Odyssee von Patrick McCabe

Patrick Braden ist zu starken Gefühlen fähig. Zu anderen kaum. So intensiv er seine Mutter verehrt, so inständig hasst er seinen Vater. Dabei kennt er von ihnen nicht viel mehr als die Namen. Der Vater, Bernard McIvor, ist "der innig geliebte Pfarrer der Gemeinde" in dem kleinen irischen Ort Tyreelin nahe der Grenze zu Nordirland, und der hatte an einem Vormittag im Jahr 1955 die junge Aushilfshaushälterin Eily Bergin so innig geliebt, dass die sich gezwungen sah, neun Monate später einen Pappkarton mit einem männlichen Neugeborenen in der "Hundehüttensiedlung" vor der Haustür einer auf solche Fälle spezialisierten Frau abzusetzen. Patrick wächst im Kreis von sechs Geschwistern ähnlich obskurer Herkunft auf. Der Hauptgrund für die Ersatzmutter "Schnurres" Braden, sich der kleinen Menschen anzunehmen, ist die Tatsache, dass sie für die Kinder von Behörden und auf Diskretion bedachten Schwängerern Geld bekommt, das sie in Zigaretten und Bier umsetzt. Das spricht für eine wenig durchsonnte Kindheit. Deutliche Reaktionen darauf zeigt Patrick erst mit 13, da wird ihm seine biologische Herkunft klar. In der Schule liefert er Aufsätze mit Titeln wie "Vater Bernard vögelt wieder" ab, was ihm den Schulverweis einbringt. Zu Hause probiert er sich in Frauenkleidern, auch solchen von der Wäscheleine der Nachbarin. Schnurres' Versuche, den Jungen, der sich eher als "Pussy" denn als Patrick sieht, von dem Vorhaben abzuhalten, die Hundehüttensiedlung zu verlassen und in die Welt zu ziehen, sind deshalb halbherzig, und dieser Aufbruch gestaltet sich anfangs erfreulich, denn ein Politiker mit Macht, Geld und Mercedes gabelt Pussy auf und verwöhnt sie nach Strich und Faden. Sie steckt ihm im Gegenzug einen Finger in den Mund, und das mag er so gern, dass er für sie Mr. Schnullermann wird. Andere stehen ihm unfreundlicher gegenüber und sprengen ihn bald darauf in die Luft. Das soll nicht die einzige Detonation in Pussys Nähe bleiben, zwei Jahre später wird sie die Polizei in London hart in die Mangel nehmen, weil sie unverletzt eine Bombenexplosion in einer Disco überlebt, die britische Soldaten um sie herum aber zerfetzt werden. Da drängt es sich auf, den jungen Iren in Frauenkleidern der Tat zu verdächtigen, dabei liegt Pussy nichts ferner als der Einstieg in den Terrorismus. Sie hat "für solche Trivialitäten" keine Zeit; schon beim Mord an Mr. Schnullermann war es ihr egal, ob er von Katholiken oder Protestanten, von der IRA oder der UDA begangen worden war. Pussy hatte sich darauf nach London begeben, der bezahlten Liebe wegen. Fast zwei Jahre stand sie als "Hostess mit Niveau" am Piccadilly Circus. Nach den polizeilichen Ermittlungen gegen sie, das war 1975, fliegt Pussy zurück nach Irland und schlägt sich mit der Jugendfreundin Charlie durch. Die ist am Ende, seit die IRA ihren Freund Irwin als Verräter exekutiert hat. Die Hinweise auf ihren weiteren Lebensweg sind eher spärlich, es muss einen Aufenthalt in einer psychiatrischen Anstalt gegeben haben. Nun lebt sie in London, die Leute in ihrer Umgebung nennen sie Mütterchen Riley.

Diese Geschichte vom "Leben und Wirken des Patrick Braden" erfahren wir von ihm selbst, aufgeschrieben hat er sie unter diesem Titel für den Psychiater Dr. Terence Harkin, seiner Liebe in der Psychiatrie; der Doktor wurde zwangsversetzt, weil er diese Liebe wohl erwiderte. In 56 Kapiteln ist Patricks Stimme abrupt wechselnd sarkastisch, melancholisch, blumig-romantisch, lakonisch, wütend oder ironisch. Darin liegt ein Problem: Man mag den Text nicht als autobiographischen Versuch des Patrick Braden lesen, weil er dafür zu artifiziell ist. Hinter Mütterchen Rileys Hauskittel schaut der konstruierende Schriftsteller Patrick McCabe hervor, der mit seinem Helden zwar außer dem Vornamen noch das Geburtsjahr teilt, sonst aber kaum etwas. McCabes "Schlächterbursche" Francis Brady, die Titelfigur seines dritten Romans, konnte einen im doppelten Wortsinn mitnehmen, dieser Patrick Braden aus "Breakfast on Pluto", einer Zitatzeile aus einem Don-Partridge-Song und McCabes fünftem Roman, der bleibt einem fern.

McCabes irische Romanwelt ist die der besonders Traumatisierten in generell tristen Verhältnissen gewesen, mit zerbrochenen Familien, politischer Gewalt, sinistren Priestern und Alkohol. Sollte er dabei bleiben, wird ihm "Der Schlächterbursche" auch zukünftig ein Problem sein, denn mit dem hat er die Latte auf eine Höhe gelegt, die kaum zu übertreffen ist.

BURKHARD SCHERER

Patrick McCabe: "Breakfast on Pluto". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Hans-Christian Oeser. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2000. 208 S., geb., 36,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Der aus Irland nach London geflüchtete Transvestit Patrick alias Pussy Braden alias Mütterchen Riley schreibt als Patient des Psychiaters Dr.Terence seine Geschichte auf. Ein Buch voller "Schwulst und Kitsch" und "gruseligen Bestialitäten", findet Friedhelm Rathjen. Und dennoch gefällt ihm etwas an diesem Nachfolger des Buches "Schlächterbursche". Wo jener "grandios" und "erdenschwer" ist, hällt sich dieser "fulminante Roman" hauptsächlich an die Oberfläche der Glitzerwelt des transvestitischen Lebens. Beide leben von einer ähnlichen Ausgangslage, nämlich einem Protagonisten, der als Waise "früh ins soziale Abseits und in psychische Abgründe geraten ist", von irischen Motiven wie bigotten Pfarrern, IRA-Gewalt und einer "irren, halluzinatorischen" Sprache. "Der Irrwitz dieses Romans ist der Irrwitz der Welt", meint Rathjen, und bezeichnet zu guter Letzt Patrick McCabes sogar als Genie.

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