Produktdetails
  • Verlag: Gerstenberg
  • ISBN-13: 9783806749311
  • ISBN-10: 3806749310
  • Artikelnr.: 08998147
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.10.2000

Im Wald ohne Wiederkehr
Ein Prinz wandert durch eine seltsame Märchenwelt
Was für ein seltsames Märchen in vertrauter Landschaft: Wald ohne Wiederkehr, Felsgrund der Fiesheit, Reich der Rachsucht, See der Seufzer, Berg der Bosheit, Tal der Tränen! Welch seltsames Märchen erzählt Jules Feiffer, der amerikanische Cartoonist und Pulitzerpreisträger in Der Fluch des Lachens. Und wie er es erzählt! So, als ob er Kleists Traktat Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden vergnüglich aufs Schreiben und Zeichnen überträgt. Da kommt ein Jägersmann in die Geschichte marschiert, der – nach Absicht des Autors – eigentlich auf Seite 12 endgültig verschwinden sollte. Aber schon auf Seite 29 ist er wieder da, verschwindet noch mal aus dem Buch und tritt im Kapitel 13 erneut auf. Ein fieser Kerl, der sich zudem Tom nennt, obwohl er Jack heißen sollte! Dieses unmögliche Verhalten zwingt Feiffer dazu, mehrmals die Erzählung zu unterbrechen, um die Leser zu beruhigen, er habe die Sache „im Großen und Ganzen” im Griff. Hat er tatsächlich, denn das ist ja gerade die erstaunliche Kunst seiner Dramaturgie, dass sie Brechungen erlaubt, Einwürfe, Perspektivwechsel, Transparenz – ein fröhliches Wandern zwischen Fiktion und Wirklichkeit also. Und wenn sich Feiffer auf diesem Weg beklagt, Seitenzahlen in Büchern müssten eigentlich die Wirkung von Entfernungsschildern an der Autobahn haben (noch 124 Seiten bis zum Ende!), dann fragt man sich allen Ernstes, warum noch kein Verlag diese glorreiche Idee umgesetzt hat. Bücher würden ganz anders gelesen und wir könnten unsere Tankstellen und Raststätten mit Bedacht wählen.
Das ist die stilistische Seite der Geschichte. Sie vereint – verwenden wir das Wörtchen ein zweites Mal – auf vergnügliche Weise den Inhalt und Feiffers viele Schwarzweiß-Karikaturen. Der Stoff scheint zunächst einmal der zu sein, mit dem die meisten Märchen spielen. Wir befinden uns im Märchen, wo es ja nur so von Prinzen, Prinzessinnen, Zauberern und allerlei wilden Wesen in wilden Landschaften wimmelt – Wälder ohne Wiederkehr, Felsgründe der Fiesheit, etcetera. In dieses Milieu setzt Feiffer tatsächlich einen Prinzen, und zwar einen aus der Spaßgeneration, bei dessen Anblick das Volk ins Lachen, ja sogar ins Totlachen gerät. Und das seit des Prinzen Geburt! Kein Wunder also, wenn ihn der etwas verwirrte Vater in die Welt, auf ‘Suche’, schickt, die dem Burschen – O-Ton Hofzauberer – endlich „Errrfahrrrungg” bringen soll.
Natürlich stellen sich die Honoratioren die Suche als erhabenen Akt vor, mit ‘Auf und Abs’ zwar, aber doch ziemlich geradlinig standesgemäß. Selbstverständlich sollten unterwegs – Adel verpflichtet – auch ein paar Drachen erschlagen und Prinzessinnen gerettet werden. Es geht jedoch entschieden zu weit, wenn sich Prinz Roger viel länger als geplant im Wald ohne Wiederkehr herumtreibt und dabei Menschen rettet, die sonst nur als Randfiguren im Märchen hausen. Wo bleibt da die feudale Erhabenheit? Selbst Buddhisten würden sich die Haare raufen. Wo ist hier der edle, achtteilige Pfad der Erleuchtung? Nicht dass Roger nicht arg gebeutelt, dass er nicht reifen würde in den Jahren draußen im Leben. Aber dieser Weg! Dieses vermaledeite Weder-hierhin-noch-dorthin, „Gut zu allem und zu jedem, ohne es zu wissen” ist er irgendwann, sagt Gertrude, die Gelassene – und die weiß Bescheid, denn sie ist Wahrsagerin. Aber ob Liebenswürdigkeit, Gerechtigkeitssinn, Hilfsbereitschaft und Bescheidenheit die gewünschten Primärtugenden des Thronfolgers sind?
Lassen wir uns überraschen! Jules Feiffer hält eine Menge weiser und witziger Wendungen bereit, die allemal für verstärktes Rumoren am Grab der Gebrüder Grimm sorgen. Und für – und jetzt benützen wir das Wörtchen zum letzten Mal – vergnügliche Stunden bei großen und kleinen Lesern, die Prinz Roger auf seinem Wirrwarrweg begleiten. Auch ohne Entfernungsschilder. (ab 10 Jahre)
SIGGI SEUSS
JULES FEIFFER: Der Fluch des Lachens. Mit Bildern des Autors. Aus dem Amerikanischen von Werner Leonhard. Gerstenberg Verlag 2000. 182 Seiten, 24,80 Mark.
Illustration aus Jules Feiffer: Der Fluch des Lachens
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

"Im Taumel des Lachens hat er auch noch was dazugelernt, unser Rezensent. Aber was eigentlich? Reinhard Osteroth gibt uns die Geschichte vom Prinzen Roger, "dem leibhaftigen Humbug und personifizierten Firlefanz", der auszog, den Ernst zu lernen, in nuce. Die Abenteuer des Prinzen - "Lehrreiches", vom Autor "dick mit Charme vermummt" - so Osteroth, fangen lustig an und enden nach einer vertrackten Geschichte schließlich als rührendes Märchen. Und die Moral von der Geschicht`? - Es gibt sie, heißt es, doch mehr erfahren wir nicht.

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