Produktdetails
  • Verlag: Knaus
  • Seitenzahl: 189
  • Deutsch
  • Abmessung: 220mm
  • Gewicht: 374g
  • ISBN-13: 9783813501537
  • ISBN-10: 3813501531
  • Artikelnr.: 23989847
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.05.2000

Berg-Riese bedroht Zwergstaat
In Werner Thuswaldners Roman „Pittersberg” geht es um die Frage: Wie schreibt man heute über Österreich?
Der Kulturchef der Salzburger Nachrichten hat ein Buch über Österreich geschrieben, in dem er eine Frage stellt, deren Beantwortung eigentlich zu den Voraussetzungen seiner Arbeit gehören müsste und wenn nicht, dann wenigsten zu deren Ergebnissen. Mit seinem Buch müsste sie beantwortet sein, diese tatsächlich knifflige Frage, die lautet: Wie schreibt man heute über Österreich?
Werner Thuswaldner hat die Frage in einen Roman verpackt und sich einen Erzähler aus der Branche erfunden, einen Feuilletonisten mit historischen Kenntnissen, der gerade an einem österreichischen Geschichtsbuch für die Schule arbeitet und von einem Magazin in Hamburg, dem er als fachkundige „Stimme aus der Provinz” gilt, zu einem Text über Österreich eingeladen wird. Seine Hamburger Auftraggeber kennt er als wenig kompetente Nordlichter, die Österreich für „eine ein wenig aus der Art geschlagene deutsche Provinz” halten mit „weitgehend naturbelassenen Ureinwohnern”. Es nagt der Verdacht in ihm, man wolle ihn zu einer klassisch österreichischen „Nestbeschmutzung” auffordern. Da will er nicht mitmachen, Klischees auf keinen Fall bedienen, und muss sich fragen, was dann übrig bleibt. Wie schreibt man über Österreich?
Gut, dass es im Leben des Erzählers ein Zauberwort gibt, ein düsteres naturgemäß. Es heißt, wie Thuswaldners Roman, Pittersberg. Dieser Berg sieht aus wie der Kopf eines Riesen, und obendrauf verfällt eine Burg. In Hamburg ahnt man nicht, welche Brisanz das Pittersberg-Thema im Leben des Erzählers und seiner Familie hat. „Nein, sie wollen hören, welche Bedeutung der Berg für das Ausbrüten dumpfer nationaler Gefühle hatte. Ein kurioser Fall von Mythenbildung sollte dargestellt werden. ”
Noch wehrt sich der Autor, ein Geistesmensch, getrieben von seinem Forschungsdrang, zu dessen Haltung Distanz gehört, in Österreich ein Fremdwort. Die drei Brüder des Erzählers haben Österreich bereits verlassen, was ihn zu der Bemerkung verführt: „Österreich ist ein Land, aus dem ein denkender Mensch auswandert . . .” Schon formuliert er die ersten Klischees und den gewünschten Mythos wird er uns und den Hamburgern auch noch nachliefern, den Pittersberg-Mythos, der allerdings nicht kurios bleibt, sondern das politische Österreich bedrohen wird. Spannend, zu verfolgen, wie Werner Thuswaldner, ein Autor mit beträchtlichem schriftstellerischem Vermögen, zusammen mit seinem Erzähler allmählich in seinem Thema versinkt. Vor den Augen des Aufklärers türmt sich die Mythologie auf, hoch wie der Pittersberg. Ein Berg-Riese bedroht einen Zwergstaat, der anders seine Größe nicht fände, den Mythos des Nationalen, mit dem Pittersberg als Zentrum.
Aber noch sind wir im Atmosphärischen. Thuswaldners Österreich ist eine klassische Thomas-Bernhard-Welt mit gescheiterten Forschern, seltsamen Grafen, reaktionären Geschichtsprofessoren, versoffenen Dorfchronisten und einem alten Sägewerk, in dessen Keller jemand die Folterkammer der Burg auf dem Pittersberg nachstellt. Natürlich gibt es auch einen Bruderzwist, spielt auch ein Sanatorium eine Rolle, und so ist es kein Wunder, dass einer Roithammer heißt, wie der Erbauer des Kegels in Thomas Bernhards Korrektur. Der verstorbene Vater des Erzählers war in der Blüte seiner Jugend k. & k.-Offizier und hat sich später intensiv mathematischen Studien gewidmet. Außerdem gibt es Beziehungen des Vaters zur Pittersberg-Legende. Von Anfang an befinden wir uns mitten im „verworrenen abendländischen Fundamentalismus” Österreichs.
Jörg Haider heißt keiner. Aber der Schatten des Bärentals liegt über der Burg auf dem Pittersberg, wo sich regelmäßig ein Kreis rechtsgesinnter Nationaler trifft, auch die Pittersberg-Bande genannt, die einem autoritären „Anführer” gehorcht, dem alle nach dem Mund reden. Alles in allem, das Gegenstück zu Artus’ Tafelrunde.
Der „Anführer” ist ein sportiver Mann, der zu PR-Zwecken vor Fernsehkameras in Badehose posiert, und die Ideologie, die er über Fremdenführer in Dorfgasthöfen verbreiten lässt, kann man als österreichische Heldensagen verstehen: „Der Pittersberg war das Bollwerk in einem Reich, das, von Unmoral zerfressen, sich schon fast aufgegeben hatte. Es wurden Entwürfe ausgearbeitet, wie der Kontinent die Herausforderungen der neuen Zeit bewältigen sollte. Nachdem das Konzept der Kreuzzüge gescheitert war, mussten neue Strategien zur Abwehr der herein drängenden Horden aus dem Osten entwickelt werden. Die Ritter setzten sich dem Ansturm der Türken tapfer zur Wehr und schlugen sie weit bis hinter die Karawanken zurück . . . Als erbärmliche Brandstifter kehrten sie wieder . . . Noch heute fühlen wir diesen Schmerz. Er ist ungesühnt. ”
Da hört man die rechte Nachtigall trappsen, und die Burg auf dem Berg, der aussieht wie der Kopf eines Riesen, rückt ins Zentrum des heutigen Österreichs. Pittersberg ist ein Exempel.
Am Ende schickt der Erzähler einen Bericht über einen Unfall bei den Renovierungsarbeiten der Burg nach Hamburg. Er hofft, damit könne der Verfall der Burg doch noch einsetzen. Am Ende ist aus dem Aufklärer ein Traumtänzer geworden. Keiner schreibt ungestraft über die Alpenrepublik. Trotzdem ist Werner Thuswaldner mit Pittersberg ein beachtenswerter Roman gelungen. Hoffentlich kein Schlüsselroman.
HELMUT SCHÖDEL
WERNER THUSWALDNER: Pittersberg. Roman. Albrecht Knaus Verlag, München 2000. 192 Seiten, 34 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.04.2000

Verworren fundamental

Nicht alles, was aus Kärnten kommt, ist von Übel. Im Gegenteil, literarisch hat das Ländchen einen glänzenden Ruf. Robert Musil und Ingeborg Bachmann kamen von dort, um nur zwei der Besten zu nennen, und nun gesellt sich Werner Thuswaldner mit seinem Erstlingsroman zu ihnen; mehr noch, er prangert das Kärntner Gespenst, das in Europa umgeht, unmissverständlich an. Wenn er den Anführer eines rechtskonservativen Kults "beifallheischend gegen die Türken wettern" lässt, gegen "die Frauen mit den Kopftüchern" und ihre vielen Kinder, um so die Angst zu schüren, dann wird es nicht viele Leser geben, die herumrätseln müssen, wer gemeint ist. Die unsinnigen Sporttaten des Betreffenden, seine Attacken auf die "Sozialschmarotzer", auf "alle jene, die Bedürftigkeit vortäuschen, im Grunde aber ihr ganzes Geschick nur dazu nutzen, den Staat auszusaugen", vervollständigen das Porträt, das freilich auf Dutzende politischer Populisten passt. Die bestechende Formel für diese Haltung wird auch geliefert: "Verworrener abendländischer Fundamentalismus."

Der leicht groteske humoristische Ton, in dem diese Identifizierung vorgenommen wird, ist charakteristisch für das ganze Buch, er wird auf alles und jedes angewendet, zum Beispiel auf die Schweiz, personifiziert durch einen Schaffner, der "sich aufs Lächerlichste in Positur wirft" und glaubt, "bei seiner Amtshandlung auf alle Mitreisenden im Abteil Eindruck machen zu müssen", weil er meint, es werde versucht, "an den Grundfesten der schweizerischen Ordnung zu rütteln". Österreich kommt nicht besser weg, die Medien strotzen von Selbstüberschätzung, einem nebulösen Größenwahn, der die Wiener dazu verführt, ihre Stadt für den Mittelpunkt der Welt zu halten.

Schlimmer als alles ist aber der österreichische Umgang mit der Vergangenheit, bei dem ein Mythos den anderen ersetzt und jeder Unfug geglaubt werde, nur die historische Wahrheit nicht. Im Zentrum aller Verdrehungen steht der mythische Pittersberg, um den sich der von jenem Demagogen geführte rechtsradikale Kult schart, der auch außerhalb des Romans in aller Munde ist. Er hat seine eigene Geschichte, die von einer schwärmerischen Verherrlichung des Mittelalters über eine "abendländische" Chimäre bis zur gegenwärtigen Mischung aus Patriotismus und Fremdenverteufelung reicht. Die Nuancen wechseln, das Weichen von Realität und Mitverantwortung bleibt konstant. Der Ich-Erzähler erweist sich insofern als Österreicher, als er vor der erkennbaren Verstrickung seiner Familie in die unrühmliche Geschichte des Landes ängstlich zurückschreckt.

Aufgezogen ist der Bericht an dem Faden eines Feuilletons, das der Erzähler für ein Hamburger Magazin über den Pittersberg schreiben soll und das ihn in die altbekannte Not versetzt, das österreichische Wesen den Deutschen erklären zu müssen, die nicht bereit sind, in ihren südlichen Nachbarn mehr zu sehen als liebenswürdige, aber unmöglich ernst zu nehmende Clowns. Keineswegs erschöpft sich jedoch die Geschichte in dieser Thematik. Sie verdichtet sich immer wieder zu vergnüglichen Charakterbildern, den anstrengenden Frauen, die dem Familienforscher nicht ganz uneigennützig bei seinen Ermittlungen helfen, zu amüsanten Vignetten von verkrachten Grafen, Taxichauffeuren, Familienmitgliedern und anderen Nebenfiguren.

Wenn am Ende eine ökologische Katastrophe dem verlogenen faschistoiden Kult ein Ende bereitet, so ist damit nur Richtung und Rangordnung der allgemeinen Bedrohlichkeiten angedeutet, denen die Welt ausgesetzt ist. Aber das Wesentliche an dem Roman ist das nie abreißende köstliche Parlando, das nach Hofmannsthalschem Rezept die ernste Tiefe an seiner verschnörkelten Oberfläche versteckt. (Werner Thuswaldner: "Pittersberg". Roman. Albrecht Knaus Verlag, München 2000. 189 S., geb., 34,- DM.)

EGON SCHWARZ

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Egon Schwarz scheut sich nicht, den Autor in die Nähe von Robert Musil und Ingeborg Bachmann zu stellen - und dies offensichtlich nicht nur, weil er ebenfalls aus Kärnten kommt. Dabei ist das, was Schwarz am meisten an Thuswaldners Roman schätzt, das "nie abreißende köstliche Parlando". Nach Schwarz nimmt der Autor so ziemlich alles aufs Korn, was sich ihm bietet: die Schweizer, die die schweizerische Ordnung verteidigen, die größenwahnsinnigen Österreicher und natürlich - in verklausulierter Form - Rechtspopulist Jörg Haider. Sein Roman wimmele von "vergnüglichen Charakterbildern", für die der Rezensent amüsiert einige Beispiel aufzählt. Trotzdem erinnert Thuswaldner ihn bisweilen an Hofmannsthal, wenn er die "ernste Tiefe an seiner verschnörkelten Oberfläche versteckt".

© Perlentaucher Medien GmbH"