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Als er etwa zwölf Jahre ist, verliert Birahima, eine Halbwaise von der Elfenbeinküste, seine Mutter, die das Opfer eines bösen Fluches geworden zu sein scheint. Die Angehörigen beschließen, den Jungen in die Obhut seiner Tante nach Liberia zu schicken. Yacouba, ein erfahrener Magier, soll ihn unterwegs beschützen. Doch bevor sie die Grenze erreichen, werden die beiden von Rebellenführern aufgegriffen und in ein Lager verschleppt. Dort steckt man Birahima in die viel zu große Uniform eines Fallschirmspringers und drückt ihm eine Kalaschnikow in die Hand. Yacouba hingegen wird zum…mehr

Produktbeschreibung
Als er etwa zwölf Jahre ist, verliert Birahima, eine Halbwaise von der Elfenbeinküste, seine Mutter, die das Opfer eines bösen Fluches geworden zu sein scheint. Die Angehörigen beschließen, den Jungen in die Obhut seiner Tante nach Liberia zu schicken. Yacouba, ein erfahrener Magier, soll ihn unterwegs beschützen. Doch bevor sie die Grenze erreichen, werden die beiden von Rebellenführern aufgegriffen und in ein Lager verschleppt. Dort steckt man Birahima in die viel zu große Uniform eines Fallschirmspringers und drückt ihm eine Kalaschnikow in die Hand. Yacouba hingegen wird zum Fetischpriester ernannt, dessen Talismane die Feinde verhexen sollen. Und an Feinden herrscht kein Mangel. Die Stammeskriege haben Westafrika in den neunziger Jahren ins Chaos gestürzt, ständig wechseln die Fronten, und die mit Drogen manipulierten Kindersoldaten müssen nicht nur Dörfer und Plantagen angreifen, sondern sogar Missionen und Mädchenheime. So hart sein Los auch ist, Birahima gibt nie auf. Er verbirgt seine Wut und seine Verzweiflung hinter Formelhaftigkeit und erzählt seine ungeheuerlichen Abenteuer in einer Mischung aus Naivität und Sarkasmus, die uns zwingt, der erschütternden Realität ins Auge zu sehen.

Autorenporträt
Ahmadou Kourouma wurde 1927 in der Elfenbeinküste geboren. Nach bewegten Jugendjahren - als Rädelsführer von der Schule verwiesen und in die französische Armee eingezogen und wegen politischer Aktivitäten nach Indochina strafversetzt - wurde er Versicherungsmathematiker. Als Kourouma 1963 wegen eines angeblichen politischen Komplotts verhaftet wurde, schrieb er den Roman "Der schwarze Fürst", der ihn auf einen Schlag weltberühmt machte.
Danach verfasste er ein Theaterstück, das ihm 20 Jahre Exil einbrachte. Ahmadou Kourouma lebt und schreibt längst wieder in seiner Heimat.
Rezensionen
Hauptmann Birahima
Das grauenhafte Schicksal von Kindern, die zum Kriegsdienst gezwunden werden, hat Kourouma aufgeschrieben. Er gilt als der einflussreichste afrikanische Schriftsteller französischer Sprache, der nach langem Exil wieder in seiner Heimat, der Elfenbeinküste, lebt. Für die romanhafte Aufzeichnung der Lebens- und Leidensgeschichten der Kindersoldaten erhielt er mehrere Preise, so in Frankreich den Prix Renaudot und den Prix Goncourt des Lycéens.
Kalaschnikow und Hirtenstab
Es sind Tage, Wochen, Monate im Leben des zehn- oder zwölfjährigen Birahima (er kennt sein Alter selbst nicht), der nach der 2. Klasse die Schule verlässt, "denn selbst mit einem Universitätsdiplom kann man in diesen korrupten Bananenrepubliken des französischsprachigen Afrikas nicht mal Krankenpfleger oder Lehrer werden". Auf dem Weg zu einer Verwandten in Liberia werden er und sein väterlicher Begleiter von Rebellentruppen überfallen und in deren Camp gebracht. Der Autor erzählt die Geschichte aus der Sicht dieses Jungen, der seinen militärischen Einstand geben muss - bei "Colonel Papa le Bon, der in der einen Hand die Kalaschnikow hatte und in der anderen den päpstlichen Hirtenstab und der mich zum Hauptmann ernannte". Er gerät in Stammesfehden, an korrupte Soldaten und Offiziere. Birahima droht und wird bedroht, er stiehlt und wird bestohlen, aber er überlebt.
300 000 Kindersoldaten
Ein Leben zählt in dieser Welt nichts. Es wird geschossen, gebrandschatzt und vergewaltigt. Dies ist kein Roman für zarte Gemüter, und es ist mehr eine dokumentierende Beschreibung. Es ist ein Abbild unserer Welt. Nach zuverlässigen Schätzungen kämpfen weltweit etwa 300 000 Kindersoldaten, davon mehr als 100 000 in Afrika. Der vollständige Titel heißt deshalb: "Allah muss nicht gerecht sein in allen Dingen auf Erden."
(Henrik Flor, literaturtest.de)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.02.2003

Im Trallala der Maschinengewehre
Ahmadou Kouroumas Roman über Kindersoldaten

Die Wirklichkeit fällt dem der Wirklichkeit abgeschriebenen Roman manchmal in den Rücken. Das bedeutet dann, daß die Geschichte im Kreis läuft. Zwar wird der im letzten Herbst entflammte Bürgerkrieg an der Elfenbeinküste nicht hauptsächlich von Kindersoldaten geführt. Die Söldnerslogik und die Banden- mehr als die Heeresgefechte über willkürlich gezogene Staatsgrenzen hinweg kommen dem aber nahe, was der von der Elfenbeinküste gebürtige Autor Ahmadou Kourouma vor zwei Jahren noch ins benachbarte Liberia und Sierra Leone verlegte.

Anstoß zum Roman waren die Kriegsabenteuer, die somalische Jugendliche dem Autor in Djibouti erzählten: Wie sie mit Waffen und Drogen sich ins Reich der Bandenkriege locken ließen. Der heute fünfundsiebzigjährige Kourouma hat aber soviel Vorstellungsvermögen, erzählerisches Temperament, wortschöpferische Sprachgewalt und szenisches Geschick für die Mischung von Tragik und Groteske, daß alles andere als ein dokumentarisches Werk herauskam. Dieser Roman ist eine Parabel des nackten Überlebenskampfs jenseits von Gut und Böse, wo weder Übermenschen- noch Menschenvision etwas zählt. Das macht den Roman bedeutsam über alle regionalpolitische Tagesaktualität hinaus.

Kourouma hatte in seinem langen Exilleben reichlich Gelegenheit, der Geschichte beim Stammeln genau auf die Lippen zu schauen. Nach dem für die französische Kolonialmacht in Indochina geleisteten Armeedienst mochte der ausgebildete Mathematiker sich auch mit dem selbstherrlichen Machthaber seines 1960 unabhängig gewordenen Heimatlandes nicht einfach abfinden. Seine Kritik am Regime des Staatspräsidenten Félix Houphouet-Boigny an der Elfenbeinküste brachten ihm insgesamt dreißig Jahre Exil ein, die er als Versicherungsstatistiker in Algerien, Kamerun und Togo verbrachte. Vier Romane, ein paar Kindergeschichten und ein Theaterstück: Das ist alles, was von dem seit neun Jahren wieder in seinem Land lebenden Schriftstellers vorliegt. Dennoch ist er einer der wichtigsten Autoren des französischsprechenden Westafrika und mit seinem literarisch überbordenden Humor ein unermüdlicher Aufklärer gegen jenen verbreiteten Aberglauben, der in Europa als Afro-Pessimismus kursiert.

Dieser jüngste Roman Kouroumas hat dem Autor vor zwei Jahren in Frankreich den Renaudot-Preis eingebracht. Es ist die Geschichte eines Gegen-Parzival zwischen Busch und Savanne, wo die Kalaschnikow die Ritterrüstung, die Bandenführer den König Artus und die Haschzigarette den Gral ersetzt. Der zehn- oder zwölfjährige Birahima erzählt in einem kunstvoll konstruierten Gemisch aus französischer Hoch- und populärafrikanischer Bildsprache mit Argoteinschlägen und litaneihaft wiederkehrenden Fluchbeschwörungen, wie er als liebenswürdiger Schlingel nach dem Tod seiner Mutter in Begleitung des Hokuspokus-Magiers Yacouba durch die Wälder zu einer Tante in Liberia aufbrach und dort ins Kriegstreiben der rivalisierenden Banden geriet. Die vier Wörterbücher, aus denen der Kleine bei seinem Bericht immerfort wie funkelnde Schwerter die treffenden Ausdrücke zückt, lassen hinter dem unmittelbaren Handlungsraum der Episoden den Erzählraum als wahrer Ereignishorizont hervortreten.

Ohne expliziten Erzählrahmen treibt der Erlebnisbericht des jungen Kriegers die Handlung aus dem narrativen Schwebezustand in ironischer Kreisbewegung auf ihren thematischen Grund. Dem Kindsein der Soldaten antwortet der Märchenton des Erzählens, diesem der belehrende Griff zu den Wörterbüchern, diesem wiederum der parodierte Sprachprimitivismus zerrbildlicher Kleinneger-Unmündigkeit: und dies alles über dem Abgrund von routinehaft betriebenem Mord, Plünderei und Vergewaltigung.

Der satirische Märchenonkel Kourouma jubelt uns Lesern so ein literarisches Wunderding aus Volkspalaver, Zauberei und blutiger Zeitgeschichte unter, das jeden Anflug von Betroffenheit stets mit Komik verscheucht. Dorfhüttenexotik ist mit internationalem Waffenhandel, Massenmord mit Kinderphantasie, westafrikanische Politik mit schwarzem Humor versetzt. Das Eitergeschwür, das der Mutter Birahimas in der Dorfhütte das rechte Bein zerfrißt, ist keine Krankheit für weiße Ärzte. Nur einheimische Wunderkünstler könnten so etwas heilen, belehrt ein Pfleger die Frau. Sie wird von der Familie über Nacht aus dem Krankenhaus abgeholt und eine zeitlang im Wald vor den Ärzten versteckt. Sie stirbt dann doch: Und das wirft den verwaisten Birahima auf den langen Weg zur Tante nach Liberia.

Wo die politische Lage so unstabil ist, kann es nicht lange dauern, bis der Junge mitsamt seinem Begleiter, dem Zauber- und Bestechungsvirtuosen Yacouba, ins Kriegstreiben hineingezogen wird. Schon gleich hinter der Grenze wird der Konvoi, in dem die beiden reisen, von den dort lauernden "children soldiers" gestoppt. Nach dem Haltebefehl herrscht zunächst gespannte Ruhe, dann spuckt der ganze Wald aber "trallala . . . trallala . . . trallala . . . aus den Maschinengewehren", daß selbst die Vögel Lunte riechen und in ruhigere Himmelsgegenden davonfliegen. Für den kleinen Birahima ist es für das Entfliehen zu spät. Er gehört bald selber zur Gattung der Kindersoldaten, jenen unbezahlt vagabundierenden Mordtruppen, die unter der Leitung eines Bandenführers die Gegend unsicher machen, die Bevölkerung ausrauben und massakrieren und sich mit Drogen durch die trostlosen Tage bringen.

Die so erzählten Heldentaten des Kleinen lassen im Roman westafrikanische Zeitgeschichte mitlaufen. Von der "National Patriotic Front of Liberia" wechselt der Kindkrieger im Rhythmus des unsteten Kampfgeschicks zum "United Liberian Movement" und weiter zur Truppe des frömmelnden Haudegens Prince Johnson. Die historischen Ereignisse der neunziger Jahre, aus deren Abfall der kleine Held sein "Scheißleben" zusammenimprovisiert, drehen im Roman gespenstisch im Kreis wie auf einem makabren Karussell.

Der Aufstand der alteingesessenen Afroafrikaner Liberias unter Samuel Doe gegen die arroganten zugewanderten Afroamerikaner, die Massenhinrichtung der Feinde, die Ausschaltung der Rivalen im eigenen Lager, ein demokratischer Volksstreich "mit Volksbefragung, souveränem Volkswillen und dem ganzen plebiszitären Zauber" bis hin zu den 99,99 Prozent Jastimmen und der anschließenden Volksbereinigung durch Mord und Vertreibung, schließlich der Gegenputsch der in Kadhafis Libyen ausgebildeten Opposition und die Tranchierung des Diktators Doe auf dem Stadtplatz von Monrovia - das alles gerät im burlesken Erzählton dieses Romans zum skurrilen Leerlauf, der in der allwöchentlichen Hinrichtung der gefaßten Straßendiebe auf dem Marktplatz der Halunkenstadt Sanniquellie geradezu sinnbildlich wird. Die ausgehungerten Häftlinge werden im Schnellverfahren abgeurteilt, mit Reis und saftigen Fleischstücken noch einmal genährt und, während sie sich noch schmatzend die Mundwinkel auslecken, am Pfahl exekutiert. Die vergnügte Zuschauermenge applaudiert und merkt dabei gar nicht, wie schon die nächsten Diebe ihr in den Taschen herumfingern.

Wo jeder Erlöser vom herrschenden Übel noch größeres Übel bringt und Tyrannen vor der ganzen Welt die Freiheit ihrer Völker verbürgen, fällt es auch Allah schwer, gerecht zu sein in allen Dingen. Lachen ist ihm dann gefälliger als Bitten und Klagen. Ahmadou Kourouma hat dieses Lachen zu Literatur gemacht. Sabine Herting hat es einfühlsam und sorgfältig, manchmal vielleicht sogar etwas zu sorgfältig am französischen Original haftend, übersetzt. Das Fazit bleibt dasselbe: Auch Bandenführer lassen die Kinder gern zu sich kommen. In Ermangelung eines Himmelreichs halten sie ihnen eine schöne Hölle bereit.

JOSEPH HANIMANN

Ahmadou Kourouma: "Allah muß nicht gerecht sein". Roman. Aus dem afrikanischen Französisch übersetzt von Sabine Herting. Knaus Verlag, München 2002. 223 S., geb., 19,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Beeindruckt ist der Rezensent Heinz Hug auf jeden Fall von diesem Roman, und deswegen schmerzen ihn die Fehler und Auslassungen in der Übersetzung von Sabine Herting umso mehr. Er listet recht detailliert Hertings Versäumnisse auf und findet es richtig ärgerlich, dass die teilweise komplizierte sprachliche Verästelung des Romans durch ihre Übersetzung geglättet wurde - vor allem weil die "unaufhörliche sprachliche Selbstvergewisserung" des Protagonisten ein inhaltlicher Bestandteil der erzählten Geschichte ist und die Auslassungen der Übersetzerin an die Substanz des Romans gehen. Trotzdem lohnt sich in Hugs Augen die Lektüre auf jeden Fall. Der Roman zeichnet nach Meinung des Rezensenten ein lebendiges, farbiges und doch "ungeschöntes Bild Westafrikas", dass nebenbei noch eine aufschlussreiche Geschichtslektion sei.

© Perlentaucher Medien GmbH